„Mein Platz in der Kirche“

07.10.2012, Monika Wölflingseder

Monika Wölflingseder hat beim 22. Donnerstagsgebet in Salzburg-Taxham, 4. 10. 2012 Zeugnis über ihren Platz in der Kirche und ihre Haltung, diesen Platz auch auszufüllen, nach folgenden Texten 1. Lesung: Lukas 10, 38-42 u. 2. Lesung: Markus 2, 1-12 dargelegt.

Maria und Marta sind Schwestern - aber sie verhalten sich ganz unterschiedlich. Die eine fügt sich selbstverständlich in die ihr zugedachte Frauenrolle ein: sie versorgt die Gäste mit Essen, Trinken, Übernachtungsmöglichkeiten … während die andere Schwester etwas ganz Ungehöriges tut: nicht nur ist sie faul und rührt keinen Finger, sie gesellt sich auch noch zu den Männern, sie setzt sich ganz nahe zu Jesus, um ihm zuzuhören. Sie nimmt sich einen Platz, der ihr – in der damaligen Zeit – absolut nicht zusteht. Wenn Frauen bei uns früher – vor 100, 200 Jahren – den Wunsch äußerten, sie wollten einen Beruf ausüben oder an der Universität studieren oder bei den olympischen Spielen teilnehmen, dann bekamen sie zu hören: „Die schönste, die edelste, die wichtigsten und die erfüllendste Aufgabe für dich als Frau ist es, Kinder zu bekommen und für deine Familie zu sorgen. Bleib bei deiner ureigensten Bestimmung. Dräng dich nicht mit Gewalt und Sturheit in einen Bereich, für den du nicht bestimmt bist. Bleib an deinem die vorgegeben Platz, nur so wirst du glücklich!“

Heutzutage ist es selbstverständlich, dass Frauen einen Beruf erlernen oder studieren oder Spitzensportlerin werden – ohne dass jemand Anstoß daran nimmt. Wenn heutzutage jemand Frauen auf den Platz am Herd oder auf sonst eine bestimmte Rolle festlegen will, dann muss er oder sie mit Widerspruch oder gar Empörung rechnen.

In unserer katholischen Kirche allerdings ist das Festnageln der Frauen auf bestimmte Rollen immer noch die Regel. Wer diese Rollen aufbrechen will, bekommt immer noch – meist unwidersprochen - zu hören:
„Es gibt so viele schöne, erfüllende und wichtige Aufgaben für euch Frauen in der Kirche.

Was müsst ihr euch denn mit aller Gewalt und Sturheit um den Platz am Altar raufen? Bleibt an euren vorgegeben Plätzen, dann sind wir alle miteinander viel zufriedener.“

Es ist aber nicht Sturheit oder der Partout-Standpunkt einer Emanze, wenn ich meine, dass alle Menschen, egal ob Mann oder Frau, zu allen Diensten und Ämtern in der Kirche zugelassen werden sollten. Sondern das ist die Botschaft, die ich aus der Bibel, aus Jesu Verhalten herauslese: Zur damaligen Zeit war es unvorstellbar, dass ein jüdischer Rabbi eine Frau in seinen Schülerkreis zulässt. Aber als Maria sich zu Jesus und dessen Jünger setzt, schickt Jesus sie nicht zurück in die Küche. Im Gegenteil: Er weist ihre Schwester und wohl auch die anwesenden Männern darauf hin, dass Maria den richtigen, den notwendigen Platz gewählt hat - und dass ihr den niemand nehmen soll.

Jesus verweist die Menschen nicht auf ihre vorgegeben Rollen - weder Frauen noch Männer. Er schickt sie nicht weg, wenn sie seine Nähe suchen. Das macht auch die Erzählung aus der zweiten Lesung deutlich.

Die Geschichte von dem Gelähmten erinnert mich sehr an die Situation der katholischen Reformbewegungen. Seit Jahrzehnten versuchen sie, an die Entscheidungsträger der Kirche heranzukommen, weil sie die Kirche für krank halten, für gelähmt, und weil sie etwas für die Heilung der Kirche tun wollen.

Aber die Türen sind verstopft, die Fenster verschlossen: Ihre Anliegen stoßen auf verstopfte Ohren, auf verschlossene Herzen. Briefe an den Papst werden nicht beantwortet, wahrscheinlich gelangen gar nicht bis zu ihm, sondern verschwinden schon vorher in irgendwelchen Schubladen oder Papierkörben.

