Wie Glaube wieder glaubwürdig werden kann

 

28.07.2013, Hubert Wolf

In einem Gastbeitrag am 26. Juli 2013 nimmt der preisgekrönte Münsterianer Kirchenhistoriker Hubert Wolf in der Süddeutschen Zeitung den Reformwillen des neuen Bischofs von Rom zum Anlass, aus der Kirchengeschichte Beispiele zu zeigen, wie in der römisch-katholischen Kirche der Glaube glaubwürdig werden kann.

Reformbedarf der katholischen Kirche

Die katholische Kirche ist deformiert und braucht dringend eine Reform. Papst Franziskus hat die Chance, seine Kirche sinnvoll umzugestalten. Ein Blick in deren Geschichtsbücher liefert Hinweise darauf, wie das gelingen kann. Der Papst müsste zum Beispiel Teile seiner Macht abgeben.

Wir wissen, dass es an diesem Heiligen Stuhl schon seit einigen Jahren viele Missbräuche in geistlichen Dingen und Vergehen gegen die göttlichen Gebote gegeben hat, ja dass eigentlich alles pervertiert worden ist. So ist es kein Wunder, wenn sich die Krankheit vom Haupt auf die Glieder, das heißt von den Päpsten auf die unteren Kirchenführer ausgebreitet hat. Wir alle - Prälaten und Kleriker - sind abgewichen."

Diese Formulierungen stammen nicht von einem Kirchenkritiker unserer Tage, und der Kontext ist auch nicht die Vatileaks-Affäre mit ihren bösen Gerüchten über hohe Kuriale, die wegen homosexueller Praktiken erpresst worden sein sollen. Sie stammen vielmehr aus dem Schuldbekenntnis Hadrians VI., das er seinen Nuntius Francesco Chieregati auf dem Reichstag in Nürnberg 1523 vortragen ließ, nachdem die Reformatoren die Missstände in der katholischen Kirche angeprangert hatten. Der Papst lieferte neben der Diagnose der Krankheitssymptome auch gleich das Heilmittel mit: Der Nuntius sollte den Reichsständen versprechen, "dass als erstes diese Kurie, von der das ganze Übel ausgegangen ist, reformiert wird, damit sie in gleicher Weise wie sie zum Verderben der Untergebenen Anlass geboten hat, nun auch ihre Genesung und Reform bewirkt. Dazu fühlen wir Uns umso mehr verpflichtet, als Wir sehen, dass die ganze Welt eine solche Reform sehnlichst begehrt."

Hoffnung auf Veränderung

Auch heutzutage scheint die ganze katholische Welt wieder eine Reform der Kirche zu begehren, die an der Kurie beginnt. Das wurde nicht nur aus Äußerungen zahlreicher Kardinäle im Vorfeld des letzten Konklaves deutlich. Dass Papst Franziskus eine Reformkommission eingesetzt hat, die Vorschläge zur Reform der Kurie ausarbeiten soll, liegt in der Konsequenz der Hoffnung auf Veränderungen. Die ständige Erneuerung der Kirche bildet ein Wesensmerkmal der katholischen Ekklesiologie, auch wenn das nicht selten vergessen oder verdrängt wird. Das Zweite Vatikanische Konzil spricht in seinem Ökumenismusdekret nicht umsonst von einer reformatio perennis der Kirche.

Und diese Reformbedürftigkeit bezieht sich ausdrücklich nicht nur und nicht in erster Linie auf die Glieder, sondern auch und vor allem auf das Haupt. Es geht in der Tat um eine reformatio in capite et in membris. Und diese muss - wie Hadrian VI. bekennt - oben beginnen und sich von dort nach unten fortsetzen. Bezeichnenderweise gehören keine Kurienkardinäle der "franziskanischen" Reformkommission an. An eine Selbstreform der Kurie und ihrer Repräsentanten glaubt der neue Papst offenbar nicht. Die Anstöße zur Reform müssen - wie die Geschichte gescheiterter Kurienreformen eindrücklich belegt - von "außen" kommen, aus der Weltkirche.

