Gemeinsames Priestertum aller Getauften

28.06.2010, Univ.-Prof. Dr. Walter Kirchschläger

Walter Kirchschläger hat diesen Vortag am 23. Jänner 2010 in Luzern beim Verein Tagsatzung im Bistum Basel gehalten.

EINFÜHRUNG

Der Begriff „Priester“ [i.ereu,j/hiereus] kommt im Neuen Testament zur Bezeichnung eines entsprechenden Dienstes in den Kirchen am Ort nicht vor. Die vom gleichen Wortstamm abgeleitete Benennung eines kultischen Ortes [i.eroß,n/ hieron], also „Heiligtum“, Tempel“ wird für christliche Versammlungsorte nicht verwendet.

Die ebenfalls semantisch verwandte Bezeichnung für den (kult-) priesterlichen Dienst [i.eratei,a/hierateia] bezeichnet im Neuen Testament ausnahmslos den priesterlichen Dienst im jüdischen Kult (vgl. Lk 1,9 und Hebr 7,5). Das Gleiche gilt für das zugehörende Zeitwort [i.erateu´,w/hierateuo], „einen priesterlichen Dienst ausüben“ (vgl. Lk 1,8). Lediglich die Bezeichnung „Priesterschaft“ [i.era,teuma/hierateuma] wird in 1 Petr zweimal im Blick auf die christlichen Adressatinnen und Adressaten verwendet (vgl. 1 Petr 2,5.9), und die äusserst seltene Beschreibung für „priesterliches verwalten“ [i.erourge,w/hierourgeo] findet sich mit erkennbar metaphorischem Bezug in Röm 15,15,16. Von den drei Nennungen der priesterlichen Würde [i.erwsu,nh/hierosyne] in Hebr 7 beziehen sich zwei auf den jüdischen Religionskontext (vgl. Hebr 7,11.12, anders nur 7,24).

Frau oder man wird also nur schwer behaupten können, die Semantik einer auf das Priesterliche bezogenen Sprache gehöre zu den wegweisenden sprachlichen Ausdrucksformen oder auch Denkmustern des Neuen Testaments. Genau das Gegenteil ist der Fall. Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind die Fachbegriffe des kultischen Priesterdienstes auf die Insti-tutionen und auf die Praxis der jüdischen Religion bezogen. Dies gilt in erster Linie für die Bezeichnung „Priester“ [i.ereu,j/hiereus] selbst. In den Evangelien und in der Apg wird der Begriff 14mal in diesem Zusammenhang verwendet, Apg 14,13 dient die Bezeichnung zur Identifikation des Zeuspriesters in Lystra.

Der biblische Befund zeigt also generell in eine Richtung. Er wird allerdings durch zwei Ausnahmen im Textinventar modifiziert: Die den Hebr verfassende Person umschreibt – erstens – Person und Stellung Jesu Christi mit den Begriffen „Hoherpriester“, bzw. „Priester“. Jener Autor oder jene Autorin, welche den 1 Petr geschrieben hat, spricht – zweitens – die Zielgruppe dieser Schrift als „Priesterschaft“ an (wie oben schon erwähnt). Diese Vorstellung lässt auch die Offb an drei Stellen erkennen (vgl. Offb 1,6; 5,10; 20,6).

So ist die Themenstellung dieses Tages also doch nicht verfehlt, sondern hat seine Berechtigung. Freilich muss frau oder man die Bedeutung nach der Frage des Priesterlichen auch zurechtrücken und auf ein Mass zurückschrauben, das dem Befund des Neuen Testaments entspricht. Dafür bedarf es zunächst einer entsprechenden Analyse der diesbezüglichen Textabschnitte (1) und einer Überlegung, worin das Priesterliche in der Person Jesu Christi zu suchen ist (2). Vermutlich ist es hilfreich, im Blick auf die weitere Entwicklung das konstantinische Missverständnis im 4. Jh. zu klären (3). So wird es unerlässlich, nach der allen gemeinsamen Basis zu fragen, auf der priesterliche Elemente aufbauen müssen (4). Folgerungen für die weitere Diskussion sind damit wohl vorgegeben.

1 „PRIESTERLICHES“ IM NEUEN TESTAMENT


In Entsprechung zur Themenstellung konzentriere ich mich zunächst auf jene Textabschnitte, in denen den Christinnen und Christen priesterliche Grundzüge zuerkannt werden.

1.1 Eine königliche Priesterschaft: 1 Petr 2,1-10
Der erste Petrusbrief wird allgemein als ein Mahn- und Ermutigungsschreiben eingestuft, dass eine uns unbekannte Persönlichkeit an die Christinnen und Christen in mehreren kleinasiatischen Gebieten (vgl. 1 Petr 1,1) richtet. Dies geschieht zur Zeit einer weltweiten Verfolgung der Christinnen und Christen (vgl. 1 Petr 5,9). Aufgrund dieser Einordnung wird das Dokument auf das Ende des 1. Jh. n. Chr. datiert.

Schon in Kapitel 1 ist das Anliegen der schreibenden Person erkennbar: Angesichts erlebter und bevorstehender Leiden und Turbulenzen in den Kirchen am Ort greifen Ermahnung zu Standhaftigkeit und Stärkung des Selbstbewusstseins ineinander. „Umgürtet euch und macht euch bereit“ heisst es da (1,13), denn die Vorbildhaftigkeit des eigenen christlichen Lebens liegt die innere Stärke der Christinnen und Christen: „Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch euer ganzes Leben heilig werden“ (1,15). Diese Heiligkeit der betroffenen Men-schen zu vertiefen und zu fördern, ist ein entscheidendes Grundanliegen dieses Briefes. Es wird unmittelbar darauf auch in einem Leitsatz der Jüdischen Bibel verankert: „Denn es steht geschrieben: Seid heilig, denn ich bin heilig.“ (1,16). In Lev 19,1 bildet dieser Satz die Kern-aussage für die programmatisch-ethische Ausgestaltung des jeweiligen Lebensumfeldes des einzelnen Menschen als einem „Raum“, der von einer auf Gott ausgerichteten Atmosphäre der Heiligkeit geprägt ist. Der Hinweis auf die Schrift zielt also nicht nur auf die individual-ethische Heiligung der Christin und des Christen ab, sondern hat vor allem das entsprechende Zusammenleben im Familien- und Hausverband und in der Kirche am Ort vor Augen. Dass eine solche Heiligung aus christlicher Perspektive aufgrund des Christusgeschehens ermög-licht ist, ergibt sich wohl (vgl. 1,18-21), ebenso wie die damit notwendig gewordene Än-derung der Lebenshaltung und des Lebensstils: „Legt also ab alle Bosheit, alle Falschheit und Heuchelei, allen Neid, alle Verleumdung ...“ heisst es weiter im Text (2,1). Frau oder man ist versucht, zu paraphrasieren: denn das passt nicht zu eurer Identität.

