08.12.2012, Monika Wölflingseder
Gedanken zu den Bibelstellen Mk 10, 35-45 und Galater 3, 26–29
in Worte gefasst von Monika Wölflingseder beim 24. Donnerstagsgebet für die Erneuerung der Kirche in Salzburg, am 6.12. 2012.
Bei unserem letzten Donnerstagsgebet lautete das Thema: „Bei euch aber soll es nicht so sein. - Bei euch sollen nicht die Mächtigen ihre Macht missbrauchen, sondern wer bei euch groß sein will, soll der Diener aller sein.“ Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, inwieweit jeder und jede von uns verantwortlich dafür ist, diese Aufforderung Jesu umzusetzen – speziell in der Kirche umzusetzen.
Ich habe mich gefragt, inwieweit es mich überhaupt betrifft, wenn es heißt, die Mächtigen sollen nicht ihre Macht missbrauchen, da ich mich ja nicht gerade zu den Mächtigen in der Kirche zähle.
In der Bibelstelle aus dem Galaterbrief geht es auch darum, dass sich niemand über die anderen stellen soll, dass es für Christen und Christinnen kein Oben und Unten mehr gibt, dass nicht die Unterschiede zwischen den Menschen zählen, sondern dass alle auf einer Ebene sind – weil wir vor Gott alle gleich sind.
Auch wenn ich nicht zu den Mächtigen gehöre, so betrifft diese Herausforderung mich sehr wohl: nämlich die Aufforderung, auf niemanden hinabzuschauen.
Wir alle haben Werte, nach denen wir unser Leben ausrichten, und wenn ich Menschen begegne, die diese Werte offensichtlich nicht teilen, sondern ganz andere Normen vertreten, dann geschieht es leicht, dass ich diese Leute abwerte. Ich persönlich neige z.B. dazu, Leute abschätzig zu betrachten, die sehr materialistisch eingestellt sind, für die Geld und Karriere das Wichtigste ist; oder Menschen, die völlig unkritisch sind und immer mit der Masse laufen, oder solche, die sehr autoritär sind oder sehr autoritätsgläubig…
„Ihr alle seid eins in Christus“ heißt für mich in diesem Zusammenhang, dass ich auf niemanden hinabschauen soll, auch wenn er oder sie ganz anderer Meinung ist, nach anderen Werten lebt, eine ganz andere Sichtweise und Lebensweise hat als ich. Es heißt nicht, dass ich meine Werte aufgeben soll, aber dass ich allen Menschen gleichen Respekt entgegenbringe, dass ich alle gleich achte und niemanden ver-achte – auch nicht die Geldgierigen oder die Mitläufer oder die Mächtigen, die ihre Macht missbrauchen…
„Ihr alle seid eins in Christus“, sagt Paulus, und deshalb sollen auch wir Menschen einander auf gleicher Augenhöhe begegnen.
Was aber kann ich tun, wenn mein Gegenüber auf dem hohen Ross sitzt und nicht bereit ist, herabzusteigen und mir auf Augenhöhe zu begegnen? Das ist ja das, was wir innerhalb der kirchlichen Hierarchie so oft erleben – dass die „Mächtigen“ der Kirche nicht nur auf uns herabschauen, sondern oft sogar einfach über uns hinwegschauen, so, als wären wir gar nicht da.
Wenn die auf dem „hohen Ross“ nicht bereit sind, abzusteigen und ich sie nicht mit Gewalt stürzen will, dann hilft nur, dass ich meine eigene Position verändere.
Ich könnte z.B. auf einen Stuhl steigen… oder auf einen Baum klettern - etwas tun, was unüblich ist. Manche werden sich vielleicht denken: Das tut man aber nicht – da wird ja der Stuhl ganz schmutzig, das gehört sich nicht! Andere werden sagen, damit machst du dich doch nur lächerlich!
Aber es bringt mich tatsächlich auf Augenhöhe mit meinem Gegenüber– auf eine ungewöhnliche Art, auf eine überraschende Art und Weise… Gerade dieser Überraschungseffekt kann es sein, der die anderen, die vorher über mich hinweg geschaut haben, dazu bringt, mir in die Augen zu schauen – und wenn ihnen dabei vielleicht sogar ein Lachen auskommt, dann ist der erste Schritt zu einem Dialog auf Augenhöhe getan…
Wir brauchen viel Phantasie, damit uns immer wieder Neues einfällt. Überraschende, unerwartete Verhaltensweisen in den verschiedensten Situationen, für verschiedenste Anlässe …
Ein Kampf für Veränderung ist oft langwierig, mühsam und frustrierend. Aber mit viel Phantasie und mit dem Mut, sich in den Augen anderer auch mal lächerlich zu machen, kann dieser Kampf auch Spaß machen, kreativ und spannend und abwechslungsreich sein…
Es gibt noch eine andere Möglichkeit, das „Oben“ und „Unten“ zu relativieren. Wenn ich direkt neben dem hohen Ross stehe, muss ich mir den Hals verrenken, um den oder die da oben zu sehen.