Es geht nicht um Umsturz oder Revolution

Reform heißt aber kirchengeschichtlich gesehen nie Umsturz, Revolution oder Bruch mit der Tradition der Kirche. Es ist vielmehr zu "De-formationen" der Kirche Jesu Christi gekommen, die durch "Re-formen" wieder in die rechte "Form", die der Heiligen Schrift und der kirchlichen Tradition entspricht, gebracht werden müssen. Die Kirchengeschichte als theologische Disziplin hat deshalb unter anderem die Aufgabe, die ganze Bandbreite der verschiedenen Traditionen für die heutige Reformdiskussion bereitzustellen - freilich ohne sich anzumaßen, Patentrezepte liefern zu können.

Da geht es zunächst um die Verbesserung der Kommunikation innerhalb der Kurie selbst. Wie der "Fall Williamson" deutlich vor Augen geführt hat, hob Papst Benedikt XVI. die Exkommunikation des Bischofs der Piusbruderschaft auf, ohne zu wissen, dass dieser mehrmals den Holocaust als historische Tatsache geleugnet hatte. Das römische "Einheitssekretariat", zuständig für das Verhältnis der Kirche zu den Juden, hatte eine umfangreiche Akte zu Richard Williamson zusammengestellt, die dessen antisemitische Äußerungen eindeutig belegten. Doch der Papst bezog diese Behörde in die Entscheidung, die in seine Zuständigkeit fiel, nicht ein. Hätte er sie konsultiert, hätte sie Benedikt XVI. entsprechend informieren und so vor einer Fehlentscheidung bewahren können. Hier wusste offenkundig die rechte Hand der Kurie - wieder einmal - nicht, was die linke tat.

Ein grundlegendes Strukturproblem: Der Papst

An diesem Fall wird ein grundlegendes Strukturproblem der gegenwärtigen Kurie deutlich, das - wie die Quellen im Vatikanischen Geheimarchiv belegen - bereits während des Pontifikats Pius' XI. seit 1922 entstand. Statt wie üblich in wichtigsten Fragen die "Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten" einzuschalten, der die Präfekten der wichtigsten "Fachministerien" (= Kongregationen) angehörten, entschied der Papst zusehends allein. Auf eine "kollegiale" Beratung mit seinen "Ministern" legte Pius XI. keinen Wert mehr. Er besprach sich lediglich mit seinem Kardinalstaatssekretär und empfing gegebenenfalls den einen oder anderen Kardinalpräfekten in Privataudienz.

Das führte zu einem zunehmend autokratischen Führungsstil der Päpste des 20. Jahrhunderts, der unter Pius XII. einen Höhepunkt erreichte. Johannes Paul II. kompensierte dieses Strukturproblem ein wenig, indem er sich zu jedem Essen mehr oder weniger spontan Gesprächspartner einlud, die er von Terminen mitbrachte, um so an Informationen aus erster Hand zu kommen - ohne den zwischengeschalteten Filter der Kurie und insbesondere des Kardinalstaatssekretärs.

Autokratie führte zur Überforderung

Dieses autokratische System führte dennoch zu einer systematischen Überforderung des Staatssekretärs und letztlich auch des Papstes selbst. Denn nur sie allein verfügten über alle notwendigen Informationen, falls sie diese angesichts der Masse überhaupt verarbeiten konnten. Die Kompetenzen der Kongregationen wurden nicht mehr umfassend abgegriffen, die Kommunikation in der Kurie erwies sich als zunehmend gestört.

Das Gebot der Stunde wäre daher, die Kongregation für die Außerordentlichen Angelegenheiten wieder einzurichten, die man in heutigem Sprachgebrauch als Kabinettssitzung des Papstes mit den Chefs der Kongregationen oder wöchentliche Lage bezeichnen könnte. Gleichzeitig müsste jedoch das "Superministerium" des Kardinalstaatssekretärs wieder auf seine ursprünglichen Aufgaben reduziert werden. Dieser sollte sich auf die - immer noch gewaltige - Aufgabe eines "Außenministers" des Heiligen Stuhls konzentrieren können und nicht länger als Regierungschef unter dem päpstlichen Monarchen fungieren müssen, zu dem er seit der Kurienreform Pauls VI. mehr und mehr geworden ist.