Gerade diese neue Identität der Christinnen und Christen wird nun in den Vordergrund ge-rückt. Dabei bedient sich die schreibende Person bedeutsamer Bilder aus der Jüdischen Bibel. Die Metapher von Jesus Christus als dem alles entscheidenden lebendigen (Eck-)Stein, das sowohl in Jes 28,16 wie auch in Ps 118,22 verankert ist, wird in den folgenden Versen dreimal zur Sprache gebracht (vgl. 2,4.6.7-8). Dieser Stein wird als die zentrale Grundlage eines (geistigen) Bauwerks verstanden, wenn von den Adressatinnen und Adressaten verlangt wird: „Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen“ (2,5). Das Bild ist aus der paulinischen Tradition (vgl. 1 Kor 3,10) und aus der Paulusschule (vgl. Eph 4) bekannt.

Bevor das in 2,4 angetönte Bild vom Stein in 2,6 ausdrücklich und ausführlich zitiert wird, vertieft der Autor oder die Autorin des Textes, was das heissen könnte: „als lebendige Steine zu einem geistigen Haus“. Anhand der Vorstellungswelt jüdischer Tradition und Praxis kommt der Tempel als Haus Gottes in den Sinn (auch das schon eine von Paulus gebrauchte Metapher, siehe 1 Kor 3,16) – ein Haus also, das Beschaffenheit und Ausrichtung der Menschen darin entsprechend prägt. So ergibt sich die folgende Zeile von selbst: „... zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen“ (2,5). Was sonst – so könnten frau oder man fragen – wäre denn als Kerngeschäft dieser den Tempel Gottes als lebendige Steine aufbauende Menschen zu benennen, und wie anders wäre denn im Rahmen dieser metaphorischen Sprache ihre Identität zu bestimmen?

Bevor wir in der Lektüre des Textabschnittes fortfahren, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit nochmals auf zwei Details lenken: Da fällt zunächst auf, dass das Stichwort „heilig“ in Verbindung mit der alle Angesprochenen umfassenden Bezeichnung „Priesterschaft“ geschrieben ist. Damit ist diese Aussage zurückgebunden an den Imperativ der Heiligkeit und an den 1,16 zitierten Kernsatz aus Lev 19. Das bedeutet aber auch: Die verfassende Person verbindet diesen Imperativ zur Heiligkeit in besonderer Weise mit der Idee einer priesterlichen Umschreibung aller Angesprochenen, also aller Menschen in den jeweiligen Kirchen am Ort.

Des weiteren darf nicht übersehen werden, dass wir uns in einer metaphorischen Sprache, also in einer Bildwelt bewegen, deren Anknüpfungspunkte durch die Zitate aus der Jüdischen Bibel ausdrücklich offen gelegt werden. Dass Metaphern und Bilder keine ontologischen Wesensaussagen sind, sondern sprachlich-literarische und katechetische Verstehenshilfen für tiefer liegende Aussagen, sollte an sich heute schon bekannt sein. Im vorliegenden Fall bedeu-tet dies: Wer wie jene Persönlichkeit, die 1 Petr geschrieben hat, die Kirchenwirklichkeit der Christinnen und Christen vor dem Hintergrund einer lebendigen und allen bekannten jüdischen Tradition, insbesondere einer von der Wirklichkeit des Tempels geprägten Tradition betrachtet, kann die Gemeinschaft der Christinnen und Christen in dieser Weise umschreiben: eine heilige Priesterschaft – dies mit ermutigendem und ermahnenden Unterton zugleich. Was da über die Begriffe hinaus alles an Nebentönen mitschwingt, habe ich angedeutet.

Nach diesen zwei Zwischenbemerkungen – vielleicht auch aufgrund dieser Zwischenrufe – können wir die Lektüre der Texteinheit zügig weiterführen und abschliessen. Das ausführliche Zitat von Jes 28,16 in 2,6 verdeutlicht die entsprechende Anspielung von 2,4 und betont sie damit nochmals. Strukturell bildet dieser Vers wohl den Angelpunkt der Argumentation des Textabschnitts 2,1-10. Um das Bild in seiner Entscheidungsdimension zu vertiefen, wird so-fort anschliessend mit nur kurzer Überleitung das inhaltlich verwandte Zitat aus Ps 118 angefügt, das mit den Stichworten „verwerfen“ und „zu Fall kommen“ den Ernst und den Ent-scheidungscharakter der Situation vor Augen führt (vgl. 2,7-8). Beide Begriffe, bzw. Wendungen sind gebräuchliche Gerichtsvokabel.

Aber es geht nicht um Gericht, sondern um Ermutigung. Daher schliesst der Abschnitt mit einer ausführlichen, nochmals positiven Bekräftigung: „Ihr aber ...“ (2,9). Inhaltlich wird mit dem Stichwort „Priesterschaft“ schon Gesagtes wiederholt, zugleich aber in einen weiteren und noch grundsätzlichern jüdisch-biblischen Rahmen gestellt: Die Sprache ist (jetzt neu) von der Idee des Gottesvolkes bestimmt, und sie wird von verschiedenen Facetten her ausgefaltet: das auserwählte Geschlecht, das heilige Volk [unter den Völkern], das Volk als Gottes Eigen-tum und schliesslich: Das Volk des Bundes, zu dem die Menschen als Christinnen und Chris-ten geworden sind. Gerade in diesem Bundeskontext heisst es Ex 19,6: „Ihr aber sollt mir als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören.“ Die antithetische Metapher des Weges von Finsternis zu Licht und die von Hos 1,6.9 entnommene Gegenüberstellung von „nicht sein Volk“ zu „Gottes Volk“ umschreibt dabei in Kernbegriffen den Weg von einer heidnischen hin zu einer christlichen Existenz.

