Meine Güte, was kann ich schon sagen über Ostern, was nicht schon hundert-mal, tausendmal, zweitausendmal gesagt worden wäre? Das wichtigste Fest der Christenheit, ja natürlich. Dennoch geht es manchmal seltsam belanglos an mir vorüber. Dann leide ich darunter, daß ich so wenig spüre: ein paar Frühlingsgefühle, ein paar liturgische Hochgefühle, kurzzeitig, Familienglück beim Nestsuchen, und wehe, es regnet.
Wir feiern (wenn überhaupt) was Vergangenes, nämlich dass Jesus uns erlöst hat (und so ganz fest vermögen wir nicht immer daran zu glauben), und was Zukünftiges, nämlich dass wir auferstehen werden in ein unbekanntes Leben, von dem wir vage hoffen, dass es uns freuen wird. Beides scheint manchmal gleich weit weg. Und von irgendwo aus weiter Ferne muss dann auch die Freude herantransportiert werden. Das gelingt mitunter, eine Garantie dafür gibt es nicht.
So stehen wir diesen drei feierlichen Tagen, Karfreitag, Karsamstag, Ostersonntag und ihren Inhalten: tot machen - tot sein - wieder aufstehen, wieder leben, trotz aller Vertrautheit immer wieder auch ziemlich fremd und einigermaßen hilflos gegenüber. Unsere Erfahrungen reichen ja nicht einmal bis zum Tot- Sein. So berührt uns Ostern wenig. Und die Vergnügungs- und Freizeitindustrie deckt das Vakuum betriebsam zu.
Ansatzweise, in Spuren, können wir das Geschehen nachvollziehen, wenn wir uns an unsere eigenen Erlebnisse mit „tot-machen“, „tot sein“ und „wieder aufstehen“ erinnern, an das, was unser Leben schon gestreift hat und irgendwie hängen geblieben ist. Da ist das Spektrum breit. Das mag reichen von vergleichsweise eher harmlosen Szenen, in denen wir mundtot gemacht wurden oder gemacht haben, bis zu Todesfällen in unserem Umfeld und bis zu den vielen grausamen Morden, von denen uns täglich in den Nachrichten erzählt wird. Von Situationen, in denen wir uns „wie tot“ gefühlt haben, bis zum Abschied-nehmen von einem geliebten Menschen im Wissen, ihn jetzt nicht mehr zu erreichen. Vom Kampf ums Leben, ums Überleben, von der Erschöpfung, der Trauer, der Leere verschont uns das Leben nicht.
Aber dann gibt es eben auch das Hochgefühl des Wiederaufstehens. Angeschlagen mitunter, noch zaghaft, voller Vorsicht, stehen wir doch immer wieder auf: nach einem Sturz, nach einer Krankheit, einer Depression, einer Niederlage, mit dem Gefühl, geschlagen worden zu sein, aber überlebt zu haben. Und wieder aufrecht zu stehen! Was für eine Freude!
Ich habe also den Eindruck, dass Ostern mir nur nahe kommt, wenn ich es sehr persönlich nehme. Meine persönlichen Erfahrungen mit Tod und Auferstehen mitten in meinem Leben sind der Angelhaken, daran muss ich aufhängen, was mir Ostern bedeutet.
Aber das reicht noch nicht für die Osterfreude. Nicht alles hat sich wieder gelöst in meinem Leben, nicht immer bin ich wieder aufgestanden, einiges in mir ist auch liegen geblieben. Und erst recht, wenn ich auf andere schaue: wie vieles und wie viele sind getötet worden und bleiben tot. Woher, angesichts des vielen Leids, die Kraft nehmen für einen Glauben ans Wieder-Aufstehen?
Ich brauche also noch etwas Intensiveres, wenn ich will, dass mir Ostern nahe geht: Ich muss meine Jesus-Beziehung sehr persönlich nehmen.
Denn wenn ich weiß, dass dieser Jesus der „Gott mit mir“ ist, der „Gott in Augenhöhe“, der in Tuchfühlung mit mir lebt, der jederzeit spürt, woran ich leide und worüber ich mich freue, dann fällt es mir gar nicht schwer, mich auch in sein Leiden hineinzuversetzen. Dann ist es nicht mehr Ewigkeiten entfernt. Es ist auch nicht bloße Erinnerung: So, wie er von mir weiß und mit mir empfindet, tut er es auch mit allen anderen. Und es ist sehr viel Leid in der Welt. Das Mit-Leiden Jesu ist also ein unvorstellbares. Am Karfreitag das Leiden Jesu zu betrachten, heißt zugleich, mit ihm gemeinsam das Leid heutiger Menschen zu sehen und zu beklagen.
Von daher wird mir die Auferstehung Jesu so wichtig (nicht nur meine eigene). Ich würde den Zustand unserer Welt nicht ertragen - es ist immer noch schwer genug -, wenn ich nicht durch die Auferstehung Jesu wüsste, dass jeder Mensch aufgefangen wird von der Hand Gottes: jeder Mann, jede Frau, jedes Kind, wie menschenunwürdig sie auch leben und sterben mussten, wie brutal sie auch gehandelt haben und behandelt wurden. Wir bleiben nicht am Boden (im Boden) liegen, wir stehen wieder auf und werden in die Arme Gottes hineingezogen.
Wann immer wir diese göttliche Kraft schon im Leben in uns spüren, uns aufzurichten, aufrecht zu stehen, das Rückgrat nicht zu krümmen, wird Osterglaube lebendig. Uns zu engagieren gegen alles, was sich gegen das Glück der Menschen richtet, das Gott in Fülle für uns will, politische Phantasie zu entwickeln, um für diese Welt Wege des Miteinanders und der Versöhnung zu finden: das ist Hoffnung wider alle Hoffnung, das ist Ostersonntag trotz Karfreitag.