„Päpstin gesteht, daß sie die Pille nimmt!“
Von Hias Jakubec
„Gefällt es dir?“ Die das fragte, stand hinter mir. Seit mindestens 15 Minuten bannte dieses Bild meinen Blick. Sie hatte es in Englisch gefragt. Ich verstand sie nicht gleich, ihres fernöstlichen Akzentes wegen. Sie wiederholte es mir geduldig drei- bis viermal. Das Bild: der Hl. Christophorus. Das einzige Bild in den vatikanischen Museen, das Gnade in meinen Augen gefunden hatte. Oder muß ich sagen: Vor dem ich Gnade gefunden hatte. Muß man nicht mit Kunstwerken verkehren wie mit Fürsten: warten, bis sie einen ansprechen. Leider habe ich den Autor dieses Gedankens vergessen.
Zurück zum Bild: War dieser Christophorus also gering genug, mich anzusprechen? Sein Jesuskind saß ihm am Rücken wie ein Gnom, oder auch: wie ein Alp. „Sein Jesus drückt ihn, wie ein böser Traum“, entgegnete ich der, die hinter mir stand. Sie war nicht viel größer als 1 Meter 50. „Auf deutsch müßte ich sagen: Dieser Jesus ist sein Schalk im Nacken: the joker on his neck.“ - „The joker on his neck?“ die Asiatin kicherte. „Maria“, stellte sie sich vor, „from the Philippines.“ - „Mario“, ich schüttelte ihr die Hand, „from Austria.“ - „Mario and Maria“, die Philippina kicherte erneut. Im Zeitalter des Fotos, so hatte ich gelernt, beschreibt man keine Gesichter. „Maria from Philippines“, wiederholte ich: Wie die neue Päpstin. Sie deutete mir, ihr mein Ohr zu neigen, stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte: Ich bin die neue Päpstin. Ich muß sie schon sehr ungläubig angesehen haben, denn sie beteuerte es immer wieder. „Weißt du was“, erklärte sie schließlich, „besuch mich doch übermorgen.“ Sie gab mir eine Karte, mit der ich vorsprechen sollte: Donnerstag, 15 Uhr 30.
Maria Burton war am Sonntag dem 1. Mai 1994 vom heiligen Konklave als Nachfolgerin Johannes Pauls II. zur ersten Päpstin in der Geschichte der katholischen Kirche gewählt worden. Ihr Lebenslauf war millionenfach über die Fernschreiber gelaufen. Maria, die Enkeltochter eines englischen Diplomaten und einer frommen philippinischen Katholikin, geboren am 2. Februar 1946 in Manila, hatte in London Medizin studiert und anschließend in den Slums ihrer Heimatstadt um Gotteslohn die zahllosen Kranken betreut. Einen Namen hatte sie sich mit ihrem radikalen Einsatz für die Menschenrechte gemacht. Zweimal war sie für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden.
1971 hatte sie den philippinischen Rechtsanwalt Antonio Corqueira geheiratet, behielt jedoch in der Öffentlichkeit ihren Ledigennamen Burton bei. Sie ist Mutter dreier, mittlerweile erwachsener, Kinder.
Die Wahl eine Sensation zu nennen, untertreibt in jeder Beziehung. Presse und Fernsehen überschlugen sich in Superlativen. Ich erinnere mich an jenen Tag als an den ersten, an dem ich geweint hatte, seit dem Film „Die Reporterin“.
2000 Jahre lang haben die Päpste Röcke getragen.
Donnerstag, 15 Uhr 30. Ich wurde tatsächlich vorgelassen. Das Büro erschien mir viel zu groß für die zierliche Frau. Sie trug keinen Ornat: Sie trug Jeans. Nicht Blue aber immerhin. Warum auch nicht, 2000 Jahre lang haben die Päpste Röcke getragen.
Sie grüßte mit einem fröhlichen „Hallo Mario!“, bot mir einen Platz auf der Couch an und philippinischen Tee: „Nun wie gefällt dir Rom? Nein, sag nichts, ich seh es dir an, du findest es grauenhaft.“ Und im Vertrauen: „Ich auch.“ Obwohl, man muß die Städte lieben: ihrer Menschen wegen. Nur leider, Rom kenne sie ja gar nicht, höchstens den Vatikan, aber das (engl. that: der) sei ihr Problem, damit wolle sie mich nicht belästigen. Rom müsse sie sich jetzt so nach und nach ansehen. Unbedingt. Und der Dom?
