Groß Denken

Gedanken von Anna Findl-Ludescher zur Aufnahme Mariens in den Himmel

Maria wird nach ihrem Tod mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Das ist der Inhalt des Festes am 15. August. Die gläubige Vorstellung ist so, dass Maria als erster und einziger Mensch direkt nach dem Sterben in den Himmel kommt und dort von Gott Vater, Jesus und dem Heiligen Geist erwartet und gekrönt wird: Maria, die Himmelskönigin. Auf unzähligen Bildern ist sie so dargestellt.

Aus der Bibel wissen wir darüber gar nichts. Weder über ihre Geburt, noch über ihren Tod wissen wir auch nur irgendetwas. Wir wissen nichts über ihre Herkunft: ob sie Geschwister hatte, wer ihre Eltern waren, und wir wissen auch nichts über ihr Sterben und über ihr Leben nach dem Tod.

Dieses „Nichts-Wissen“ war für viele Gläubige der frühen Zeit schwer auszuhalten. Das gibt’s doch nicht! Diese wunderbare besondere Frau, Maria, die muss doch auch eine wunderbare, besondere Herkunft haben und die kann doch nicht einfach so sterben wie alle anderen Menschen!

Die Phantasie wurde angekurbelt und so wurden viele Geschichten erfunden und gefunden. Z.B.: Zum Zeitpunkt des Sterbens von Maria sollen alle Jünger, die mittlerweile an verschiedenen Orten der Welt verstreut waren, von Engeln ans Sterbebett gebracht worden sein. So waren sie beim Sterben dabei und haben dann auch gesehen, wie die Engel die verstorbene Maria direkt in den Himmel hinaufgetragen haben.

Obwohl es also keine Hinweise dazu in der Bibel gibt, hat sich dieser Glaube bei den Christen gefestigt und schon im 5. Jahrhundert wurde das Fest der „Entschlafung Mariä“ oder „Himmelfahrt Mariä“ eingeführt. Weil sich das Fest und der Glaube an dieses wunderbare Sterben der Maria und ihr Weiterleben im Himmel so konstant gehalten hat, wurde 1950 dieser Glaube zum Dogma.

Wir können einiges von der Entstehung dieses Festes lernen: Wenn wir nichts über konkrete Umstände wissen, dann beginnt automatisch der Prozess des Erfindens. Unsere Phantasie erwacht und reimt sich alles Mögliche zusammen. Das sind dann sehr schöne, wohlmeinende Phantasien oder eher das Gegenteil, nämlich Verdächtigungen: Während der Corona-Pandemie haben wir viele solcher Phantasien erlebt und besonders viele Verdächtigungen: Eine Gruppe junger Leute steht zusammen: Die sind doch sicher nicht ein Haushalt! Die dürfen das doch gar nicht. Die Nachbarn gehen am Abend noch weg: die gehen doch sicher nicht nur spazieren, vermutlich gehen sie zu Freunden, die haben doch eine Flasche Wein unterm Arm…

Unsere Phantasie steht immer in einem Deutungsrahmen: Entweder Wohlwollen oder gar Verherrlichung oder Misstrauen und Verdacht.

An diesem Deutungsrahmen können wir arbeiten, dem sind wir nicht ausgeliefert. So wie wir bei Maria einfach das Beste annehmen, was uns einfällt: dass sie ohne Erbsünde war, dass sie ein ersehntes Kind war, dass alle Jünger sie verehrt und geliebt haben, dass sie im Himmel lebt und wirkt und dort unsere Fürsprecherin ist.

So wie wir das im Glauben tun, nur das Beste und Größte von Maria zu denken, so sind wir eingeladen, auch jetzt und für andere Menschen unsere Phantasie wohlwollend walten zu lassen:

Stellen Sie sich vor, Sie fahren im Auto auf dem Südring. Dichter, stockender Verkehr. Einer vor ihnen wechselt schon zum dritten Mal die Spur, drückt immer wieder aufs Gas, drängelt, nützt jede Möglichkeit, etwas schneller zu sein. Vorher hat er Sie geschnitten. „So ein rücksichtsloser Raser“ denken Sie sich.

Vielleicht sitzt da ein Mann am Steuer, der ein verletztes Kind auf dem Rücksitz hat, das weint und jammert, und er versucht so schnell als möglich in die Klinik zu kommen. Könnte ja sein…

Wir können unsere Phantasie ruhig walten lassen, - das tut sie sowieso – aber wir können lernen, Maß zu nehmen an den Geschichten rund um das Fest der „Aufnahme Mariens in den Himmel“: einfach das Beste annehmen, so dass diejenige Person, um die es geht, in ihrem Wert eher steigt als fällt. Das tut dieser Person gut, das tut aber auch uns selber gut.

„Von Maria kann man nicht groß genug denken“ Das ist ein Grundsatz der katholischen Lehre. Wenn wir dieses Prinzip übernehmen und auf andere anwenden, dann begehen wir dieses Fest würdig und mit allen Ehren.

Anna Findl-Ludescher
Ass.-Prof.in Dr.in theol. Anna Findl-Ludescher ist Institutsleiterin des Instituts für Praktische Theologie, Universität Innsbruck.