Außerdem lässt sich in historischer Perspektive insgesamt eine deutliche Tendenz zur Hierarchisierung sowohl innerhalb der Römischen Kurie selbst als auch in ihrem Verhältnis zur katholischen Weltkirche beziehungsweise den Ortskirchen feststellen. Hier bietet die Kirchengeschichte ebenfalls ein äußerst erfolgreiches alternatives Modell an, das als Grundlage für eine Reform dienen könnte: das sogenannte Subsidiaritätsprinzip.

Probleme auf unterer Ebene klären

Dieses wurde von der katholischen Soziallehre entwickelt und fand bei Sozialethikern und Sozialpolitikern aller Couleur in aller Welt höchste Anerkennung. Es lässt sich ganz knapp auf den Punkt bringen: Nur wenn es gar nicht anders geht, soll im wirtschaftlichen und sozialen Feld etwas auf der obersten Ebene entschieden werden, etwa durch Gesetzgebung der Regierung nach einem Spitzengespräch mit Wirtschafts- und Gewerkschaftsbossen. So viel wie irgend möglich soll unten, vor Ort geklärt werden, etwa in den einzelnen Betrieben. Nur wenn in der jeweils kleineren Einheit keine Lösung gefunden werden kann, soll die nächsthöhere Instanz eingeschaltet werden.

Die Plausibilität des Subsidiaritätsprinzips leuchtet unmittelbar ein. Man fragt sich, ob dieses von der Kirche erfundene, so erfolgreiche Prinzip nicht nur in der Politik, Wirtschafts- und Soziallehre, sondern auch innerhalb der katholischen Kirche selbst angewendet werden sollte. Das hieße: So viel wie möglich auf der Ebene der Pfarreien entscheiden, erst dann das Dekanat einschalten, dann die Diözese, dann die Bischofskonferenz und ganz am Schluss Kurie und Papst. Und auch das nur, wenn es um die grundlegenden Fragen geht, um zentrale Glaubenswahrheiten etwa, an denen sich die Einheit der Kirche als solche und die Authentizität ihres Zeugnisses entscheidet.

Die katholische Kirche als Global Player

Die katholische Kirche als Global Player sieht sich in Lateinamerika vor ganz andere Herausforderungen gestellt als in Afrika, und hier wieder vor andere als in Mitteleuropa. Fragen nach einer Abendmahlsgemeinschaft stellen sich selbstredend in einer gemischtkonfessionellen Kultur mit vielen Ehen zwischen Katholiken und Protestanten viel dringlicher als in rein katholischen Milieus. Ob hier wirklich immer und überall Themen zur Diskussion stehen, die nur von Rom entschieden werden können? Vielleicht sind Pfarrer, die in den Slums von Buenos Aires arbeiten, tatsächlich besonders kompetent, die Botschaft Jesu Christi, der in der Bergpredigt die Armen seligpreist, überzeugend zu leben - mehr als ein Kurialer im fernen Rom, der wenig Erfahrung in der praktischen Seelsorge hat und dem eine "Option für die Armen", durch die lehramtliche Brille gesehen, schnell "marxistisch" erscheint.

Bischöfe haben eine eigene Würde

Das Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre in der Kirche selbst produktiv anzuwenden, bedeutet auch, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil wiederentdeckte "Communio-Ekklesiologie" ernst zu nehmen. Demnach besteht die katholische Kirche in und aus Teilkirchen (Lumen Gentium 23). Die Kirche Jesu Christi ist also nicht nur die Summe der einzelnen Diözesen, sie ist auch nicht nur in der römischen Kirche vollständig präsent.

Vielmehr existiert in jedem Bistum die wahre katholische Kirche. Deshalb liegt in der Ortskirche auch eine entscheidende Kompetenz, anstehende Fragen zu regeln. Die Bischöfe sind eben nicht nur die "Oberministranten des Papstes", sie haben eine eigene Würde als Nachfolger der Apostel. Hier geht es letztlich um ein angemessenes Austarieren von Einheit und Vielfalt der Kirche, es geht um das rechte Verhältnis zwischen dem Papst als unverzichtbarem Einheitspunkt der katholischen Kirche und der legitimen Pluriformität der Ortskirchen nach dem Grundsatz: so viel Autonomie der Teilkirchen wie irgend möglich.

