Zur (Un-)Fehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes und der (Ir-)Reversibilität seiner Aussagen

 

16.12.2013, Heribert Franz Köck

Papst Franziskus hat bereits mehrmals betont, dass seiner Meinung nach die Tür zur Weihe von Frauen „verschlossen“ sei. Auch und gerade weil es nicht klar ist, was der Papst unter „verschlossen“ versteht, die Frage der (Nicht-) Zulassung der Frau zu den Weiheämtern aber in unserer Zeit zweifellos nach innen eine der zentralsten Fragen der kirchlichen Struktur und damit der kirchlichen Funktionsfähigkeit, nach außen aber der Glaubwürdigkeit der Kirche geworden ist, darf das Bemühen um eine befriedigende Lösung des Problems trotz der praktischen Gesprächsverweigerung seitens Roms nicht nachlassen. Die nachstehenden Überlegungen wollen dazu ein Beitrag sein. Zum besseren Verständnis muss weiter ausgeholt und Grundsätzliches in die Betrachtung einbezogen werden.

In der Diskussion über Wesen und Funktion des kirchlichen Lehramtes spielt die Frage, ob es sich bei seinen Aussagen oder doch bestimmten derselben – manchmal auch Dogmen genannt – um „unfehlbare“ Aussagen handelt und ob sie, weil in ihnen eine Wahrheit ein für alle Mal ausgesprochen ist, auch irreversibel sind, also nicht mehr abgeändert werden können, eine wichtige, ja vielleicht eine entscheidende Rolle. Ausgangspunkt der Diskussion ist die Einsicht, dass – „menschlich“ gesehen – diese „unfehlbaren“ Aussagen eine Menge Zeitbedingtes, ja Unhaltbares enthalten, sodass sie längst aufgegeben worden wären, hätte sich das Lehramt mit seinem Anspruch der Unfehlbarkeit nicht in einen Zustand der Selbstfesselung begeben.

Diese besteht darin, dass es selbst „unfehlbare“ und „irreversible“ Aussagen kreiert und damit jeder weitere Diskussion ein für alle Mal abdrehen will. Das hat zur Folge, dass – selbst wenn die Amtsträger, welche diese „unfehlbaren“ und „irreversiblen“ Aussagen gemacht haben, längst abgetreten sind – ihre Nachfolger mit (dem oft glaubhaften) Bedauern die Diskussion nicht mehr neu eröffnen lassen. Lägen doch nun einmal „unfehlbare“ und „irreversible“ Aussagen vor, weshalb man „da“ nichts mehr machen könne. Auf diese Weise werden – wiederum: „menschlich“ gesehen – unhaltbare Aussagen als „göttliche“ Wahrheiten fortgeschleppt und Unsinn wird als „tieferer, unergründlicher“ Sinn ausgegeben, für den überdies niemand anderer als der Heilige Geist verantwortlich sei.

Die jüngere Zeit liefert zwei Beispiele. Das eine ist die Enzyklika Humanae vitae Pauls VI. von 1968, welche u.a. für die Familienplanung nur die sog. Zeitwahl, also die Wahl von (statistisch gesehen wahrscheinlich) unfruchtbaren Tagen der Frau für den Geschlechtsakt als „natürliches“ Mittel zulässt. Hingegen werden alle anderen Mittel, auch solche zur hormonellen Regelung der (Un-) Fruchtbarkeit, als „unnatürlich“ und damit unmoralisch ablehnt. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass der „eigentliche“ Zweck des Geschlechtsakts die Zeugung von Nachkommenschaft sei, während alle anderen Zwecke (von denen ursprünglich nur die Befriedigung der Begierde in Betracht gezogen wurde, während heute auch die gegenseitige Auferbauung durch die liebevolle ganzheitliche Zuwendung der Partner als solcher anerkannt wird) diesem „eigentlichen“ Zweck untergeordnet bleiben müssten; also keine liebevolle Zuwendung und schon gar keine Befriedigung der Begierde ohne das Eingehen des Restrisikos einer Empfängnis (wegen der Unsicherheit der Zeitwahl von den Kritikern dieser Methode auch „vatikanisches Roulette“ genannt).

