Marienpredigt

Eine Marienpredigt, gehalten von Martha Heizer in Birgitz , Samstag, 20. März 1999 und in Axams, Sonntag, 16. Mai 1999

Ich werde immer leicht nervös, wenn die Rede auf Maria kommt. Das liegt nicht an ihr, bei Gott nicht. Das liegt daran, daß ich oft Erfahrungen gemacht habe, wie ein bestim­mtes Bild von Maria verwendet worden ist, uns Frauen zu sagen, wie wir zu sein hätten: brav, folgsam und häus­lich, im Hinter­grund dienend und möglichst schweigsam; wie eine Magd also, aber nicht nur die "Magd des Herrn", sondern möglich­st aller Herren im Umkreis. Diesem Bild hätten wir Frauen nachzufolgen. Zur Nach­folge Christi wären die Männer aufgerufen.

Meine Nervosität liegt auch daran, daß ein kurzer Blick auf die Kirchengeschichte zeigt, daß in den Zeiten der höchsten Marien­frömmigkeit die Verachtung der realen Frauen am größten war. Viele der wunderschönen Mariendarstellungen in unseren Kirchen und die innigsten Marienlieder sind zur Zeit der Hexenverbrennungen entstanden.

Und das Bild der "reinen Jungfrau" mit dem "unbefleckten Schoß" eignete sich vortrefflich dafür, die Hochschätzung von Enthalt­samkeit und Zölibat zu vermitteln. Damit konnte man zugleich die Ehe empfehlen und die Sexualität abwerten. Daß die Liebe zwi­schen Maria und Josef auch erregend gewesen sein könnte, ist in unsere Vorstellungswelt nie eingedrungen. Unsere eigene Sexuali­tät ist damit in ein eigenartiges Zwielicht geraten.

Gründe genug also, nervös zu werden, mit gespannter Aufmerksam­keit hinzuhören, in welcher Form und mit welchen Inhalten von Maria die Rede ist. Gründe genug auch für viele Frauen, mit Maria überhaupt nichts mehr zu tun haben zu wollen - leider.

Was tatsächlich über sie in der Bibel steht, ist wenig und bald erzählt. Ein junges Mädchen erwartet ein Kind unter gefährlichen und diskriminierenden Umständen (Mt 1,18 – 25). Die Bibel berichtet vom Besuch eines Engels, der bei dem Mädchen anfragt, ob sie einwilligen wolle in Gottes Plan. (Gabriel heißt übersetzt „Stärke Gottes“, d.h. die personifizierte Stärke Gottes kommt zu Maria, und sie braucht sie, um in dieser Situation „JA“ sagen zu können!). Sie sagt ja, und es folgt ein vermutlich recht schwieriges Leben mit einem revolutionären Sohn. Als Pädagogin frage ich mich natürlich, wie sie ihn wohl erzogen haben mag, daß er so werden konnte. Einen Hinweis darauf gibt es: am Anfang ihrer Schwangerschaft tauscht sie sich mit ihrer Cousine Elisabeth nicht über Babynahrung und –pflege aus, sondern besingt die Weltrevolution. Schließlich bringt sie das Kind „unter armseligen Bedingungen zur Welt (Lk 2,4-7). Sie muß mit dem Kind fliehen, denn das Kind ist gefährdet durch Mächtige (Mt2,13-18). Der Heranwachsende setzt sich von ihr ab. Er läuft seiner Berufung nach. Kann er ja. Aber warum sagt er vorher nichts ? Versteht er nicht, daß Eltern Angst haben (Lk 2,41-52)? Der Erwachsene verläßt sie. Welche Schande – einen solchen Außenseitersohn zu haben in einer Umwelt, die die Sippe so hochschätzt. ... Er weist sie wiederholt und öffentlich zurück.. . Er nennt sie nie Mutter. Andere Frauen sind ihm offenbar viel wichtiger. Er sagt nie, daß er sie liebt...“[1]

Wir wissen wenig darüber, wie sie den Tod, die Auferstehung und die Himmelfahrt ihres Sohnes erlebt haben mag. Sie stand am Kreuz, wird berichtet, er ist ihr gestorben (Joh 19,25-30). Sie war zu Pfingsten inmitten seiner Jünger und Jüngerinnen, sie starb in Ephesus.