Sicher ist Ihnen aufgefallen, dass das Wort „heilig“ erneut begegnet ist (2,9), gleichsam als Garant dafür, dass aus diesem einen, den Heidenvölkern gleichen Volk, eben ein Gott zugeordnetes Bundesvolk geworden ist. Das mit dem Wort „Volk“ betriebene Wortspiel [von e;qnoj/ethnos zu lao,j/laos] kann nur paraphrasierend wiedergegeben werden. Und sicher haben Sie auch in diesem Abschnitt die metaphorische Bedeutung des Begriffes „Priester-schaft“ erkannt, eingeordnet in die Perspektive einer jüdisch-biblisch geprägten Redeweise – und dort auch stimmig verankert. Das gilt unter geänderten Vorzeichen auch für die nähere Bezeichnung „königlich“, mit der die Priesterschaft an eine Facette der jüdischen Gottes-wahrnehmung rückgebunden wird.

1.2 Könige und Priester: Offb
Es bleibt zu diesem Stichwort „Priesterschaft“ noch zu vermerken, dass die Offb in der Umschreibung der Christinnen und Christen einen ähnlichen Weg geht: „Er [Jesus Christus] hat sie [die Christinnen und Christen] zu Königen und zu Priestern gemacht vor Gott, seinem Va-ter“ (Offb 1,6). Der Textzusammenhang zeigt, dass auch hier das Christusgeschehen, fokusiert in Tod und Auferstehung Jesu die Grundlage bildet. Die Formulierung spielt – zumindest im Blick auf den Begriff „Priester“ - auf Jes 61,6 an und erinnert an Ex 19,6. Beide Aussagen (zu Königen und zu Priestern) nehmen die Glaubenden in die Wirklichkeit Gottes hinein und weisen sie als Menschen aus, die Gott selbst (allenfalls im Sinne seiner Heiligkeit, vgl. Lev 19,1) zugeordnet sind. Der zuvor aufgezeigte Hintergrund der Jüdischen Bibel ist auch hier erkennbar. Fragen literarischer Abhängigkeit zwischen 1 Petr und Offb können dabei vernachlässigt werden. Die leicht variierte Wiederaufnahme der Formulierung in Offb 5,10 und 20,6 zeigt, dass die Darstellungsweise in dieser Bildhaftigkeit im Umfeld dieser Schrift ge-bräuchlich gewesen ist.

2 DIE PRIESTERLICHE PERSON JESUS CHRISTUS


Was ergibt sich aus dem bisher Gesagten? In 1 Petr (und Offb) werden die Christinnen und Christen in ihrer Gesamtheit als „Priesterschaft“, bzw. als priesterliche Menschen bezeichnet – dies vor dem Hintergrund jüdischer Religionspraxis und jüdisch-biblischer Aussagen, die metaphorisch übertragen werden, und auf der Grundlage des Christusgeschehens. Zugleich zeigte die eingangs zusammengefasste Wortstatistik für den Hebr eine ähnliche Vorgangswei-se in Bezug auf Jesus Christus. Dieser priesterlichen Dimension Jesu Christi ist jetzt nachzu-gehen. Denn der biblische Befund legt ja nahe, dass die inhaltliche Präzisierung dieser Be-zeichnung für die Glaubenden am priesterlichen Verständnis Jesu Christi Mass nehmen muss.

2.1 Jesus Christus, der (Hohe-)Priester: Hebr
Bleiben wir zunächst kurz bei Hebr. Hier genügt die Skizze des theologischen Grundgedankens. Der Verfasser des Hebr entwickelt anhand des Begriffs „Priester“ [i.ereu,j/hiereus] seine Vorstellung von Jesus Christus. Der Begriff kommt in Hebr 6mal vor, dabei viermal als Zitat aus Ps 110,4: „Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks“1) . Der Bezug zu diesem Psalm – einem der Königspsalmen - und zu Melchisedek führt in die davidische Königsvorstellung zurück und stellt Jesus Christus in die Rolle dieses priesterlichen Königs. Damit stehen nach der Vorstellung frühjüdischer Zeit vor allem herrschaftliche und umfas-sende Vollmachtsvorstellungen im Vordergrund, zu denen neben der vernichtenden Macht über die Feinde (vgl. Ps 110,1.5-6) auch die hoheitlich kultische Vollmacht gehört. Der im testamentarischen Schlusswort des MtEv formulierte Satz des Auferstandenen „Gegeben ist mir alle Vollmacht im Himmel und auf Erden“ (Mt 28,18) könnte ebenso eine Auslegeord-nung anbieten wie die bildhafte Darstellung von Jesus Christus als dem Pantokrator, dem Weltherrscher, in der christlichen Kunst.

Der Rückbezug auf Melchisedek bildet in Hebr 5,5.10 auch die Brücke zu einer zweiten Facette der in dieser Schrift entwickelten priesterlichen Dimension Jesu Christi. Sie ist mit dem Begriff des Hohenpriesters [avrciereu,j/archiereus] verbunden. Das Wort kommt in den Evangelien und in der Apg sehr häufig als Bezeichnung der jüdischen Hohepriester vor und wird auch in Hebr in diesem Sinne verwendet.2) Darüber hinaus ist es in Hebr auf Jesus Christus angewendet, um damit eine erneut in der jüdischen Tradition verwurzelte Deutung seiner Person vorzunehmen. Als inhaltlicher Schlüssel zu der mehrmals gewählten Bezeichnung 3) kann Hebr 7,25-27 gelten: Dieser eine Hohepriester muss jedes Jahr am Versöhnungstag nicht zuerst für seine eigenen Sünden ein Opfer darbringen und dann für die Sünden des Volkes. Er bringt ein einziges Opfer dar, und er tat dies ein für allemal. Dies zeichnet ihn vor allen ande-ren Priestern aus, macht ihn zum einzigen Hohepriester für alle Zeit. Zugleich ist er darin als jener erkennbar, der uns durch seinen Tod am Kreuz als dem einmaligen und vollkommenen Opfer und durch seine Auferstehung erlöst hat.

Dieser theologischen Sichtweise, uns allen durch eine durch Jahrhunderte eingeführte Opfertheologie bekannt, muss hier nicht vertieft und auch nicht kritisch beleuchtet werden. Auch hier ist allerdings festzuhalten: Die Rede von Jesus Christus als dem Priester oder Hohepriester kann nur vor dem Hintergrund jüdischer Religions- und Kultpraxis verstanden werden. Wird sie von diesem Hintergrund abgelöst, ist ihr metaphorischer Charakter zu beachten.

Gerade in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Christusverkündigung des Neuen Testaments vielfältig ist. Die verschiedenen Facetten können nicht gegeneinander ausgespielt werden, und sie sind je für sich auch nicht absolut zu setzen. Wird dies beachtet, verwundert es weniger, dass die Jesusdarstellung der Evangelien so gut wie keine kultisch-priesterlichen Affinitäten vermittelt.

