Interview mit Teresa Forcades

von Irene Ramentol, El Critic, Barcelona, Katalonien

Teresa Forcades wurde 1966 in Barcelona geboren. Sie ist Benediktinerin, sozialpolitisiche Aktivistin, feministische und Befreiungs-Theologin und Fachärztin für innere Medizin.

Zusammen mit dem Ökonom Arcadi Olives hat sie die politische Bewegung für soziale Gerechtigkeit "Procés Constituent" gegründet.

Forcades ist sowohl dem konservativen Flügel der Kirche sowie auch den Pharmakonzernen wegen ihrer Kritik an den teuren Grippeimpfstoffen ein Stachel im Fleisch. Der politische Aktivismus ist für sie untrennbarer Bestandteil ihres Glaubens.

Die letzten beide Jahre hat sie die Wintersemester am Lehrstuhl für Theologie und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität Berlin gelehrt.

24.12.2014

Verspricht uns Gott Gerechtigkeit erst im Jenseits?

Irene Ramentol: Marx hat Religion das Opium des Volkes genannt. Siehst du das auch so?

Teresa Forcades: Dies ist ein Zitat vom jungen Marx; er war damals 25 Jahre alt. Andere Philosophen hatten das bereits gesagt, doch er nahm es auf und das führte dann erst zu der weiten Verbreitung dieses Satzes. Er wird oft zitiert, um auszudrücken, dass Religion etwas Schlechtes ist. Ja, Marx kritisiert die Kirche, doch in einem Zusammenhang, der klar ausdrückt, dass er die Religion als etwas Nützliches für das Volk sieht. Ein Problem, das Marx sieht, ist jedoch, dass Menschen, die ruhig gestellt werden, nicht mehr die Kraft haben, strukturelle Änderungen durchzusetzen. Dass die Unterdrückten Trost finden, ist für Marx eine gute Sache. Seine radikale Kritik zielt darauf ab, dass sie den Trost in sich selbst, im hier und jetzt, und nicht in der Hoffnung auf ein jenseitiges Leben finden sollten.

Die johanneische Betonung der eschatologischen Gegenwart bedeutet, dass die Versprechen Gottes an die Menschen nicht auf ein Jenseits begrenzt werden können. Die christliche Lehre spricht davon, dass die Gerechten nicht enttäuscht werden und dass es eine letztendliche Gerechtigkeit gibt. Dass der Mächtigere den Schwächeren unterdrückt und dass Ungerechtigkeit herrscht, das ist nicht von Gott gewollt. Eine Welt der Gerechtigkeit, der Gewaltlosigkeit, ohne Tränen und ohne Schmerzen ist möglich. Wir würden dem Evangelium nicht gerecht werden, wenn wir nicht daran glauben würden, dass diese Welt bereits jetzt, im hier und heute beginnt. Und nur unser Handeln macht diese Hoffnung möglich, nicht unsere Passivität.

Interesse an Spiritualität, aber an nicht an institutionalisierter Religion

Irene Ramentol: Ist Religion denn noch ein Trost? Es scheint, dass die Religionen überall Anhänger verlieren. Glauben wir heutzutage weniger?

Teresa Forcades: Was uns hier in Spanien betrifft, da sind wir selber dran schuld. Die katholische Kirche Spaniens - die überwiegende Mehrheit - hat 40 Jahre lang eine der kriminellsten Diktaturen des 20. Jahrhunderts unterstützt. In Katalonien war es teilweise etwas anders. Es gab Institutionen wie das Kloster von Montserrat, die Intellektuellen Schutz gewährten. Viele Kirchen stellten Untergrundorganisationen, die sich für die Demokratie einsetzten, ihre Räume zur Verfügung. Es war eher vielschichtig. Doch die Mehrheit der Hierarchie hat die Diktatur unterstützt. Dies ist ein Grund, warum sich viele Leute, die sich für den Geist der sozialen Gerechtigkeit einsetzen, von der Kirche entfremdet haben und dies eher außerhalb der Religionen tun. Ein weiterer Grund liegt darin, dass es heute sehr viele Möglichkeiten gibt, unserem Leben eine religiöse Bedeutung zu geben. Wir haben Zugang zu sehr beindruckenden Texten, die uns eine religiöse Tiefe möglich machen. Das erlaubt den Menschen, Aspekte aus verschiedenen Richtungen zusammenzubringen. Sie interessieren sich für Spiritualität, doch sie möchten nicht an eine Institution gekettet sein. Es ist eine Art von religiöser Unruhe, die die institutionellen Schranken aufbrechen will. Und wir brauchen diese Unruhe weil diese Schranken oft wirklich keinen Sinn ergeben.

