Die Trennung am Tisch des Herrn entspricht nicht einem gemeinsamen Glauben

15.03.2013, Peter Trummer

Um zu große Missverständnisse zu vermeiden möchte ich vorausschicken: Als Katholik glaube ich fest daran, dass die Eucharistie eines der wirksamsten Mittel ist, dem Geist Jesu zu begegnen. Genau darin bestand auch das Erfolgsrezept des frühen Christentums, dass die Mahlgemeinschaften im Namen Jesu seine heilende Kraft auch der Umwelt überzeugend vermitteln konnten (darüber mehr in: „Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause. Wie Jesus heilte und heilt“, Herder 12/13).

Das erste christliche Jahrtausend fragte sich vielleicht, ob nicht etwa Wasser, Milch oder Traubensaft geeigneter wären als Wein (sonst wären alle schönen Bibelworte über das „lebendige Wasser“ unverständlich; z.B. Joh 4), man fragte sich, ob zu einem jesuanischen Mahl nicht nur und vor allem Brot, sondern auch Fisch bzw. Käse, Oliven und sonstige Früchte dazugehören. Jedenfalls belegt das älteste Bildmaterial (es ist in: „Das ist mein Leib“, Patmos 05 offengelegt) ziemlich eindeutig: Nicht das Abendmahl ist (zumindest nicht das einzige) Leitbild der Eucharistie, sondern das gemeinsame Essen unter dem Titel „Brotbrechen“ (Apg 2,42 u.a.) oder „Herrenmahl“ (1 Kor 11,20) vermittelt eine körperlich und sozial spürbare Gemeinschaft mit Jesus. Und das ist auch für uns ziemlich gut nachvollziehbar. Denn überall dort, wo der eigene Futterneid einigermaßen zurückgestellt werden kann und die christliche, d.h. geschwisterliche Solidarität über die eigene Familie und die engsten Freunde hinaus ausgeweitet wird (ohne dass dies zum Klientelwesen und seinen Abhängigkeiten führt wie im römischen Umfeld), ist dies bestimmt keine reine Eigenleistung einzelner Menschen, sondern dann ist Jesus zwar unsichtbar, aber äußerst wirksam daran mitbeteiligt. Ja: Er ist der eigentliche Gastgeber dieser Mähler, die (wie beim historischen Jesus) jede soziale, ethnische oder moralische Grenze überschreiten. Das ist auch der tiefere Sinn der Erzählungen von den wunderbaren Speisungen, die wir meist recht missverständlich als „Brotvermehrung“ kennen. (Vgl. „Dass meine Augen sich öffnen! Kleine biblische Erkenntnislehre am Beispiel der Blindenheilungen Jesu“, Kohlhammer 98/99). Bis ins 6. Jahrhundert jedenfalls sind Brot und Fisch die eigentlichen eucharistischen Symbole und als solche finden sie sich auch noch in der ersten abendländischen Darstellung des Abendmahls in Ravenna um das Jahr 500, auch wenn sich ab jetzt deutlich imperiale Motive in die christliche Bildersprache einschreiben.

Deutliche Barrieren im Verständnis werden erst in der Begegnung mit dem germanischen Denken sichtbar. Jetzt wird plötzlich heftig über die Art der Gegenwart Jesu diskutiert, ja eigentlich schon gestritten. Auf der einen Seite steht das römische Recht mit seinem Ordnungswillen und begrifflichen Zuspitzungen, die nur auf Ausgrenzungen basieren können. Auf der anderen Seite steht ein getauftes, aber in vielem magisches Denken, das von seinen Opferideen nicht lassen kann, obwohl die Germanenmissionare das Wort Opfer tunlichst zu vermeiden suchen. Die schulmäßige Diskussion reduziert alles auf die eucharistischen Elemente und ihre legitimen Verwalter und treibt so das Mysterium, in das man sich nur einsenken kann – es hat etwas mit Mystik zu tun – auf die Spitze. Und an einer solchen kann man sich (und andere) nur verletzen.