2.2 Die Jesusverkündigung der Evangelien
Dass Jesus von Nazaret in seinem Wirken dem Tempelkult – präziser: der damaligen Praxis des jüdischen Tempeldienstes - kritisch gegenüberstand, ist ein kaum widerlegbarer Befund. Dafür spricht sowohl die Szene der Tempelreinigung (vgl. Mk 11,15-19 par) als auch der wiederholt geäusserte Vorwurf Jesu, Kultpraxis und Lebenshaltung stimmten nicht überein – was den Tempelkult zu einem äusseren, formalistischen Vollzug verkommen lasse. Das Prophetenzitat „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Hos 6,6) wird in diesem Zusammenhang zweimal aufgegriffen (vgl. Mt 9,13; 12,7).

Die inhaltliche Konkretisierung des Begriffs „Priester“ mit dem Bezugspunkt des Jerusalemer Tempeldienstes erweist sich also als problematisch. Nichts lässt darauf schliessen, dass Jesus von Nazaret in seiner Nachfolgegemeinschaft eine neue Form von Kultdienst oder von Vollzug eines neuen Kultrituals in seiner Nachfolgegemeinschaft formen wollte. Auch der Rückgriff auf das letzte Mahl Jesu, der in diesem Zusammenhang gerne erfolgt, entspringt einer späteren Ideologie. Sie muss sich vorwerfen lassen, die biblische Überlieferung über das letz-te Mahl Jesu vorschnell mit frühchristlich-biblischen Deutungen des Todes Jesu verbunden zu haben. Dadurch wurde der Opfergedanke, der als inkulturierte, aus dem jüdischen Kontext stammende Interpretation des Todes Jesu durchaus seine Berechtigung hat, unbesehen auf das Mahl übertragen. Dieses wurde so als ein Opfer verstanden, für dessen Vollzug es eben jene Person zu brauchen schien, die Opfer im religiösen Sinn darbringt – und das ist ohne Zweifel nach dem allgemeinen Verständnis der Religionen eine priesterliche Gestalt.

Dass dabei die Grundeigenart des letzten Mahles Jesu verdeckt und das jüdische Verständnis des aktualisierenden Neuvollzugs übergangen wird, ist nur anzumerken 4). Das jüdische Paschamahl, das aus zeitlichen und durchaus auch aus theologischen Gründen dem letzten Mahl Jesu am Nächsten steht 5), wird in einer Hausliturgie gefeiert, welcher der Hausvater, also der Familienvorstand vorsteht.

Jesus von Nazaret verband die Feier seines letzten Mahles mit der Absicht, den Menschen neben seiner Todesgewissheit auch seine Todeszuversicht zu vermitteln. Die Menschen in seiner Nachfolgegemeinschaft konnten in der Aktualisierung dieses Mahles 6) immer wieder seine Proexistenz und darüber hinaus die intensivst mögliche Gemeinschaft mit ihm (und in der Folge davon untereinander) erleben 7). Dafür brauchte es Menschen, die in der Nachfolge Jesu Christi standen. Sie konnten für die Feier dieses Mahles an seiner statt die Aufgabe des Hausvaters, also der Mahlvorsteherin oder des Mahlvorstehers übernehmen.8)

Gerade anhand dieses letzten Mahles Jesu und der wohl sehr bald nach Tod und Auferstehung Jesu einsetzenden Praxis der Feier des Herrenmahls wird deutlich, wie sehr die liturgische Kompetenz jener Personen, die in den Familien, bzw. „Häusern“ die Verantwortung trugen, ernst genommen wurde: die Kompetenz des Hausvaters also, den Tischsegen zu sprechen und das Mahl zu leiten, also einer Hausliturgie vorzustehen, oder der Kompetenz der Hausgemeinschaft, diese Liturgie gemeinsam unter entsprechender Anleitung zu feiern. Dabei reiht sich das frühe Christentum in die jüdisch-liturgische Tradition ein – wie ein Blick auf die Begrüssung des Sabbats, die allwöchentlich auch heute in jüdischen Familien gefeiert wird, oder auf die Hausfeier zu jüdischen Festen zeigen kann. Damit wird mit einem liturgischen Akzent, der nicht an kultische Orte gebunden ist, die Feier- und die Leitungskompetenz für einen religiös ausgerichteten Vollzug weitergeführt, und es wird darin deutlich, was die priesterliche Kompetenz des Volkes Gottes im Sinne des Bundesverständnisses bedeuten könnte.

2.3 Herrenmahlfeier und Taufe
Es ist in den Evangelien nicht zu erkennen, Jesus hätte sich gegen eine solche Entwicklung gestellt. Anhand des einen konkreten Beispiels seines letzten Mahles kann vielmehr gezeigt werden, dass er dieses liturgische Selbstverständnis der dem Mahl vorstehenden Person geteilt und es sich zu eigen gemacht hat. Angesichts seiner jüdischen Identität ist dies auch in keiner Weise verwunderlich. Das in diesem Zusammenhang gerne eingebrachte Argument, die bera-kah als Segensgebet am Beginn dieses Mahles (und sodann der Feier des Herrenmahls) verweise auf einen kultisch-priesterlichen Ritus im strengen Sinn, greift nicht wirklich. Denn weder im jüdischen noch im christlichen Kontext ist Segen eine exklusiv priesterliche Aufgaben - auch wenn dieses Missverständnis vielfach besteht. Es ist auch Aufgaben jener, die eine Gemeinschaft leiten, es ist Aufgabe von Ehepartnern füreinander, von Eltern für ihre Kinder, usw. Von dieser Berakah und der davon abgeleiteten, erst seit Justin (160 n. Chr.) belegten Bezeichnung „Eucharistie“ auf einen Kultvollzug zu schliessen, ist daher nicht wirklich zu-treffend.