In meiner Bibelausgabe wird zu der Stelle, wo die vier Freunde des Gelähmten ein Loch in das Dach schlagen, um zu Jesus zu gelangen, als Kommentar angemerkt: „Die Kühnheit und Beharrlichkeit der vier Freunde nennt Jesus ,Glauben‘.“

Ist unser Glaube auch so kühn und beharrlich?

Stellt euch vor, wir würden uns an diesen vier Freunden ein Beispiel nehmen! Stellt euch vor eine katholische Reformgruppe fährt nach Rom. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion stellt sie ein Gerüst vor der Residenz des Papstes auf. Es ist der 50. Jahrestag der Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils und deshalb hat Papst Benedikt die Fenster zu seinem Schlafzimmer geöffnet, in Erinnerung daran, dass Johannes XXIII die Fenster der Kirche weit öffnen wollte.

Die Katholikinnen und Katholiken klettern nun das Gerüst hoch, steigen beim Papst durchs Fenster ein und wecken ihn auf, damit sie ihm endlich ihre Sorgen um die gelähmte Kirche direkt übermitteln können.
Wie würde der Papst wohl reagieren?

Würde er zu ihnen sagen: „So geht’s nun wirklich nicht! Es gibt vorgegebene Wege, an die müsst ihr euch halten und geduldig abwarten, ob und wann ihr an die Reihe kommt! Vordrängen geht nicht – wo kämen wir denn da hin?!“
Würde er seine Leibwächter rufen und die Eindringlinge wegen Hausfriedensbruchs verhaften lassen?
Oder würde er die Beharrlichkeit und Kühnheit dieser Leute als starken Glauben anerkennen? Würde er sich denken: „Na so was! Die meinen es ja wirklich ernst!“ Würde ihn die Entschlossenheit dieser Menschen dazu bringen, mit ihnen über Wege zur Heilung der Kirche zu sprechen?

Ehrlich gesagt, ich würde das erste Szenario erwarten – aber vielleicht bin ich da zu pessimistisch!

Jesus jedenfalls hat es nie als Anmaßung gesehen, wenn Menschen seine Nähe gesucht haben – egal wer sie waren. Ob das ein blinder Bettler ist, der laut nach ihm ruft oder eine kranke, unreine Frau, die seine Kleidung berührt, oder Kinder, die zu ihm gebracht werden, damit er ihnen die Hände auflegt… Während Jesu Begleiter diese Menschen zurechtweisen und zurückweisen, weist Jesus sie nicht in ihre Schranken - im Gegenteil: All jene, die sich so unverschämt zu ihm „vordrängen“, bekommen, wonach sie sich gesehnt haben: sie werden geheilt.

Somit ermutigt Jesus dazu, sich nicht durch Konventionen davon abhalten zu lassen, seine Nähe zu suchen, sondern angestammte Plätze und Rollen zu verlassen. Menschen, die das tun, werden gesund.
Dass wir damit auf Unverständnis oder Empörung bei manchen Mitmenschen stoßen, lässt sich wohl nicht vermeiden. Diese Konflikte hat auch Jesus nicht vermieden, sondern er hat die, die den Zeigefinger hoben in dem Sinne „Also, das kann man doch nicht machen!“ eines Besseren belehrt und die Frechen, die Unverschämten, die Sturköpfe hat er bestärkt.

Viele Menschen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten die katholische Kirche verlassen, weil sie keinen Platz für sich darin fanden.

Ich verstehe es nur zu gut, dass Menschen - und besonders Frauen - so empfinden, wenn ihre Überzeugungen, ihr persönlicher Glaube einerseits und die offizielle Lehrmeinung der Kirche und die Kirchengesetze andererseits weit auseinander klaffen.

Aber wenn ich will, kann ich mir trotzdem - mit einer Portion Kühnheit und Beharrlichkeit - meinen Platz in der Kirche suchen und nehmen – so wie Maria von Betanien oder der Gelähmte – und diesen Platz auch ganz bewusst einnehmen und ausfüllen.

Je mehr Menschen ich kennenlerne, die dies tun, desto mehr werde ich darin bestärkt und desto weniger stehen die Konflikte, die dadurch ausgelöst werden, im Vordergrund.

Wenn wir uns nicht länger lähmen lassen von der Starrheit einer Institution, sei es die der Kirche oder irgendeine andere, dann entsteht eine anhaltende Kraft; und dann steht schließlich die Freude im Vordergrund, die Freude darüber, was alles möglich ist, wenn wir nur den Mut haben, es zu tun.

Ich glaube übrigens, all das trifft nicht nur auf die Kirche zu, sondern auch auf alle anderen Lebensbereiche. Nicht nur auf meinen Platz in der Kirche, sondern auf meinen Platz im Leben insgesamt.

Monika Wölflingseder