„Zu groß“, sagte ich. „Viel zu groß“, war der einzige Gedanke gewesen, den ich bei der Besichtigung hatte. Ich hatte mich unter der Kuppel auf den Boden gesetzt und gedacht: Zu groß. Weniger wegen des Fassungsvermögens, als der Ausstattung wegen. Auch heute noch: Alleine die Erhaltungskosten sind kaum zu rechtfertigen.
„Der Dom hat die Kirche gespalten“, so sagt es Maria (sie besteht darauf, daß ich sie Maria nenne). „Die Ablaßgelder waren der Auslöser der Reformation.“ Es klebt jede Menge Blut an den Wänden der Hauptkirche der Katholiken. Lassen wir die Vergangenheit: Ich habe ein Geschenk für dich, Mario.
Sie holte ein Bild aus ihrem Schreibtisch: den Christophorus. Den Christophorus von Otto Dix. Ich wollte abwehren, aber sie bestand darauf, es hatte mich angesprochen, es konnte nur mir gehören: „Du verkaufst es doch nicht!“ Seit einem guten Monat habe ich also Dixens Bild zu Hause. In meinem Testament werde ich es der vatikanischen Pinakothek vermachen.
Kirchenrechtlich ist die Wahl Maria Burtons zur Päpstin bis dato umstritten. Nach wie vor ist Burton weder als Bischof von Rom eingesetzt noch überhaupt zum Priester geweiht. Der Codex Iuris Canonici (CIC) macht keine näheren Angaben über das passive Wahlrecht zum Oberhaupt der Kirche. Er sieht jedoch vor, daß der Papst immer zugleich Bischof Roms ist, oder vielmehr umgekehrt der römische Bischof das Petrusamt wahrnimmt. Bischof können allerdings nur unverheiratete Männer werden.
Einem Gerücht zufolge, waren im Konklave zwei Varianten diskutiert worden: Variante 1 erwog, zunächst einen der Kardinäle zum Papst zu wählen, dieser hätte die nötigen rechtlichen Grundlagen herzustellen und sollte dann zurücktreten. Beim folgenden Konklave hätte Maria dann völlig legal gewählt werden können. Diese Methode erschien allen höchst bedenklich. (Was, wenn der „Interimspapst“ aus irgendeinem Grund nicht zurücktrat?)
Variante 2 sollte Maria mit der Auflage zum Papst ernennen, sofort die Voraussetzungen zu ihrer Bischofsweihe zu schaffen (Priestertum verheirateter Frauen). Dies stieß jedoch nicht nur rechtstechnisch auf Schwierigkeiten, dagegen wehrte sich auch massiv der konservative Flügel: Es sei gefährlich, übereilt das Frauenpriestertum einzuführen und den Zölibat (für Bischöfe!) aufzuheben. Über beide Fragen bedürfe es noch intensiven Nachdenkens.
Schließlich habe einer „Aggiornamento!“ gerufen, gegen alle Winkeladvokatenzüge und für die bloße Ernennung Burtons zum Papst plädiert und tosenden Beifall geerntet. Das Gerangel um Marias Kompetenzen konnte damit nicht verhindert werden. (Erstaunlich, wer alles um ihre Kompetenzen stritt!)
Die Päpstin brachte mich mit ihrem Geschenk in einige Verlegenheit. Wie sollte ich mich erkenntlich zeigen. (Auf ein Gastgeschenk meinerseits hatte ich überhaupt vergessen. Bis zur Stunde zerbreche ich mir den Kopf darüber: Hätte es die Etikette verlangt?) „Du bist mir in die Falle gegangen“, grinste Maria Burton breit, „nun wirst du ein Leben lang das Gefühl haben, der Kirche etwas zu schulden.“
Überhaupt sind die bürgerlichen Werte mit den christlichen nicht immer deckungsgleich.
Maria Burton war das 6. von 9 Kindern, Vater Rechtsanwalt, Mutter Mutter. „Ich muß das nicht wiederholen?“ flehte sie mitleidheischend. Ich verstehe sie. „Was wirst du jetzt tun in der Frage der wiederverheirateten Priesterinnen?“ - „Verheiratete Priesterinnen“, korrigierte sie mich. Die eheliche Treue ist ein Wert, den wir bewahren müssen. Das soll die „Untreuen“ nicht ausgrenzen, oder sagt sie besser: die „auf eine andere Art treuen“? Aber für die Treue in der Ehe wünschen wir uns, daß unsere Priester sie „bewerben“. Trotzdem möchte ich, (ihre Worte:) daß wir sehr genau hinsehen, ob unser Familienbegriff der christliche ist oder nicht vielmehr der bürgerliche. Überhaupt sind die bürgerlichen Werte mit den christlichen nicht immer deckungsgleich. Vielleicht sogar nur selten: Gerechtigkeit, Recht, Friede, Fleiß, Loyalität, Vaterlandsliebe, Naturverbundenheit, Umweltschutz.
In ihrer bürgerlichen Form sind diese Werte ein Korsett. In ihrer christlichen befreien sie.
„Der Zölibat wird also abgeschafft?“ - „Wir werden den Zölibat sicher nicht mehr so fördern. Enthaltsamkeit ist gut. Einsamkeit ist es nicht. Die Ordensgemeinschaften sind mir ein riesiges Anliegen. Sie haben die Kirche über die Jahrhunderte am Leben erhalten. Hauptsächlich sie. Sie sind immer geistliche Zentren gewesen. Sie erhalten ein Gutteil unserer Infrastruktur. Heute nennt man sowas Competence Center.“
Enthaltsamkeit ist gut?
„Versteh mich nicht falsch. Sex ist eine wunderbare Sache. Wie zum Beispiel auch Essen. Aber Fasten ist gut und auch Enthaltsamkeit ist gut. Sie lehrt einen, sich in den Partner einzufühlen.“ Also kein vorehelicher Sex? „Kein außerehelicher Sex. Sei es davor, sei es als swinging Single oder auch in Form von Seitensprüngen. Ich kann das nur sehr subjektiv beantworten: Für mich wäre das nichts, für mich ist tiefes Vertrauen eine Voraussetzung für guten Sex. Besonders Betrug würde mich sehr verletzen. Ich erwarte von meinem Mann, daß wir darüber reden. Auch wenn wir uns fallweise in andere Menschen verlieben und alles das. Ich akzeptiere aber, daß andere dieses Vertrauen nicht voraussetzen. Ich hoffe, daß sie dann darauf achten, ihren jeweiligen Partner nicht zu verletzen. Diesen Wunsch darf und muß ich als Christ an meine Mitmenschen richten, auch als Kirche.“
Um im Themenkreis zu bleiben: Homosexualität.
„Da kenn ich mich nicht aus. Prinzipiell sind menschliche Zuneigungen immer zu respektieren. Wo es nur um Paare geht, um Partnerschaften, sehe ich keinen Grund, Gleichgeschlechtliche gegenüber Heterosexuellen zu benachteiligen, im Erbrecht zum Beispiel. Wo es um die gemeinsame Elternschaft geht, sehe ich keinen Grund, Homosexuelle gleich zu behandeln. Ich bin dagegen, daß homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen. Es erscheint mir aus entwicklungspsychologischer Sicht für das Kind nicht empfehlenswert. Ich werde aber gern mit Experten darüber reden. Ich bin mir auch sicher, daß eine Homosexuellen-Ehe kein Sakrament darstellt. Diese Art der Vereinigung, die durch ihre prinzipielle Disposition zur Fruchtbarkeit ein so wunderbares Schöpfungsmysterium beinhaltet, in der wir ein Zeichen der göttlichen Liebe sehen, die dem Menschen geschenkt ist, geschieht nun einmal nur zwischen Mann und Frau.“
Tiefes Vertrauen ist eine Voraussetzung für guten Sex.
Also liegt doch im Zeugen von Kindern der Sinn der Ehe?
„Völlig verkehrt herum. Der Sinn der Ehe ist die gegenseitige Hingabe. Daß aus ihr neues Leben entspringen kann, betrachte ich als ein besonderes Geschenk. Wer eine Ehe beginnt, ist bereit, dieses Geschenk anzunehmen. Die Ehe besteht also nicht, wo dieses Geschenk von vornherein ausgeschlossen ist oder nicht angenommen wird.“
Päpstin Maria setzt also den harten Kurs in Fragen der Empfängnisregelung fort?
„Muß ich denn zum tausendsten Mal den Begriff der verantworteten Elternschaft erklären? Prinzipiell sollten Brautleute das Geschenk der Elternschaft annehmen. Für wieviele Kinder aber die Familie aufkommen kann und zu welcher Zeit, das ist nicht allein Sache Gottes nach dem Motto: Der wird’s schon richten. Hier müssen mündige Christen ihren Gestaltungswillen einbringen. Bei der Frage der Methodenwahl mischt sich die Kirche viel zu sehr ein. Die wird auch viel zu sehr hochgespielt. Eine Pille ist an sich nicht weniger natürlich als das ständige Messen und Rechnen. Medikamente haben Nebenwirkungen, wie andere medizinische Eingriffe auch. Knaus-Ogino und die Sympto-Thermalen Methoden erfordern sehr reife Partnerschaften und einen halbwegs regelmäßigen Zyklus. Frauen mit unregelmäßigem Lebensrhythmus, also wenn sie zum Beispiel häufig Nachtdienst versehen, haben da oft Probleme.
Für meinen Amtsvorgänger war die Sache eine theologische Frage. Seiner Ansicht nach erhält das Kind im Augenblick der Zeugung seine Seele von Gott. Eine Verhinderung der Zeugung hindert also Gott, eine Seele zu schenken. Ich fand diese Auffassung immer recht eigenartig. So als ob die Seele etwas Zusätzliches zum Körper wäre. Meiner Ansicht nach sollten wir den Körper als den Träger der Seele ansehen als ihre Materie. Zwar ist der Ton alleine kein Krug und der Körper kein Mensch, aber so wie kein Krug ohne Ton ist, ist auch kein Mensch und keine Menschenseele ohne Körper.
Ich glaube Johannes Paul II. hat diese Auffassung abgelehnt, weil er an der Frage scheiterte, was dann mit der Seele ist nach dem Tod. Richtiger müßten wir uns fragen, was ist mit dem Menschen nach dem Tod: mit dem ganzen Menschen. Aber in unserem Glaubensbekenntnis reden wir schließlich von der Auferstehung des Fleisches. Schon die Väter haben erkannt, daß es um den ganzen Menschen geht, nicht um eine Seele als losgelösten Teil. Wie und in welchem Körper diese Auferstehung erfolgt, wissen wir nicht. „Was wir sein werden ist noch nicht offenbar“, sagt der Hl. Paulus.
Aber um zurückzukommen: Was ich ablehne, ist Abtreibung und Abtreibungspille. Dieses Kapitel ist ja bekanntlich verwandt mit dem Thema Euthanasie und der Frage, wie weit gehen die Rechte des Menschen dem Tod gegenüber. Wo endet der Mitgestaltungsauftrag? Von Mord zu sprechen ist absolut unangebracht. Ich lehne trotzdem beides ab. Das menschliche Leben muß gegen jede Art von Übergriff geschützt werden, und es ist so schwer, hier die Grenzen richtig zu ziehen. Die Gefahr über „unwertes Leben“ zu bestimmen, ist einfach zu groß. Leider haben wir gerade in unserem Jahrhundert eine sehr bittere Lektion darüber lernen müssen.
Der weise König Salomon wurde bei einem Ehebruch von David gezeugt.
Betroffene nach einer Abtreibung oder nach einer Sterbehilfe zu bestrafen ist aber sicher der falsche Weg. In vielen Fällen kann subjektiv gar nicht von Schuld die Rede sein. Aber auch dort, wo Schuld ist, müssen wir uns fragen, wie gehen wir um damit.
Diese Frage stellt sich eigentlich viel allgemeiner. Georg Sporschill hat erzählt, wenn er einen Gefangenen besucht, sagt er ihm: Du bist schuld. Er nimmt ihn ernst als mündigen Menschen, der Verantwortung trägt. Denen draußen aber sagt er, daß sie schuld sind. Die Schuld ist nicht aufteilbar sondern ganz bei dem Gefangenen und ganz bei uns. Sporschill ist übrigens Österreicher. Ich habe diese Sache bei einem Vortrag von ihm gehört, und es hat mich sehr angesprochen. Wer kann mit einer solchen Ansicht noch strafen? Sicher, der Schuldner soll nach Möglichkeit seine Schuld begleichen. In manchen Fällen wird er das können, in anderen wird er Ersatz leisten. Abgesehen von Wiedergutmachung aber dürfen wir ihm nichts auferlegen, alles andere wäre Rache.
Und das Christentum sagt noch mehr dazu: Der Schuldige darf durch Gott auf eine Wandlung hoffen. Eine Wandlung seiner Schuld in Segen. Die Bibel ist voll von solchen Beispielen. Man denke nur an Batseba: Der weise König Salomon wurde bei einem Ehebruch von David gezeugt. David schickte obendrein den Mann der Batseba in den Tod.“
Die Boulevardpresse hatte sich des langen und breiten darüber ausgelassen, ob „Päpstin“ überhaupt die korrekte Bezeichnung sei. Die Vorschläge reichten vom feministischen „Mamst“ bis „Frau Papst“. Sogar über die grammatikalische Weiblichkeit des lateinischen „Papa“ wurde gesimpelt, meist nicht gerade fach. Die traditionelle Bekanntmachung hatte die Formel „Habemus Papam“ beibehalten. Eine offizielle Erklärung des Vatikan zum Thema steht aus.
Sie werden sich also einsetzen für Priesterinnen?
„Selbstverständlich. Es ist ja absurd, wenn ich als Verantwortliche bei der Eucharistie mit meinen Leuten nicht die Rolle des Priesters übernehmen darf. Es geht aber um die Figur des Priesters insgesamt. Priester, das sind jene Menschen in der Kirche, die mit Vollmacht die Liebe Gottes zusichern dürfen. Natürlich darf und soll jeder aus seiner Überzeugung heraus diese Liebe ausdrücken. Der Priester aber tut es mit Vollmacht. Mit der Vollmacht der Kirche und also letztlich mit der Vollmacht Jesu. Diese Vollmacht ist uns kostbar.
Ich will das so vergleichen: Ein Mitarbeiter einer Firma verspricht dir eine gewisse Geldsumme. Per Unterschrift und Stempel. Wenn es irgendein Mitarbeiter ist, hat es nicht unbedingt Konsequenzen: Du wirst kein Geld bekommen, es sei denn, der Mitarbeiter zahlt die Summe selbst, oder die Firma steht zur Erklärung ihres Mannes, obwohl sie nicht muß. Ist der Mensch aber Prokurist, also bevollmächtigt, für die Firma Zahlungen zu veranlassen, so gilt sein Wort. Die Firma wird natürlich einen Mißbrauch ihres Stempels gerechterweise verhindern wollen. Ebenso wird auch weiterhin nur der Geweihte bestimmte Sakramente spenden dürfen.
Ich sehe jedoch keinen Grund, warum jemand deshalb unbedingt Berufspriester sein muß. Wir haben heute vor allem in den Klöstern Lehrer, Bauern, Facharbeiter, die ihren Priesterdienst neben ihrem Beruf ausüben. Es fragt sich, ob der Gemeindeleiter Priester sein muß. Für die Organisationsarbeit braucht er die Priesterweihe nicht. Schon gar nicht muß jeder Priester Theologe oder gar Akademiker sein. Auch der Prokurist muß kein Buchhalter sein. Klar, er sollte ein bißchen was von der Materie verstehen, wo er es gelernt hat, ist egal. Man wird es sich anschauen, bevor man ihn zum Prokuristen macht bzw. zum Priester.
Unser „Produkt“ ist gut: Das Evangelium des Jesus von Nazareth.
Viel wichtiger ist: Der Priester muß ein Friedenstifter sein. Einer, der eine Gruppe zusammenhalten kann, der die Fähigen unterstützt und die Benachteiligten fördert, der ausgleichend wirkt, ohne Gegensätze unter den Teppich zu kehren. Einer, der Mut macht. Auf keinen Fall ist physiologische Weiblichkeit ein Ausschließungsgrund vom Priesterdienst. Ich bin also für ledige Arbeiterpriester und verheiratete Pfarrerpriesterinnen, für Theologenpriester und für Pfarrerinnen ohne Weihe und alle anderen denkbaren Kombinationen. Das ergibt eine Vielzahl neuer Chancen und Möglichkeiten.
Ich werfe die ganze Tradition über Bord? Die Tradition ist gut, sie sagt mir, was sich bewährt hat und was nicht. Aber wir leben am Ende des 20. Jahrhunderts, und die Menschen erwarten von uns zeitgemäße Antworten auf ihre Fragen. Wir sind eine Religionsgemeinschaft unter vielen. Unser „Produkt“ ist gut: Das Evangelium des Jesus von Nazareth. Die Liebesgebote, die Seligpreisungen, die Heilungen und Tröstungen. Wir müssen das aber zeitgemäß aufbereiten. Dazu braucht es entsprechende Organisationsstrukturen. Und auch die Verpackung muß stimmen.
Ich werde versuchen, dieses schöne Prinzip der Einstimmigkeit noch weiter zu verbreiten.
Ich will das alles nicht durchdrücken. Ich werde versuchen, die Zustimmung der Bischofskollegen zu erhalten. Im Kollegium herrscht das Prinzip der Einstimmigkeit. Hinter jedem Beschluß müssen ausnahmslos alle stehen. Das ist sehr mühsam, das braucht viel Geduld und Offenheit. Eine enorme Gesprächskultur. Ich werde die Expertenmeinungen der Theologen zu meinen Vorschlägen einholen. Aber auch andere Experten. Ich werde versuchen, mit Argumenten zu überzeugen und mit Charme zu gewinnen. Oft scheitert eine Reform nicht daran, daß ihre inhaltliche Richtigkeit bezweifelt würde, sondern daran, daß die Leute psychologisch nicht mitspielen. Weil sie sich verletzt oder übergangen fühlen. Weil sie selbst die Idee schon hatten und ihnen jetzt die Urheberschaft entwendet wird. Es wird keine angeordneten Reformen geben. Das beste Gesetz ist wirkungslos, wenn die Menschen seine Durchführung boykottieren. Ich werde versuchen, dieses schöne Prinzip der Einstimmigkeit nicht nur beizubehalten sondern es noch weiter zu verbreiten.“
Aufregung hervorgerufen hatte Maria Burtons Entscheidung, keinen neuen Papstnamen anzunehmen. Auf die Journalistenfrage „Warum nicht Maria die Erste“ entgegnete sie: „Warum Bill Clinton und nicht Bill der Erste? Ich glaube nun einmal nicht an die Monarchie, ich halte sie nicht für zeitgemäß.“
Sie redet gern von „zeitgemäß“, die Päpstin Maria:
„Was das sein soll? Es geht nicht darum „modern“ zu sein, oder „in“. Aber wir Menschen haben in Jahrtausenden der Kulturgeschichte doch hoffentlich etwas gelernt. Wir kennen heute die Prinzipien der offenen Gesellschaft und ihre Vorteile. Wir haben das Scheitern planwirtschaftlicher Systeme erlebt. wir wissen, wie flexible, evolutionäre Einheiten, wie Regelkreise funktionieren. Wir wären doch blöd, unsere Einsichten nicht anzuwenden. Die Kirche ist eine Organisation wie andere.
Die katholische Kirche ist nicht die eine und einzige, ist es nie gewesen. Wir sind Marktführer, noch, auf dem Gebiet Christentum. Unser Produkt ist gut, das hab ich schon gesagt. Und wir stehen mit unserem Vertrieb in Konkurrenz zu anderen. Im Unterschied zur freien Wirtschaft, sollte es uns egal sein, wer das Evangelium zu den Menschen bringt. Die Vielfalt der Kirchen halte ich für ein großes Geschenk des Himmels. Nur so sprechen wir auch die Vielfalt der Menschen an. darauf beruht der ökumenische Gedanke. Aber eine große und gut ausgebaute Organisation hat ihre Vorteile. Mit dem exterritorialen Gebiet des Vatikan können wir uns auch auf höherer politischer Ebene sehr effizient für die Sache Jesu einsetzen. Ich habe das in meiner Heimat sehr schätzen gelernt. Es würde mir leid tun, wenn unsere Infrastruktur notwendigen Sparmaßnahmen zum Opfer fiele.
Aber wir werden nicht darum herumkommen, sie immer wieder anzupassen, sie weiterzuentwickeln. Das Gewicht der Kirchenpolitik muß sich von innen nach außen verlagern. Viel mehr als bisher werden wir unsere eigentlichen Aufgaben wahrzunehmen haben: Frieden stiften, Hungrige speisen, Kranke heilen, Leidende trösten. Auf der Ebene der Familie ebenso wie in der hohen Diplomatie.
Die adäquate innere Struktur dafür ist subsidiär. Heute nennt man das „lean management“. Die Kirche hat sich verbal immer dazu bekannt, aber es oft nicht umgesetzt. Vor allem die Bischofskonferenzen müssen mehr kontinentale und regionale Kompetenzen erhalten. Es geht nicht an, daß wir zentral im Vatikan über die Laisierung von Priestern oder über die Annulierung von Ehen entscheiden. Es ist Humbug, daß wir die Besetzung von Lehrstühlen in Deutschland mitbestimmen oder zentral alle Bischöfe ernennen.
In der Diskussion fällt immer wieder das Schlagwort „Demokratie“. Demokratie ist gut, aber Demokratie ist nicht alles. Es liegt mir fern, sie vom Tisch zu wischen: „Die Kirche ist keine Demokratie“. Diese Phrase geht völlig am Problem vorbei. Sie meint, die Kirche sei eine Theokratie, in der die Amtsträger von Gott eingesetzt werden. Aber wie geschieht denn das? Sie werden von Menschen ausgewählt. Das steht nicht im Widerspruch dazu, daß sie letztlich Gott verantwortlich sind und in einer Tradition stehen, etwa in der apostolischen Sukzession. Nichts spricht dagegen, demokratische Verfahren zu ihrer Auswahl anzuwenden.
Mit dem exterritorialen Gebiet des Vatikan können wir uns auch auf höherer politischer Ebene sehr effizient für die Sache Jesu einsetzen.
Demokratie ist eine Methode der offenen Gesellschaft. Sie verhindert Fehlbesetzungen nicht, aber sie macht sie korrigierbar. Vergessen wir aber nicht, daß die demokratische Gesellschaft nur dort funktioniert, wo es ein Mindestmaß an sozialem Standard und sozialer Gerechtigkeit gibt einerseits, und ein bestimmtes Bildungsniveau. Hundertprozentige Alphabetisierung ist praktisch Voraussetzung. Die Menschen müssen die Zusammenhänge verstehen, müssen die Gedanken der Entscheidungsträger nachvollziehen und überprüfen können. Sonst werden sie ihnen nicht vertrauen.
Das zweite Standbein neben der Demokratie ist die Gewaltentrennung. Die gibt es ja nicht in der Kirche, wenigstens nicht de jure.
Ich strebe eine neue Kirchenverfassung an. Statt des Codex Iuris Canonici. Der Text soll nicht von Kirchenrechtlern allein gestaltet werden, es sollen auch Manager, Soziologen, Informationswissenschaftler oder Didaktiker mitarbeiten. Wir werden verhindern, daß die Berge kreißen und ein Mäuslein geboren wird. Und wir werden ein Migrationskonzept erstellen, einen Plan, wie wir die Strukturen evolutionär umstellen können, möglichst krisenfrei. Aber keine Angst. 15, 20 Jahre wird das wohl dauern bei diesem alten Elefanten.“
Die Mahlgemeinschaft selbst wirkt schuldausgleichend und friedenstiftend.
„Wo wir auch noch eine Menge tun müssen, ist die Liturgie. Der alte Opfergottesdienst ist endgültig passé. Das war ein Relikt der archaischen Opferriten. Der Sündenbock, das waren die Spenden, um die Götter zu versöhnen und nebenbei die Priester zu erhalten. Gott braucht diese Opfer nicht. Unsere Opfer bringen wir in den Armenvierteln dar. In den Kranken- und Waisenhäusern, in den Obdachlosenheimen und den Flüchtlingslagern. Unsere Liturgie soll die Mahlgemeinschaft sein. Am Tisch des Brotes und am Tisch des Wortes. Die Mahlgemeinschaft selbst wirkt schuldausgleichend und friedenstiftend. Sie ist ein Realsymbol im rahnerschen Sinn. Das heißt nicht, daß sie nicht auch feierlichen Charakter haben darf. Bach hat seinerzeit als Thomaskantor jede Woche eine neue Cantate komponiert für den Sonntag. Die haben sich den Gottesdienst noch was kosten lassen. Man stelle sich vor, Elton John komponiert für jeden Sonntag einen neuen Song. Das wäre sicher werbewirksam, nicht? Obwohl das auch nicht die Liturgie ist, die ich mir wünsche.“
Welche Liturgie wünscht sich Maria Burton?
„Die Stegreifliturgie. Aber das braucht sehr reife Gemeinden. Der Sonntagsgottesdienst ist gleichzeitig die Lagebesprechung der Pfarre. Was ist vorgefallen, wer will sich bei wem entschuldigen, wer braucht unsere Hilfe, was soll getan werden, wofür wollen wir beten, wofür danken, wer hat uns etwas Schönes mitgebracht, ein Lied, ein Gebet, einen Kuchen. Wir haben das teilweise schon so gefeiert in den Basisgemeinden. Aber die meisten Sekten sind uns da weit voraus. Warum lachst du?“
Sie hatte mich tatsächlich beim Lachen erwischt. Wir werden die Kirche nicht wiedererkennen. „Hoffentlich“, sagte sie. Wie eine Braut, wenn sie sich geschmückt hat.
Und du solltest aufpassen, wenn du mit Journalisten redest. Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir: „Päpstin gesteht, daß sie die Pille nimmt!“ In dem Moment, als ich den Rat gegeben hatte, tat es mir schon leid. Was sollte sie denken von mir, wenn von all dem, was sie gesagt hatte, nicht mehr hängengeblieben war. Aber sie lachte: „Man soll sich nicht täuschen, mein Mann und ich, wir leben seit Jahren ziemlich enthaltsam.“ Und plötzlich wurde sie um 20 Jahre älter und ungemein traurig: Man kann sich alles Mögliche holen in Manila als Arzt. Sex ist für mich nicht mehr recht angebracht: Ich bin HIV-positiv. Kondom ist gut, Enthaltsamkeit ist besser. Bitte geh jetzt. Danke für’s Zuhören. Vergiß dein Bild nicht. Ach ja, und dürfte ich die Kassetten deines Diktiergerätes behalten, es wird mir bei meiner Regierungserklärung helfen. Ich kopiere die Bänder und schicke sie dir dann.“
Ich kam nicht mehr zu Wort.
Man stelle sich vor, Elton John komponiert für jeden Sonntag einen neuen Song.
Post scriptum: Das vorliegende Interview ist reine Fiction: Otto Dix’ Christophorus hängt unbeschadet im Vatikan. Insofern handelt es sich bei diesem Text um ein Gebet.
Glaubensbekenntnis eines rational denkenden Menschen
von Matthias Jakubec
Apostolisches Glaubensbekenntnis |
Glaubensbekenntnis eines rational denkenden Menschen |
Ich glaube an Gott, |
Ich bezeichne mit Gott den Grund für die Existenz der Welt. |
den Vater, den allmächtigen, |
Ich verstehe die Welt als |
den Schöpfer des Himmels und der Erde, |
Ich traue Gott zu, |
und an Jesus Christus, |
Jesus von Nazareth, der vor ca. 2000 Jahren in Palästina lebte, wollte diese Liebe Gottes für seine Mitmenschen sichtbar und erfahrbar machen. |
seinen eingeborenen Sohn, |
Jede und jeder ist dazu aufgerufen, sich, so wie Jesus, als Tochter oder Sohn Gottes zu fühlen. |
unsern Herrn, |
Das Leben Jesu und die darin sichtbare Liebe Gottes wird dann zum Vorbild unseres eigenen Handelns für unsere Mitmenschen. |
empfangen durch den Heiligen Geist, |
Der Geist der Liebe inspiriert uns, Gutes zu tun. Wer in diesem Geist leben will, ist Christ. |
geboren von der Jungfrau Maria, |
Ich verstehe diesen Geist als Erbe Jesu, zu dessen Weitergabe sich Christen verpflichtet fühlen. |
gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, |
Weil Jesus mit seiner Lebensweise die Autorität der Herrschenden in Frage stellte, wurde er als Staatsfeind angeklagt, verurteilt und hingerichtet. |
am dritten Tage auferstanden von den Toten, |
Schon bald nach seinem Tod verbreitete sich unter seinen Anhängern die Überzeugung, er sei auferstanden. Die entsprechenden Schriften erzählen von Begegnungen verschiedener Augenzeugen mit dem auferstandenen Jesus. |
Ich glaube an den Heiligen Geist, |
Wenn wir in Liebe handeln, wenn wir Heiliges tun, tun wir es im Geist Jesu, in heiligem Geist. |
die heilige, katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, |
Dabei sind wir in mehrfacher Hinsicht auf die Gemeinschaft angewiesen. Zunächst ist es die Überlieferung der Kirche durch die wir von Jesus und seiner Lehre erfahren. Kern dieser Lehre ist die Liebe zu unseren Mitmenschen, die ihrerseits ein Leben mit der Gemeinschaft voraussetzt. |
Vergebung der Sünden, |
Jeder Mensch macht mehr oder weniger intensiv die Erfahrung, anderen etwas schuldig zu bleiben. Nach dem Vorbild Jesu dürfen wir jedoch darauf vertrauen, dass uns das gemeinsame Leben im Geist der Liebe von der Last unserer Schuld befreit und so alle Schuld ausgeglichen wird. |
Auferstehung der Toten |
Weil wir wissen, dass wir sterben müssen, stellen wir uns die Frage nach dem bleibenden Sinn unseres Lebens. Die Hoffnung Jesu auf volles Leben in Gott sowie die Berichte von seiner Auferstehung geben uns Hoffnung, dass der Tod nicht die endgültige Grenze unseres Daseins bedeutet. |
und das ewige Leben. |
Trotzdem sollte es weniger diese Hoffnung auf Auferstehung sein, die uns zu christlichem Handeln ermutigt, sondern eher die Hoffnung, durch solches Handeln zu einer lebenswerten Welt beizutragen, d.h. beizutragen, dass hier in dieser Welt immer mehr Menschen ein erfülltes Leben finden. Denn leben müssen wir hier und jetzt! |
|
|