Die bis in das Wirken Jesu zurückreichende Geschichte der Taufe weist ebenfalls in diese Richtung. Sie kann hier nur angedeutet werden. Dass die Johannestaufe ein Zeichen der Umkehr ist, das eher in prophetische Kategorien einzuordnen wäre, ist unbestritten. Ähnlich verhält es sich mit der jesuanischen Taufpraxis selbst. Sie ist nur im Joh erwähnt, wird teilweise (mit guten Gründen) bestritten, kann aber nicht völlig ausgeklammert werden (vgl. Joh 3,22-30; 4,1-2). Kein Evangelist greift in diesem Zusammenhang zu einer priesterlich klingenden Sprache oder zu entsprechenden Begriffen. Das bleibt auch in der frühen Kirche so. Selbst als die Taufe aufgrund des Jerusalemer Entscheids zu dem einen Initialritus für ein Leben in der Kirche wird und damit die Beschneidung ersetzt, ändert sich nichts. Dabei hätte gerade die Gegenüberstellung zur Beschneidung, die eine deutliche kultisch-liturgische Dimension hatte, eine analoge kultisch orientierte Entwicklung nahe gelegt. Dem war aber nicht so.

Der Befund gibt – so meine ich – zu denken. Um ihn einordnen zu können, muss die frühkirchliche Entwicklung in Erinnerung gerufen werden.

3 DAS KONSTANTINISCHE MISSVERSTÄNDNIS


Eingangs und zwischen den Zeilen wurde bereits darauf hingewiesen: Die neutestamentliche Zeit kennt im Kontext der christlichen Verkündigung keine „Priester.“ Diese These ist trotz der angesprochenen Textabschnitte in 1 Petr 2 sowie in Hebr und in Offb aufrecht zu halten. Denn das eine ist es, nach dem üblichen Religionsverständnis von priesterlichen Gestalten zu sprechen, ausgestattet mit Kultvollmacht und mit dem Schwerpunkt auf rituelle Aufgaben (wie dies im unmittelbaren Umfeld des Neuen Testaments vor allem für das Judentum zutraf). Das andere ist es, entsprechende Begriffe und Vorstellungen in metaphorischem Sinne auf bestimmte Personen oder Personengruppen zu übertragen, um eine besondere Dimension ihrer Persönlichkeit oder ihrer Identität durch diese bildhafte Sprache hervorzuheben.

Letzteres – die bildhaft metaphorische Akzentuierung – ist im Neuen Testament gegeben. Was das bedeutet, wird uns im letzten Abschnitt dieser Ausführungen nochmals beschäftigen.

Ersteres – die Institution „Priester“ – findet sich im Neuen Testament nicht. Wieso es sie trotzdem gibt, soll im Folgenden in Erinnerung gerufen werden.

3.1 Priester
In keiner Ortskirche des ersten Jahrhunderts finden wir Priester im ursprünglichen Sinn des Wortes. Das vermeintliche Gegenargument, man habe schon früh in der nachösterlichen Zeit die Praxis von Gebet und Handauflegung gekannt, trifft gerade nicht: Die Handauflegung ist in der Tat ein verbindlicher Sendungsritus, den die frühe Kirche aus der jüdischen Tradition übernommen hat. In der jüdischen Bibel begegnet dieser Ritus als Ausdruck von Sendung und Beauftragung aber nicht nur dort, wo Leviten in ihren Dienst eingesetzt werden (vgl. Num 8,10-12). Er wird auch bei der Beauftragung des Josua angewendet (vgl. Num 27,18-23) und begegnet als allgemeiner Segensgestus (z. B. Gen 48,14). Im Frühjudentum gehört die Handauflegung zum Ordinationsritus für Rabbiner 9). Trotzdem ist Zurückhaltung geboten. Denn Jesus von Nazaret hat diesen Ritus zwar gekannt, er hat ihn aber nie als Beauftragungsgestus verwendet 10), sondern spezifisch umgedeutet: Die Handauflegung findet sich in der Jesusüber-lieferung vor allem im Kontext von Heilungen. Für diese Verwendung des Ritus gibt es in der gesamten vorchristlichen jüdischen Tradition sonst nur einen einzigen Beleg 11).
Trotzdem ist – auch im Blick auf Späteres – festzuhalten: Die frühe Kirche hat mit der Weiterverwendung des Ritus der Handauflegung einen wichtigen Gestus der verbindlichen Beauf-tragung und/oder Übertragung von Leitungsvollmacht übernommen – nur wurden damit keine Priester „geweiht“, sondern Menschen für Gemeinde[leitungs]aufgaben in Dienst genommen und gesendet.12)

Das deutsche Wort „Priester“, das in früheren Bibelübersetzungen gerne auftaucht, leitet sich aber bekanntlich vom griechischen Begriff presbu,terojpresbyteros ab 13), wörtlich übersetzt: Älterer oder Ältester. Damit ist nicht ausschliesslich das Lebensalter angesprochen, sondern die Idee der Lebenserfahrung und der Lebensweisheit des älteren Menschen miteinbezogen. Diese Feststellung legt ein grundlegendes Missverständnis offen. Denn es ist evident: Der Begriff presbu,terojpresbyteros steht in keiner Beziehung zu dem Inhalt, den der Begriff „Priester“ umschreiben will. Vielmehr meint die griechische Pluralbezeichnung pres-bu,teroi/presbyteroi im jüdischen Umfeld das Kollegialorgan des Sanhedrin. Das ist – in griechischer Bezeichnung - jene Gruppe von Ältesten, die in der Tempel- und Synagogenverwaltung des Judentums den priesterlichen Instanzen gegenüberstanden 14). Aus unserer Sichtweise würden wir sie vermutlich als Laiengremien bezeichnen.

Für den „Priester“ im ursprünglichen Sinn, also für eine Person, die mit der Wahrnehmung und dem richtigen Vollzug eines Kultes oder einer Liturgie betraut ist, gibt es im griechischen Sprachgebrauch ein durch andere Begriffe bestimmtes Wortfeld. Er ist der i.ereu,j/hiereus. In den Schriften des Neuen Testaments wird das betreffende Wort nie für christliche Kirchenaufgaben verwendet. Selbst die Apostel, geschweige denn der Zwölferkreis oder die Frauen-gruppe, werden in die Nähe eines solchen Verständnisses gebracht, und frau oder man wird eine entsprechende Absicht auch Jesus von Nazaret selbst nicht zuschreiben dürfen – wie oben (Abschnitt 2) angedeutet wurde. Eine Zwei-Stände-Kirche lag nicht in der Absicht Jesu – darin muss frau oder man H. Haag recht geben.15)

3.2 Die nachbiblische Entwicklung als Selbstläufer
Wo sind angesichts so vieler Abgrenzungen aber dann die Gründe für die historische Entwicklung zu suchen? Sicherlich sind sie vielschichtig:

- Auf die Ritualisierung des Herrenmahls unter Beizug jüdischer Opfertheologie in Verbindung mit der Deutung des Todes Jesu wurde bereits verwiesen. Dazu mag die Tendenz gekommen sein, das Herrenmahl analog zu den Festmahlzeiten zu verstehen, die in den hellenis-tischen Mysterienkulten gefeiert wurden 16). Dass diese auf die Mahlpraxis schon im 1. Jh. abgefärbt haben, lässt sich z. B. aus der Textabfolge und –gestaltung von 1 Kor 10-11 erschliessen. Diese Mysterienkulte bedienten sich ebenso wie die hellenistischen Vereine priesterlicher Gestalten für den Ritualvollzug.17) Ob davon auch das Grundverständnis des Herrenmahls als „Kult“ beeinflusst wurde, ist nicht belegbar, es wäre aber möglich.