Der Papst ist unfehlbar

Zu fragen ist auch, wie der päpstliche Primat faktisch auszugestalten ist. Die prinzipielle Vorrangstellung des Bischofs von Rom und seine Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittenfragen sind auf dem Ersten Vatikanischen Konzil 1870 dogmatisiert und vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausdrücklich bestätigt worden. Sie stehen deshalb nicht zur Disposition. Aber schon Joseph Ratzinger hat als Konzilstheologe kritisch angemerkt, dass man diese dogmatische Vorgabe unterschiedlich interpretieren und mit Leben füllen könne. Als Paul VI. bei der Verabschiedung der Kirchenkonstitution den päpstlichen Primat durch erläuternde Vorbemerkungen, die berühmten "Nota praevia", recht eigenmächtig und an der Mehrheit der Konzilsväter vorbei weiter verschärfte, konnte Ratzinger darin jedenfalls keine zeitgemäße Ausübung des Primats erkennen.

Der Neue macht es anders

Papst Franziskus verfolgt offenbar ein anderes Konzept. Zumindest lassen seine ersten Worte nach der Bekanntgabe seiner Wahl auf der Loggia der Petersbasilika darauf schließen: "Und nun beginnen wir diesen Weg, Bischof und Volk. Dieser Weg der Kirche Roms, die jene ist, die in der Liebe allen Kirchen vorsteht, ein Weg der Brüderlichkeit, der Liebe, des Vertrauens zwischen uns." Mit diesen Formulierungen spielt der Papst auf ein Verständnis des Primats der alten Kirche an, das gerade nicht in rechtlichen Vollmachten und juristischen Weisungsbefugnissen Roms und seines Bischofs den anderen Ortskirchen und Bischöfen gegenüber bestand.

So hatte Ignatius von Antiochien um 110 in einem Brief an die römische Gemeinde und ihren Bischof geschrieben, sie hätten "Gottes Barmherzigkeit" in besonderer Weise erfahren und besäßen den "Vorsitz in der Liebe". Damit dürften das besondere Engagement der Kirche Roms für andere Kirchen in Not und ihr karitativer Liebesdienst für die Armen gemeint sein, in der sich nach Ansicht des Ignatius die Kirche Roms und ihr Bischof von niemandem übertreffen ließen. Für ihn ist der Vorrang der römischen Kirche also nicht primär durch die Reinheit ihrer Lehre begründet, sondern durch Barmherzigkeit und Liebe. Wenn Papst Franziskus den Primat in diesen Kontext stellt, geht es weniger um rechtliche Kompetenzen des Papstes gegenüber den Bischöfen und entsprechende lehramtliche Festlegungen, sondern ganz grundsätzlich um die Glaubwürdigkeit des kirchlichen Zeugnisses von Jesus Christus, die sich in Taten der Liebe insbesondere den Ärmsten gegenüber zeigen muss.

Die Vielfalt der Charismen

Das Prinzip der Vielfalt in der Einheit gilt vielen, die für eine starke Zentrierung der Kirche auf Rom hin eintreten, als "Erfindung" der Modernisierer in der Kirche. Dabei erweist sich kirchenhistorisch gesehen die weitverbreitete Vorstellung eines Einheitskatholizismus, der seit dem Konzil von Trient im 16. Jahrhundert bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil geherrscht habe, als Ammenmärchen.

Vielmehr war gerade der "tridentinische" Katholizismus von einer geradezu barocken Vielfalt geprägt. Eher zentrifugale und eher zentripetale "Katholizismen" rangen miteinander in der einen Kirche. Das Tridentinum selbst hatte es vermieden, das Verhältnis von Papst und Bischöfen, von Primat und Episkopat, genau zu definieren. Denn jede Festlegung auf diesem Feld - davon waren die Väter überzeugt - hätte Konzil und Kirche gespalten. Kat'holon im Wortsinn meint nicht umsonst ursprünglich "gemäß des Ganzen" und "umfassend" und steht gegen jeden Fundamentalismus und jede Vereinseitigung von "links" und "rechts", von "oben" und "unten".

