Kreuzesopfer

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Predigt von Dr. Harald Prinz in der Basilika Enns - St. Laurenz, OÖ, am 14.9.2025, dem Fest der Kreuzerhöhung

Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philíppi (Phil 2, 6-11):
Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: „Jesus Christus ist der Herr“ – zur Ehre Gottes, des Vaters.


Liebe Mitchristinnen und liebe Mitchristen!
Das Fest, das wir heute begehen, ist ein Fest, das sich die frühen Christinnen und Christen eigentlich gar nicht hätten vorstellen können. Denn das Kreuz war für sie nichts, was sie hätten feiern können. Das Kreuz galt ihnen als Erinnerung an den qualvollen Tod ihres Herrn und Meisters, sie wussten natürlich auch um die schmachvolle Erniedrigung, die es bedeutete, wenn jemand am Kreuz hingerichtet wurde – das war im Römischen Reich die Hinrichtungsmethode für Verbrecher und Sklaven, auch für Aufrührer, die an der gesellschaftlichen Ordnung kratzten. Und es war ihnen eben jenes Marterinstrument, das ihnen ihren Jesus entrissen hat.


Wenn die frühen Christinnen und Christen also ein Symbol haben wollten, mit dessen Hilfe sie sich gern an Jesus erinnern konnten, dann kam ihnen das Kreuz dafür nicht in den Sinn. Da war stattdessen zunächst der Fisch, auf Griechisch ΙΧΘΥΣ, bezüglich dessen sie wussten, dass die fünf Buchstaben dieses Wortes ΙΧΘΥΣ im Sinne eines Akronyms als kurzes Glaubensbekenntnis gelesen werden konnten, das besagte, dass „Jesus Christus Gottes Sohn und Erlöser“ sei. Oder sie haben das CHI-RO-Zeichen verwendet, eine besondere Zusammenfügung der ersten beiden Buchstaben des griechischen Wortes CHRISTOS, die ihnen zu einem Symbol für den Glauben an diesen Christus wurden. Die beiden Christusringe, die man bei uns in Enns in römischen Gräberfeldern des 4. Jahrhunderts gefunden hat, bilden dieses Chi-Ro-Zeichen ab. Die Frauen, die ihn trugen, gaben damit aller Welt zu verstehen: Ich glaube an Jesus Christus.


Das war aber schon die Zeit, in der es in der christlichen Welt langsam auch zur Verehrung des Kreuzes kam. Die Mutter von Kaiser Konstantin dem Großen, der das Christentum zur „religio licita“ – zur erlaubten Religion – gemacht hat, war selbst ja Christin und hat sich auf einer Reise im Lande Jesu auf die Suche nach Gegenständen gemacht, die direkt mit Jesus in Verbindung gestanden haben könnten. Und so soll die heiligen Helena, als die sie später dann verehrt wurde, um das Jahr 325 auch das Kreuz gefunden haben, an dem Jesus auf Golgotha sein Leben lassen musste. Dieses Ereignis der Kreuzesauffindung vor 1700 Jahren war nicht nur der Beginn eines Reliquienkultes um das „wahre Kreuz Christi“, sondern bedeutete auch den Siegeszug eines neuen christlichen Symbols und immer öfter tauchte ab dieser Zeit das Kreuz als christliches Symbol auf und löste den Fisch und das CHI-RO-Zeichen mehr oder weniger ab.


Wie konnte es nun zu dieser Umdeutung kommen: dass aus diesem Symbol der Schmach und der Niederlage ein Symbol wurde, zu dem man aufblicken und an dem man sich sogar stärken konnte? – Es ist vor allem der Evangelist Johannes, der die Kreuzigung Jesu weniger als Erniedrigung, sondern vielmehr als Erhöhung versteht, wird der Gekreuzigte am Kreuz doch hoch aufgerichtet und über die Umgebung erhöht und müssen die, die dabei sind, ab diesem Zeitpunkt doch aufschauen zum Gekreuzigten. Aber schon vor dem Evangelisten Johannes hat Paulus – etwa im heute gehörten Brief an die Gemeinde in Philippi – die Erniedrigung am Kreuz als Erhöhung gedeutet. Er schreibt – wir haben es gehört – dass Christus Jesus Gott gleich war, dass er aber nicht daran festhielt, Gott gleich zu sein, sondern sich entäußerte und den Menschen gleich wurde; und dann schreibt er auch noch: Er wurde wie ein Sklave. Mag sein, dass hier der Hinweis auf die Schmach des Kreuzes bereits anklingt, die dann ja im nächsten Vers auch direkt angesprochen wird: Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Und dann schon schreibt Paulus von der Erhöhung: Darum hat Gott ihn über alle erhöht – bis dorthin, dass er schreibt „Damit jeder Mund bekennt: >Jesus Christus ist der Herr< – zur Ehre Gottes des Vaters.“


Was wir hier sehen, ist gleichsam eine Neuinterpretation des Kreuzessymbols: Aus einem Symbol der Schmach wird ein Symbol des Sieges. Diese Uminterpretation des Kreuzessymbols war natürlich nur möglich, weil das Kreuz im christlichen Glauben keine Endstation war, sondern Jesus den Tod am Kreuz überwunden hat. „Tod, wo ist dein Sieg?“ fragt Paulus fast spöttisch im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth. Er hätte auch fragen können „Kreuz, wo ist dein Sieg?“!
Für mich persönlich aber ist das Kreuz noch mehr: Es ist der ganz persönliche, subjektive Beweis von Jesus, dass er seine Botschaft selbst geglaubt hat. Alles was er gesagt und getan hat, seine immer wiederkehrende Einladung, die Liebe zur obersten Prämisse des Lebens zu machen, und alles Weitere … auch das Vertrauen, dass Gott da ist und unsere Wege begleitet … auch die Zuversicht, dass wir von allem Bösen erlöst werden … all das konnten sie ihm nicht austreiben, sondern er blieb dem treu bis in die letzte Konsequenz. Die Annahme des Kreuzestodes war Jesu letztes „Amen“: „Ja, so sei es, so ist es!“ Er ist nicht davongelaufen, er hat sich nicht herausgewunden, nicht einmal im Dialog mit Pilatus, wo er vielleicht noch die Möglichkeit gehabt hätte, alles abzuschwächen und nachzugeben … Nein, stattdessen hat er den letzten, den größten, den tiefsten Beweis für sein Lebensprogramm erbracht: Er hat mit seinem Leben dafür eingestanden, er hat es mit seinem Leben bezeugt!


Und wann immer wir heute ein Kreuzzeichen machen, liebe Mitchristinnen und liebe Mitchristen, am Morgen oder am Abend, beim Betreten oder Verlassen einer Kirche, vielleicht auch bei Tisch … Wann immer wir ein Kreuzzeichen über unseren Körper machen, schließen wir uns damit Jesus in seinem Zeugnis an und bezeugen damit auch selbst, dass diese Botschaft für uns die Wahrheit ist.
Möge sich uns diese Wahrheit immer mehr erschließen und möge uns Christus selbst in dieser Wahrheit führen!