- Verhängnisvoll wirkt sich in diesem Zusammenhang eine Passage im Schreiben des Klemens von Rom an die Kirche von Korinth aus. Um dieser Kirche am Ort einen Einblick in die von Gott gewollte Ordnung der Kirche zu geben, greift der Verfasser auf die jüdische Traditi-on zurück. Er spricht von den verschiedenen Aufgaben, die dem Hohenpriester, den Priestern und den Leviten zukommen, so wie auch der Mensch aus dem Volk an entsprechende Vorschriften gebunden ist (1 Klem 40,5). Ungeachtet der Aussage, die hier nicht weiter zu kommentieren ist, verdient diese Passage wegen der Wortwahl Beachtung, spricht doch Klemens von o`` laiko.j a;nqrwpojho laikos anthropos. Scheinbar ist dieser Mensch aus dem Volk den anderen genannten (Hohepriester, Priester und Levit) gegenübergestellt 18): Der (christliche) Laie – besser gesagt: seine Stellung als Gegenüber zum Priester - ist damit festgelegt.

Die Fahrlässigkeit der Textrezeption ist zu beklagen. Die Abfolge von Hohepriester, Priester und Levit lässt ja erkennen, dass sich der Verfasser im jüdischen Milieu bewegt. Tatsächlich folgt auf den zitierten Abschnitt im Text eine Bezugsetzung zum (jüdischen) Tempel (1 Klem 41,2), die Textpassage nimmt also auf den jüdischen Zusammenhang Bezug. In Kapitel 42,1-2 wird der Verfasser dann mit diesem Argumentationshintergrund das christliche Amt ableiten 19).

- Im gleichen Atemzug ist auf die „Apostolische Tradition“ zu verweisen. Diese üblicherweise dem Hippolyt von Rom zugeschriebene Kirchenordnung ist um die Wende zwischen 2. und 3. Jh., vielleicht auch erst 100 Jahre später zu datieren. Im Weihegebet für den Episkopen wird für diesen u. a. die Vollmacht erbeten, in Übereinstimmung mit der Absicht Gottes Ämter zuzuweisen 20). In dem bis in die jüdische Zeit zurückreichenden Verständnis bedeutet dies auch, ein Erbteil zu erhalten, das mit dem Amt verbunden ist. Dieses Erbteil hat ursprünglich für jüdische Leviten und Priester den Zuspruch eines Teils des verheissenen Landes ersetzt, den die anderen Stämme Israels erhalten haben. Damit wurde deutlich: Die Sorge von (jüdischen) Priestern und Leviten ist nicht das Land, sondern Gott selbst, seine Heiligkeit, seine Ehre. Das Amt ist ein Anteil oder Erbe, eben ein klh/rojkleros
Damit ist eine folgenschwere Gegenüberstellung formuliert: Die einen haben ein Amt, einen kleros, sind Kleriker, die anderen sind demgegenüber Laien

– obwohl sie streng genommen alles sind, was eine Christin oder ein Christ sein können: Mitglied des lao,jlaos, des Volkes (Gottes) eben. Grundlage dafür ist die allen gemeinsame Taufe. Auf keinen Fall sind Laiinnen und Laien unmündig, inkompetent, unverständig – und was immer mit dem Begriff heute noch in diese Richtung assoziiert werden kann 21), und sie sind – im metaphorischen Sinn des Wortes- auch nicht unpriesterlich.

3.3 Die konstantinische Wende
- Die konstantinische Wende 313 n. Chr. ist der Ausgangspunkt für neue Festschreibungen. Was bisher im kirchlichen Leben praktiziert wurde, wird nunmehr in das römische Ordnungssystem „übersetzt“, also eingeordnet und neu festgelegt. Dabei werden augenscheinliche oder auch vermeintliche Analogien bemüht. Da nun jene Person, welche eine Kirche am Ort leitet, einem religiösen Mahl vorsteht, wird sie jenen Personen gleichgestellt, die dies auch in römisch-heidnischen Kulten tun. Diese Wahrnehmung entspricht nicht nur der Aussensicht, sondern der seit dem Ausgang des 1. Jh. voranschreitenden Kultisierung christlichen Lebens.

Da sich in Anschluss an Klemens von Rom und Ignatius von Antiochien ab dem 2. Jh. die dreigliedrige Ordnung von Episkopen, Presbytern und Diakonen weitgehend durchsetzt, sind vor allem die Episkopen und Presbyter davon betroffen. Die neue Ordnung bringt ihnen Amt, Titel, Würde, Ansehen, gesellschaftliche Stellung, die Stola über die Toga und – jene kultsprachliche Bezeichnung, die für vergleichbare Aufgaben bisher in Rom üblich waren: Sie gehören zu den sacerdotes, den Priestern also. Dass dies einer kultisch akzentuierten Entwicklung Vorschub leistet, ist evident. Selbst in diesem thematischen Bereich kirchlich unverdächtige Autoren räumen ein, dass die in dieser Entwicklung gegebene Auffassung von zwei Stän-den in der Kirche „nicht unproblematisch“ ist. 22)
Die Auffassung, dass es heute noch immer um die Überwindung der Konstantinischen Wende geht, besteht durchaus zu recht.

4 GEMEINSAME PRIESTERLICHE ELEMENTE IM CHRISTIN- UND CHRISTSEIN


Es mag sein, dass Manches, was ich bisher gesagt habe, verunsichert hat, oder dass auch Fra-gen aufgetaucht sind: Sind wir dennoch und trotz allem beim richtigen Thema? Natürlich hat mich das angesichts eines zur Zeit gefeierten Jahres der Priester auch beschäftigt. Stehen die vielen Nicht-Priester unter uns abseits, wenn es um diese Thematik geht, oder gehören wir auch dazu – wie ja der Titel dieses Tages vermuten lässt.