Künstler haben sie immer gern dargestellt, bei dem Gespräch mit dem Engel Gabriel,

bei der Begegnung mit Elisabeth, vornehmlich aber gleich nach der Entbindung, ein paarmal noch mit häuslicher Idylle in Nazareth, ihr Sohn immer noch als Baby, dann weinend am Kreuz oder mit dem toten Sohn im Arm. Über das lange Leben dazwischen gibt es kaum was.

Besonders anregend dürfte das Thema der Aufnahme Mariens in den Himmel sein. Da finden wir Kunstwerke aller Art. Das hat die Menschen immer angezogen: diese einfache Frau aus dem Volk wird zur Königin im Himmel.

„Im Hause Gott“ (wie Felix Mitterer das ausdrückt) gab es bisher nur „Männer“. Die Dreifaltigkeit wurde immer beschrieben als „Vater, Sohn und Heiliger Geist“. Aber natürlich fehlt den Menschen etwas Wesentliches, wenn das Haus nur von „Männern“ bewohnt wird. Es ist gerade für Frauen sehr befreiend, daß der Mensch, der im Himmel zu allerhöchsten Ehren gekommen ist, eine Frau ist. Wir glauben daran, daß Maria im Himmel als Königin behandelt wird.

Offensichtlich erfreut über diese Möglichkeit, eine Frau im Himmel anzusiedeln, haben wir dann übertrieben: Sie wurde manchmal sogar zur Göttin gemacht, zur vierten göttlichen Person, zu der nämlich, zu der man leichter und angstfreier beten kann. Die „Schutzmantelmadonna“ hält die Wut des erzürnten, Blitze schleudernden Gottvaters ab. „Die Männer“ der Dreifaltigkeit können in den Hintergrund treten. Diese Reaktion war zwar theologisch völlig falsch – und das ist auch immer betont worden - , aber verständlich war sie allemal. Es wäre auch (wie Herlinde Pissarek-Hudelist das immer wieder betont hat) anmaßend, sich hochmütig über die Marienfrömmigkeit von Jahrhunderten zu erheben, für die Gott, für die Jesus Christus unendlich weit weg waren und die überdies in einer streng hierarchisch gegliederten patriarchalen Gesellschaft abliefen. Die Einfachen, die stumm Leidenden, die ‚gekrümmten‘ Frauen zumal haben sich an Maria gewandt. Die Mutter mit dem Kind – das war für sie verständlich und nahe. Es gibt offensichtlich eine unausrottbare Sehnsucht nach dem Weiblichen und Mütterlichen in den Religionen.“ Felix Mitterer läßt das Jesus auch ausdrücklich sagen: „Sie beten vor ihr! Wenn sie bekümmert sind, gehen sie zu ihr. Vor allem die Frauen. ... Die Mühseligen und Beladenen gehen zur Mutter. Nicht einmal zu mir. Zur Mutter gehen sie!“

Ich bin froh um Maria und all das, was sie verdeutlicht: Mir würde in unseren Kirchenräumen viel „Wärme, Lebendigkeit, Anschaulichkeit, Sinnlichkeit fehlen, wenn es die Darstellung der Mutter mit ihrem Kind nicht gäbe!“[2]

Auf manche Formen der marianischen Volksfrömmigkeit reagiere ich allerdings auch heute noch mit blankem Entsetzen, auch auf vatikanische Folgerungen marianischen

Kirchenverständnisses. So verstehe ich gut, daß Luther manchen Auswüchsen ein Ende gesetzt hat. Er hat selber sehr wohl Maria als die Mutter unseres Gottes verehrt, aber er hat sich dagegen verwehrt, daß sie angebetet wird wie Gott! Was mich allerdings wundert, ist, daß damit das „Haus Gottes“ in der evangelischen Kirche wieder rein männlich wurde und alle damit zufrieden schienen. Einen Ersatz für Maria hat es offensichtlich nicht gebraucht.