Das Abendmahl und insbesondere der Einsetzungsbericht nach Matthäus werden zum Nadelöhr, durch das sich jedes rechtgläubige Verständnis fortan hindurchzwängen muss. Er gilt als die mächtigste Zauberformel der Welt, gibt er doch anscheinend Macht über Zeit und Ewigkeit. Es genügt zu sagen: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“, vorausgesetzt, so spricht ein geweihter Priester – und schon ist der Allmächtige da: leibhaftig, real, realistisch, objekthaft. Um dies zu beweisen, können Hostien sogar bluten und wer es nicht glaubt, muss halt selber bluten. Der Kelch ist Vorrecht der Priester und für Laien ohnehin tabu, da hat die Kirche gegenüber Jesus in kluger Weise anders entschieden. Doch Jesus hat im Abendmahlsaal ohnehin nur die Apostel bedient und diese gleich zu Priestern geweiht (so haben wir es noch in der Dogmatik gelernt), also sollte letztlich alles wieder passen, denn in der Formel: „Das ist mein Leib“ steckt ja auch das Blut schon irgendwie drinnen, und so weiter und so fort.

Diese Art frühmittelalterlicher Frömmigkeit gipfelt im Fronleichnamsfest, das im 13. Jahrhundert eingeführt und in der Gegenreformation zur Klinge der Rechtgläubigkeit wurde. Wer nicht darüber springen konnte, hatte Pech, verlor zwar nicht mehr Leben und Besitz (auch das war schon ein gewisser Fortschritt), aber musste das Land verlassen wie in der Steiermark oder mit ihren hintersten Winkeln Vorlieb nehmen wie in Schladming und der Ramsau.

Das eigentliche Verstehensproblem war damit nicht zu lösen. Allem voran: Die biblische Bildersprache stammt aus völlig anderen Zeiten und Kulturen und ist unserem vermeintlich „wörtlichen“ Verständnis nach den üblichen Übersetzungen oft gar nicht mehr zugänglich (z.B. bedeutet unsere „Versöhnung“ bzw. „Sühne“ eigentlich die „totale Veränderung“). Außerdem kann echtes Verstehen nicht vorgeschrieben werden, weil es eine zutiefst persönliche Angelegenheit ist und in uns immer nur das anklingen kann, was schon irgendwie vorhanden ist. Niemand also versteht „objektiv“, sondern immer nur höchst „subjektiv“, was keineswegs Beliebigkeit oder Willkür bedeutet, sondern die Ehrlichkeit einfordert, die eigenen Verstehensvoraussetzungen zu reflektieren und transparent zu machen, und das sowohl im Sinne zwischenmenschlicher Kommunikation als auch der wissenschaftlichen Redlichkeit willen. So gesehen ist es eine Illusion, Wahrheit und Verständnis auf ewig festschreiben zu wollen, weil die Sprache und die Menschen sich ohnehin ständig verändern und veraltete Begriffe kein „Lebensbrot“ mehr sein können. Hier hat auch das Konzil versagt, oder genauer: Der Papst hat das Thema der Eucharistie dort gar nicht verhandeln lassen, sondern parallel dazu eine Enzyklika verfasst, bei der alles beim Alten blieb (Mysterium fidei 1966). Mit dem traurigen Erfolg, dass die „Stimme des Volkes“ – ein wichtiges Kriterium übrigens der „Gottesstimme“ (vox populi – vox dei) – also die Abstimmung über den Glaubenssinn dieser sowohl überfrachteten wie ausgedünnten Feier in der Praxis längst negativ ausgefallen ist: Der Großteil der Gläubigen kann damit offensichtlich nichts mehr anfangen. Und dafür ist wahrlich nicht nur mangelnder Glaube verantwortlich zu machen, da hat in erster Linie die Verkündigung und die Praxis der Liturgie selbst versagt.

Man muss in unserem Fall ja nur genauer hinhören: Fron, das ist – für Sprachwissenschaftler und Historiker – eindeutig der Herr. Aber auch der ist nicht gerade freundlich oder „milde von Herzen“, wie Jesus das von sich sagen kann (Mt 11,29), sondern einer, der Frondienst einfordert. Und die Messe, die alle Priester meiner Kindheit tagtäglich zelebrierten (zu Allerseelen und Weihnachten sogar dreimal), gleichgültig ob mit oder ohne Gemeinde bzw. sogar unabhängig von der Konventmesse wie im Kloster, war immer dieselbe und meist still, sie hatte trotz aller verheißenen Gnaden wohl auch etwas von einem Frondienst an sich und die Gläubigen wurden mit allerhand seltsamen Legenden zum Sonntagsgottesdienst verpflichtet, zumindest von der Opferung weg bis zur Kommunion, widrigenfalls stand ihr Seelenheil auf dem Spiel.