Die Antwort darauf ist nicht einfach, sie kann nicht mittels ja oder nein gegeben werden, und sie muss etwas differenzierter ausfallen.

Bewegen wir uns innerhalb der üblichen Festschreibungen, auch Formalismen, stehen die vielen unter uns, die gewöhnlich den Laiinnen und Laien zugeordnet sind, tatsächlich etwas am Rande. Die Rede des letzten Konzils von der gegenseitigen Zuordnung von allgemeinem Priestertum und Weihepriestertum trotz eines wesentlichen Unterschieds und nicht einem nur dem Grade nach (Lumen gentium Art. 10) hilft nicht wirklich weiter.23) Das Konzil begnügt sich weitgehend mit Hinweisen auf 1 Petr und allenfalls auf Hebr.

Vielleicht sollten wir nochmals nach der Metaphorik der Bibel fragen, wie sie vor dem Hintergrund jüdischer Frömmigkeit entwickelt wird. Ich habe anhand von 1 Petr 2 darauf hingewiesen, dass die Verknüpfung von Heiligkeit, Priesterlichkeit und Volk Gottes zu den Kernelementen der entsprechenden Bildsprache gehört. Lösen wir uns aus einer von der kultisch-rituellen Aufgabenbestimmung priesterlichen Handelns bestimmten Vorstellung und verorten wir das Priesterliche dort, wo es ursprünglich und wesentlich hingehört. Dann ist „priesterlich“ eine auf Gott bezogene Position, eine gottunmittelbare Grundhaltung, ein Synonym für Heiligkeit. Darin kann sich jeder Mensch des Volkes Gottes finden - in der jüdischen Zeit ebenso wie in der christlichen. Darin liegt auch ein positiver und notwendiger Anziehungs-punkt, der weiter zu verfolgen wäre.

Priesterliche Existenz verweist auf eine konkrete „Geistlichkeit“ des Menschen. Das ist nicht nur gesagt, weil die Wirklichkeit „Geist“ damit eingeführt ist. Es kommt darin etwas Wesentliches des Christseins zum Ausdruck, das wiederum mit der ursprünglichen Bedeutung von „Heiligkeit“ zusammenhängt. Auf Gott im Inneren ausgerichtet sein und dies im Leben nach aussen tragen – vielleicht kann es so umschrieben werden.24)

Vielleicht ist das Priesterliche in dieser jüdischen Ursprünglichkeit auch ein Synonym für Nachfolge, für Offenheit für Gott, wie er uns in Jesus Christus begegnet. Es lebt wohl von der Bereitschaft, für Gott verfügbar zu sein, wie sie des öfteren in der Bibel bezeugt ist: „Rede Herr, dein Diener hört“ (1 Sam 3,10); oder: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn“ (Lk 1,38); oder: „Wer bist du Herr?“ (Apg 9,5), oder auch: „...wie ich euch getan habe ...“ (Joh 13,15). Da sind weder rituelle Elemente noch solche eines heiligen Ortes enthalten. Aber es wäre doch nicht verwunderlich, wenn „Priesterliches“ angesichts des Christusgeschehens etwas ganz anderes wäre, eben anders wäre, als es bisher und generell üblich war.

Es ist uns aufgefallen, dass der priesterliche Bezug in 1 Petr 2 im Plural formuliert ist: Ihr – die Christinnen und Christen - als Priesterschaft, nicht als einzelne priesterliche Gestalten. Mag ja sein, dass dieses Hingeordnet-Sein auf Gott, von dem die Jüdische Bibel unter dieser Etikette spricht, gerade auch das ausdrücken will: eine zusammengehörende Gemeinschaft.

Was aus dem angesprochenen Konzilstext (Lumen gentium Art. 10) mitgenommen werden kann, ist diese Gemeinsamkeit, hier konkret gemacht in der gemeinsamen Hinordnung auf Jesus Christus. Dieser Ansatz ist zu vertiefen. Der biblische Ausgangspunkt ist in der uns al-len gemeinsamen Taufe klar gegeben. Hier werden alle ohne Unterschied hinein genommen in die Christusgemeinschaft, zugleich hineingestellt in die Kirche, um dort, je an ihrem und seinem Ort, den Dienst am Aufbau des Leibes zu entfalten. Darin wird der Geist Gottes spür-bar und erlebbar. Paulus spricht von den vielen Gnadengaben, die alle dem Wirken des einen Geistes zu verdanken sind (vgl. 1 Kor 12,4-11). Sie entfalten sich nicht einfach frei, sondern sind dem Aufbau, also dem Wohl des Leibes, der kirchlichen Gemeinschaft zugeordnet. Der Vergleich zwischen dem Auge und der Hand zeigt: Es gibt nicht wichtigere oder unwichtigere Gnadengaben, sondern alle haben die gleiche Bedeutung, vorausgesetzt sie sind dem Leben des Leibes zugeordnet. Ihre Bedeutung wird dadurch unterstrichen, dass Paulus sie letztlich für die Kirche auf Gott selbst zurückführt: „So hat Gott in seiner Kirche eingesetzt...“.

Das Prinzip hat Paulus in Gal 3,26-29 theologisch begründet und damit dafür gesorgt, dass es unter den Getauften lebendig bleibt – ungeachtet der Missstände, die es sicher in den Ortskirchen diesbezüglich gab. Diese Grundzüge des paulinischen Denkens verdienen erneut Beachtung. Darin sind vielleicht mehr genuin priesterliche Elemente enthalten als auf den ersten Blick erkennbar. Angesichts anderer Interessenslagen überlesen wir bisweilen ja die erste Taufkonsequenz in Gal 3: Alle haben Christus als Gewand angezogen. Das Taufgewand ist die Toga, das weisse Gewand aller Christinnen und Christen. Kein Zweifel: Das sind markante priesterliche Signale.

ZUM ABSCHLUSS ABER: Bleiben wir realistisch und auf dem Boden. Die Rede vom allen ge-meinsamen Priestertum bleibt Metapher. Das ist Grund genug, um uns daran zu orientieren, zugleich auch Grund genug, um die Akzente richtig zu belassen. Als Getaufte leben und handeln wir in der Kirche, eine Klerikalisierung, die alle Menschen zu Priestern machen möchte, wäre fehl am Platz. Unser Anspruch sollte sein, unsere Taufe zu leben und uns dabei biblisch inspirieren zu lassen, auch von den priesterlich-metaphorischen Texten aus der jüdischen Tradition. Das, so meine ich, genügt.

