09.10.2012, Claudia Keller
Der Tagesspiegel bringt am 8. Oktober 2012 anlässlich des 50. Jahrestages der Eröffnung des Konziuls ein Interview mit dem Konzilsberater Hans Küng. Die Fragen stellte Claudia Keller.Vor 50 Jahren begann in Rom das Zweite Vatikanische Konzil. Zum Feiern besteht aber kein Anlass, sagt der Theologe Hans Küng. Im Interview spricht er über den Zustand der katholischen Kirche, Papst Benedikt - und den Islam.
Am 11. Oktober feiert die katholische Kirche den Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren. Feiern Sie mit?
Küng: Zum Feiern besteht meiner Ansicht nach kein Anlass, eher zu einem Bußgottesdienst oder einer Trauerandacht. Überall auf der Welt empfinden viele Katholiken eine tiefe Trauer über die Entwicklung unserer Kirche und nicht wenige haben deshalb der Kirche den Rücken gekehrt. Die Restaurationspäpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben das Konzil rückwärts interpretiert.
Das Konzil hat beschlossen, die Kirche habe die Pflicht, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums neu zu deuten“. Tut sie das?
Küng: Das hat die Kirche weithin vergessen, sie schaut weder auf das Evangelium noch auf die Sorgen und Hoffnungen der Menschen. In Rom sind sie wieder viel mehr an der Tradition interessiert, beleben die alte Messe und den päpstlichen Absolutismus. Man nutzt die Informationen über die Welt nur, um sich selbst bestätigen zu lassen, oder kehrt zur alten Moderne- und Fortschrittsfeindlichkeit zurück. Ich glaube, dass sich der Papst kaum eine Vorstellung macht, wie es jenseits der Fassaden des Vatikan aussieht, dass zum Beispiel die Seelsorge in vielen Weltgegenden zusammenbricht, weil man keine Priester mehr hat. Man verdrängt die Frage nach dem Zölibat und der Frauen-Ordination und ob die Sexualmoral zeitgemäß ist und die Haltung zur Geburtenregelung.
Braucht es ein drittes Konzil?
Küng: Es wäre schön, man würde ein solches Konzil einberufen. Aber die Erneuerung ist ohnehin im Gang. Es gibt immer mehr Initiativen von rebellischen Pfarrern in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Sie machen, was sie für richtig halten, auch wenn es nicht der Lehre der Kirche entspricht. Sie spenden zum Beispiel allen Menschen die Kommunion, die sie haben möchten, zum Beispiel auch Geschiedenen, die neu geheiratet haben.
Haben Sie die Hoffnung, dass daraus eine breite Bewegung werden könnte?
Küng: Die europäischen Katholiken sind zu oft nur blökende Schafe und nicht wirklich verantwortungsvolle, protestierende und agierende Christenmenschen. Aber die Initiativen wirken als Signal. Der Unmut über die gegenwärtige Kirchenleitung ist weit verbreitet in der Welt.
Nicht nur in Europa?
Küng: Die römische Propaganda redet uns ein, dass sich nur die Europäer beschweren. Aber auch in Afrika und Lateinamerika gibt es zu wenig Priester. Und die Priester leben auch dort den Zölibat nicht mehr so, wie es sich die Kirche wünscht.
Der nächste Papst kommt vermutlich aus Afrika oder Lateinamerika. Glauben Sie, dass ein Papst von dort eher bereit ist zu Reformen?
Küng: Die Nationalität ist nicht entscheidend, sondern die Mentalität. Ich kenne Kardinäle aus diesen Ländern, die sind noch konservativer als die Römer. Aber es gibt auch andere. Man hatte ja auch Sorge, was aus den Vereinten Nationen wird, wenn der Generalsekretär nicht mehr aus Europa kommt. Doch gerade der Afrikaner Kofi Annan hat in hohem Maße überzeugend gewirkt.
Wer braucht heute überhaupt noch Religion? Nur die Schwachen?
Küng: Man kann die Fragen nach dem Sinn des Lebens und nach Werten für das Zusammenleben auch ohne Bezug zu Gott beantworten. Aber eine aufgeklärte Religiosität kann viel zur Humanisierung der Gesellschaft beitragen: Sie motiviert durch Leitgestalten, Geschichten und Parabeln Menschen zum Engagement für die Gemeinschaft. Religion vermag das Woher und Wohin des Daseins zu deuten und hilft, mit Krankheit, Ungerechtigkeit und Schuld fertigzuwerden. Religion kann durch überlieferte Erfahrungen und Rituale eine geistige Heimat stiften, woraus sich auch Stärke zum Protest formieren kann, wie sich in der DDR gezeigt hat.
Religion ist nicht per se gut …
Küng: Religion kann zu Hass und Krieg instrumentalisiert werden. Aber viele Friedensstiftungen gingen auf religiöse Menschen zurück. Wir Religiöse brauchen uns nicht zu verstecken. Denken Sie auch an die Ressourcenverschwendung und das Bevölkerungswachstum. Da könnte die Kirche viel verändern. Wenn Papst Wojtyla in den Slums von Nairobi gepredigt hätte, dass man nicht einfach Kinder in die Welt setzen darf, die man nicht ernähren kann, sondern eine vernünftige Geburtenregelung praktizieren muss, hätte das gewaltige Auswirkungen gehabt.
Was der Islam vom Konzil lernen kann
Das Konzil hat die Kirche mit der Moderne versöhnt, sie hat sich zentrale Errungenschaften wie die Religionsfreiheit und die Menschenrechte zu eigen gemacht. Im Islam hat die Auseinandersetzung um die Moderne gerade begonnen. Kann der Islam vom Konzil lernen?
Küng: Der Islam könnte lernen, dass Reformen in einer Religion möglich sind und trotzdem die Kontinuität gewahrt wird.
Warum tut sich der Westen so schwer mit dem Islam?
Küng: Er ist nicht selbstkritisch genug, um zu sehen, was er verursacht hat in der arabischen Welt, etwa durch die Kolonialisierung und die Kriege in Afghanistan, Irak und Libanon. Auch fehlen Informationen über den Islam. Es ist auch viel Überheblichkeit im Spiel. Die Kirche hat Jahrhunderte bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil gebraucht, um die Bibel historisch-kritisch zu lesen. Von den Muslimen wird erwartet, dass sie sich diesen Blick jetzt sofort aneignen.
Macht Ihnen der zunehmend aggressive Atheismus im Westen Sorgen?
Küng: Dass es immer mehr Atheisten gibt, daran hat die Kirche ja ihren Anteil. Statt den Leuten Moralpredigten zu halten, sollte sie positiv für sich werben, den Menschen Angebote machen, ohne sie zu belästigen. Ihnen klarmachen, dass Regeln nichts Negatives sind, im Fußball machen die Regeln das Spiel erst interessant.
Mit Ihrem Projekt „Weltethos“ versuchen Sie das. Auf welches Interesse stoßen Sie damit in der Welt?
Küng: Ich werde sehr viel in arabische Länder eingeladen, auch die Chinesen wollen in Peking ein Weltethos-Institut aufbauen. Humanität, Ehrfurcht vor dem Leben, nicht lügen, nicht stehlen, einander nicht ausbeuten, einander achten und die Sexualität nicht missbrauchen, diesen Imperativen kann sich jeder anschließen, ohne seinen Glauben aufzugeben. Der Buddhist kann Buddhist bleiben, der Marxist weiter Marx lesen.
Sie und Joseph Ratzinger waren beim Konzil vor 50 Jahren die Jüngsten und haben sich gut verstanden. Was ist aus Ihrer Freundschaft geworden?
Küng: Ich habe Ratzinger sogar an die Uni Tübingen als Professor geholt. Doch die Studentenrevolte 1968 hat ihm einen Schock versetzt, und er ging dann andere Wege. Sein Aufstieg in der Hierarchie hat dazu geführt, dass er je höher desto konservativer wurde.
2005 haben Sie noch einmal miteinander gesprochen – auf Einladung des Papstes.
Küng: Ich habe mich gefreut, dass wir vier Stunden lang miteinander reden konnten. Es war eigentlich wie früher. Das war kurz nachdem Ratzinger Papst geworden war. Ich hatte gehofft, er würde wieder auf den Reformkurs des Konzils einschwenken. Das hat sich nicht bewahrheitet.
Hatten Sie seitdem Kontakt zu ihm?
Küng: Wir haben Briefe ausgetauscht, wir respektieren uns gegenseitig.
Wann wird eine Frau Papst?
Küng: Ich wäre schon froh, wenn Frauen in der katholischen Kirche Pfarrer würden.
Das Gespräch führte Claudia Keller.