Der Suizid von Priestern beschäftigt mich seit meinem 13. Lebensjahr.
Meine Mutter, die damals als Köchin bei der „roten Fürstin“ Elisabeth Petznek, Enkelin von Kaiser Franz Josef beschäftigt war, war als alleinerziehende Mutter überlastet und so sagte ihr P. Josef Bubnik, dass er in Chiavari im Gymnasium war, dass aus ihm etwas geworden sei und dass das auch für Peterle gut wäre. So fuhr ich am 3. September 1955 mit P. Josef Bubnik, der im Hanusch-Krankenhaus seinen seelsorglichen Dienst versah, in das sogenannte Kleine Seminar nach Chiavari. Zu meinem Entsetzen bereitete er durch Suizid am folgenden 6. Dezember seinem Leben ein Ende. Meine kindliche Empfindung hat sich lange nicht erholt, auch weil in Chiavari damals niemand mit mir darüber sprach.
Viele Jahre später – wir waren gerade in Kritzendorf eingezogen – beendete der Pfarrer sein Leben mit einem plakativen Selbstmord in der Kirche. Und Jahre später wurde der Pfarrer von St. Andrä-Wördern tot aufgefunden: Er hatte sich das Leben genommen.
Nach meinen Erfahrungen als Kind, als Priester und später als Sozialarbeiter in der Psychiatrie mit suizidgefährdeten Priestern denke ich, dass dieses Thema im Spannungsfeld zwischen persönlichem Leiden, kirchlicher Lehre, seelsorglicher Verantwortung und gesellschaftlichen Entwicklungen zu sehen ist. Suizide unter Priestern sind Gott sei Dank nicht alltäglich, aber sie werfen gewichtige Fragen nach individuellen Überforderungen und daher zu psychologischer und auch kirchlicher Begleitung auf.
Die christliche Glaubenslehre betrachtet das Leben als Geschenk Gottes, das nicht durch den Menschen selbst beendet werden soll. Bibel und Tradition thematisieren Suizid im Rahmen einzelner Episoden, etwa bei Saul oder Judas, bewerten diese aber nicht explizit moralisch. Für uns gläubige Menschen entwickelte sich die christliche Ablehnung des Suizids vor allem aus der Überzeugung, dass Gott allein über Leben und Tod verfügen dürfe. Heute erinnere ich mich mit schlechtem Gewissen, dass auch ich lange „Selbstmörder“ als Sünder betrachtete, denn sie wurden vom kirchlichen Begräbnis ausgeschlossen. Inzwischen überwiegt ein deutlich empathischerer Ansatz: Die seelsorgliche Begleitung und Unterstützung sowohl der Verstorbenen als auch der Hinterbliebenen stehen im Vordergrund.
Nach meinen heftigen Erfahrungen in der extramuralen Psychiatrie weiß ich, dass Suizide von Priestern oftmals das Ergebnis extremer psychischer Belastungen bis hin zu schweren psychischen Erkrankungen sind, etwa wegen Überforderung im Beruf oder einer Krankheit. Einem priesterlichen Freund versuchte ich zu erklären, dass der Glaube ein großes Hilfsmittel sein kann, dieser jedoch in der Regel therapeutische Hilfe nicht ersetzen darf. Er hat meine Botschaft nicht verstanden.
Der Umgang der Kirche mit solchen Fällen hat sich gewandelt. Während institutionelle und seelsorgliche Unterstützung angeboten wird, steht die offene Seelsorge um den Menschen im Vordergrund. Die Kirche sieht heute die Begleitung des verzweifelten und trauernden Menschen und auch eine Entlastung von Schuldgefühlen als vorrangig an.
Es ist aus ganzheitlicher Sicht wichtig, Suizidenten nicht vorschnell zu verurteilen. Vielmehr muss das Verständnis für Seelenleiden und innere Not im Vordergrund stehen. Auch bei Priestern sollte Schuldzuweisung vermieden, stattdessen professionelle Hilfe angeboten und gefördert werden. Der Paradigmenwechsel zeigt sich darin, dass kirchliche Begräbnisse für Suizidopfer heute selbstverständlich sind, da das Verständnis für psychische Krisen gewachsen ist. Das Ziel ist, ein Klima der Offenheit, des Respekts und der christlichen Barmherzigkeit zu schaffen.
Neuere Debatten betreffen die Frage nach Sterbehilfe und dem Recht auf Selbstbestimmung auch für schwerkranke Priester. Ein prominenter Fall ist Pfarrer Ernst Ellinger aus Tirol, der sich – schwerkrank – für einen assistierten Suizid entschied und darin keinen Widerspruch zu seinem Glauben sah. Diese „Evolution“ verdeutlicht unseren gesellschaftlichen Wandel und das geänderte Verständnis von individuellen Konflikten, in denen sich Priester wiederfinden können.