Die Einteilung von Zwecken in „eigentliche“ und „uneigentliche“ ist aber willkürlich, ja verfehlt; denn jeder Zweck, der als solcher besteht, besteht insoweit für sich und ist damit ein „eigentlicher“. Allenfalls kann man für Zwecke eine Rangordnung aufstellen und dann von ersten, zweiten, dritten etc. Zwecken oder von Haupt- und Nebenzwecken sprechen. Um beim Geschlechtsakt zu bleiben: Man kann annehmen, dass die Zeugung der Nachkommenschaft der erste Zweck ist, weil es sonst gar keine Zeugungsorgane gäbe. Dann sind die Befriedigung der Begierde und die die gegenseitige Auferbauung durch die liebevolle ganzheitliche Zuwendung der Partner nur Nebenzwecke des Geschlechtsakts. Aber sie sind Zwecke, die für sich bestehen können, weil die Befriedigung der Begierde und die gegenseitige Auferbauung durch die liebevolle ganzheitliche Zuwendung der Partner Bedürfnisse sind, die auch dann auftreten und auch dann befriedigt werden können, wenn der erste Zweck, die Zeugung von Nachkommenschaft, ausgeschlossen wird.

So gesehen müssen nur noch zwei Fragen beantwortet werden. Die eine ist, ob Familienplanung überhaupt zulässig ist oder ob sich die Zahl der Nachkommen nach der Häufigkeit des Auftretens der Begierde oder des Bedarfs an liebevoller ganzheitlicher Begegnung bemessen muss. Je häufiger die Begierde oder das Liebesbedürfnis, umso mehr Nachkommenschaft... In diesem Fall müssten allerdings die Partner der Begierde oder dem Liebesbedürfnis jedes Mal nachgeben. (Nach früherer Auffassung genügte sogar das Verlangen des einen Partners; der andere war dann zur Erfüllung der „ehelichen Pflicht“ verhalten.) Andernfalls würden sie der „natürlichen“ Regelung der Zahl der Nachkommen ja bereits in den Arm fallen. Es liegt auf der Hand, dass in diesem Fall auch die Zeitwahl und die damit Hand in Hand gehende Unterdrückung der Begierde oder des Liebesbedürfnisses innerhalb der (wahrscheinlich) fruchtbaren Tage der Frau bereits als „unnatürlich“ und damit als unmoralisch angesehen werden müsste.

Soweit hat sich aber nicht einmal das kirchliche Lehramt verstiegen. Es hält Familienplanung grundsätzlich für zulässig, wenn es dafür einen ausreichenden Grund gibt, also eine (insbesondere) medizinische, soziale oder wirtschaftliche Indikation. Damit kommen wir zur zweiten Frage, nämlich, ob zur Erreichung des zulässigen Zwecks (hier: der wirksamen Familienplanung) auch jedes Mittel zulässig ist oder ob hier noch einmal zwischen „natürlichen“ und „unnatürlichen“ Mitteln unterschieden und die letzteren als unmoralisch ausgeschlossen werden müsse(n).

In der Enzyklika Humanae vitae wird die zweite Variante vertreten und jedes andere Mittel der Familienplanung als die Zeitwahl als „unnatürlich“ verworfen. Das betraf insbesondere auch die hormonelle Steuerung der (Un-)Fruchtbarkeit der Frau durch bestimmte Medikamente (die „Pille“, weshalb Humanae vitae auch den abschätzigen Beinamen „Pillenenzyklika“ bekommen hat). (Mutatis mutandis muss das Verbot übrigens auch für eine allfällige „Pille für den Mann“ gelten, wenn dieselbe in dessen Zeugungskraft negativ eingreift.)

Die Enzyklika nimmt hier zuerst eine Unterscheidung von „natürlich“ und „künstlich“ vor, also eine Unterscheidung, die auch sonst geläufig ist. Sie setzt dann aber „künstlich“ mit „unnatürlich“ gleich, wodurch das „Künstliche“ zum „Un-“ oder „Widernatürlichen“ erklärt wird und dieses schließlich als „unmoralisch“ verworfen werden kann.

Diese Gleichsetzung von „künstlich“ und „un-“ oder „widernatürlich“ widerspricht aber dem geläufigen Verständnis, wie sich an ganz einfachen Beispielen zeigen lässt. Die Menschen haben früher mit den Fingern gegessen; das Essbesteck ist eine relativ neue Erfindung, die sich auch noch nicht in allen Kulturkreisen durchgesetzt hat. Trotzdem würde es niemandem einfallen, das Essen mit Messer und Gabel, obwohl „künstlich“, als „un-“ oder „widernatürlich“ zu qualifizieren. Viele Personen mit einem schwachen oder unregelmäßig schlagenden Herzen können ihr Leben nur durch einen Herzschrittmacher verlängern. Ist der Einsatz dieses „künstlichen“ Instruments als „un-“ oder „widernatürlich“ zu qualifizieren? Und wie steht es überhaupt mit den „künstlichen“ Mitteln zur Lebensverlängerung, wie z.B. einer Herz-Lungen-Maschine? Obwohl alle diese Instrumente den „natürlichen“ Todeszeitpunkt hinausschieben, würde doch kaum jemand meinen, man müsste sie abschalten, da ihr Einsatz „un-“ oder „widernatürlich“ sei.