Keiner kann alles können, auch das Haupt nicht

Eine Re-form im katholischen Sinne wird auf solche Verengungen im Kirchenbild und in den Strukturen der Kirche besonders achten müssen, um der Vielfalt der Charismen als Geschenk des Heiligen Geistes an die Kirche ausreichend Raum zu verschaffen. Denn das Bild vom Leib und den vielen Gliedern und den verschiedenen Gnadengaben, wie es der Apostel Paulus verwendet, zeigt, dass keiner in der Kirche alles können kann und muss, auch und gerade das Haupt nicht.

Ein weiterer Reformansatz bezieht sich auf die Bedeutung des Weihesakraments, das für die Spendung der Sakramente selbstverständlich unverzichtbar ist. Aber benötigt man wirklich für alle möglichen Handlungen in der Kirche eine sakramentale Weihe? Die Kirchengeschichte kann diese Frage eindeutig verneinen. Sogar die Ausübung von dezidiert jurisdiktioneller Vollmacht (die potestas jurisdictionis) war nicht ausnahmslos an die Weihegewalt (die potestas ordinis) gebunden. So hatte - um nur ein Beispiel zu nennen - Kardinal Ercole Consalvi, Staatssekretär von 1800 bis 1806 und von 1814 bis 1823, nie die Priesterweihe, geschweige denn die Bischofsweihe empfangen. Und dieser glänzende Diplomat war es, der dem Papst auf dem Wiener Kongress die Wiederherstellung des von Napoleon zerschlagenen Kirchenstaates sicherte.

Mehr Professionalisierung statt Klerikalisierung

Es gibt in der Tat zahlreiche verantwortungsvolle Aufgaben in der Leitung der Kirche, die von Nichtgeweihten wahrgenommen werden können, wie zahlreiche Laien in wichtigen Funktionen der Diözesanverwaltungen, aber auch in den Pfarrgemeinden in Deutschland eindrucksvoll belegen. Auch zur Übernahme des päpstlichen Außenministeriums oder der Leitung der Vatikanbank qualifiziert keine Weihe, sondern eine entsprechende Begabung und Ausbildung. Auf die Weihe als Voraussetzung für die Übernahme möglichst vieler Aufgaben in Kirche und Kurie nach historischem Vorbild zu verzichten, wäre ein Schritt hin zu mehr Professionalisierung und einen Schritt weg von unnötiger Klerikalisierung. Nebenbei bemerkt: Laien - also solche, die vermeintlich von allem nichts verstehen - gibt es in der katholischen Kirche ohnehin nicht, denn nach der Lehre der Kirche haben alle Getauften Anteil am dreifachen Amt Christi.

Damit wäre auch der Weg prinzipiell frei, Frauen in Leitungsfunktionen der Kirche einzubeziehen, die nicht unbedingt eine Weihe voraussetzen. Vorwürfe, die Römische Kurie sei ein Männerbund mit entsprechenden Ritualen, könnten dadurch entkräftet werde. Eine Chefin der Vatikanbank, eine Frau als Vorsitzende im päpstlichen Laienrat, eine Theologin an der Spitze der Kongregation für die Glaubenslehre, nachdem wir mit der heiligen Hildegard von Bingen seit Kurzem eine weitere Kirchenlehrerin bekommen haben - das würde nicht nur den Stil der Kurie verändern, sondern auch der Vielfalt der Charismen nützen, die Gott seiner Kirche schenkt.

Reformen brauchen Zeit - aber keine Trödelei

Eine solche Reform braucht sicher Zeit, sie will behutsam angegangen werden, aber sie darf nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Und sie lohnt sich, wenn sie der katholischen Kirche ihre Glaubwürdigkeit zurückgibt, damit sie ihrer Aufgabe, den Menschen durch alle Irrungen und Wirrungen hindurch den Weg zu Jesus Christus zu weisen, wieder überzeugend nachkommen kann.