Und der Leichnam im Wort Fronleichnam, das ist wiederum für historisch Kundige eindeutig der Leib, aber in unserem Sprachgebrauch ist er eine absolut tote Angelegenheit und es fragt sich in der Tat, wie lebendig unser Verständnis des Leibes Christi noch ist. Einen Leichnam dürfen wir uns dabei aus vielerlei Gründen gar nicht vorstellen und es ist auch theologisch nicht wirklich stimmig, dass wir ihn in allen Kirchen und auf Wegkreuzen so oft wiedersehen. (Für die Alte Kirche war eine Kreuzesdarstellung überhaupt nur zulässig, wenn sie den im Tod und über den Tod hinaus lebenden, „göttlichen“ Jesus symbolisieren konnte). Nach Paulus und der übrigen Theologie (übrigens bis hin zu Augustinus) ist der Leib Christi etwas Lebendiges, nämlich die Versammlung und Verbindung aller Gläubigen zu einem großen mitfühlenden Ganzen in Freude und Leid (bes. 1 Kor 12). Das kann keine einzige Kirche oder christliche Denomination für sich vereinnahmen, zumal wir heute genau wissen, dass unser Planet eine einzige Schicksalsgemeinschaft darstellt, von der sich niemand abkoppeln kann. Wir alle sitzen im selben Boot, können nur miteinander überleben oder untergehen. Auch im Religiösen!

Es wäre also grundfalsch, wenn wir weiterhin nur Haarspaltereien aus unserer mittelalterlichen Glaubensgeschichte betreiben möchten. Auch können wir das von Jesus gemeinte gemeinsame Tun nicht länger auf das Anschauen einer weißen Hostie wie im Hochmittelalter reduzieren. Niemand käme freilich auf die Idee, das Taufwasser, über das bekanntlich ebenso feierlich die Kraft heiligen Geistes herabgerufen wird (descendat super hanc plenitudinem fontis virtus spiritus sancti), rein zu Zwecken der Verehrung aufzustellen. Dass es einen würdigen Platz im Kirchenraum oder in eigenen Baptisterien bekommt ist ohnehin selbstverständlich. Aber ein Sakrament besteht nicht nur aus „objektiven“ Zeichen und ihrem legitimen Verwalter, sondern ist ein umfassendes geistliches und soziales Geschehen, welches damit symbolisiert und versinnbildlicht werden soll. Zur sinngemäßen Verwendung der Zeichen braucht es ebenso eine sorgsame Vorbereitung aller. Doch auch die geschieht nicht von selbst, sondern dafür müssen wiederum konkrete Menschen konkret Verantwortung übernehmen: „Vorsorgen“ heißt das im biblischen Sprachgebrauch, aber wir hören wiederum nur „vorstehen“ oder „leiten“ heraus. Doch das Wesen des Christentums besteht im Miteinanderessen, wie Franz Mussner immer wieder betonte. Und das heißt: Eucharistie wirklich zu feiern, bedeutet aufeinander Rücksicht zu nehmen, gemeinsam zu essen und zu trinken, ungeachtet der jeweiligen religiösen Ausgangspositionen (genau darum geht es im Antiochenischen Zwischenfall nach Galater 2), ohne Trennung durch gesellschaftliche, geschlechtliche, ethnische oder sonstige Unterschiede. Nur das im Namen Jesu gebrochene und miteinander geteilte Brot und ebenso das gemeinsame Trinken kann Einheit und Einigkeit stiften, kann den Leib Christi, dessen Glieder wir seit der Taufe ohnehin schon sind, weiter aufbauen, denn alles Lebendige muss immer wieder genährt und gepflegt werden.