Wie kann Gott das Elend auf der Welt zulassen?

Irene Ramentol: Wie sollen wir denn an einen "allmächtigen" Gott glauben, wenn es auf der Welt so viel Elend gibt?

Teresa Forcades: Das ist die klassische Frage. In der Theologie wird es Theodizität genannt. Wenn Gott alles bestimmen kann, dann liegt auch die Verantwortung für alles was geschieht bei Gott. Die Philosophin Simone Weil sieht das so, dass der schöpfende Gott sich zurückgenommen hat, dass die Welt nicht als Anhängsel der Gottheit erschaffen wurde. Die Welt ist eine Welt, die in der Lage ist, Gott von sich aus zu lieben. Ein Raum, den die Wirklichkeit selbst mit Gott füllt.

Gottes Plan und die Selbstbestimmung der Menschen

Irene Ramentol: Geht es hier um den freien Willen?

Teresa Forcades: Ja, aber nicht nur das. Für mich geht es hier um die Radikalität der Selbstbestimmung. Gott ist immer ein Angebot. Es kann angenommen werden oder nicht. Und das nicht nur in einem diffusen existentiellen Sinn. Wir entscheiden uns jeden Tag. Und wir haben die Wahl, nicht weil Gott ohnmächtig oder schwach ist, sondern weil Gott stark ist und diese Welt der Freiheit so gewollt hat. Als Konsequenz stellt sich die Frage, wie wir miteinander umgehen und auch wie die Kirche zur Welt steht. Wir können anderen nicht etwas aufzwingen; wir müssen uns an diesen Plan halten und die radikale Selbstbestimmung der Anderen respektieren. Sonst passt das doch nicht zusammen.

Ordensleben als prophetische Alternative

Irene Ramentol: Wir kannst du denn die soziale Wirklichkeit verstehen, und wie kannst du an gesellschaftlichen Veränderungen mitwirken, wenn du hinter Klostermauern lebst? Soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit oder den Verlust der Wohnung gibt es doch dort gar nicht. Ist das nicht ein Widerspruch?

Teresa Forcades: ... oder auch Privateigentum, das haben wir auch nicht. Ich sehe uns als eine Art neo-bäuerliche Gemeinschaft. Wir warten nicht darauf, dass sich die Gesellschaft ändert, ehe wir versuchen unser Leben zu ändern. Wenn du zu uns kommst und Sachen mitbringst, dann verschenkst du sie. Wenn du arbeitest und etwas verdienst, dann zahlst du in eine gemeinsame Kasse ein, aus der du dich dann auch bedienen kannst, wenn du etwas brauchst. Für mich ist das ganz klar etwas Gutes, dass wir es in einigen Dingen schaffen, anders zu leben. Bedeutet das, dass wir nicht in der Lage sind auf soziale Veränderungen einzuwirken? Ich hoffe nicht. Für mich persönlich bedeutet es einfach weniger Zeit zu haben, aber wenn ich eine Familie hätte, dann hätte ich dasselbe Problem. Ich glaube, dass mir die Erfahrung, dass eine alternative Lebensform möglich ist, Kraft gibt, mich auf dem sozialen Gebiet zu engagieren.

