Jesus sendet uns alle!

Predigt von Harald Prinz am 18. Juni 2023 in Enns – St. Laurenz und Kronstorf (Lesejahr A, 11. Sonntag im Jkr., Mt 9,36 – 10,8)

Theologisch gesprochen müssen wir sagen: Wir sind alle getauft. Und in der Taufe sind wir alle gleichermaßen hineingenommen in die heilige Schar der von Jesus Erwählten und Gesendeten und ohne alle Unterschiede gilt uns sein Ruf: Geht in alle Welt und verkündet das Evangelium vom Reich Gottes!

Liebe Mitchristinnen und liebe Mitchristen!

„Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden!“ Wer von Ihnen kennt diesen Satz nicht, wem von uns eher regelmäßigen Kirchgehern ist dieser Satz nicht vertraut?! Oft schon haben wir ihn gehört, manchmal im Kontext der gottesdienstlichen Lesung, manchmal aber auch für sich allein wo hingestellt, aus dem Zusammenhang der Bibelstelle genommen, um ihn als Untermauerung für ein bestimmtes Thema zu verwenden, nämlich für das Thema der Priester- und Ordensberufungen. Jesus sagt: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter. Ist es nicht tatsächlich naheliegend, bei diesem Satz daran zu denken, dass es landauf, landab zu wenige Priester gibt, und dass man Gott daher um Priesterberufungen bitten sollte?!

Der aktuelle Bibelkommentar in der Linzer Kirchenzeitung, verfasst von einem burgenländischen Priester, lässt meine Gedanken aber in eine ganz andere Richtung gehen. Das Evangelium beschreibt nämlich sehr deutlich, dass Jesus alle 12 ausgeschickt hat und nicht nur ein oder zwei, etwa Petrus und Johannes, sondern alle 12 von ihnen. Wer sich in der Bibel ein wenig besser auskennt, der weiß, dass 12 eine heilige Zahl ist und dass diese heilige Zahl 12 für Vollständigkeit steht. Wenn Jesus also alle 12 sendet, dann bedeutet das also: Alle werden sie gesendet: sie alle, die sie sich zu diesem Jesus Christus bekennen, kein einziger ist ausgenommen! Und auf heute gesprochen: Alle, die von sich sagen, dass sie Christin oder Christ sind, alle, die getauft sind, alle die in die Kirche gehen, … sie alle dürfen sich von Jesus angesprochen und gesendet wissen. Nicht nur ein paar Auserwählte, nicht nur ein paar aus einer Extraklasse, nein: alle!

Jesus hat hier in der Entwicklung des religiösen Denkens ganz neue Maßstäbe gesetzt. In der Religion seiner Väter war es ganz klar, dass es so eine Extraklasse an Priestern gab, die eine besondere Verantwortung hatten, die die Opfer im Jerusalemer Tempel darbringen konnten, usw. Und auch im Christentum hat sich dieser Gedanke dann irgendwann wieder eingeschlichen, dass es da doch die besonders Erwählten gibt, die in der Verantwortung stehen und denen man das ruhig alles überlassen kann. Ich glaube, wir sind gerade dabei bzw. sind seit Jahrzehnten – etwa seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil - auf dem Weg zu entdecken, dass genau das nicht im Sinne Jesu ist.