Das Tragische an der traditionellen Eucharistiefrömmigkeit liegt meines Erachtens darin, dass sie das Verständnis des Leibes Christi so sehr auf die Hostie (und den sie verwaltenden Priester) reduzierte und dazu animierte, eine intime, aber ganz und gar private Beziehung zu Christus zu suchen. In dieser trauten Zweisamkeit wurden die Gemeinde und Gemeinschaft zu leicht als Störfaktoren erlebt und möglichst ausgeblendet, wenn nicht schon ausgeschlossen. Doch die eigentliche „Wandlung“ kann und darf sich nicht nur auf die eucharistischen „Elemente“ beschränken, sie besteht ihre Nagelprobe erst darin, wenn wir uns aus mehr oder minder frommen, aber egoistischen Individualisten zu mitfühlenden, mitleidenden und sich mitfreuenden Mit-Gliedern des ganzen Leibes Christi wandeln lassen.

Also: Nicht der Priester, sondern das feiernde Tun aller ist Trägerin der umfassenden Handlung, der Liturgie, die ursprünglich das „gemeinsame Werk“ meint. Das sollte seit Joseph Andreas Jungmann schon während des Krieges klar geworden sein. Die Eucharistie ist keine punktuelle „Abspeisung“ mit einer (vielleicht irgendwann vorher) geweihten Hostie, sondern eine die geistige Präsenz und das Bewusstsein aller Feiernden ständig verdichtende, verändernde Interaktion. Sie braucht Gebet, Gesang, Schriftlesung und verständliche Auslegung, alles Elemente, die höchst wesentlich dazugehören, um so etwas wie den Geist und die geistige Anwesenheit Jesu in der Gemeinschaft auch leibhaftig zu erfahren. Das alles kann ein Priester allein gar nicht bewerkstelligen. Vor allem aber ist er kein „zweiter Christus“, wie noch oft gehört wird. Der Einsetzungsbericht ist eine Schriftlesung, die das gemeinsame Tun aller begründet („tut dies…“), kein priesterliches Rollenskript. (In dieser Frage ist leider auch Luther nicht wirklich vorangekommen). Überhaupt kann ein Abendmahl- oder Eucharistieverständnis, das der Satisfaktionslehre des Anselm von Canterbury verhaftet bleibt, über alle Konfessionsgrenzen hinweg nur wenig Freude und Dankbarkeit (wovon die Eucharistie ihren Namen hat) aufkommen lassen, sondern befördert eher ein depressives, jedenfalls kaum heilsames Klima. Jedoch hatte die landläufige Magie des bloßen Hokuspokus auch in der römischen Liturgie immer schon einen deutlichen Widerpart, indem (ebenso wie in der griechischen Kirche) der Gottesgeist erst in der anschließenden Epiklese „auf diese Gaben von Brot und Wein“ herabgerufen wird. Nur hat sich das kirchliche Amtsverständnis gerade im deutschen Sprachraum immer schon betont wichtig genommen. Das zeigt sich z.B. auch in der üblichen Übersetzung: „Wir sind Gesandte an Christi Statt“ (2 Kor 5,20), die es nur im Deutschen gibt. Gemeint ist jedoch: Wir sind Gesandte für Christus. Und obwohl Christus der Gastgeber dieses heiligen Mahles mit sündigen Menschen ist, tut zumindest die römische Kirche so, als ob sie entscheiden dürfte, wer zugelassen wird und wer nicht. Aus dem Leib Christi, der zumindest alle Gläubigen, wenn nicht die ganze Schöpfung umfasst (vgl. Eph 1,23), wird ein ideologisches Getto, aus einem frei geschenkten jesuanischen Gnadenmittel ein kirchliches Machtinstrument, das ziemliche Verdächtigungen, wenn nicht sogar offenen Unglauben in sich birgt: Denn dieses so restriktiv gehandhabte Sakrament wirkt anscheinend nur für die Starken, die es gar nicht sonderlich brauchen, den wirklich Schwachen und Kranken hingegen wird es mit vermeintlich guten Gründen vorenthalten.

Doch es schreit zum Himmel: Die testamentarische Zeichenhandlung, die nach dem Willen Jesu Einheit stiften soll (z.B. „trinkt alle daraus“), wird zum Spaltpilz, der jede gläubige Gemeinschaft zersetzt. Doch wir können nicht von einem gemeinsamen Glauben reden, wenn wir am Tisch des Herrn getrennt bleiben wollen. Auch eine Ehe, die, wie es kirchenrechtlich heißt, „von Tisch und Bett getrennt“ ist, verdient wohl kaum mehr die Bezeichnung Ehe, besteht höchstens auf dem Papier. Hier hat gerade die römisch-katholische Kirche ein massives Problem: Sie glaubt die dichteste Gegenwart Jesu zu verwalten, geht aber an dessen Bitte der Einheit aller Glaubenden wohl am konsequentesten vorbei. Dass es, besonders im griechischen Osten und im Orient, auch andere Kirchen gibt, die ähnlich verfahren möchten, entschuldigt die dominante lateinische Kirche nicht, die sich als die katholische, d.h. allumfassende, verstehen möchte.

