Benedikt: Krise eines Pontifikats


„Benedikt. Krise eines Pontifikats“ ist die deutsche Ausgabe des im Vorjahr erschienenen Buchs von Marco Politi überschrieben. Seit dem 11. Februar, als Benedikt XVI. im Konsistorium seinen Rücktritt per Ende Februar ankündigte, ist aus Politis Buch die Bilanz des krisenhaften Ratzinger-Pontifikats geworden.

Marco Politi ist im Zusammenhang mit dem Papst-Rücktritt durch Interviews im Fernsehen auch in Österreich weithin bekannt geworden. An den vatikanischen Vorgängen Interessierten war der Journalist schon vorher als profunder Kenner des Vatikans bekannt. Auch in seinem jüngsten Buch erweist er sich als solider Analyst und Interpret der Vorgänge im kleinsten Staat der Welt, von wo aus die größte Glaubensgemeinschaft gelenkt – naja, nicht mehr wirklich gelenkt wird. Auf über 500 Seiten macht Politi verständlich, warum im Ratzinger-Pontifikat der zentralistische Anspruch der römischen Kurie und der überzogene Macht- und Geltungsanspruch des obersten Hirten der katholischen Kirche immer weniger durchsetzbar scheint und die einst vielfach drückende Macht erodiert.

In der Einleitung zu seinem Buch geht Politi auf die Deutschland-Reise Benedikts im September 2011 ein. Dabei wird auf diesen wenigen Seiten im Rückblick schon klar, was den krisenhaften Charakter des Ratzinger-Pontifikats ausmacht und was den Autor sein 1. Kapitel mit dem lapidaren Satz eröffnen lässt: „Joseph Ratzinger hätte nicht Papst werden dürfen.“ Und auch nicht können, weil er als eine so polarisierende Persönlichkeit wohl kaum die Zweidrittelmehrheit erreicht hätte, die sein Vorgänger geschwächt und er selbst dann wieder zur Regel gemacht hat – ein Dienst an der Kirche und am Petrusdienst, der nicht vergessen sein soll.

Mit einer Fülle von Details, die Politi als echten Insider und zugleich kritischen Beobachter ausweisen, skizziert der Autor die einzelnen Missgriffe, Hoppalas und Unglücksfälle, deren Summe Ratzingers Jahre an der Spitze der Kirche zu einer einzigen Krise wachsen ließen. Das begann mit der berühmt-berüchtigten Regensburger Rede, mit der Benedikt durch professorale Zitierung eines byzantinischen Kaisers die Moslems verprellte, das geht über die Versuche, die schismatischen Pius-Brüder einschließlich des Holocaust-Leugners Williamson der katholischen Kirche wieder einzugliedern bis zu der unseligen „neuen“ Karfreitagsfürbitte für die alte Liturgie und schließlich bis zu jenem Kulminationspunkt, der als Vatileaks-Affäre die Zustände innerhalb der vatikanischen Mauern in ein erschreckend klares Licht stellte und wohl den letzten Anstoß zum Rücktritt gegeben hat. Politi zeigt auf, dass hinter dem Kontinuitäts-Vokabular bezüglich des Konzils sich die Kehrtwende nur schlecht verbergen lässt. Er zeigt und belegt, wie miserabel die Kommunikation innerhalb der vatikanischen Ämter und Behörden ist und wie diese mangelnde Kommunikation fast zwangsläufig zu peinlichen Pannen führen muss; die schließlich unterlassene Bischofsweihe von Gerhard Maria Wagner in Linz und die Wielgus-Pleite in Warschau stehen dafür als Beispiele. Ungeschickte und missverständliche Formulierungen in Reden, die nicht von kompetenten Personen gegengelesen oder trotz Einwänden unverändert gehalten wurden, gehören zu diesem desaströsen Bild.

Ausführlich geht Politi auf das Thema ein, das der Glaubwürdigkeit der Kirche den größten Schaden zugefügt hat, den Missbrauchsskandal. Auch hier gilt: zu wenig, zu spät, zu halbherzig. „Es ist“, stellt Politi fest, „als habe man im Vatikan trotz wiederholter Skandale noch immer nicht richtig verstanden, dass eine radikale Wende nötig ist.“ Lieber raunt man von „Verschwörung“, lieber ortet man „sprungbereite Feindseligkeit“. Der doppelte Boden bleibt, Transparenz ist nur ein Wort.

Neben der hohen Sachkenntnis des Autors ist dessen Art der journalistischen Darstellung zu rühmen: faktenbasiert, belegt, nachvollziehbar und nicht zuletzt in einer verständlichen Sprache. Das macht die Lektüre zu einem Erlebnis – wenn auch, ob des Inhalts, zu einem bedrückenden. Für die zu erwartende Neuauflage muss Politi nichts ändern, bloß einige Ergänzungen vornehmen. Nachdem die Weihrauchschwaden sich verzogen haben, die Benedikt nach seiner Rücktrittsankündigung zugefächelt wurden, treten die Konturen seines unglücklichen Pontifikats wieder deutlich hervor. Ja, dieser Rücktritt war die wichtigste Maßnahme, die Benedikt während seiner kurzen Amtszeit gesetzt hat, und sie wird lange nachwirken. Vielleicht gilt schon in naher Zukunft, wie für jeden katholischen Bischof, auch für den Bischof von Rom eine Altersgrenze. Benedikts Rücktritt ist zugleich eine neuerliche Bestätigung für Marco Politis Urteil: “Letzten Endes ist Joseph Ratzinger eine tragische Figur.“

Franz Josef Weißenböck

Zum Autor:

Marco Politi wurde 1947 in Rom geboren. Der deutsch-italienische Journalist berichtete 20 Jahre lang für die führende italienische Tageszeitung "La Repubblica" aus dem Vatikan, derzeit arbeitet er für "Il Fatto Quotidiano". Als international renommierter Vatikan-Insider ist er auch bei deutschen Medien ein gern gesehener Gastautor (etwa Die Zeit oder FAZ), und etliche seiner Bücher wurden ins Deutsche übersetzt.

Marco Politi, Benedikt - Krise eines Pontifikats, Rotbuch Verlag, 541 Seiten, Preis: 19,99 €, ISBN 978-3-86789-171-4