Wenn heute in allen christlichen Kirchen darüber nachgedacht wird,

  • wie wir unser bisheriges Gottesbild aus der einseitigen männlichen Umklammerung befreien können,
  • wenn uns immer klarer wird, daß „Gott im Mann zu kurz kommt“ ,
  • daß es in die gefährliche Nähe eines Götzenkultes kommt, Gott ausschließlich zum Manns-Bild zu machen,
  • wenn wir uns immer häufiger an die weibliche Tradition der hebräischen ruach, der weiblichen Schöpfungskraft, des Lebensatems, erinnern,

dann können wir umso leichter Maria aus Nazareth wieder Mensch sein lassen. Denn die eigentliche Botschaft unserer Mariologie wirkt nur dann so befreiend, wenn Maria Mensch bleibt:

1. Maria ist der „exemplarische Mensch“, das betont Johannes Paul II immer wieder,

weil sie Gottes Anfrage mit Ja beantwortet. Maria ist somit Beispiel für die ganze Kirche und für jede/n von uns. Es ist sehr erfreulich und wohltuend, daß trotz der langen männerzentrierten Tradition im Christentum dieser beispielhafte Mensch eine Frau ist.

2. Maria hat sich für den Plan Gottes entschieden. So wird ihr Körper zur Wohnung Gottes. Die Körperlichkeit der Frau, die das Buch Genesis zur Ursache für die Erbsünde macht - womit sie dem weiblichen Geschlecht einen nur schwer zu ertragenden Makel und eine erdrückende Last aufbürdet - , ist endgültig rehabilitiert. Dieser Körper wird selig gepriesen. In diesem Körper vollbringt Gott die Fülle seiner Wundertaten. Vorbei ist die Zeit, in der die heilige Gegenwart Gottes auf den Steintempel Jerusalems beschränkt war. Jetzt wird der menschliche Körper zum Tempel Gottes. Und das gilt für alle von uns, die einwilligen in den Plan Gottes: Wir alle tragen Gott in uns– wie Maria. Die Erzählung, wie Maria schwanger „über die Berge“, wie es heißt, zu Elisabeth geht, ist eine Erinnerung für uns, daß auch wir Gott durch die Welt, in die Welt hinein tragen.

3. Und schließlich darf man nicht vergessen, daß die Königin, die auf den Altären verehrt wird, eben jene arme Maria aus Nazareth ist, eine Frau aus dem Volk, völlig unbedeutend ihrer Stellung in der Gesellschaft ihrer Zeit nach. Sie trägt die Zusage der Vorliebe Gottes für die Erniedrigten, die Kleinen und Unterdrückten in sich. Das "marianische Privileg" ist in Wirklichkeit das "Privileg der Armen". "Maria voll der Gnade" - diese Gnade gehört dem ganzen Volk.

4. Und zuletzt: was kann dies alles für uns persönlich bedeuten ?

Es kann heißen, daß wir in Erinnerung an unsere eigene Taufe, die uns von der Erbsünde befreit hat, endlich wagen dürfen / sollen, an das Beschenktsein durch Gottes Gnade zu glauben, an das Wirken des Heiligen Geistes in uns; daß wir aufhören sollen, ständig auf die Sünde zu starren und endlich unsere Ganzheit, unsere Heiligkeit, das ganz besondere Gnadengeschenk Gottes an uns, annehmen lernen.

Wenn wir uns einlassen auf den Plan Gottes, wie es Maria getan hat, werden auch wir einmal zu Königen und Königinnen im Himmel – wie Maria, unsere prophetische Schwester.

Martha Heizer

[1] Herlinde Pissarek-Hudelist, Maria- Schwester oder Mutter im Glauben ? Chancen und Schwirigkeiten in Verkündigung und Katechese; In: E.GÖSSMANN /D.BAUER, Maria für alle Frauen oder über allen Frauen? Frauenforum Herder1989, S 146 - 167

[2] ebd.