Individualisierte Gesellschaft und zeitgemäße Seelsorge

Katharina Hammerer

Die Doktorarbeit von Katharina Hammerer ist eine soziologische Analyse zu moderner Seelsorge. Sie baut auf die gesellschaftliche Situation auf und bindet die Geschichte der Seelsorge sowie den aktuellen Forschungsstand ein. Das Herzstück der Arbeit ist die empirische Studie, basierend auf der Befragung von 28 Experten und Expertinnen zum Thema Seelsorge.

Die moderne Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant verändert, ein radikaler Individualisierungsschub kennzeichnet die Entwicklung seit den 1960er Jahren. Neben dem Nutzen von Freiheit und Unabhängigkeit hat Individualisierung aber auch Folgen, mit denen der Einzelne ganz allein fertig werden muss. Für seine Entscheidungen hat er kaum Rückhalt oder Sicherheit, gleichzeitig muss sich der Mensch ständig auf veränderte und neue Bedingungen einstellen. Gesellschaftliche Individualisierung brachte auch religiöse Individualisierung mit sich. Menschen bezeichnen sich heutzutage als spirituell, aber nicht als religiös. Spiritualität erfährt seit den 1980ern eine neue Konjunktur und ist meist ein „Patchwork“ verschiedenster religioider Praktiken und nimmt Anleihe aus unterschiedlichen Religionen.

In einer Studie zu Kirche und Gesellschaft (Sinusstudie 2013 von der Erzdiözese Köln in Auftrag gegeben) wird festgestellt, dass die Kirche nur mehr in zwei bis drei Milieus (von 10 Milieus!) Anschlussmöglichkeiten hat. Auch Zulehners Studien (2006, 2011, 2012) sind eingebunden. Zulehner stellt fest, dass zwischen Kirche und moderner Gesellschaft eine größere Kluft herrscht als zwischen Evangelium und moderner Gesellschaft. Das heißt, dem Menschen von heute ist das Evangelium näher als die katholische Kirche.

In einem knappen Überblick über die verschiedenen Reforminitiativen Österreichs wird darauf hingewiesen, dass die Motivation für Erneuerungen der zunehmende "Seelsorgenotstand“ ist. Zeitgemäße Seelsorge hat sich im Sinne des Konzilsdokuments "Gaudium et Spes“ dem modernen Menschen zugewendet und will die Zeichen der Zeit erkennen. Sie will die Lebenssituation des heutigen Menschen verstehen und angemessen darauf reagieren. So ist Seelsorge in den letzten 50 Jahren zu einer ganz neuen Herausforderung mit enormen Ansprüchen geworden. Pfarrer können den Auftrag einer nachgehenden Seelsorge nicht mehr alleine ausüben. Seit den 1970er Jahren wird eine "Entklerikalisierung der Seelsorgerolle" festgestellt, Seelsorge wird zunehmend auch von Nichtklerikern und Frauen angeboten. Vor allem sind es die Frauen, welche das Pfarrleben aufrechterhalten und auch im Ehrenamt seelsorgliche Dienste leisten.

Es wird soziologisch eine "eklatante Dissoziation" zwischen dem "Teilsystem Amtskirche" mit der Funktion der Kirchenleitung und dem "Teilsystem Basiskirche" mit der Funktion der Seelsorge diagnostiziert.

Aus soziologischer Erfahrung werden gesellschaftliche Strukturveränderungen in erster Linie von „professionellen Leistungsträgern“ in Bewegung gebracht, aber immer mehr auch von engagierten Laien in der Funktion der „sekundären Leistungsrolle“ (Stichweh). Im Falle der katholischen Kirche sind dies die klerikalen und nichtklerikalen Vertreter und Vertreterinnen der Seelsorgeberufe sowie die pastoralen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Ehrenamt. Der Schluss liegt nahe, dass dieser theoretische Ansatz auch für die katholische Kirche Gültigkeit hat. Es besteht die Hoffnung, dass die verschiedenen Reforminitiativen gemeinsam notwendige Strukturveränderungen innerhalb der katholischen Kirche in die Wege leiten können.

Bestellbar unter: www.epubli.de       ISBN 978-3-7375-0124-8