Gegen den Klerikalismus der Kirche

Irene Ramentol: Bleibt die Erneuerung der Kirche ein Traum?

Teresa Forcades: Spontan würde ich das mit "nein" beantworten. Die Notwendigkeit besteht absolut. Die Strukturen der Kirche dienen den Menschen nicht mehr. Um sie zu verändern, bedarf es eines radikalen Umbruchs, der sich gegen den Klerikalismus und gegen die Frauenfeindlichkeit der Kirche richtet. Klerikalismus hat nichts mit dem Evangelium zu tun und nichts mit den Gemeinden. Klerikalismus heißt Kleriker als Mittler zwischen Gott und die Menschen zu setzen. Im Evangelium des Matthäus steht, dass in dem Moment in dem Jesus starb, der Vorhang im Tempel, der den heiligen Raum vom Rest abtrennte, von oben bis unten zerriss. Diese Trennung, nicht nur in der Schrift, sondern auch in der gesamten Geschichte hat zu sozialen Abgrenzungen geführt. Stärker könnte doch die Symbolik gar nicht sein: im Moment seines Todes wird diese Teilung aufgehoben. Das ist so radikal, dass wir es einundzwanzig Jahrhunderte später immer noch nicht verstanden haben.

Gegen die Frauenfeindlichkeit in der Kirche

Und dann muss sich der Umbruch gegen die Zurücksetzung der Frauen richten. In der heutigen Kirche ist die Weihe zum Priester mit dem Zugang zu Ämtern mit Entscheidungskompetenzen gekoppelt. Weil wir Frauen scheinbar nicht geweiht werden dürfen, bedeutet das auch, dass wir überall dort ausgeschlossen werden, wo Entscheidungen getroffen werden, die uns alle betreffen.

Ein Umbruch ist nur möglich, wenn allen die Notwendigkeit bewusst ist.

Irene Ramentol: Was müsste denn geschehen, damit sich diese patriarchalischen Rollenverteilungen ändern?

Teresa Forcades: Zu allererst müssen wir selbst überzeugt sein. Ich versuche immer aus der Opferrolle herauszukommen. Ich stimme dem zu, dass wir alle daran arbeiten müssen, doch die treibende Kraft sollten die Frauen sein. Wenn du die Schwestern in meiner Gemeinschaft fragst, was sie davon halten, dass Frauen zu Priesterinnen geweiht werden, dann sind die meisten dagegen. Ich halte es jedoch für theologisch und menschlich richtig und notwendig. Aber mir ist klar, dass nicht alle so denken und dass macht mich traurig und auch etwas böse, weil es mir zeigt, dass es nicht so sehr die Unterdrückung von oben ist, sondern dass wir an der Basis noch viel Arbeit vor uns haben. Und dasselbe gilt für mich auch im sozialen Umfeld. Ja, da gibt es das große Geld und natürlich geht Macht damit Hand in Hand. Doch bei einem Umbruch geht es weniger um den externen Unterdrückungsmechanismus, der am Werk ist, sondern es geht darum, dass an der Basis das Bewusstsein darüber vorhanden ist, der Bezug zur eigenen Person hergestellt ist, sich eine politische Subjektivität [Bezug auf Kant und Hegel] herausbildet.

Die Bibel nicht zum Idol machen, sondern sie verantwortlich lesen

Irene Ramentol: Du hast dich damit intensiv beschäftigt, was ist die Rolle der Frau in der Religion?