Je weiter ich weggehe, desto kleiner werden Ross und Reiter. Wenn ich gar auf einen Berg steige, dann wird das hohe Ross plötzlich zur Ameise… Ich kann es zwar immer noch im Blick behalten, aber es erscheint nicht mehr übermächtig und bedrohlich und ich bin frei, mich mit anderem zu beschäftigen: mit denen, die mir tatsächlich auf Augenhöhe begegnen wollen.
„Ihr alle seid eins in Christus“, sagt Paulus. Gott sieht in uns nicht Herrscher oder Beherrschte, nicht Mann oder Frau, nicht Kardinal oder Mesnerin. – Inwieweit bin ich dafür verantwortlich, dass diese Wahrheit unter uns Menschen Wirklichkeit wird - unter uns wirksam wird?
Ich meine, selbst wenn ich nicht zu den „Mächtigen“ gehöre, so habe ich doch auch eine Verantwortung dafür, das Machtgefälle aufzulösen. So lange wir - auf den ersten Blick -„Ohnmächtigen“ – wir sogenannte Laien in der Kirche, speziell wir Frauen in unserer patriarchalen Kirchenhierarchie, immer nur hinaufschauen zu „denen da oben“ und nicht beginnen, unsere eigene Position zu verändern, so lange tragen auch wir zu dieser Situation des „Oben und Unten“ bei.
Wir sollen einander alle gleich achten – niemanden geringer und niemanden höher achten.
So wie Achtung und Verachtung ein Gegensatzpaar ist, so ist auch Achtung und Hochachtung in gewissem Sinne ein Gegensatz.
Denn Verachtung und Hochachtung sind die zwei Seiten ein- und derselben Medaille: sobald ich jemanden hochachte, heißt das, dass ich die anderen geringer achte.
Niemanden zu verachten und niemanden hochzuachten ist beides eine große Herausforderung:
So wie wir manchmal andere abwerten, um uns selber größer zu fühlen, so bewundern wir manchmal andere, um uns an ihnen aufzurichten oder uns an ihnen zu orientieren. Wir bewundern Menschen, die etwas haben oder können, was wir nicht haben oder können; Menschen, die so sind, wie wir selber gerne wären oder wie wir glauben, dass wir sein sollten. Ich finde es auch wichtig, Menschen zu kennen, die mit dem, was sie tun oder sagen oder wie sie sind, mich ermutigen, mich in meinem eigenen Bemühen bestärken, mich inspirieren…
Aber in der Bewunderung vergessen oder verdrängen wir manchmal, dass kein Mensch unsere (und nicht einmal seine eigenen) Idealvorstellungen vollkommen erfüllen kann.
Statt unseren Vorbildern Fehlerhaftigkeit zuzugestehen, stellen wir sie manchmal auf einen Sockel und projizieren unsere Sehnsucht nach Vollkommenheit auf sie.
Aber früher oder später werden wir von jedem „Idol“ enttäuscht. Auf Dauer kann der Schein der Makellosigkeit bei niemandem aufrechterhalten bleiben; früher oder später kommen unweigerlich auch Schwächen und Verfehlungen zum Vorschein – und dann schlägt unsere Hochachtung oft ganz schnell in tiefe Verachtung um.
„Ihr alle seid eins in Christus“ – niemand ist höher oder niedriger gestellt, höher oder geringer geachtet: Ich glaube, damit wir diese Haltung leben können, müssen wir erst einmal akzeptieren können, wie fehleranfällig wir Menschen allesamt sind - jede und jeder, ohne jede Ausnahme.
„Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott, dem Einen“, sagt Jesus, als ihn ein Mann „guter Meister“ nennt. ( Luk 18,19) Nicht einmal für sich selbst, als Sohn Gottes, lässt Jesus Hochachtung gelten, sondern nur für Gott allein!
Keinen Menschen hoch zu heben und für unantastbar zu erklären - ist wahrscheinlich genauso schwierig, wie niemanden abzuwerten und zu verachten.
Und beides ist gleich wichtig!
Monika Wölflingseder
Salzburg, am 6. 12. 2012