Anmerkungen:

1) Ps 110,4 LXX wird in Hebr 5,6; 7,1.17.21 zitiert; siehe des weiteren 8,4; 10,21.

2) Siehe so Hebr 5,1; 7,27.28; 8,3; 9,7.25; 10,11; 13,11.

3) Jesus Christus wird in Hebr 2,17; 3,1; 4,14.15; 5,5.10; 6,20; 7,26; 8,1; 9,11 als Hoherpriester tituliert.

4) Vgl. W. Kirchschläger, Die liturgische Versammlung. Eine neutestamentliche Bestandsaufnahme: Heiliger Dienst 52 (1998) 11-25, hier 14.15.23-24; ders., Begründung und Formen des liturgischen Leitungsdienstes in den Schriften des Neuen Testaments, in: Wie weit trägt das gemeinsame Priestertum? Hrsg. v. M. Klöckener/K. Richter. (QD 171), Freiburg 21998, 20-25, hier 27-29.

5) Zur Diskussion über den Charakter des letzten Mahles Jesu (Paschamahl oder Abschiedsmahl) vgl. den Über-blick bei W. Bösen, Der letzte Tag des Jesus von Nazaret. was wirklich geschah, Freiburg 21994, 101-107.

6) Was „Gedächtnis“ bedeutet, wird in der Anweisung zum Vollzug des Paschamahls erkennbar. Vgl. Mischna Pesachim X 5b: „In jedem einzelnen Zeitalter ist man verpflichtet, sich selbst so anzusehen, wie wenn man selbst aus Ägypten ausgezogen wäre.“ Vgl. zu dieser Frage auch H. B. Meyer, Eucharistie (Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft 4), Regensburg 1989, 60.71-73.

7) Vgl. dazu H. Schürmann, Das Weiterleben der Sache Jesu im nachösterlichen Herrenmahl, in: Ders., Jesus. Gestalt und Geheimnis. Hrsg. v. K. Scholtissek, Paderborn Neubearbeitung 1994, 241-265; J. Blank, Was heisst nach dem Neuen Testament: Das Herrenmahl feiern?, in: Ders., Studien zur biblischen Theologie. (SBAB 13), Stuttgart 1992, 97-132.

8) Dazu W. Kirchschläger, Begründung 28-29.42-44.

9) So Mischna Sanh IV, 4 – allerdings ein nicht eindeutiger Beleg, der überdies schwer zu datieren ist.

10) Dies wäre z. B. anlässlich der Schaffung des Zwölferkreises (Mk 3,14-16 par) oder anlässlich von dessen Aussendung (Mk 6,6b-13 par) möglich gewesen.

11) Diese Angabe findet sich in Qumran: 1Q Genesis Apokryphon XX 29.

12) Vgl. Apg 6,6.8; 13,1-2, vermutlich auch 14,23. Paulus vertritt zwar die Auffassung, dass „Gott in seiner Kirche [verschiedene Dienste] gibt“ (1 Kor 12,28-30), konkretisiert aber leider seine Vorstellung und seine diesbe-zügliche Praxis in den Ortskirchen nicht, so dass wir über den konkreten Beauftragungsvorgang in seinem Wir-kungsbereich keine Aussagen machen können.

13) Vgl. dazu F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin 201975, 565.

14) Vgl. dazu J. Ysebaert, Die Amtsterminologie im Neuen Testament und in der alten Kirche, Breda 1994, 60-123, bes. 113-115; J. Gnilka, Die frühen Christen. Ursprung und Anfang der Kirche. (HThKNT Suppl. VII), Freiburg 1999, 280.

15) Siehe ausführlich zu dieser Kontroverse H. Haag, Worauf es ankommt. Wollte Jesus eine Zwei-Stände-Kirche?, Freiburg 1997.

16) Mit der Frage möglicher Bezüge haben sich vor allem auseinandergesetzt: H. J. Klauck, Herrenmahl und hel-lenistischer Kult. (NTA NF 15), Münster 21982, bes. 31-240, sowie D. Zeller, Gedächtnis des Leidens, in: Vor-geschmack. Fs. Th. Schneider. Hrsg. v. J. B. Hilberath/D. Sattler, Mainz 1995, 115-124.

17) Siehe Beispiele bei H. J. Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums I, Stuttgart 1994.

18) 1 Klem 40,5: „Dem Hohenpriester [to archierei] nämlich sind eigene dienstliche Handlungen übertragen, und den Priestern [tois hiereusin] ist ein eigener Platz zugewiesen, und Leviten [leuitas] obliegen eigenen Dienstleis-tungen. Der Mensch aus dem Volk [o laikos anthropos] ist an die für das Volk [tois laikois] geltenden Vorschrif-ten gebunden.“ Der Brief ist um 95 n. Ch. entstanden. Zum vorliegenden Abschnitt vgl. den Kommentar von H. E. Lona, Der erste Clemensbrief. (KAV 2), Göttingen 1998, 432-435.

19) Dazu H. Haag, Worauf es ankommt, hier 84-87.

20) Traditio apostolica 3: „...Gib ihm [dem Episkopen] die Vollmacht durch den hohenpriesterlichen Geist, gemäss deiner Weisung Sünden nachzulassen, gemäss deiner Anordnung Ämter zu vergeben [secunden mandatum tuum dare sortes/kata ten entolen sou didonai klerous]...“ Vgl. den Kommentar von W. Geerlings, Traditio Apostolica – Apostolische Überlieferung. (Fontes Christiani 1), Freiburg 1991, 164-165, sowie die interpretierende Bemerkung zum Stichwort kleros ebda 221 Anm. 13.

21) Dafür wäre bereits im damaligen Sprachgebrauch das Wort ivdiw,thj/idiotes angebracht gewesen. Hinweise und Belege für das wertfreie, aber von der Fachperson unterscheidende Verständnis des Begriffs vgl. bei O. Flender/L. Coenen, Art. idiotes Laie, in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament II, Wuppertal 2000, 1154.

22) Siehe so G. Greshake, Art. Priester/Priestertum III.2. Christliches Priesteramt/Systematisch: TRE 27, Berlin 1997, 422-431, hier 425.

23) Vgl. auch Lumen gentium Art. 12.34.35; Sacrosanctum concilium Art. 14; Ad gentes Art. 15.

24) Siehe dazu K. Hillenrand, Geistliche Menschen – menschliche Geistliche, Würzburg 2009; St. Ch. Kessler/M. Kehl, Priesterlich werden, Würzburg 2010.