Doch das Verstehensproblem besteht nicht nur hinsichtlich der Ökumene, es spaltet auch die römisch-katholische Kirche selbst. Es ist eine nicht zu leugnende Tatsache: Die überwiegende Mehrheit ihrer noch Gläubigen kann der zentralen Feier der Eucharistie nichts mehr abgewinnen. Die römische Liturgie bewahrt uns zwar immer noch einigermaßen davor, dass ein Gottesdienst oder eine sonstige kirchliche Handlung zu sehr ins Persönliche, Banale oder Schlimmeres abgleiten (auch das ist eine nicht zu unterschätzende Qualität), aber es fehlt ihr über weite Strecken an Verständlichkeit und Überzeugungskraft. Ein paar ästhetische oder musikalische Aufbesserungen können das eigentliche Manko nicht abdecken. Was sollen also die vielen Versatzstücke aus längst vergangenen Zeiten und Kulturen? (z.B. sollte das gallikanische „Suscipiat“ bereits am Konzil abgeschafft werden, wogegen der Papst persönlich intervenierte, womit weiterhin Opferdenken und Messopfer zementiert werden: „Der Herr nehme das Opfer an aus deiner Hand…“). Oder müssen wir Gott wirklich so oft sagen, wie ewig und omnipotent er eigentlich ist, zumal das eher kindliche Allmachtsphantasien oder Vorstellungen von Cäsarenwillkür unsererseits beflügelt? Doch auch die saubersten Begriffe und Gottesanreden sind angesichts seiner unaussprechlichen Wirklichkeit immer mehr falsch als richtig und kaum geeignet, uns das Gottesbild Jesu nahezubringen. Umso mehr aber sind die sozialen Konsequenzen solcher Sprachespiele als verdächtig zu überprüfen. Ergibt sich aus dem immer wieder betonten „unendlichen“ Unterschied zwischen hoch oben und tief unten nicht zwangsläufig, dass das gemeine Volk oder die misera plebs, wie die Lateiner zu sagen pflegten, einen professionellen „Vermittler“ braucht, und das, obwohl nur ein Mittler zwischen Gott und den Menschen ist: der Mensch Christus Jesus (1 Tim 2 5)? Und darf wirklich ein schon damals höchst fragwürdiges politisches Modell aus dem alten Rom für immer als göttliches Recht verkauft werden? Auch das eigentliche Problem des Papsttums besteht ja darin, dass es bei Augustus bei weitem mehr Anleihen zeichnete als bei Jesus. Und dann sollen sich die einzelnen Ortskirchen auf ewig von Rom zu subalternen und auszubeutenden „Provinzen“ degradieren lassen?

Das eigentliche Problem ist die Verständlichkeit der Gottesdienstsprache und Verkündigung, und die ist nach Paulus nicht einmal an den Insidern, sondern an den Außenstehenden zu messen (1 Kor 14,24). Und solange die Menschen nicht auch tatsächlich irgendwie jene Sprache wiedererkennen können, in der sie „geboren“ sind (Apg 2,8) und die ihnen folglich auf den Leib geschnitten ist, aus der Seele spricht oder wie immer, kann sich für sie kein Pfingstwunder ereignen, sich kein „Seelenfunken“ entzünden, geschweige Begeisterung aufkommen.

Doch nicht alles ist – glücklicherweise – durch Recht und zentralistische Verwaltung zu regeln. So ist z.B. die Taufe, deren ordentlicher Spender selbstredend der Priester oder Diakon ist, im Bedarfsfall von allen Menschen zu spenden (Häretiker, Juden und Frauen eingeschlossen), das Konzil sagt: von jedem Christen. Und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, welcher Konfession der Spender oder die Spenderin angehören. Hier hat sich trotz aller Abgrenzungen das Bewusstsein erhalten, dass es um viel Größeres geht als eine Konfession für sich geltend machen kann: Ein Leib, ein Geist…, ein Herr, eine Taufe, ein Glaube (Eph 4,4f). Auch das Sakrament der Ehe spendet (nach katholischer Auffassung) ja nicht der Priester oder die Kirche, sondern die Eheleute selber und der Priester ist nur der offizielle Zeuge ihres Ehewillens. Und hinsichtlich der Eucharistie hat schon Karl Rahner nicht ohne Augenzwinkern von der „sibirischen Messe“ gesprochen, also von Situationen, dass Christ/inn/en feiern möchten und ihnen kein geweihter Priester zur Verfügung steht. Da würde der liebe Gott seiner Ansicht nach wohl kaum sagen: Tut mir leid, ich kann euch keine Gnade geben...

Oder eine Idee, die auch hochoffiziell zu vernehmen ist: Da wird den wiederverheirateten Geschiedenen bisweilen sogar die „geistliche Kommunion“ empfohlen und diese bedeutet nichts weniger als dass auch die Amtskirche darum weiß, dass sie nicht alle Möglichkeiten und Mittel der Gnade verwalten kann, sondern dass es an ihr vorbei sogar viele wirksame Wege einer heilsamen Verbindung mit Christus gibt. Karl Rahner hat übrigens auch von „anonymen Christen“ gesprochen, was nichts weniger meint, als dass (selbst „atheistische“) Menschen, die um ein gutes Miteinander bemüht sind, in irgendeiner Art und Weise am Heil teilhaben (müssen). Solch begriffliche Spagate waren notwendig, solange sich ein Theologe mit dem Slogan: „Außerhalb der Kirche kein Heil“ herumschlagen musste. Doch das größere Problem ist ohnehin, dass es auch innerhalb der Kirche de facto soviel gelebten Unglauben gibt und das, was an Heilsmittel erlebt werden sollte, oft ziemlich unheilvoll praktiziert wird, nicht nur das Sakrament der Buße.

Doch es geht hier nicht um Kritik, sondern um Perspektiven der Hoffnung, um notwendige, d.h. Not wendende Handlungsmöglichkeiten, auch und gerade in der gegenwärtigen Situation:
Die Hauskirchen jedenfalls sind zum Feiern kompetent und ich selber weiß es auch sehr zu schätzen, dass sich auf Seminaren – mit und ohne priesterliche Teilnahme – oft Möglichkeiten von Feiern ergeben, die sehr berühren und überzeugen. Auch die Frauenliturgie hat sich erst ohne zu feste Bindungen an die offiziellen Gemeindegottesdienste etablieren müssen, was nicht unbedingt die Dauerlösung werden sollte. Den Einsetzungsbericht würde ich in kritischen Fällen ohnehin lieber weglassen oder deutlicher als Lesungstext ausweisen. Ein eucharistischer Gottesdienst ist jedenfalls auch ohne ihn „gültig“. Das hat Rom inzwischen hinsichtlich der assyrischen Kirche offiziell bestätigt, auch wenn die Begründung dafür merkwürdig herumeiert. Auch die so genannte Didaché, die Zwölfapostellehre, die älteste christliche Schrift außerhalb des Neuen Testaments und zum Teil einiges älter als seine Spätschriften, hat keinen Einsetzungsbericht. Und wenn ein solcher in den Hauskirchen oder sonst wo nicht vorkommt, dann hat auch die mittelalterliche Theologie und das sie ahndende Kirchenrecht eigentlich nichts mehr dabei verloren.

Dennoch möchte ich davor warnen, zu rasch Eucharistie feiern zu wollen, sowohl innerhalb kleiner Gruppen als auch über Kirchengrenzen hinweg. Denn vor einer würdigen Feier sind einige Hausaufgaben zu erledigen:

