„Genderwahn“: Frauen im Schussfeld rechtspopulistischer Kräfte

 
Michaela Moser im kfbö-Interview über Sündenbockstrategien, die auch Frauen treffen

[Wien, 30.3.2017, PA] Flüchtlinge, AusländerInnen, aber auch Frauen sind nach Ansicht der feministischen Theologin und promovierten Philosophin, Michaela Moser, Opfer von Sündenbockstrategien, mit denen rechtspopulistische Kräfte und Parteien in Reaktion auf die wachsende soziale Ungleichheit in der Gesellschaft arbeiten. „In Zeiten, in denen sich die Menschen unsicherer fühlen - und das teilweise zurecht, wenn man die Wirkung jahrzehntelanger neoliberaler Politik, die wachsenden sozialen Ungleichheiten anschaut - sucht man Sündenböcke“, so Moser, die als Professorin am Ilse-Arlt-Institut für Inklusionsforschung der Fachhochschule St. Pölten tätig ist: „Und den rechtspopulistischen Kräften, Parteien und Medien ist es sehr gut gelungen, die Frage sozial ungerechter Strukturen und ökonomischer Ungleichheit abzuarbeiten, indem sie ‚Sündenböcke‘ wie AusländerInnen, Flüchtlinge oder auch Frauen identifizieren“. Das erkläre auch die um sich greifende Rede vom „Genderwahn“ und der allgemeinen Abwertung von Frauen förderndem, feministischem Engagement, so Moser in einem Interview mit der Katholischen Frauenbewegung Österreichs für die kfbö-Video-Reihe „Angefragt“.

Am deutlichsten, so Moser, würden die derzeit wahrnehmbaren massiven Angriffe auf Frauenbewegungen und feministische Ansätze im Bereich der Sprache. In Gesellschaft wie Kirche haben Frauenbewegungen, die zu den erfolgreichsten sozialen Bewegungen in der Geschichte gehörten, viel erreicht, um Frauen sprachlich sichtbar zu machen. Zeugnis dafür geben Beispiele wie die „Bibel in gerechter Sprache“ oder die Neufassung der österreichischen Bundeshymne. „Der Einsatz für eine geschlechtergerechte Sprache wird jetzt aber karikiert, als überzogene ´political correctness´, ja sogar als ´Wahn´ kritisiert.“ Dabei, so Moser, gehe es nicht um „Korrektheit“, vielmehr um „Gerechtigkeit“: „Die Bemühungen müssen dahin gehen, das zu vermitteln: der Kampf um Gleichberechtigung ist ein Kampf für Gerechtigkeit.“

Mangel an „Resonanz“

Nach Ansicht der Inklusionsforscherin braucht es vermehrt Anstrengungen, die Vermittlung zwischen unterschiedlichen Kräften in der Gesellschaft anzustoßen und voranzutreiben. Selbstverständlich müssten dort klare Grenzen gezogen werden, wo Aggression, Beschimpfungen oder die Erniedrigung von Frauen mittels sexistischer Angriffe ins Spiel kämen, das gelte es „sehr dezidiert“ zurückzuweisen. Prinzipiell sei aber in die Vermittlung mehr zu investieren. „Wichtig ist, viel unter die Leute zu gehen, mit den Menschen zu sprechen“, auch vor dem Hintergrund, dass neben dem Druck wachsender sozialer Ungleichheiten noch ein weiteres Phänomen sichtbar würde, das der Soziologe Harmut Rosa in seiner jüngsten Publikation „Mangel an Resonanz“ genannt hat: „Menschen fühlen sich zunehmend verloren, nicht mehr verbunden mit der Welt, und das lässt sie dann Lebensumstände, die eigentlich gar nicht so schlecht wären, sehr negativ bewerten“, so Moser. Das erkläre auch das starke Votum der amerikanischen Mittelschicht für Donald Trump.

Menschen miteinander ins Gespräch bringen

Menschen ins Gespräch zu bringen könne einerseits die „Resonanz“ stärken, andererseits politische Mitgestaltung ermöglichen, meint die Inklusionsforscherin: „Angesichts einer stark von der Ökonomie getriebenen Politik haben die Menschen zunehmend das Gefühl, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird – etwas, das eigentlich stimmt, wo aber dann die falschen Schlüsse gezogen werden, wo dann die Mechanismen der Abwertung von Minderheiten in Gang kommen anstatt dass man sich hinsetzt und überlegt, wie Beteiligung funktionieren kann.“

Gemeinden als „Riesenchance“

Großes Potential in dieser Hinsicht ortet Moser in Gemeinden, politischen wie kirchlichen Gemeinden: „Eigentlich sehe ich dort im Moment die einzige Hoffnung“, so die FH-Professorin. Eine „Riesenchance“ böten insbesondere kirchliche Gemeinden, „weil das Orte sind, wo unterschiedliche Menschen zusammenkommen“, etwas, das es in der Gesellschaft fast nicht mehr gebe. Für den Dialog brauche es allerdings „viel Zivilcourage, Einsatz und Mut“, da es dabei nicht nur darum gehe, Menschen auf „die viel zitierten Ängste“, sondern auch, wo vorhanden, auf Aggressionen und negatives Verhalten anzusprechen. „Da muss man sich auch Menschen entgegenstellen“, so Moser. Die Erfahrung, vor allem im Bereich der Integration von Flüchtlingen, zeige aber, dass das durchaus erfolgreich sein kann: „Wenn Personen aufstehen und sagen, dass sie Beschimpfungen nicht anhören wollen, dass sie vielmehr nach Wegen der Unterstützung suchen, dann kann es passieren, dass sich die Stimmung in einer Gruppe dreht.“ Moser denkt etwa an die Einrichtung von „speakers corners“ oder Erzählcafes bei Pfarrfesten: „Der Festcharakter bleibt aufrecht, es kann die Würstl geben und die Limo und das Bier oder die Flohmarktware, aber man kann eben auch solche Fragen des Zusammenlebens mittransportieren“. „Wenn jemand vom ´Genderwahn´ spricht, dann kann der Anfang eines Gesprächs sein, zu fragen, was die Person denn damit meint“, so Moser. Ein Gespräch zu beginnen sei jedenfalls etwas, das dringend zu erlernen sei.

Widerstandskraft unter neuen Vorzeichen entfalten

Frauen, insbesondere Frauen in der Kirche, komme dabei jene „Widerstandskraft“ zugute, die sich im Laufe jahrzehntelangen Engagements für Rechte und Gleichheit erarbeitet hätten. „Feministische Theologie war immer von vielen Seiten unter Beschuss, von der klassischen patriarchalen Kirche und ihren Vertretern und Vertreterinnen wie von der säkularen Frauenbewegung, die infrage stellten, wie man Theologin, Gläubige und gleichzeitig Feministin sein könne – so, wie es jetzt teilweise auch muslimische Frauen erleben“. Immer sei es darum gegangen, mit den unterschiedlichen Angriffen gut umzugehen, einerseits Grenzen zu setzen, andererseits „sie aufzuweichen und kreativ was draus zu machen“: „Diese Erfahrungen kann man heutzutage, wo die Angriffe à la Genderwahn auch unter anderer Fahne daherkommen, ganz gut verwerten.“

Mehrheit schaffen durch Vernetzung

„Vernetzung“ sei heute, angesichts des wachsenden Einflusses rechtspopulistischer Kräfte, ein wichtiges Stichwort: „Die Vernetzung der verschiedenen Frauengruppen und –organisationen in Österreich als auch außerhalb – da sind sehr breite Bündnisse gefragt“. Ein Beispiel für den Erfolg von Vernetzung sei der „womens march“ in den USA, „wo Hunderttausende auf die Straße gegangen sind, wo es gelungen ist, dass sich Frauen unterschiedlichster Hautfarbe, Herkunft und Religion auf den Weg gemacht haben und miteinander weitergehen, gemeinsam mit schwarzen Bewegungen, mit den Latinas, aber auch Menschen unterschiedlichster sexueller Orientierung, mit allen Gruppen, die unter Druck geraten sind.“ Das schaffe eine große Kraft einer Mehrheit, „die dann gar nicht mehr so schweigend ist“.

Das Interview mit Michaela Moser ist in ausführlicher Version auf Video abrufbar unter https://www.youtube.com/watch?v=mC-9exrylHI Es ist das zweite Interview in der kfbö-Video-Reihe „Angefragt“. Eröffnet wurde die Reihe im November 2016 mit einem Interview mit der Wiener Pastoraltheologin Regina Polak zum „Verhältnis von Kirche und Politik“, abrufbar unter https://youtu.be/jcwKcCZFZwQ „Angefragt“ erscheint in loser Folge zu Themen der Zeit.

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