Teresa Forcades: In den Schriften des Christentums gibt es Textabschnitte, in denen Frauen klar und deutlich diskriminiert werden, so wie der Abschnitt im Brief an Timotheus, der besagt, dass Frauen in der Kirche schweigen sollen, dass es ihnen nicht erlaubt sei, zu lehren und dass sie, falls sie etwas nicht verstanden haben, zu Hause ihre Männer fragen sollen. Oder auch der Text bei Ezekiel, wo Gott sagt, dass die Menstruation unrein ist. Was machen wir mit solchen Texten? Ich glaube, sie helfen uns dabei, dass wir die Bibel nicht zu unserem Idol zu machen. Sie helfen uns dabei Verantwortung für unseren persönlichen Glauben und für unsere eigene Interpretation der Schrift zu übernehmen, und dafür, dass wir einige Texte als wichtiger als andere einstufen und manche Text ganz zurückweisen. In anderen großen religiösen Traditionen, dem Judentum, dem Islam, dem Hinduismus, dem Buddhismus, passiert genau dasselbe.

Jesus und die politische Linke

Irene Ramentol: Hat sich politische Linke heutzutage vom Christentum entfremdet?

Teresa Forcades: Wenn ich das Word "Linke" höre, dann frage ich mich immer, was damit genau gemeint ist. Es gibt ein europäische Tradition die Linke als Bewegung zur Reform des Kapitalismus zu sehen. Doch wenn ich das Wort "Linke" gebrauche, dann meine ich damit eine Alternative zum Kapitalismus. Und wenn ich mir diese Linke betrachte, dann glaube ich, dass sie sich sehr stark vom Christentum entfremdet hat. Weil sie anti-klerikal ist und die katholische Kirche ist heutzutage klerikal. Doch eigentlich gibt es keine Geschichte, die der Linken näher steht, als die Geschichte Jesu. Die Polizei hat ihn verhaftet, er wurde gefoltert, wie auch heute noch viele Menschen gefoltert werden, er wurde hingerichtet, ermordet vom Staat aufgrund von falschen Beschuldigungen. Natürlich haben diejenigen unter uns, die sich Nachfolger Jesu nennen, normalerweise nicht solche Erfahrungen gemacht. Manche jedoch durchaus. Ich denke an Pedro Casaldàliga und andere. Doch die meisten von uns haben sich arrangiert. Und ich würde gern meinen Beitrag dazu leisten, dass dieses Arrangement etwas ins Wanken kommt.

Ist die Gesellschaft nicht schon viel weiter als die Kirche?

Irene Ramentol: Die Dogmen der Amtskirche scheinen sich immer weiter von der Gesellschaft zu entfernen. Diese Entwicklung ist doch genau dem entgegengesetzt, das du vertrittst. Warum bleibst du noch in der Kirche?

Teresa Forcades: Meine Familie war nicht religiös. Mit fünfzehn haben ich das erste Mal die Evangelien gelesen und sie machten auf mich einen großen Eindruck. Sie berührten etwas, das tief in mir war. Ich habe ich in die Evangelien verliebt. Nach diesem ersten Eindruck beschäftigte ich mich mit Befreiungstheologie und alles was ich las, faszinierte mich. Ich war dann in der Sant Pere Claver Gemeinde in Barcelona, Poble Sec. Sie waren dort auf einer Linie mit dem, was ich las. Und all das fügt sich zu einer unauslöschlichen Lebenserfahrung zusammen. Bis heute habe nicht das Gefühl, dass meine Mitgliedschaft in der Kirche mich davon abhält, mich ehrlich für die Dinge einzusetzen, dich ich für wichtig halte. Von den drei Orten wo ich den größten Teil meiner Zeit verbracht habe, die Universität, das Krankenhaus und meine Gemeinschaft, fühle ich mich in meiner Gemeinschaft am freiesten. An der Uni musst du aufpassen, dass du den heiligen Kühen nicht auf die Füße trittst, sonst bist du schnell draußen. Und das Krankenhaus, die Erfahrung macht ich, als ich den Vereinigten Staaten lebte, das hat mich fast erstickt. Wenn du also davon sprichst, dass die Gesellschaft die Unterdrückung, die es in der Kirche noch gibt, längst überwunden hat, dann entspricht das nicht meiner Erfahrung.

Glaube, Liebe, Poesie und Vernunft

Irene Ramentol: Du sprichst vom Sich-Verlieben. Ist Glaube für dich jenseits der Vernunft?

