Pfarrer-Initiative setzt ein deutliches Zeichen für die Kirchenreform

25.06.2011

Am 19. Juni 2011 veröffentlicht die Pfarrer-Initiative einen "Aufruf zum Ungehorsam". Nach einer Schrecksekunde von mehreren Tagen nimmt Kardinal Schönborn bei seiner Predigt zur Priesterweihe am 24. Juni 2011 im Stephansdom darauf kurz Bezug. Dann wird der Stellvertreter des Vorsitzenden der Bischofskonferenz ins mediale Rennen geschickt. Egon Kapellari nimmt öffentlich am 28. Juni 2011 Stellung.

"Wir sind Kirche" stellt sich hinter die Anliegen der Pfarrer-Initiative und tritt in ihrer Presseaussendung vom 29. Juni 2011 für die Würde der Menschen sowie für eine gemeinsame Verantwortung alles Gläubigen für die Kirche ein. Gleichzeitig beginnt sie bereits bewährte und erfolgte Praxis zu veröffentlichen, die bis heute aber nach kirchenrechtlichen Vorschriften verboten ist.

Der emeritierte Theologieprofessor Dr. Anton Kolb nimmt öffentlich gegen seinen ehemaligen Grazer Bischof Stellung.

Am 7. Juli 2011 weist Schönborn die Pfarrer öffentlich zurecht und fordert deren Gehorsam ein, sonst müssten sie ihrem Gewissen folgen und gehen.

"Wir sind Kirche" fordert in ihrer Presseaussendung vom 9. Juli 2011 "Dialog statt Kadavergehorsam" und weist auf Schwächen der Erklärung Schönborns hin.

Die Priester ohne Amt melden sich am 10. Juli 2011 öffentlich zu Wort und meinen: Blinder Gehorsam ist unzulässig.

Die Tageszeitung DER STANDARD berichtet am 11. Juli 2011.

Am 11. Juli 2011 schreibt die Laieninitiative einen Offenen Brief an Kardinal Schönborn (siehe nachstehend). Eine Reihe unserer Mitglieder tritt am selben Tag in Schreiben an den Herrn Kardinal heran: Herbert Kohlmaier , Heribert F. Köck gibt eine Lehrstunde über das Gewissen aus rechtlicher Sicht und Friedrich Griess zeigt, wie es in Firmen zugeht.

Ein erstes Gespräch zwischen den Diözesanpriestern der Erzdiözese Wien im Vorstand der Pfarrer-Initiative und Kardinal Schönborn findet am 10. August 2011 statt. Dabei sagt der Kardinal, dass er auf einer Klarstellung bestehen müsse: ob sie es nun mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten, den Vorgaben der Kirche und des päpstlichen Lehramtes zu folgen, oder nicht. Im letzteren Fall sollten sie überlegen, ob sie weiterhin mit der Kirche gehen können.

Weiters stellte er fest, er sei auch ganz persönlich für die Beibehaltung der derzeitigen Zölibatspflicht für Priester, weshalb er eine diesbezügliche Änderung weder in der Bischofskonferenz noch Rom gegenüber betreiben oder unterstützen werde.

"Wir sind Kirche" hat dazu eine Presserklärung herausgegeben und den Inhalt in einem Brief an Kardinal Schönborn geschickt. Herbert Kohlmaier analysiert die Situation nach dem ersten Gespräch zwischen Schönborn und der Pfarrer-Initiative.

Auch im Ausland wird die Auseinandersetzung beobachtet. Roland Hinnen aus der Scweiz schickt folgende Stellungnahme zur Entgegnung Schönborns:

Ein aufschlussreiches, das Kernanliegen der Papstkirche entlarvendes Dokument – mit seltsamen Hinweisen auf Erziehung und Firmenklima. Worauf es im Kader ankommt, ist nicht der Dienst am guten Leben (Heil) der Menschen, sondern der absolute Gehorsam dem Universalherrscher gegenüber, was immer er auch befiehlt. Kirchlich ist nur, wer die patriarchale Disziplin der Herkunftsfamilie (nach Mk 3,20-22 „die draus sen“) einhält, nicht jene, die als Seelsorger in der Nachfolge Jesu den Willen des (proexistenten!) Vaters tun.

Wem „es zur Gewissensfrage wird, dem Papst und dem Bischof gegenüber ungehorsam zu werden“ (als ob das primäre Absicht und nicht der Imperativ der Not wäre, vgl. den Ingress des Aufrufs), der muss nach Schönborn „die Konsequenz ziehen, den Weg nicht mehr mit der römisch-katholischen Kirche zu gehen.“ Eine selbstkritische Überprüfung der Kirchenleitung, ob ihre ultimativen Weisungen inhaltlich und im Umgang dem Weg Jesu entsprechen, bekommt Schönborn schon gar nicht in den Blick. „Letzten Endes … müssen wir alle uns entscheiden, ob wir den Weg mit dem Papst, dem Bischof und der Weltkirche gehen wollen oder nicht.“ (Insider wissen, dass diese 3 Begriffe dasselbe meinen.) Und ich Einfaltspinsel habe gemeint, als Christ sei unser Weg jener der Nachfolge Jesu – im Dienst an den Mitmenschen.

