Pressemitteilung zum Tod von Bischof Jacques Gaillot

13. April 2023

Wir sind Kirche trauert um Bischof Jacques Gaillot, der am 12. April 2023 verstarb. Jacques Gaillot war ein Bischof, der keine sozialen Tabus kannte und in christlicher Nachfolge den Menschen in Not am Rande der Gesellschaft wirklich nahe war. Sein prophetisches Wirken als Bischof für und mit den Menschen sollte zum Vorbild eines Bischofsamtes für die christliche Kirche im 21. Jahrhundert werden. Mit ihm verliert die Kirche einen Bischof, der seinen Weg in bemerkenswerter Offenheit und Menschenfreundlichkeit gegangen ist und der allen ein Vorbild sein sollte, denen die Jesus-Botschaft wirklich am Herzen liegt.

Wir sind Kirche dankt Gaillot für sein beispielhaftes Wirken als Seelsorger und Inspirator für kirchliche wie gesellschaftliche Randgruppen. Bischof Jacques war ein aufrechter Streiter für die von Kirche und Gesellschaft Ausgegrenzten, der ehrlichen Herzens und offenen Mundes das Evangelium auf der Seite der Menschen lebte und verkündete. Seine Botschaft, die er in dem Buchtitel "Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts" prägnant zusammenfasste, bleibt für die Kirche dauerhaft Aufforderung und Ermutigung.

Viele seiner Worte und Handlungen wiesen und weisen der Kirche prophetisch den Weg in die Zukunft. So wie viele andere große Stimmen der vergangenen Jahre waren auch seine Worte stets von der Liebe zur Kirche getragen. Während das an der Spitze der kirchlichen Hierarchien – insbesondere in Rom – vielfach verkannt wurde und sich dort diffuse Ängste ausbreiteten, haben diese Stimmen im Kirchenvolk breite Resonanz erfahren und so auch das Bemühen um eine Reform der Kirche im Sinne des Evangeliums gestärkt.

Wir sind Kirche unterstützte 2014 eine Bitte an Papst Franziskus, die 1995 gegenüber Bischof Jacques Gaillot ausgesprochene Suspendierung als Bischof von Évreux/Frankreich aufzuheben.

Mit dem Satz „Wir sind Brüder“ bei der persönlichen Begegnung am 1. September 2015 in Rom kurz vor Gaillots 80. Geburtstag hat Papst Franziskus ein leises Zeichen der Versöhnung gegeben. Es war ein Treffen zweier Männer, welche durch ihr Engagement für die Armen verbunden sind. Umso trauriger ist es, dass der Vatikan den Schritt zu einer offiziellen Rehabilitation von Bischof Gaillot nie geschafft hat.

Überraschende Absetzung

Der 13. Jänner 1995 – Tag der Absetzung von Jacques Gaillot als Bischof von Evreux durch Papst Johannes Paul II. – war ein schwarzer Tag für die Freiheit und die Glaubwürdigkeit unserer Kirche. Jacques Gaillot wurde – vermutlich nach direkter Intervention des damaligen Innenministers der französischen Regierung – von Papst Johannes Paul II. als Bischof von Évreux enthoben.

Ausschlaggebend für das Vorgehen des Vatikans waren nicht Fragen der kirchlichen Lehre, wie der Kölner Kardinal Meisner 2004 in diffamierender Weise verbreitete, sondern Gaillots Einsatz für die am Rande der Gesellschaft Stehenden, vor allem Proteste und Aktionen gegen die restriktiven Einwanderungsgesetze des damaligen französischen Innenministers Charles Pasqua.

Die überraschende Absetzung als Bischof von Évreux und die „Versetzung“ nach Partenia löste bei Christen und Nichtchristen in Frankreich und in vielen Ländern große Entrüstung aus. An zahlreichen Orten fanden Protestversammlungen und Unterschriftssammlungen statt.

Der Vatikan ernannte Gaillot zum Titularbischof von Partenia, einer seit dem 5. Jahrhundert im Wüstensand des heutigen Algerien versunkenen Diözese, etwa dort, wo er als junger Mann seinen Militärdienst leistete. Dass Bischof Gaillot diese Versetzung kreativ dazu nützte, sich fortan noch stärker als zuvor all jenen zu widmen, die von Kirche und Gesellschaft in die Wüste geschickt wurden, war ein Zeichen seines Mutes und seiner Aufrichtigkeit.