„Künstlich“ ist daher keineswegs schon per se „un-“ oder „widernatürlich“ und damit unmoralisch. Die Fähigkeit des Menschen, sich Werkzeuge zu machen und sich ihrer zu bedienen, um bestimmte Ziele überhaupt oder doch besser und/oder rascher erreichen, bestimmte Zweck leichter verwirklichen zu können, wurde lange sogar als eine spezifische menschliche Eigenschaft, die den Menschen vom Tier unterscheidet, angesehen. Heute weiß man zwar, dass sich auch Tiere (insbesondere, aber nicht ausschließlich die Primaten) des einen oder anderen Werkzeugs bedienen; aber gerade das ist ein Beweis dafür, dass der Gebrauch von Werkzeugen nicht als „un-“ oder „widernatürlich“ angesehen und daher als solcher auch beim Menschen nicht als „unmoralisch“ qualifiziert werden kann.

Daher kann auch „künstliche“ Empfängnisverhütung – mit welchem Mittel immer sie betrieben wird – nicht per se als „un-“ oder „widernatürlich“ angesehen und damit als „unmoralisch“ verworfen werden. Genau das aber tut die Enzyklika Humanae vitae, ohne zu erklären, worin sich der Gebrauch der Pille, aber z.B. auch eines Kondoms vom Gebrauch einer Gabel oder eines Herzschrittmachers unterscheidet, wenn doch das Ziel, nämlich die Familienplanung, akzeptabel ist. Das Argument, dass der Geschlechtsakt „von Natur aus“ nicht von Pillen, Kondomen oder anderen Mitteln zur Empfängnisverhütung begleitet sei und es daher unnatürlich wäre, sich in seinem Zusammenhang dieser Mittel zu bedienen, kommt dem Argument gleich, dass man nicht mit Messer und Gabel essen dürfe, weil uns „von Natur aus“ nur Hände und kein Besteck gewachsen seien.

Der Enzyklika liegt daher eine Gleichsetzung von „künstlich“ und „un-“ oder „widernatürlich“ zugrunde, die als solche unbegründet und daher willkürlich ist, weil „künstlich“ durchaus nicht „un-“ oder „widernatürlich“ bedeutet. Weder das „künstliche“ Licht noch die „künstliche“ Hüfte oder das „künstliche“ Kniegelenk werden im allgemeinen Sprachgebrauch mit „Un-“ oder „Widernatürlichem“ gleichgesetzt; und ihr Gebrauch wird auch nicht als „unmoralisch“ betrachtet. Damit zeigt sich, dass hinter der Argumentation von Humane vitae eine petitio principii steckt. Die Enzyklika setzt nämlich schon voraus, was sie erst beweisen müsste, nämlich dass jeder „künstliche“ Eingriff in einen „natürlichen“ Ablauf „un-“ oder „widernatürlich“ und „unmoralisch“ sei, und dass daher „künstliche“ Empfängnisverhütung, eben weil sie „künstlich“ ist, ebenfalls als „un-“ oder „widernatürlich“ und damit als „unmoralisch“ qualifiziert werden müsse.

Weil der dem Verbot der „künstlichen“ Empfängnisverhütung zugrundeliegende Zirkelschluss auf der Hand liegt, hat die von Paul VI. zur Prüfung dieser Frage eingesetzte Kommission für die Zulässigkeit der „Pille“ plädiert. Da aber Pius XI. 1930 in der Enzyklika Casti connubii die Auffassung vertreten hatte, dass der ehelichen Akt seiner Natur nach nur zur Zeugung von Nachkommen bestimmt sei und die Anwendung von Verhütungsmaßnahmen deshalb ein unsittliches Verhalten darstelle, vermochte es eine Minderheit von Bischöfen, unter denen sich der damalige Kardinal Karol Wojtyła und spätere Papst Johannes Paul II. hervortat, Paul VI. zum Festhalten an der Lehre Pius‘ XI. zu bewegen. Dies mit dem Hinweis, ein Abweichen von Casti connubii würde bedeuten zuzugeben, dass sich die Kirche irren könne. Wojtyłas Haltung mag auch vom Wunsch geprägt gewesen sein, dem kommunistischen Regime in Polen die Unbeugsamkeit der Katholischen Kirche zu demonstrieren und zu zeigen, dass diese von einer einmal eingeschlagenen Linie weder nach innen noch nach außen auch nur einen Deut abrücken würde.