  • Oder stimmen wir zu zweit, zu dritt oder in größeren Gemeinschaften wirklich schon darin überein, um was wir eigentlich bitten wollen… (vgl. Mt 18,19)?
  • Oder um das Jesuswort aus der Bergpredigt zu bemühen: „Wenn du hinträgst dein Geschenk…“ (Mt 5,23f) . Das heißt wohl nichts anderes als dass Konflikte jeder Art zuvor bereinigt werden müssen, bevor gemeinsamer Gottesdienst möglich wird.
  • Vor allem aber ist die von Jesus erbetene Einheit aller Christusgläubigen kein frommer, unverbindlicher Wunsch („dass alle eins seien“), sondern eindeutiges Ziel und Voraussetzung: „dass alle eins sind“ (Joh 17,21; so auch der Titel meines ersten Eucharistiebuches, Patmos 01).
  • Nur in diesem Zusammenhang spricht der johanneische Jesus vom „Heiligen Vater“ (Joh 17,11). Diese Gottesanrede für einen Papst ist vollkommen daneben, schon der Vatertitel allein ist in einer christlichen Gemeinschaft unzulässig (Mt 23,9).
  • Oder was soll (ebenfalls aus gegebenem Anlass) ein Pontifex maximus? Mit diesem Titel hat sich bereits Augustus geschmückt. Aber wohin und womit möchte der römische Bischof Brücken bauen?
  • Herrschaftsstrukturen insgesamt sind wenig geeignet, den Geist Jesu zu verkörpern, denn dieser hat sein Wirken eindeutig als Dienst, als Diakonie definiert (Mk 10,45). Also sollten auch die theologischen Konsequenzen aus der Heilung der Schwiegermutter des Petrus nicht so schwer zu ziehen sein, wenn es heißt, dass „er sie auferweckte… und sie ihnen diente“ (Mk 1,31). Doch wie gerade mit diesem Text umgegangen wird, geht wahrlich auf keine Kuhhaut: Der offiziellen englischen Ausgabe des griechischen NT von 1966 war er nicht einmal eine eigene Überschrift wert, die Einheitsübersetzung liest immer noch: „und sie versorgte (sic!) sie“.

Zu guter Letzt: Die Eucharistie hat viel mit Sündenvergebung zu tun (Mt 26,28): Doch es ist und bleibt Jesu Mahlgemeinschaft mit den Sündern, die seinen Glauben an Gottes Güte am deutlichsten zum Ausdruck bringt und deswegen als sein Vermächtnis gewählt werden konnte. Wo Menschen etwas von dieser ursprünglichen Erfahrung machen dürfen, wird das Verborgene ihres Herzens aufgedeckt, sie werden in die Knie brechen, Gott anbeten und sagen können: „Wahrhaftig, Gott ist in eurer Mitte“ (1 Kor 14,24f). Das ist wahrer Gottesdienst und wechselseitige Therapie (auch das ist nur ein anderes Wort für „Dienen“) in einem. Zumindest hat sich das Paulus so ähnlich vorgestellt.

Konzept bzw. Nachschrift vom 14.03.2013 in Innsbruck: Ökumenische Initiative Tirol: Gemeinsam glauben – getrennt mahlhalten. Das Herrenmahl aus ökumenischer Sicht.
(NB: Das Statement wurde vor Ort und aus der Situation heraus frei formuliert).

Zum Autor:

Peter Trummer wurde 1941 in Bruck an der Mur geboren und ist em. Universitätsprofessor für Bibelwissenschaft der katholisch-theologischen Fakultät der Karl Franzensuniversität Graz.

Ein Auszug aus seinen Werken:

  • Die blutende Frau. Wunderheilungen im Neuen Testament. Herder, Freiburg im Breisgau 1991, ISBN 3-451-22326-0.
  • Heiliges Land - gemeinsam mit Josef Pichler - beiderseits des Jordan. Tyrolia, Innsbruck 1998.
  • Daß meine Augen sich öffnen. Kleine biblische Erkenntnislehre am Beispiel der Blindenheilungen Jesu. 2. durchges. Aufl., Kohlhammer, Stuttgart 1999, ISBN 3-17-016207-1.
  • ... dass alle eins sind! Neue Zugänge zu Eucharistie und Abendmahl. Patmos, Düsseldorf 2001, ISBN 3-491-70338-7.
  • Kann die Bergpredigt Berge versetzen?, gemeinsam mit Josef Pichler, Verlag Styria, Graz 2002
  • "Das ist mein Leib". Neue Perspektiven zu Eucharistie und Abendmahl. Patmos, Düsseldorf 2005, ISBN 3-491-70383-2.
  • Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause. Wie Jesus heilte und heilt. Herder, Freiburg im Breisgau 2012, ISBN 978-3-451-34546-3.