Behutsame Heilung

Wie schrieb Hadrian VI. schon 1522 in seinem Schuldbekenntnis über die notwendige Reform der Kirche, die er als "entstellte Braut" (sponsa deformata) Christi bezeichnete? Der erste Reformschritt verlange, "den Unterdrückten zu Hilfe zu kommen, und die Gelehrten und Tugendhaften, die schon lange keiner mehr beachtet, aufzurichten und auszuzeichnen - kurz: alles zu tun, was ein guter Papst und rechtmäßiger Nachfolger des seligen Petrus tun muss". Die "Krankheit" habe sich aber im Lauf der Zeit "so tief eingefressen", dass man zur Heilung und Reform der sponsa deformata "mit größter Behutsamkeit" vorgehen müsse. Es genüge aber nicht, nur eine Maßnahme zu treffen, vielmehr müssten "viele verschiedene Mittel angewandt" werden.

Die Geschichte der Kirche jedenfalls legt eine Reihe von Heilmitteln für die gegenwärtige Reform der Kirche an Haupt und Gliedern bereit. Jetzt ist es an den Verantwortlichen, der Patientin diese Arzneien - auch wenn sie mitunter für manche bitter schmecken mögen - bald und in der richtigen Dosierung zu verordnen.

Zum Autor:

Hubert Wolf ist preisgekrönter Kirchenhistoriker und lehrt in Münster. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Die Nonnen von Sant'Ambrogio".

Hubert Wolf wurde am 26. November 1959 im schwäbischen Wört, Ostalbkreis, geboren. Er studierte nach dem Abitur 1978 an der Eberhard Karls Universität Tübingen und Ludwig-Maximilians-Universität München Katholische Theologie mit dem Schwerpunkt Mittlere und Neuere Kirchengeschichte sowie später Exegese des Neuen und Alten Testamentes.

1983 legte er seine Diplomprüfung ab und setzte seine Ausbildung im Priesterseminar fort. Wolf empfing 1985 die Priesterweihe und war bis 1990 in der Pfarrseelsorge seiner Heimatdiözese Rottenburg-Stuttgart tätig. Im gleichen Jahr wurde er mit der Arbeit Ketzer oder Kirchenlehrer? Der Tübinger Theologe Johannes von Kuhn (1806–1887) in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen seiner Zeit an der Eberhard Karls Universität Tübingen promoviert.

1991 habilitierte er sich mit der Arbeit Die Reichskirchenpolitik des Hauses Lothringen (1680–1715); eine Habsburger Sekundogenitur im Reich? im Fach Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. 1992 erhielt er einen Ruf als ordentlicher Professor an die Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Im Jahre 1999 wechselte Wolf als C4-Professor an die Westfälische Wilhelms-Universität in Münster und wurde hier als Nachfolger Arnold Angenendts zudem Direktor des Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte am katholischen Fachbereich. Seit 2002 ist er Leiter des DFG-Langzeitprojekts „Römische Inquisition und Indexkongregation“. Seit 2008 ist er Leiter des DFG-Langzeitprojekts „Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917–1929)“.

Hubert Wolf gilt als herausragender Vertreter der jüngeren Generation von Kirchenhistorikern, die das Fach aus dem engeren disziplinären Ghetto herausgeführt und in größere interdisziplinäre Zusammenhänge der Politik- und Wissenschaftsgeschichte eingebunden haben.

Zu seinen Hauptforschungsgebieten zählt die Darstellung der reichskirchlichen Zusammenhänge und die Auswertung und Erschließung der in Rom gelagerten Archivbestände der Inquisition und päpstlichen Indexkongregation. Bereits seit 1992, also vor der offiziellen Öffnung der Archive 1999 durch Papst Johannes Paul II., hatte Wolf Zugang zu den Akten. Im gleichen Jahr wurde er in den international besetzten wissenschaftlichen Beirat des Archivs der Glaubenskongregation berufen. Sein Buch Die Nonnen von Sant´Ambrogio über einen Klosterskandal im Rom des 19. Jahrhunderts mit erheblichen Auswirkungen auf die damalige Kirchengeschichte erhielt ein starkes Presseecho und landete in der Sachbuch-Bestenliste von Süddeutscher Zeitung und Norddeutschem Rundfunk im Mai 2013 auf Platz 1.

Wolf ist außerdem Leibniz-Preisträger 2003.