„Wer das Prinzip des Gehorsams aufgibt, löst die Einheit auf“, doziert Schönborn. Und das, nachdem wir alle aus der Kirchengeschichte und erst recht im 20. Jahrhundert in der Weltgeschichte bitter erkannt haben, was der Gehorsam (gerade wenn religiös unterfüttert) Furchtbares unter den Menschen angerichtet hat: Kreuzzüge, Albigenserkriege, Glaubenskriege, Hexenverfolgung, Antimodernistenkrieg, totalitäre, von Katholiken geführte Regimes wie Hitler, Mussolini, Franco, Pinochet usf. Über die Einforderung des Gehorsams wurden das II. Vatikanische Konzil und damit die dringend notwendige Reform der Papstkirche ausgehebelt.

Ich gehöre noch zu jenen, die Adolf Hitler am Radio befzgen hörten und die Masse des Volkes samt Intellektuellen schwören: „Führer befiehl – wir folgen dir!“. Wir wissen, wie vielen Millionen von Menschen dieser „freiwillige Gehorsam“ das Leben gekostet hat. Alle Nazi-Kriegsverbrecher haben sich vor Gericht auf den Gehorsam berufen. Ich war überzeugt, aufgrund dieser entsetzlichen Erfahrung sei jedem reifen Menschen weltweit und für immer klar geworden, dass Gehorsam einer Autorität gegenüber (sei es der unfehlbare Papst oder in der Schweiz das unfehlbare Volk) niemals das letzte Kriterium sein darf, sondern die Ausrichtung des Gewissens an den für das Leben des einzelnen wie der Gemeinschaft fundamentalen Werten wie etwa den Menschenrechten.

Am Beispiel von Pius Blättler bekamen wir diese Woche in der „Rundschau“ erneut dokumentiert, welch tiefes Leid ein jeder pastoralen Vernunft und Menschlichkeit widersprechendes, aber vom Allherrscher und seinem Gefolge stur durchgezogenes Gesetz an Zehntausenden anrichtet. „Wenn der Papst immer wieder – etwa in der Ämterfrage – klare Vorgaben nennt (bloss „nennt“? rh) und die geltende Lehre in Erinnerung ruft, dann stellt die Aufforderung zum Ungehorsam doch die kirchliche Gemeinschaft in Frage“, mahnt Schönborn. Die päpstlichen Befehle, die zum Desaster in der Seelsorge führen, entsprechen nach ihm dem „Masterplan“, dem Plan des Meisters (Jesus). Zur Erinnerung: Die Selbstverpflichtung der österreichischen Pfarrer (mit dem irreführenden Titel „Aufruf zum Ungehorsam“) bezieht sich auf Pastoralprobleme wie Verweigerung der Eucharistie für Wiederverheiratete, Gemeinden ohne Sonntagsmesse mangels Priester, Predigtverbot für kompetent ausgebildete Laien.

Als ich 1962 dem (damals vom Vatikan noch nicht gänzlich entmündigten) Ortsbischof nach (!) der Ordination „Ehrfurcht und Gehorsam“ versprach, tat ich dies mit der Mentalrestriktion (Bedingung) „soweit mit der Nachfolge Jesu vereinbar“. Anders kann man ein Amt in der christlichen Kirche doch nicht verstehen."

Roland Hinnen 9.7.2011

Auch die Laieninitiative äußert sich zur Entgegnung Schönborns:

Die scharfe Maßregelung der Pfarrer-Initiative wegen ihres „Aufrufs zum Ungehorsam“ lässt völlig außer Acht, dass alle sieben Punkte des Aufrufs längst verbreitete Praxis in vielen Pfarren sind. Der Ungehorsam bezieht sich also lediglich darauf, dass es die Pfarrer leid sind, sich der amtskirchlich praktizierten Verschleierungstaktik anzuschließen. Endlich sagen mutige Pfarrer in aller Offenheit, was sie schon seit langem tun: Wiederverheirateten und Christen anderer Konfession wird die Kommunion gegeben, Laien, Frauen und Männer, predigen längst, müssen es aber unter dem Titel „Glaubenszeugnis“ tun, als würde die andere Überschrift die Sache selbst verändern. Es ist auch kein Geheimnis, dass Priester, die wegen Heirat aus dem Amt gejagt wurden, trotzdem weiter als Priester tätig sind.

Der Aufruf der Pfarrer-Initiative ist ein Akt der Zivilcourage gegen ein kirchliches Regime, das den Gehorsam über das Gewissen stellt. Ein biblischer Grundsatz lautet: Christen müssen Gott mehr gehorchen müssen als den Menschen. Die päpstlichen und bischöflichen Weisungen mühen sich zwar den Willen Gottes zu formulieren; es genügt aber ein Blick in die Kirchengeschichte, um zu wissen, dass das oft daneben gegangen ist. Das Charisma des freien Wortes zu unterdrücken, schadet der Kirche, die aufzubauen das Amt eines Bischofs wäre.

Jedem Christen und jeder Christin wird bei der Taufe das prophetische Amt übertragen; gerade den Priestern soll es nun mittels Gehorsamsforderung aberkannt werden? Resignierte und Angepasste, Ängstliche und Reaktionäre gibt es heute unter den Priestern genug, und das ist ihnen angesichts der Krise der Kirche nicht einmal vorzuwerfen; aber sie sind keine Basis für eine missionarische Kirche der Zukunft. Wir fordern daher den Kardinal auf, nicht gerade die Mutigen unter den Priestern mundtot zu machen und zu vertreiben.

DER STANDARD, Interview mit Helmut Schüller vom 3. Juli 2011