Teresa Forcades: Nein, doch Glaube ist nicht Vernunft. Ist Liebe unvernünftig? Manchmal, aber sie ist auch vernünftig. Liebe passt nicht in eine Schublade, Liebe lässt sich nicht konzeptualisieren, lässt sich nicht auf ein kognitives Argument reduzieren. Ist die Poesie gegen die Vernunft? Nein, doch Poesie ist nicht Vernunft. Es ist eine Bewegung des menschlichen Geistes, die dem freiesten Teil dieses Geistes Antrieb gibt. Es ist dasselbe mit der Religion.

Der Widerstand gegen Teresa Forcades

Irene Ramentol: Bist jemals wegen deines politischen Aktivismus unter Druck gesetzt worden?

Teresa Forcades: Wegen des politischen Aktivismus selbst, nein. Ich erhielt eine Ermahnung von Kardinal Rodé, doch da ging es um Abtreibung. Ich bin zensiert worden, als ich an einigen Orten Redeverbot erhielt. Das passierte letztes Jahr in Tarragona, als ich mich kritisch über die Seligsprechung der Märtyrer des Bürgerkriegs äußerte. Ich sollte eine Rede halten, doch der Erzbischof von Tarragona verbot es. Doch auf dem Gesundheitssektor hat es wesentlich mehr Versuche gegeben, mich zu zensieren. Von einer Konferenz wurde ich ausgeladen, weil zwei Pharmakonzerne die Konferenz nicht mehr finanzieren wollten. Und dann passierte es auch dieses Jahr in Lleida, wo ich über den Papillomavirus Impfstoff reden sollte und ich Druck vom Ministerium bekam. Ich leugne die Probleme in der Kirche nicht, doch ich sehe, dass es auch außerhalb der Kirche stark an Freiheit mangelt.

Abtreibung - Das Abwägen zweier Grundrechte

Irene Ramentol: Der Bischof von Solsona glaubt, dass es kein Recht auf Abtreibung gibt, sondern dass es ein schreckliches und abscheuliches Verbrechen ist. Was sagst du dazu?

Teresa Forcades: Es gibt da einen ethischen Konflikt in Bezug auf Abtreibung. Eines der fundamentalen und nicht-verhandelbaren Rechte ist das Recht auf Leben. Doch das Recht auf Selbstbestimmung ist genauso fundamental wie das Recht auf Leben. Doch wird über Abtreibung oft so gesprochen, als ob es diesen Konflikt gar nicht gibt, aber es gibt ihn. Weil mir nicht nur ein Grundsatz wichtig ist, sondern zwei. Die katholische Lehre sagt, dass in diesem Konflikt immer das Leben zuerst kommen muss. Doch es gibt auch Fälle von Konflikten zwischen den einzelnen Rechten in denen die Kirche das Recht auf Selbstbestimmung vorn anstellt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Kinde eine Nierentransplantation braucht und sein Vater eine kompatible Niere hat. Diese Fälle kommen wirklich vor. Jedes Jahr warten 90.000 Menschen in den U.S.A. auf eine Niere. In diesen Fällen sagt die katholische Kirche, dass der Vater das Recht hat, zu entscheiden. Ist es nicht Heuchelei, wenn in einem Fall das Recht auf Selbstbestimmung völlig außer Acht gelassen wird, während es im anderen Fall dann plötzlich ausschlaggebend ist?

Verpflechtung von Staat und Kirche

Irene Ramentol: Findest du es richtig, dass die Kirche keine Grundsteuer zu bezahlen braucht?

Teresa Forcades: Das halte ich für richtig. Andere Religionen, gemeinnützige Organisationen und auch Nicht-Regierunsorganisationen bezahlen alle keine Grundsteuer. Doch die Kirche hat tatsächlich einige Privilegien in Spanien aufgrund der indirekten Subventionen, die manche Schulen erhalten. Ich glaube nicht, dass die Grundsteuer das beste Beispiel für eine Bevorzugung der Kirche ist.

Irene Ramentol: Bezahlt die Sant Benet Gemeinschaft Grundsteuer?

Teresa Forcades: Nein, wie alle Klöster und Kirchen bezahlen wir keine Grundsteuer.

Die sozialpolitische Bewegung in Katalonien

Irene Ramentol: Lass uns über den Procés Constituent reden. Ziel war es, Gruppen der alternativen Linken nach Katalonien zu bringen und bei den Wahlen gemeinsam aufzutreten. Jetzt hat sich Podem gebildet und alles scheint sehr fragmentiert zu sein. Scheitert das Vorhaben?

Teresa Forcades: Es sieht momentan nicht so aus, als ob wir eine breite Einheit schaffen. Doch das Ziel bleibt und das ist herauszufinden, ob die Mehrheit in Katalonien die anti-sozialen Politik nicht mehr mittragen will. Und ich bin mir sicher, das dies der Fall ist. Wir müssen einen Weg finden. Das ist nicht leicht, das habe ich erfahren. Für mich wäre der erste Schritt keine einzelne Partei zu unterstützen, die nicht auch alle anderen unterstützen könnten.

Irene Ramentol: Könnte so etwas geschehen?

Teresa Forcades: Ich weiß es nicht. Wir werden darüber in der Hauptversammlung abstimmen. Wir haben mit verschiedenen Akteuren gesprochen, die uns bisher alle zugesichert haben, dass sie mit uns koalieren würden und so meine ich, dass der Weg offen ist.

Irene Ramentol: Von wem sprichst du?

Teresa Forcades: Ich kann von den Verhandlungen mit ICV-EUiA und CUP sprechen - im Fall von Podem gab es bisher keine offiziellen Verhandlungen, weil sie sich in Katalonien noch nicht konstituiert haben - doch wir sind zuversichtlich, dass es zu einer Übereinkunft kommen wird. Doch die Bedingungen sind noch nicht ausgehandelt. Wenn wir sie haben, dann können wir das auf der Hauptversammlung diskutieren. Wenn wir es schaffen, eine Einheitsfront zu bilden, dann wäre das toll. Deswegen wurden wir ja gegründet.

Irene Ramentol: Aber ist es sicher, dass du dich zur Wahl stellst?

Teresa Forcades: Ich tendiere dazu. Aber das ist meine persönliche Haltung. Das muss das oberste Gremium des Procés Constituent, die Hauptversammlung, entscheiden. Auch ich kann mich erst entscheiden, wenn die endgültigen Bedingungen ausgehandelt sind. Für mich geht es nicht darum, für die eine oder die andere Partei zu kandidieren. Ich werde die Allianzen, die ausgehandelt werden, nach dem Gesichtspunkt beurteilen, welche Allianz die größte Chance hat, in der Zukunft zu einen breiteren Zusammenschluss zu führen.

Irene Ramentol: Siehst du dich als Abgeordnete?

Teresa Forcades: Nein.

Irene Ramentol: Würde die Procés Constituent bereit sein, einer Koalition beizutreten?

Teresa Forcades: Ich halte es nicht für möglich, mit einer neoliberalen Regierung zusammenzuarbeiten. Die Regierung muss sich entscheiden, ob die Sozialleistungen weiter gekürzt werden sollen oder nicht. Ich stehe zusammen mit jedem, der die Kürzungen stoppen will, aber nicht mit denen, die sie weiter kürzen wollen.

Irene Ramentol: Hast du Vertrauen in den politischen Prozess den Katalonien gerade durchmacht?

Teresa Forcades: Ich habe Vertrauen in Gott. In Gott und in die Menschen. Ich glaube, dass der Prozess in Katalonien das Potential hat einen Umbruch herbeizuführen und die Basis zu stärken. Doch es ist schwierig, dieses Potential abzuschätzen, denn bisher haben wir gegen die Mächtigen protestiert, ohne jedoch selber Macht ins Spiel zu bringen. Der Prozess hat seinen Anfang von unten genommen. Die Beziehung mit der Regierung war bisher nicht feindlich. Ja, wir haben gesagt "Herr Präsident, lassen sie die Menschen abstimmen!" aber dies war eher eine Bitte als eine Forderung. Es ist ein Konflikt zwischen der Sache des Volkes und der Sache eines Netzwerks von Interessenverbänden. Wir wollen das ändern, aber in unserem Inneren waren wir bisher nicht zu einer stärkeren, druck- und machtorientierten Vorgehensweise bereit. Die Demonstration von 2,4 Millionen Menschen am 9. November war zwar ziviler Ungehorsam, doch es war ein ziviler Ungehorsam, der von den existierenden Mächten unterstützt wurde.

Alternativen zu teuren Impfstoffen

Irene Ramentol: Vor kurzem standst du in Zentrum einer neuen Kontroverse, bei der darum ging, dass Krankheiten wie Malaria und Ebola mit zu Verfügung stehenden kostengünstigen Medikamenten behandelt werden können, den sogenannten Miracle Mineral Supplements (MMS) bzw. Chlorine Dioxid. Manche haben dich kritisiert und gesagt dass dieses Produkt Risiken hat und noch nicht ausreichend wissenschaftlich erprobt ist. Was für Erfahrungen hast du mit MMS gemacht?

Teresa Forcades: Ich benutze es in unserer Gemeinschaft und ich habe es erfolgreich und ohne Nebenwirkungen bei Erkältungen und bei allergischen Schüben angewandt. Einige Mitschwestern aus Kenya haben es erfolgreich gegen Fieber eingenommen. Sie sagten, das Fieber käme von der Malaria. Eine Schwester hat das Mittel nach Kenya mitgenommen, wo es ihre Mutter bei Malariapatienten einsetzt - ohne Nebenwirkungen. Es gibt Studien, doch wir brauchen weitere Forschungen, weil das Mittel wirklich großes Potential hat. Doch warum werden Leute verfolgt, die das Mittel verkaufen und die die Informationen, die ich ihnen gebe, weiterverbreiten? Das ergibt keinen Sinn. Anstatt sie zu verfolgen, sollte das Mittel gefördert werden. Es geht um die Befürchtung, das MMS möglicherweise viele teure Medikamente vom Markt verdrängen könnte. Wenn es wirklich effektiv ist, dann würde es die Interessen einiger Pharmaziekonzerne, die zu den mächtigsten Firmen der Welt zählen, gefährden. Mit Josep Pàmies, ein Experte auf diesem Gebiet, und anderen Kollegen haben wir am 9. Januar am Marist Collegi de la Immaculada in Barcelona ein Symposium organisiert, auf dem wir das alles besprechen wollen.

Demokratie ist nicht nur alle vier Jahre zu wählen

Irene Ramentol: Bei MMS, den Impfstoffen zum Grippe Virus A und HPV und TTIP geht es um die Pharmakonzerne, die großen U.S.-amerikanischen und europäischen Firmen. Siehst du die Rechte der Bürger von den Privatinteressen der Konzerne bedroht?

Teresa Forcades: Derzeit existieren wirtschaftliche Mächte, die die politische Macht überschatten. Das ist undemokratisch. Demokratie bedeutet nicht nur Wahlen. Natürlich sind Wahlen wichtig. Doch es muss etwas davor und danach stattfinden, damit wir von wirklicher Demokratie reden können. Vorher muss es eine Diskussion geben. Wenn sie mir zum Beispiel sagen würden, dass der HPV Impfstoff wirksam ist und keine Nebenwirkungen hat, dann würde ich sagen, gut, benutzen wir ihn, aber nur weil es vorher keine Diskussion darüber gab und ich keine abweichenden Meinungen gehört habe. Und jetzt sollen wir wieder zu den Wahlurnen gehen, doch das Zeitfenster für die Diskussion, für die Begutachtung des Sachverhalts und das Abwägen der Optionen ist sehr eng. Die Qualität eine Demokratie kann an der Qualität der Diskussion gemessen werden, die den Entscheidungen vorausgeht. Es reicht nicht aus, über echte Demokratie zu sprechen. Wir müssen in der Lage sein, falsche Entscheidungen zurückzunehmen. Zuerst diskutieren wir, dann stimmen wir ab und dann, falls es sich herausstellt, dass wir falsch lagen, nehmen wir die Entscheidung zurück. Vier Jahre bis zur nächsten Wahl zu warten, um eine politische Änderung zu erwirken, ist nicht sinnvoll, damit bürden wir unserer Demokratie vier Jahre lang eine große Hypothek auf.

Wohltätigkeit oder Gerechtigkeit?

Irene Ramentol: Wir sprachen über soziale Gerechtigkeit. Im Christentum ist viel von "caritas" die Rede. [Das lateinische Wort kann Teuerung, Hochachtung, hingebende Liebe oder uneigennütziges Wohlwollen bedeuten. Es wird oft mit Wohltätigkeit, englisch: charity, übersetzt.] Die Verwendung dieses Ausdrucks wird kritisiert, weil er nicht auf die Notwendigkeit der Solidarität und der gerechten und an den gemeinsamen Interessen aller aufgebauten Verteilung hinweist.

Teresa Forcades: Ich würde den Begriff der "caritas" verteidigen, denn so wie ich ihn verstehe, hat er etwas mit Freiheit und Würde zu tun. Doch ich sehe auch die patriarchale Verwendung des Begriffs. Viele sagen, dass wir die Strukturen, die die Armut hervorbringen, unangetastet lassen und den Armen Almosen geben und sie das auch wissen lassen. Dies ist der große Unterschied zwischen der Rechten und der Linken. Die Rechte sind Leute, die die Konkurrenz auch im sozialen Bereich als etwas positives sehen. Sie benutzen Wohltätigkeitsorganisationen, um Menschen zu Helfen, die im Konkurrenzkampf benachteiligt sind. Doch für die Linke, so sehe ich es, ist nicht der Konkurrenzkampf sondern die Solidarität der grundlegender Wert, da sie die Sache aus der Sicht der Benachteiligten betrachten.

Bist du entmutigt?

Irene Ramentol: Unsere Welt ist von Ungerechtigkeiten geprägt. Kommen dir da nie Zweifel an deinem Glauben?

Teresa Forcades: Eine Glaubenskrise hatte ich nie. Manchmal war ich entmutigt, doch gezweifelt, dass Gott existiert, das habe ich nie, nein. Manchmal dachte ich, dass Gott mich zum klösterlichen Leben ruft, fühlte jedoch, dass ich das nicht schaffen könne. Besonders während meines Noviziats machte ich diese Erfahrung. Ich fühlte mich, als ob ich in einem Loch steckte und ich hatte keine Ahnung, wie mein Leben in zehn Jahren aussehen würde. Damals habe ich manche lange Monate vertan. Heute mache ich die Erfahrung, dass Probleme, auch persönliche Probleme, den Fortschritt im politischen Prozess plötzlich unmöglich machen, und das sind Momente der Ernüchterung für mich. Doch das ist menschlich.

Übersetzung aus dem Katalanischen ins Englische von Rebel Girl. Deutsche Übersetzung von Bernie Aurin. Die Erläuterungen in eckigen Klammern und die Überschriften sind vom Übersetzer.

Orginalinterview des katalanischen Journals El Critic:
http://www.elcritic.cat/entrevistes/teresa-forcades-la-historia-de-jesu…

Englische Übersetzung auf dem Blog "Barfußkirche":
http://iglesiadescalza.blogspot.it/2015/01/teresa-forcades-story-of-jes…