Bischof von Partenia

Da die ehemalige Diözese Partenia nicht mehr existiert, ist der Name zum Symbol all derer geworden, die in der Gesellschaft und in der Kirche ausgegrenzt werden und am Rande stehen. Seit Januar 1996 ist das Bistum Partenia auch im Internet präsent (www.partenia.org). Damit und durch viele Reisen war Gaillot seitdem Bischof einer virtuellen Diözese, die vielen Menschen auf der ganzen Welt eine spirituelle Heimat gibt. Sein unermüdliches Engagement galt und gilt vor allem den „Sans-papiers“ (den Ausländern „ohne Papiere“).

Häufig war er seit 1995 auch in Deutschland unterwegs. Auf Initiative von Wir sind Kirche wurde er 1998 zum Mainzer Katholikentag und 2003 zum Ökumenischen Kirchentag in Berlin offiziell eingeladen. 2004 nahm er am Katholikentag in Ulm teil. Einen Eklat gab es, als Kardinal Meisner den Auftritt von Bischof Gaillot am 28. Oktober 2004 in der Bonner Beethovenhalle sowie andere Vorträge im Kölner Erzbistum verhinderte. Denn Bischof Gaillot gehörte nach wie vor – auch wenn er sein Amt auf andere Art ausübte – zur Gemeinschaft der französischen Bischöfe.

Ermutigung für Wir sind Kirche

Die Absetzung von Bischof Gaillot sowie die Gründung von Wir sind Kirche in Österreich und Deutschland erfolgten beide im Jahr 1995. Zum 15-jährigen Bestehen von Wir sind Kirche schrieb Gaillot im September 2010:

Liebe Freunde von Wir sind Kirche
Ich freue mich mit Euch über diesen Geburtstag, der auch meiner ist, denn ich bin von Anfang an mit Euch. 15 Jahre sind es jetzt also schon, dass Ihr den Widerstand begonnen habt, indem Ihr „gegen den Strom schwimmt“. Widerstehen heißt aber auch etwas schaffen. Ihr habt den Mut gehabt, mit Tiefgründigkeit das Verhältnis der katholischen Kirche zur modernen Gesellschaft aufzuzeigen. Ihr habt es verstanden, auf ihre Moral und auf schwere strittige Sachen hinzuweisen und einen offenen und realistischen Dialog vorzuschlagen. Ihr habt gezeigt, dass der männliche Priesterstatus überholt ist und dass Frauen das Recht haben auf Zugang zu allen Verantwortungen in der Kirche. Das ist eine prophetische Aufgabe. Danke und Bravo für Eure Existenz und Euer Durchhalten. Der Morgen ist angebrochen. Eine andere Kirche ist möglich. Gottes Atem begleitet Euch. Möge es ein schönes Fest werden.
Mit brüderlichen Grüßen
Jacques Gaillot, Bischof von Partenia, Paris

Lebensdaten

Jacques Jean Edmond Georges Gaillot wurde am 11. September 1935 in Saint-Dizier (Haute-Marne) geboren, absolvierte eine klassische Ausbildung und studierte in Langres und Rom. Als Seminarist musste er von 1957 bis 1959 während des Algerienkrieges 18 Monate seinen Militärdienst leisten. Dort erlebte er die Tragödie des Krieges und beschloss, sich für den Weg der Gewaltlosigkeit einzusetzen. 1961 wurde er zum Priester geweiht.

Bald nach seiner Ernennung zum Bischof im Jahre 1982 ist Jacques Gaillot durch seine eindeutigen Stellungnahmen bekannt geworden: zu Atomwaffen, zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen, zum Golfkrieg, zur Todesstrafe, zu Aids, zur Solidarität mit dem palästinensischen Volk und zur Apartheid in Südafrika. Gaillot plädierte schon damals für eine Kirche, die näher bei den Menschen ist und die Herausforderungen der modernen Zeit wahrnimmt und erfüllt.

Lange lebte er in der Kongregationsgemeinschaft der Spiritaner in Paris. Bis kurz vor seinem Tod besuchte Gaillot regelmäßig Häftlinge und blieb Ehrenvorsitzender einer Organisation, die sich um Migranten kümmert.