Allerdings war das Verbot der „künstlichen“ Empfängnisverhütung das denkbar schlechteste Demonstrationsobjekt. Erstens handelte es sich bei Casti connubii nur um eine Enzyklika, also um die Ausübung des ordentlichen Lehramtes des Papstes, für das selbst nach dem Infallibilitätsdogma des Ersten Vatikanums keine Unfehlbarkeit gegeben ist. Zweitens gehört das Verbot auch nicht in den Bereich der Offenbarung, sondern in jenen des Naturrechts, für das der Kirche von vorn herein keine Unfehlbarkeit zukommt. Es muss also einer geradezu abenteuerlichen Ausweitung des Begriffs des „unfehlbaren Lehramtes“ bedurft haben, um Paul VI. dazu zu bringen, sich dieser Minderheitsmeinung anzuschließen. Auf eine besondere theologische Eigenständigkeit lässt dies nicht schließen; eher kann angenommen werden, dass es das für ihn typische Zaudern, das ihm schon früher an der Kurie den Beinahmen amletico (nach der Shakespeare-Figur Hamlet) eingetragen hatte, war, das ihn auch davor zurückschrecken ließ, den für ihn gordisch erscheinenden Knoten „Lehramt“ zu durchhauen.

Im Übrigen hat das starre Festhalten an Casti connubii den gegenteiligen Effekt bewirkt. Das Verbot der „künstlichen“ Empfängnisverhütung in Humanae vitae wurde nicht nur von vielen Theologen als unhaltbar, sondern auch von verschiedenen Bischofskonferenzen als die Gläubigen nicht im Gewissen verpflichtend erklärt. Es konnte sich auch nicht durchsetzen und ist ein modernes Beispiel für die alte, in Rom freilich nicht geschätzte, Auffassung, dass kirchliche Regelungen zu ihrer Verbindlichkeit eben mehr benötigen, als die Erlassung durch das zuständige Organ und die gehörige Kundmachung, nämlich die innere Vernünftigkeit und die Annahme durch das Kirchenvolk. Weiters, dass nichts als „katholische Lehre“ verkündet werden dürfe, was nicht „immer und überall von allen“ geglaubt worden sei, und dass der Lehre eines Papstes, die keine Stütze im Glauben der Kirche hätte, selbst wenn er sie in Form des außerordentlichen Lehramtes, also in Form der feierlichen Dogmatisierung, vorlegen würde, nicht gefolgt werden müsse. Diese Auffassung hat früher sogar noch Josef Ratzinger vertreten. (Ihr entspricht eine andere alte Auffassung, nämlich dass ein Papst, der sich gegen die Kirche stellt, zum Schismatiker wird und seines Amtes automatisch verlustig geht.) Die letzte Entscheidung hat daher jede/r Gläubige für sich nach seinem Gewissen zu treffen, was nicht nur von den genannten Bischofskonferenzen, sondern auch von Josef Ratzinger zugestanden wurde.

Das andere Beispiel ist das von Johannes Paul II. 1994 veröffentlichte Apostolische Schreiben Ordinatio sacerdotalis. Es hat folgende Vorgeschichte: Nachdem sich im Zuge der Änderung der Stellung der Frau in der Gesellschaft auch vermehrt die Forderung nach einer Aufwertung der Frau in der Kirche einschließlich der Zulassung zu den Weiheämtern stellte, beauftragte Paul VI. Anfang der siebziger Jahre eine Kommission mit der Prüfung der Frage, wie die Schriften des Neuen Testaments zur Weihe von Frauen stünden. Die Experten kamen zum Schluss, aus der Schrift lasse sich nicht ableiten, dass Frauen vom Priestertum ausgeschlossen seien. Dies passte nicht ins römische Konzept; und so wischte die Glaubenskongregation die Expertenmeinung beiseite und erließ 1976 die Erklärung Inter insigniores, welche für den Ausschluss der Frau von den Weiheämtern zwei Argumente anführte.

Das eine war, dass Christus keine Frau unter die zwölf Apostel aufgenommen habe. Nun gibt es dagegen natürlich den gewichtigen Einwand, dass das auch aus der damaligen untergeordneten Rolle der Frau in der jüdischen Gesellschaft zu erklären sei. Dieser Einwand könnte nur durch den Beweis widerlegt werden, dass es gerade nicht diese gesellschaftlichen Gründe waren, die Jesus davon abgehalten haben, