Das Papsttum als Stein des Anstoßes - Was können wir tun?

05.03.2009, P. Roger Lenaers SJ

Zum Vortrag "Das Papsttum als Stein des Anstoßes" hat die Plattform „Wir sind Kirche“ P. Lenaers SJ am 2. März 2009 nach Linz eingeladen, nachdem bekannt wurde, dass Dr. Gerhard Maria Wagner zum Hilfsbischof in Linz geweiht werden soll.

Stein des Anstoßes heißt es im Titel meines Referats. Man könnte auch sagen: Stolperstein, auf Griechisch skandalon, genau das Wort mit dem Jesus in Matthäus 16:23 Petrus scharf zurechtweist. Petrus legte sich nämlich quer auf den Weg, den Jesus gehen sollte. Er wollte nur das, was Menschen wollen, nicht was Gott wollte. Etwas Ähnliches kann man dem Papsttum als historisch gewachsener Institution vorwerfen. Darüber wird es hier heute Abend gehen, über diese Institution, nicht (oder fast nicht) über den heutigen Papst. Ich werde versuchen zu zeigen, wie sehr dieser Vorwurf Jesu für diese Institution zutreffend ist. Nicht aus Liebe zur Kritik, sondern aus Liebe zu der lebenden Kirche. Denn diese ist in ihrem Wesen (leider kaum in ihrer Erscheinung) die Gestalt, in welcher der ganz neue Mensch Jesu in der Geschichte weiterlebt und die Welt vermenschlicht. Erschien die Kirche als solche, dann würde sie noch stets jene kreative und dadurch anziehende Gemeinschaft sein, die die Urkirche trotz ihren Mängeln und Fehlern gewesen sein muss, denn sonst hätte sie sich nie verbreitet. Aber sie erscheint vielmehr als eine schwerfällige Institution oder Organisation, der dieselben Fehler und Schwächen anhaften wie anderen großen anonymen und bürokratischen Organisationen. Und dieser Organisation Kirche geht es dann auch nicht gut. Die Zahl derer die am Sonntag zusammenkommen für das, was offiziell „Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens“ heißt, sinkt jedes Jahr, die Zahl der Kirchenaustritte bleibt konstant hoch und bekommt durch Ereignisse wie die der letzten Zeit noch einen kräftigen Zuwachs, die Seminare sind fast leer, religiöse Häuser werden wegen Mangel an Mitgliedern geschlossen, was leider zugleich das Ende vieler Formen von selbstlosem Dienst bedeutet, die damals von diesen Gemeinschaften geleistet wurden. Bedauerlich ist auch das Bild der Kirche in den Medien. Sie erscheint dort nicht als eine Bewegung oder Strömung, von der die Welt Heil und Segen erwarten kann, sondern trotz dem vielen Guten, das von zahllosen ihrer Mitglieder zustande gebracht wird, kennt man sie dort nur als eine menschliche, allzu menschliche und daher fehlerhafte Institution. Sie wird umso schärfer kritisiert, weil sie sich trotz ihrer enttäuschenden Erscheinung anmaßt, die einzige Quelle des Heils für die Menschheit zu sein. Denn noch immer verkündet sie, dass außerhalb der Kirche kein echtes Heil zu finden ist. Und inzwischen vertritt sie Standpunkte, die nicht nur dem modernen Ungläubigen, sondern auch ihren eigenen Mitgliedern überholt und ärgerlich vorkommen müssen. Denkt an Humanae Vitae oder an den Ausschluss der Frauen aus dem kirchlichen Amt oder an das Festhalten am Pflichtzölibat der Priester oder an die vollen Ablässe, die vom Vatikan über die Teilnehmer an bestimmten Manifestationen ausgeschüttet werden. In welchem Jahrhundert lebt man wohl im Rom, fragt man dann kopfschüttelnd. Die Institution Kirche ist für viele ein Stein des Anstoßes geworden.

Wo liegt dieser Stein genau? Zum Teil im enttäuschenden Benehmen vieler Kirchgänger Ihr kennt die Ausrede von Leuten die sich vom Kirchenbesuch verabschiedet haben: „Ich komme nicht mehr in die Kirche, es sind dort alles Scheinheilige“. Man legt die ethische Latte für die Kirchgänger offensichtlich hoch, in der Regel ohne zu vermuten, dass das Evangelium diese Latte noch viel höher legt. Aber der Stein des Anstoßes ist viel mehr die Institution Kirche selber mit ihrer belehrenden Selbstsicherheit, ihrer oft verbietenden und verurteilenden Sprache und ihren starren Strukturen. Diese aber werden gehandhabt von der Führung, der so genannten Hierarchie, an deren Spitze der Papst thront.

Die Weltanschauung der Kirchenführung


Kritik an der Kirche und an ihrer Führung hat es immer gegeben. Aber damals betraf diese Kritik in der Regel nur die Missbräuche, das ärgerliche Benehmen von Päpsten und Kirchenfürsten, den schroffen Widerspruch zwischen ihrem Lehren und ihrem Tun, ihre Habgier und Selbstbereicherung, die Unterdrückung, die sie ausübte, ihr Bündnis mit den politischen Mächten. Aber trotzdem blieb man in der Kirche, und man zahlte brav die Zehnten, die sie forderte und die sie noch reicher und mächtiger machten. Man blieb in dieser Kirche, weil sie als die Repräsentantin jener allmächtigen höheren Welt galt, die geachtet wurde unsere Welt zu beherrschen und zu dirigieren und von welcher ewiges Glück oder Unglück abhing. Es war klar dass man mit jener so wichtigen Welt am besten auf gutem Fuß stand, um Hilfe zu bekommen oder um verdienten Strafen zu entgehen. Aber im Gegensatz zum mittelalterlichen Menschen teilt der moderne Mensch die Wirklichkeit nicht mehr in zwei parallele Welten auf, die unsere und eine übernatürliche. Es gibt für ihn keinen Gott-in-der-Höhe mehr, der nach Belieben hier eingreift und mit Seuchen oder Orkanen oder Dürre straft, der Regen und Fruchtbarkeit schenkt und den man mit Opfern günstig stimmen kann. Kosmos und Menschheit tanzen in dieser Weltanschauung nicht nach dem Pfeifen einer überweltlichen Instanz, sie folgen eigenen, in ihnen eingeschriebenen Gesetzen, sie sind autonom. Die Einsicht, dass der Kosmos und die Menschheit autonom sind, ist die Frucht der Aufklärung, die selber aus dem Humanismus des 15. Jahrhunderts und aus der Entwicklung der modernen Wissenschaften seit dem 16. Jahrhundert geboren ist. Und die Modernität, wie man diese auf der Aufklärung gestützte Weltanschauung nennt, macht sich auf sich über die ganze Menschheit zu verbreiten.

Aber die Aufklärung ist offensichtlich an vielen hier vorbeigegangen ohne sie zu berühren. Für einen großen Teil weil die Kirchenführung sich mit allen Mitteln und nicht ohne Erfolg dafür eingesetzt hat, ihre Gläubigen vor dem Denken der Modernität abzuschirmen. Dadurch sind viele bei der vormodernen Aufteilung der Wirklichkeit in zwei Welten geblieben und möchten sie, dass die Kirche weiter denkt und handelt wie zur Zeit der Gegenreformation. Und diese Gruppe umfasst nicht lauter ältere Leute. Man kann ihren überzeugten Glauben loben. Aber ihr Einsatz lässt die Vergangenheit fortdauern auf Kosten der Zukunft. Und anspielend auf ein Wort Jesu muss man sagen: Gott ist kein Gott der Vergangenheit, sondern der Gegenwart und der Zukunft. Wer unsere Glaubensbotschaft weiter in einer Zweiweltensprache verkünden will, in Rom oder in Windischgarsten, macht sie für den Menschen der Modernität unzugänglich.

Leider denkt gerade die Kirchenführung und nicht an letzter Stelle der Vatikan noch weitgehend vormodern und halten sie durch eine Art geistige Inzucht diesen Zustand systematisch aufrecht. Mit geistiger Inzucht meine ich die Auswahl neuer Führungsmitglieder aus der Zahl jener, die ebenfalls vormodern denken. Nur solche Priester, die nach vatikanischen Maßstäben rechtgläubig sind, kommen für diese Promotion in Betracht. Was diese Rechtgläubigkeit umfasst, findet man im vatikanischen Katechismus der Katholischen Kirche aus dem Jahre 1992. Dieses Glaubensbuch beweist, dass die Führung in Rom den Glauben an die Existenz einer übernatürlichen Welt als einen Wesensbestandteil der Frohbotschaft betrachtet. Das ist schlimm und für die Kirche im Westen ist das sogar tödlich. Weil im Denken der Modernität für jene parallele, übernatürliche Welt kein Platz mehr ist. Alles was die Existenz jener übernatürlichen Welt voraussetzt, ist daher für den Menschen der Modernität, auch für den Christen der Modernität, wertlos geworden. Das gilt nicht zuletzt für die Ansprüche der Kirchenführung und mehr ins Besondere der Päpste auf eine Bevollmächtigung, die Gott-in-der-Höhe ihnen verliehen haben sollte. Eine solche Rechtfertigung der kirchlichen Vorschriften und Verbote und Einmischungen ist in den Ohren der Modernität, um mit Kohelet zu reden, Windhauch, auf Österreichisch „á Schmarrn.“

Soll die Hierarchie dann in der modernen Welt den Mund halten, zu nichts mehr aufrufen, nichts mehr fordern, vor nichts mehr warnen? Hat sie dann keine Autorität. Ja doch. Aber nur insoweit diese die Verlängerung und Fortsetzung der Autorität Jesu ist. Für den Christen ist nämlich Jesus von Nazareth die Offenbarung der göttlichen Urwirklichkeit und daher die entscheidende Norm. Auf ihn sollen wir hören, wie die Stimme aus dem Himmel es sagte, das heißt: er hat in Fülle Autorität und Recht zu befehlen und er kann auf Gehorsam Anspruch erheben. Weil aber die Kirche eine historische Wirklichkeit ist, nicht ein mythologisches Konstrukt, muss historisch nachweisbar sein, dass die Hierarchie sich für die Autorität, die sie beansprucht, auch wirklich auf einen Auftrag und Bevollmächtigung Jesu berufen kann. Nur dann sollen wir auf sie hören. Auch nur dann kann der Gehorsam der Ausdruck einer freien Zuwendung zu Gott und zu Jesus sein, und nicht Unterworfenheit oder Angst vor Sanktionen. Aber für das Papsttum ist die Nachweisbarkeit eines solchen Mandates und daher die Verlässlichkeit seiner Ansprüche auf Vollmacht seinerseits und Gehorsam unsererseits nicht gegeben. Dadurch hängen alle vatikanischen Machtsansprüche im luftleeren Raum. Das möge deutlich werden aus dem, was folgt,

Papsttum und Petrusdienst


Mit Papsttum meine ich weiter die historisch gewachsene absolute Machtsstellung der Bischofs von Rom innerhalb der römisch-katholischen Kirche mit Recht auf Gehorsam und mit Ansprüchen auf denselben Gehorsam in der ganzen Christenheit, aber vom nicht römischen Teil mit Recht zurückgewiesen. Dieses Papsttum ist etwas ganz anderes als das so genannte Petrusamt, d.h. die Rolle, die Petrus in den vier Evangelien als primus inter pares, als erster unter Gleichen, innehat. Notiert das Wort “Gleiche”. Für das Petrusamtkommen hauptsächlich zwei Texte in Betracht, die beide Jesus in den Mund gelegt werden. Der erste ist Matthäus 16:18: “Du bist Petrus (d.h. Stein oder Fels) und auf diesem Stein (oder Felsen) werde ich meine Kirche bauen.” Der zweite wird ebenfalls zu Petrus gesagt, steht im 21. Kapitel des 4. Evangeliums und lautet: “Weide meine Lämmer, weide meine Schafe”. Die zwei Texte gelten als das unanfechtbare Fundament der päpstlichen Autorität und schmücken in Mosaikbuchstaben von fast 2 Meter hoch den inneren Kuppelumgang im Petersdom.

Erst zwei Bemerkungen zum Matthäustext. Erstens, im Felsenwort las man in den ersten Jahrhunderten überhaupt keinen Bezug auf eine Leitungsfunktion oder gar auf einen Primat. Und es auf einen einzigen Nachfolger des Petrus zu beziehen war schon deshalb unmöglich, weil in der Kirche im Westen die Führung einer Gemeinde durch einen einzigen episkopos (aus diesem Wort ist das deutsche Wort Bischof entstanden) sich erst im 2. Jahrhundert durchsetzte. Zweitens: in der altkirchlichen Deutung dieses Textes ist der Fels in der Regel der Glaube und das Bekenntnis des Petrus, nur selten ist damit seine Person gemeint. Bei diesen zwei Bibeltexten – eigentlich bei allen Bibeltexten – soll man überdies vor Augen halten, dass sie keine aus dem Himmel herabgekommenen, von Gott-in-der-Höhe verbürgten Wahrheiten enthalten. Sie sind Zeugnisse einer Auffassung, die innerhalb der Urkirche lebte. Zusammen mit mehreren anderen Texten, in denen Petrus auftritt, zeigen sie, dass man schon im 1. Jahrhundert annahm, dass Jesus für die Zeit nach seinem Tod Petrus eine verantwortliche Stellung innerhalb der Gruppe seiner Anhänger anerkannt hatte, die Stellung eines primus inter pares, eines ersten unter Gleichen, einen Primat also. Dieser Primat ist im Evangelium keine Form der Macht. Petrus hatte übrigens auch keine Macht. Wie es sich aus der Apostelgeschichte ergibt, hatte Jakobus, der Bruder Jesu (in der katholischen Tradition ein Cousin Jesu) in der Urkirche in Jerusalem wenigstens ebenso viel zu sagen wie er. Der Primat ist keine Form der Macht, sondern vielmehr eine Form des Dienstes, gemäß dem Jesuswort in Lukas 22: 26: “Der Führende unter euch muss sein, wie einer der dient.” Darum spricht man auch von Petrusdienst. Das Bild des Weidens bei Johannes lehrt, worin dieser Dienst besteht. Weiden ist zur Weide führen und dort schützen. Ebenfalls die Herde zusammenhalten, gemäß dem Schriftwort, das Jesus kurz vor seiner Gefangennahme anführt: “Ich werde den Hirten töten und die Schafe werden auseinander laufen.”, d.h.: das Fehlen eines Hirten hat Zersplitterung zur Folge. Der Petrusdienst besteht daher sowohl in der Sorge für das Wohlsein der Herde als für ihre Einheit.

Aber was mit der Nachfolge im Petrusdienst? Für die Gruppe seiner Anhänger dachte Jesus nicht an eine lange Geschichte und daher auch wohl nicht an einen (geschweige an mehrere) Nachfolger. Er war überzeugt, dass das Reich Gottes bald kommen würde. Auch Paulus und die Urkirche dachten 25 Jahre später noch stets so. Aber da das erhoffte Ende ausblieb und die Zahl der Ortskirchen wuchs und wuchs, wurde das Bedürfnis nach Einheit in dieser Vielfalt stets deutlicher und daher auch die Notwendigkeit eines Dienstes, der diese Einheit garantieren sollte. Man brauchte also einen neuen Petrus, der in der Gesamtkirche das sein sollte, was Petrus im Kreis der 12 war. Dieser Dienst hat man dann mit Recht auf den präsumierten Willen Jesu zurückgeführt. Denn dieser wollte bestimmt die Einheit seiner Jünger. Diese Auffassung hat sich niedergeschlagen in den zwei genannten Texten, die beziehungsweise aus ca. 80 und ca. 100 stammen. Die Nachfolge im Primat kann sich daher nicht auf eine Verfügung Jesu berufen. Jesus kann kaum daran gedacht haben. Sie war die Frucht einer gesunden gläubigen Einsicht. Aus den angeführten Worten aus Matthäus und Lukas darf der Papst dann auch keine Bevollmächtigung ablesen, die über Petrus von Jesus selber zu ihm gekommen wäre. Insoweit ist die große Inschrift in der Kuppel des Petersdomes irreführend.

Dazu kommt noch dass Petrus nie Bischof von Rom gewesen ist. Nach der Tradition sollte er das von 42 bis 67 gewesen sein, aber mit dieser Tradition steht im Widerspruch, dass Paulus in seinem Brief an die Römer aus circa 55 in seinen vielen Grüßen am Ende seines Briefes weder Petrus noch einen Bischof nennt. Außer Zweifel aber ist, dass Petrus die letzte Zeit seines Lebens in Rom verbracht hat, sonst wäre er dort nicht hingerichtet und beerdigt worden. In jenen letzten Jahren wird er dann in der römischen Gemeinde auch wohl eine führende Rolle gespielt haben. In diesem Sinne kann man den heutigen Bischof von Rom mit viel gutem Willen als den Nachfolger Petri betrachten. Aber dann doch nur in seiner Funktion als Führer der römischen Ortskirche und darum noch nicht als Nachfolger im Petrusdienst in der Gesamtheit der Kirchen, also im großen Ganzen der Catholica.

Dass dieser Petrusdienst im Laufe der Zeit dem Bischof von Rom zugefallen ist, hat rein historische und daher zufällige Ursachen. Die Kirche in Rom verfügte nämlich aus mehreren Gründen über ein besonderes Ansehen in derCatholica. Erstens weil Petrus und Paulus dort beerdigt lagen. Ein Apostelgrab gab einer Ortskirche Prestige in Glaubensfragen. Sie war dann nämlich eine apostolische Kirche, das heißt: sie war verwurzelt in der Tradition eines Apostels, der seine Glaubenslehre unmittelbar von Jesus hatte. Sie war daher ohne Zweifel rechtgläubig, sogar Maßstab der Rechtgläubigkeit: man konnte sich auf ihre Tradition verlassen. Rom konnte sogar auf die Gräber von zwei Aposteln rühmen, und diese zwei waren dann noch die zwei meist renommierten. Der zweite Grund lag darin, dass Rom der Regierungssitz des immensen und autokratisch geführten römischen Imperiums war. Christen von anderswo, die etwas mit der zentralen Verwaltung zu regeln hatten, fanden während ihrem Aufenthalt gastfreie Unterkunft in der römischen Gemeinde. Auch überragte die römische Kirche in Größe alle andere. Man schätzt die Zahl ihrer Gläubigen im 3. Jahrhundert auf mehr als 10.000. Durch das alles nahm sie unter den vielen Kirchengemeinden bald eine Vorrangstellung ein. Schon im 2. Jahrhundert bezeugen Texte diese Vorrangstellung und Wichtigkeit der römischen Gemeinde.

Wie in den anderen Ortskirchen, war auch in Rom gegen Anfang des 2. Jahrhunderts die Führung einem einzigenepi-skopos, wörtlich Auf-seher, anvertraut worden. Vorher war die Führung nach jüdischer Tradition in allen Kirchen vielmehr kollektiv gewesen. Zuständig war ein Kollegium von so genannten Ältesten oder presbyteroi, oder von mehreren Aufsehern oder episkopoi. Das Prestige der römischen Kirche in der Catholica gab ihrem Bischof automatisch ein besonderes Ansehen, und dadurch auch das Recht sich zu Wort zu melden, wenn in anderen Ortskichen über Disziplinarmaßnahmen oder Glaubensfragen gestritten wurde. Daraus entwickelte sich allmählich die Vorstellung, dass der Nachfolger Petri als episkopos von Rom auch seinen Primat innerhalb der Catholica geerbt hatte und rechtens auch sein Nachfolger im Petrusdienst war.

Ab 313 genoss das Christentum die Gunst des Kaisers und diese Gunst kam naturgemäß an erster Stelle der Ortskirche in der Hauptstadt und darin ihrem Bischof zugute. Welche Folgen das hatte, lesen wir bei Ammianus Marcellinus, dem heidnischen Historiker aus dem 4. Jahrhundert: “Die Würde von Bischof von Rom, schreibt er, sicherte dem Mann, der dieses Amt innehatte, ein Leben in Reichtum und Ansehen.” Und er schreibt das um zu erklären, was sich 366 im Wahlkampf zwischen den Diakonen Dámasus und Ursínus ereignet hatte, die beide die Nachfolge des verstorbenen Bischofs Liberius anstrebten und ihren Wahlkampf nicht nur mit Worten austrugen. In der Basilica Liberiana, die später Platz machen würde für die Santa Maria Maggiore, lagen nach den Kämpfen zwischen den Anhängern der zwei Kandidaten circa 100 Tote.

Im Jahre 325 verlegte Kaiser Constantin der Große den Regierungssitz von Rom nach Byzantium, das er zum herrlichen Konstantinopel hatte ausbauen lassen. Als dann ab 400 der weströmische Teil des Reiches unter dem Ansturm der Germanen zusammenbrach und die Stadt Rom selber 410 von den Visigothen und 455 von den Vandalen geplündert wurde, musste der Bischof von Rom notgedrungen das entstandene Machtsvakuum ausfüllen und als Stellvertreter des Kaisers auftreten. Das vermehrte noch seine Macht. Und er ließ sich das gefallen. So eignete er sich den Titel von Summus Pontifex an, den man überall in Rom in den Inschriften findet, meistens abgekürzt zu S.P. Diesen Titel hatte Jahrhunderte lang im heidnischen Rom das Haupt der heidnischen Priesterkollegien getragen und die ebenfalls heidnischen Kaiser hatten sich diese Funktion und Titel angeeignet. Vom Kaisertum übernahm der Papst auch das Hofprotokoll, zu dem u.a. der Fußkuss gehörte. Zur Zeit Luthers wird Lukas Cranach ein kleines Diptychon schneiden, auf der in der linken Hälfte Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht, und auf der rechten Hälfte der Papst sich die Füße küssen lässt. Ohne Kommentar. Der Fußkuss blieb noch bis im frühen 19. Jahrhundert protokollarischer Brauch. Auch jetzt noch kniet man vor dem Papst nieder und küsst man zwar nicht mehr seine Füße, aber doch noch seinen Ring.

Mit Hilfe seiner Verwaltung, die ihm dafür gelegentlich auch gefälschte Dokumente lieferte, breitete der Bischof von Rom die Macht und die Rechte des römischen Bischofsitzes stets weiter aus. Im 8. Jahrhundert diente ihm dazu die so genannte Donatio Constantini, die Schenkung Constantins, von der erst im 15. Jahrhundert ans Licht kommen würde, dass es um eine Fälschung ging. Aber dann hatte diese Schenkung inzwischen schon längst ihre Früchte gebracht, nämlich die rechtliche Anerkennung des Kirchenstaates. Nach dem Wortlaut dieser Fälschung sollte nämlich Kaiser Constantin bei seiner Übersiedlung nach Konstantinopel dem Bischof von Rom die Herrschaft über Italien geschenkt haben. Mit diesem Dokument wurde die Rechtmäßigkeit der päpstlichen Ansprüche auf jene Gebiete in Süd- und Mittelitalien bewiesen, die bis zum 8. Jahrhundert durch Schenkungen oder auf andere Weise in den Besitz der römischen Kirche gelangt waren.

Im 9. Jahrhundert sah eine andere wichtige Fälschung das Licht, die so genannten Pseudo-isidorische Dekretalen. Dieses Dokument hatte zwar einen lobenswerten Zweck, nämlich die Einmischung des deutschen Kaisers in die Kirche zurückzudrängen, u.a. in Sachen Anstellung von Bischöfen und Äbten. Aber gute Zwecke heiligen unethische Mittel nicht. Zur Entlastung der Päpste sei hinzugefügt, dass sie selber lange nicht gewusst haben, dass es um Fälschungen ging. Im 11. Jahrhundert legte dann Gregor VII definitiv mit seinem Dictatus Papae, dem päpstlichen Diktat, das Fundament des Papsttums als absolute Monarchie. Dieses Dokument erkannte dem Papst innerkirchlich das unbeschränkte Gesetzgebungs- und Verwaltungs- und Gerichtsbefugnis an, und zwar in so absoluter Fülle, dass man sich bei keiner anderen Instanz, nicht einmal bei einem Konzil, gegen eine päpstliche Entscheidung berufen konnte; und außerkirchlich, politisch also, die Macht Fürsten und sogar den Kaiser abzusetzen. Im Anfang des 13. Jahrhunderts schließlich krönte Innozenz III durch seine strategischen Einmischungen in die Politik der europäischen Fürsten dieses Werk des Aufbaus der päpstlichen Macht. Man sollte in diesem Zusammenhang mal das Leben des Kaisers Friedrich II von Hohenstaufen lesen. Erbauliche Lektüre ist das nicht, wohl aber sehr instruktive, wenn man lernen will, was das Papsttum sich im 13. Jahrhundert als Machtsinstitution erlaubte. Inzwischen hatten die Päpste sich auch den Titel Vicarius Christi, Stellvertreter Christi, angemessen, was der Papst nicht ist, denn Jesus Christus braucht keinen Stellvertreter: er ist selber voll aktiv in seiner Kirche da. Seitdem auch ist alles heilig was mit der Person des Papstes zusammenhängt, heißt er heiliger Vater, oder seine Heiligkeit, und ist sein Stuhl ein heiliger Stuhl.

In Gleichnis der Talente in Matthäus und Lukas wird ein Prinzip formuliert, das in der Wirtschafts- und Finanzwelt leider nur allzu sehr gilt: “Wer viel hat, soll noch mehr bekommen.”, oder: die Reichen werden automatisch noch reicher. Das gilt auch für die Macht der Päpste. Indem sie Macht hatten, erwarben sie mehr Macht. Das ist ein sehr normaler Prozess. Wer mit einem Machthaber auf gutem Fuß stehen will, wird ab und zu auf sein Recht verzichten müssen und den ungerechten Forderungen des Machthabers nachgeben. Denn wer nicht nachgibt, bezahlt die Zeche. Auch in der Kirche. Er wird verfolgt und mit dem Kirchenbann belegt. Dieses Schicksal hat die Orthodoxen getroffen in 11. Jahrhundert, die Katharen im 12., die Waldenser im 13., die Lollarden im 14., die Hussiten im 15., Luther, Calvin, Zwingli, Jakob Hutter und die ganze Reformation im 16.

Auf die Reformation reagierte Rom mit dem Konzil von Trient und mit einer Gegenreformation. Diese kennzeichnete sich durch Zentralisierung und Dirigismus im Dienst dessen, was Einheit genannt wurde aber in Wirklichkeit Uniformität war. Dieser Dirigismus stützte sich auf die nachdrücklich betonte Lehrautorität oder magisterium der Hierarchie und besonders des Papstes. Vor dem Konzil von Trient kam das Wort magisterium in den römischen Dokumenten kaum vor. Nach dem Konzil taucht es dort unaufhörlich auf. Diese stets nachdrücklichere Betonung der Lehrautorität des Papstes, führte 1870 im 1. Vatikanischen Konzil zum Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit, angenommen von der Mehrheit einer Versammlung von Bischöfen, die aus 40 Prozent Italiener bestand, in der Regel theologisch kleine Lichter und fast alle zum Bischofsamt erhoben vom selben Pius IX, dem sie die Unfehlbarkeit zuerkannten. Ungerecht erworbene Macht, so lehrt die Geschichte, wird auf die Dauer angenommen und gilt schließlich als Recht. Aber was mit dem Evangelium im Widerspruch steht, wird auch nach 1000 Jahren noch nicht evangelisch und bleibt verwerflich. Man kann sich daran unterwerfen (oft hat man keine andere Wahl) aber innerlich darf man das Unrecht nie gutheißen.

Auf diesem Weg ist das, was als Petrusdienst angefangen hat, geendet als Papsttum, d.h. als absolute Monarchie. Canon 331 im Codex des Kirchenrechtes, vom Papst unterschrieben und approbiert, erkennt dem Papst innerhalb der Kirche alle Macht an, genau wie im Dictatus Papae von Gregor VII: die gesetzgebende, die vollziehende und die richterliche, und ohne dass Berufung gegen eine Entscheidung des Papstes möglich ist. Die Trennung dieser drei Gewalten kennzeichnet die Demokratie, ihre Einheit das Ancien Régime und die Diktaturen. Aber kein einziger Diktator maßt sich auch noch die Macht über die Gewissen an. Das tut nur der Papst.

Für die Ausübung seiner geduldig aufgebauten Macht verfügt er über Ministerien, die zusammen die so genannte Curia bilden, über Funktionäre und Beamte, über diplomatische Dienste, über einen Ministaat und eine folkloristische Leibwache und besonders über das dazu notwendige Kapital in der Form von Aktien in Banken und Betrieben. Petrus würde sich die Augen ausreiben, wenn er zurückkehren würde und sehen was aus seinem bescheidenen Dienst alsprimus inter pares, als erster unter Gleichen, geworden ist. Von dieser Gleichheit ist keine Spur mehr zu merken. Die zu absoluten Herrschern allmählich umgewandelten Päpste blieben sich dennoch all jene Jahrhunderte lang problemlos “Diener der Diener Gottes” nennen. Selbst wenn einige unter ihnen das ehrlich meinten, konnte man es doch auf keinen Fall aus ihrem Benehmen ablesen. In diesem Sinn galt auch für sie das Wort Jesu in Matthäus (23:2-3) über die Schriftgelehrten, die auf den Lehrstuhl Moses saßen, der ebenfalls ein heiliger Stuhl war: “Richtet euch nicht nach ihrem Verhalten, denn sie selber tun gar nicht was sie lehren.”

Lindernde Umstände


Es ist außer Frage, dass der Petrusdienst in der Kirche des Jahres 2000, mit ihrer Milliarde Mitglieder, überall in der Welt verbreitet und kulturell äußerst vielfältig, kein Klon sein kann des Petrusdienstes vom Jahr 100. Das ändert dennoch nichts an der Tatsache, dass das Papsttum etwas ganz anderes geworden ist als der ursprüngliche Primat, der Petrusdienst., den auch die Orthodoxen, Anglikaner, Evangelischen, Calvinisten und Altkatholiken annehmen könnten, weil man sich dafür wohl auf das Evangelium berufen kann. Für das Papsttum, wie es geworden ist, kann man das nicht. Aber dann ist es auch keine Frucht des Wirkens des Geistes Gottes in der Kirche, sondern die Frucht vieles allzu Menschlichen. Es hätte anders sein müssen. Und es hätte anders gekonnt, viel mehr in den Fußstapfen des Evangeliums. Die Keime dafür lagen in der Kirche und ab und zu gingen sie mächtig auf in der Gestalt von Erneuerungsbewegungen wie die von Franz von Assisi. In diesen Bewegungen zeigte sich der Schimmer einer anderen Kirche, einer armen und dienenden Kirche.

Es hätte anders gekonnt, sagte ich. Natürlich hätte es anders gekonnt: alles hat immer anders gekonnt, wenigstens theoretisch. Denn wir sind nicht vorprogrammiert, wir können in gewissem Umfang frei entscheiden. Aber faktisch hat es vielleicht nicht anders gekonnt, weil Menschen nun einmal nur Menschen sind. Die Entwicklung des Papsttums hat menschliche Ursachen. Zum einen folgt sie aus dem vormodernen Denken. Darin steigt alle Macht aus einer übernatürlichen Welt herab, erreicht in Jesus die Welt und fließt via Petrus zu seinen Nachfolgern. Beim Papst ist die Machtskonzentration daher in Fülle da und sie strömt von ihm zu den Bischöfen hinab und von diesen zu den Priestern. Nicht weiter. Eine solche Auffassung führt natürlich zu einer klerikalen Kirche, in der die Laien lauter Objekte der Verwaltung und der Seelsorge sind. Das zweite Element, das eine wichtige Rolle gespielt hat, ist die Gunst der römischen Kaiser gewesen, die der Kirche Macht und Einkommen versicherte. Die Ausübung dieser Macht forderte einen Verwaltungsapparat und das Einkommen machte, dass die Päpste sich diesen Verwaltungsapparat leisten konnten. Und dadurch wuchs und wuchs dieser Verwaltungsapparat zum Ungetüm, das jetzt die päpstliche Curie ist und in der absoluten Macht des autokratischen Papstes teilt. Man kennt den Spruch des tiefgläubigen englischen Lord Acton, der als aufmerksamer Korrespondent beim dem Konzil der päpstlichen Unfehlbarkeit, dem 1. Vatikanischen Konzil, dabei war: Power corrupts, absolute power corrupts absolutely: Macht verdirbt, absolute Macht verdirbt absolut.

Man kann die Vergangenheit bedauern, man darf sie nicht verurteilen. Oft waren gute Absichten am Werk. Und wären wir geboren und erzogen worden in der Vorstellungswelt und Kultur von damals, hätten wir vielleicht genau dasselbe gut geachtet und getan, sogar vielleicht noch Schlimmeres. Aber mit dem Evangelium in der Hand sehen wir hinterher nur allzu deutlich, dass die Entwicklung ein Fehlgriff gewesen ist mit sehr schädlichen Folgen für die Kirche Gottes. Das Papsttum, nicht der Petrusdienst, ist Ursache gewesen der vielen Spaltungen, die die eine Catholica in eine Vielfalt mit einander streitender oder konkurrierender Gruppen auseinander gerissen haben, mit unchristlicher Intoleranz und blutigen Religionskriegen als Folge. Was ein kreatives Symbol der Einheit sein sollte, ist Ursache von Zwiespalt geworden und macht auch heute noch die Ökumene unmöglich. Denn weder Protestanten noch Orthodoxen werden sich je einer Macht unterwerfen, die sich nicht auf das Evangelium berufen kann, die daher Menschenwerk ist. Luther nannte sie sogar das Werk des Antichristen. Dagegen können jene anderen Christen es nicht schwierig haben mit einem Petrusdienst, wie dieser im Evangelium erscheint.

Ein zweiter schwerer Schaden hat sich ganz besonders im letzten Jahrhundert offenbart: dass Theologen und Initiative, welche die Kirche bereit machen wollen für die Begegnung mit der Modernität und daher mit der Zukunft, und dazu notwendigerweise einige Schritte weit aus dem römischen Kreidekreis treten, zensuriert oder mundtot gemacht werden: Loisy, Tyrell, Teilhard de Chardin, Schillebeeckx, Dupuis, Küng, de Mello, Haight, Boff, Guttierez, Drewermann, um nur einige zu nennen, und daneben die Befreiungstheologie, die Arbeiter-Priester, Wir sind Kircheund noch manche mehr. Das kommt der Kirche bestimmt nicht zugute.

Die absolute Monarchie des Papstes hat noch andere Folgen, die für Unmut sorgen. Zum Beispiel dass die Außenwelt die persönlichen Meinungen eines einzigen Mannes für die Glaubensüberzeugung und Ansichten der ganzen katholischen Kirche hält. Dadurch erscheint diese oft als das Gegenteil dessen, was sie sein soll und sein will: der Anfang einer besseren Menschheit. Eine weitere sauere Frucht dieses Absolutismus ist die vatikanische Politik der Bischofernennungen. Unsere Bischöfe schreiben zwar in ihrem gemeinsamen Brief nach dem Fall Wagner, dass es “außer Frage ist dass der Papst frei die Bischöfe ernennen kann”. Aber dann gilt das Wort vom primus inter pares, vom ersten unter Gleichen, nicht mehr. Unsere Bischöfe wiederholen damit aber kritiklos die Lehre des 1. Vatikanischen Konzils, dass der Papst über den Bischöfen steht, aber das widerspricht der ursprünglichen und Jahrhunderte lang gepflegten Tradition, dass die Ortskirche ihren Bischof wählt. Diese vatikanische Ernennungspolitik ist reine Machtsausübung, weit weg vom wahren Petrusdienst, und ist unrechtmäßig, denn sie verkennt das urkirchliche Recht der Ortskirchen ihn eigenen Vorgänger im Glauben zu wählen. Das hat als Folge, dass Rom gelegentlich Bischöfe einsetzt, die von einem großen Teil der Ortskirche abgewiesen werden. Ihr kennt selber Beispiele genug. Wenn diese Ernennungen dann auf stets mehr und stets lautere Proteste stoßen, sieht Rom sich am Ende gezwungen seine fehlerhafte Entscheidung wieder rückgängig zu machen, aber ohne je ehrlich zu erkennen, dass sie ein Fehler war. Von einer Instanz die sich unfehlbar achtet, ist das natürlich zuviel gefordert. Die Beförderung des katastrophalen Bischofs Haas von Chur zum Erzbischof des plötzlich dazu zum Erzbistum erhobenen Dekanats Liechtenstein schlägt wohl in Sachen Ernennungspolitik dem Fass den Boden aus.

Es kommt noch hinzu, dass diese Machtsansprüche jetzt für die römisch-katholische Kirche lebensbedrohlich sind. Sich berufend auf den präsumierten Willen Jesu Christi, bindet die Führung in Rom, die sich auf die tridentinische Vergangenheit eingeschworen hat, den Dienst des Gemeindevorstandes zwingend an das Zölibat und an das Ypsilonchromosom. Und trotz der zahllosen Stimmen die um Änderung rufen, hält sie diese Bindung aufrecht. Lebensbedrohend ist diese Bindung dadurch geworden, dass sie eine der Ursachen des Mangels an Gemeindeleitern ist. Dadurch beschleunigt sie noch den schon schnellen Abwärtsgang der Kirche in der westlichen Welt. Und dabei vergisst man meistens noch, dass dieser Mangel mit all seinem schlimmen Folgen in Lateinamerika noch deutlich größer ist als bei uns.

Das Papsttum, Segen oder Fluch?


Hat diese Entwicklung vom Petrusdienst zum Papsttum dann keine guten Seiten gehabt? Freilich hat sie auch solche gehabt. Trotz all ihren unevangelischen Folgen hat die Gunst der römischen Kaiser eine Verbreitung und Entwicklung ermöglicht, die sonst kaum denkbar gewesen wären. Und wir selber sind doch von dieser päpstlichen Mutterkirche gesäugt worden und alles beisammen genommen ist ihre Milch uns nicht so übel bekommen. Wir dürfen nicht sein, was die Renaissance in ihrer Haltung dem Mittelalter gegenüber gewesen ist: ein gut genährtes Baby, das seine Amme schlägt. Auch hat die Macht des Papsttums der römisch-katholischen Kirche eine Stimme gegeben, mit der sie in der chaotischen Welt von heute eine evangelische Botschaft hören lassen kann. Denn auch trotz der Fehler der letzten Zeit verfügen die Päpste nach außen über ein großes Prestige und können sie dadurch in der politischen und wirtschaftlichen Welt einen positiven, vom Evangelium inspirierten Einfluss ausüben zum Wohl der Menschheit.

Dennoch ist und bleibt diese Entwicklung vom Petrusdienst zum Papsttum eine Fehlentwicklung. Kann man gegen das Ergebnis etwas unternehmen? Leider nicht viel. Das findet auch das Wochenblatt Profil, das am 23. Februar für seine Übersicht der Ereignisse in Oberösterreich als Titel gewählt hat: Davids gegen Goliath. Auf jeden Fall können und sollen wir selber erst unsere eigene Haltung dem Papsttum gegenüber revidieren, indem wir im Papst nur noch den Mann des Petrusdienstes erkennen. Denn nur in so weit ist er notwendig und kann er Autorität beanspruchen. Und wir sollen nein sagen zu allem, was mit diesem bescheidenen Petrusdienst nicht stimmt. Also weigern mitzumachen mit Redeweisen wie “seine Heiligkeit” oder “der Heilige Vater”. Er ist nicht heiliger als jeder andere Gläubige, dem Gottes Geist innewohnt und es gibt nur einen heiligen Vater, jener, zu dem Jesus betet am Schluss der Rede nach dem Letzten Abendmahl. Und wir sollen aufhören uns zu interessieren für Enzykliken, Konklaven, Konsistorien, Ernennungen von Kardinälen und Nuntien, Heiligsprechungen, päpstliche Ansprachen, Weihnachts- und Osterbotschaften, Segen Urbi et Orbi, päpstliche Reisen, päpstliche Biographien, Unfälle, Krankheiten, Urlaubsorte, Wallfahrten, Auftritte im Fernsehen. Die Briefe und Bücher eines intelligenten Papstes können reich und wertvoll sein, aber dass der Autor auf dem vatikanischen Hügel wohnt, gibt seinen Gedanken und Schriften noch keinen Mehrwert. Sonst würde das auch gelten für reaktionäre und retrograde Dokumente, wie die eines Pius IX. Oder fürHumanae vitae. Dass der Petrusdienst Josef Ratzinger zugefallen ist, fordert von uns nicht dass wir unbedingt alles loben und preisen, was er sagt und schreibt. Oder was ihm von seinen Ghostwritern geliefert wird. Obwohl man erkennen muss, dass was er sagt und schreibt oder unterzeichnet, oft die Mühe lohnt. Oft auch nicht.

Innerhalb der Kirche hört man auffällig wenig Kritik an dem Papst und dem Papsttum. Zwar kritisiert man öfters den Reichtum des Vatikans und die Kosten der päpstlichen Reisen. Aber kaum ihre Wurzel, die Macht, die das Papsttum geduldig aufgebaut hat. Dieses Schweigen der Lämmer kann viele Ursachen haben. Bei einigen Vorsicht, um ihren kirchlichen Job, der ihr Broterwerb ist, nicht zu gefährden; bei anderen eine Art von blinder Loyalität, die macht dass sie alles gutheißen, was die Führung sagt; bei wieder anderen, dass man nicht länger zum kirchlichen Establishment gehören kann – das gilt besonders für kirchliche Würdenträger – wenn man öffentlich sagt, was man heimlich denkt, verbunden mit der Meinung, dass man der guten Sache weniger gut dienen kann, wenn man auf einen Abstellgleis geschickt wird, um Platz zu machen für ein willigeres Subjekt. Bei sehr vielen traditionstreuen Gläubigen ist die Ursache vielmehr die falsche Idee, dass der Papst der Stellvertreter Gottes ist und als solcher bestimmt besser wissen wird als wir, was man in Sachen Glauben zu halten und zu tun hat. Bei einer letzten und großen Gruppe handelt es sich es um einen ungesunden und kräftig von den Medien geförderten Personenkult, geboren aus innerer Unsicherheit und dem Bedürfnis nach einem starken Führer in diesen verwirrenden Zeiten. Diese fast hysterische Papstverehrung stammt nicht von gestern. Es gab sie schon im 19. Jahrhundert. Ca. 1860 nahmen junge Männer aus Westeuropa scharenweise Dienst in der kleinen päpstlichen Armee, um den Kirchenstaat notfalls mit ihrem Leben gegen Garibaldi und seine revolutionären Truppen zu verteidigen. Und Lord Acton macht Meldung von einem Bischof der im 1. Vatikanischen Konzil betonte, dass es 3 Bethlehem gibt: die Krippe, den Tabernakel und den Vatikan, und dass es drei Quellen der Wahrheit gibt: Gott, Jesus Christus und den Papst. Eine solche Verehrung hat kaum noch etwas mit Jesus zu tun. Und bestimmt hat sie nichts zu tun mit Petrus. Denn für diesen interessieren sich jene Papstverehrer nicht. Warum dann wohl für seinen 266. Nachfolger? Der Papstkult ist Menschenkult, Paulus würde reden vom “Fleisch”, also von Menschenwerk, und würde aufrufen sich vielmehr führen zu lassen vom Geist. Wenigstens in psychologischer Hinsicht gibt es kaum Unterschied zwischen dem stürmischen Benedettojubel in Köln beim Weltjugendtag 2005 und dem ebenso stürmischen Jubel beim Auftritt von Sporthelden oder Popsängern. Es scheint mir eine christliche Pflicht zu sein sich gegen diese unchristliche Papstverehrung zu wehr zu stellen.

Das Bewusstsein dass das Papsttum eine Entartung des Petrusdienstes ist, scheint mit eine Frucht des Wirkens des Geistes Jesu in unserer Kirche zu sein. Auch die Beseitigung dieses Übels sollen wir von diesem Geist erwarten. Bei der längst hinfälligen Rückkehr des Papsttums zum Petrusdienst wird die Modernität zum Glück kräftig helfen. Sie ist es doch, die die Einheit von Kirche und Staat beendet hat, welche mit Kaiser Constantin angefangen hat und die Hauptursache der falschen Entwicklung gewesen ist. Aber vor allem wird sie die Augen dafür öffnen, dass die Macht, die das Papsttum für sich beansprucht, in Wirklichkeit Windhauch ist. Denn diese Macht setzt die Existenz einer übernatürlichen Welt voraus, die für den Menschen der Modernität leeres Gerede ist. Diese allmächtige übernatürliche Welt sollte in der Gestalt des Gottmenschen Jesus in unsere historische Welt abgestiegen sein und dieser Gottmensch soll seine Macht dem Petrus weitergegeben haben und Petrus seinerseits seinen Nachfolgern. Diese Weitergabe ist nicht nur, wie schon gesagt, historisch nicht nachweisbar, sondern kein einziger Papst hat je seinem Nachfolger durch Anstellung oder Handauflegung seine Befugnisse übertragen können. Verstorbene können das nämlich nicht mehr. Wenn der Papst daher denkt, aus jener anderen Welt mit Macht und Unfehlbarkeit bekleidet zu sein, gilt von ihm dasselbe wie vom Kaiser im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“: er schreitet feierlich umher mit Mitra und Hirtenstab, aber in seinem Hemd; nur merkt er es nicht, weil seine Umgebung ihm schmeichelt und Hunderttausende nachdrücklich seine Macht aus der Höhe bejahen und ihm applaudieren und ihn verehren.

Vier kurze Bemerkungen zum Abschluss:

Als erste: in einer demokratischen Kirche wird der Papst jene Befugnisse haben, die aus dem Petrusdienst folgen, und nur diese. Seinen Auftrag wird er auch nicht aus der imaginären Höhe bekommen, durch eine ebenso imaginäre Weitergabe seit Petrus, sondern von unten, aus der Kirche als lebende Gemeinschaft, aus der Basis also, die sich um die Einheit der Kirche kümmert.

Als zweite: im Licht des Petrusdienstes können wir die Bemühungen des heutigen Papstes, die Handvoll Anhänger von Lefebvre in die Kirche zurückzuholen, bejahen. Selbstverständlich nicht die Ideen dieser Anhänger und schon gar nicht ihren Antijudaismus. Aber warum strebt der Papst nicht ebenso eifrig auch die Wiedervereinigung mit der soviel größeren und der Kirche ganz nahe stehenden Gruppe der Altkatholiken an? Vielleicht weil diese die päpstliche Unfehlbarkeit und den Pflichtzölibat ablehnen? Offensichtlich wiegt das schwerer als das, was die Lefebvrianer tun, nämlich „nur“ das 2. Vatikanische Konzil ablehnen. Bedauerlich ist auch, dass der Papst inzwischen viel wichtigere Nöte der Kirche, wie der Priestermangel, zu vergessen scheint, Paul Zulehner schreibt mit Recht: „Für die Kirche in Österreich (und wir können hinzufügen: nicht nur in Österreich) ist schon lange Feuer am Dach. Und was macht der Papst? Er löscht, wo es nicht brennt.“

Als dritte: den Strom von befehlenden oder verbietenden Dokumenten aus seinen Ministerien sollen wir zugleich resolut und respektvoll zurückweisen, resolut, weil der Vatikan sich Macht anmaßt, die er nicht hat, respektvoll, weil man jeden Menschen mit Respekt behandeln soll, daher auch die Leute der Curie. Ich bekenne, dass ich dass selber oft vergesse.

Als vierte: die Rolle des Papstes in der Kirche sollte mehr der Rolle des Bank-i-Moon in der UNO gleichen. Dieser ist kein Herrscher, und man strömt nicht mit Tausenden zusammen, wo er kommt, aber er kann im Namen der UNO sprechen und er kann versuchen die Entscheidungen der UNO zu beeinflussen, so dass sie dem Wohl der Menschheit besser dienen. Der Papst als Inhaber des Petrusdienstes könnte innerhalb des Christentums Ähnliches tun. Die ganze Welt würde ihm dankbar sein.