Lassen Sie mich ein Beispiel geben aus einer Zeit, die ich selbst so nicht mehr erlebt habe, die aber doch noch gar nicht so lang aus ist. Ein heute achtzigjähriger Mann hat es mir aus seiner Kindheit erzählt. Er ging selbstverständlich Sonntag für Sonntag in die Kirche, war normalerweise weiter vorn im Gottesdienst und dann auch eifriger Ministrant. Aber einmal ist es irgendwie gekommen, dass er nicht vorne war, auch nicht einmal hinten, sondern oben auf der Empore bei der Orgel. Und da hat er gesehen, was oben auf der Empore während des Gottesdienstes passiert ist: Vorne hat der Pfarrer die Messe gelesen, wie man gesagt hat, und oben haben die Bauern Kühe gehandelt! Genau das hat er erlebt: Der eine Bauer hatte eine Kuh zu verkaufen und die anderen haben überlegt und geredet, wieviel sie ihm dafür geben würden. Gemäß dem alten Verständnis aus der Zeit vor Jesus mag das vielleicht halbwegs in Ordnung gewesen sein: Sie waren immerhin im Gottesdienst und der Priester hat sein Opfer gebracht, es sollte genug sein, dass sie dabei anwesend waren. Aber in der Denke Jesu funktioniert das nicht mehr: Jesus räumt auf mit dieser Zweiteilung der religiösen Gesellschaft. Er ruft und sendet alle!

Das ist wohl auch der Grund, warum sich im gesamten Evangelium nirgends eine Aufforderung findet, dass man jemand zum Priester machen, gar zum Priester weihen solle. Auch in der frühchristlichen Kirche gab es das nicht. Da gab es sogar jüdische Priester, die in die christliche Gemeinde gewechselt sind, die also den Glauben an Jesus Christus angenommen haben, aber sie übernahmen in dieser christlichen Gemeinde keinen expliziten oder exquisiten – priesterlichen - Dienst, weil solches ja insofern gar nicht möglich war, als Jesus eben ALLE zu sich rief und ALLE wieder ausgesandt hat.

Theologisch gesprochen müssen wir sagen: Wir sind alle getauft. Und in der Taufe sind wir alle gleichermaßen hineingenommen in die heilige Schar der von Jesus Erwählten und Gesendeten und ohne alle Unterschiede gilt uns sein Ruf: Geht in alle Welt und verkündet das Evangelium vom Reich Gottes!

Vielleicht empfinden das manche verstörend, vielleicht wäre es manchen lieber, es gäbe doch auch bei Jesus eine heilige Kaste, der man alles übertragen und überlassen kann. Denn vielleicht hätte dieser Weg, den die Kirche ja lang genug gegangen ist und den wir jetzt in ganz kleinen Schritten verlassen, auch etwas Beruhigendes, Bequemes. Aber es ist nun einmal so: Jesus hat den Seinen viel versprochen, aber Bequemlichkeit war nicht dabei. Im Gegenteil: Er schickt sie hinaus im Sinn von „Verlasst eure Komfortzone“ Überlegt, wo ihr das Reich Gottes hintragen könnt, was ihr dazu beitragen könnt! Und dann: Tut es! Bringt das Reich Gottes in die Welt!“

Der Ruf Jesu heute gilt uns: Ohne alle Unterschiede ruft Jesus uns in seinen Dienst. Es liegt an uns, Ja zu ihm zu sagen: zu überlegen „Was kann ich tun, wo kann ich seine Botschaft in Wort und Tat verkünden? Und es dann auch tun!“

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(Nach dem Gottesdienst kamen einige ältere Kirchenbesucher:innen zu mir: Was ich vom Kuhhandel auf der Empore erzählt habe, sei keine Ausnahme gewesen; vielmehr sei dies sogar so üblich gewesen, dass man diesen Bereich der Kirche scherzhaft als „Handelskammer“ bezeichnet habe … Da lobe ich mir doch den heutigen Kirchenbesuch: Wer heute in den Gottesdienst kommt, tut dies kaum aufgrund irgendeiner Sonntagspflicht oder weil es sich halt so gehört, sondern feiert wohl aus innerer Überzeugung mit. Das sollten wir mitdenken, wenn nostalgisch die alten Zeiten hochgelobt werden, in denen die Kirchen noch voll waren. Vielleicht hat ein Teil unserer leeren Kirchen ja auch damit zu tun, dass man schlicht und einfach erkannt hat, dass es für den Kuhhandel andere und geeignetere Plätze gibt als eine Kirche...)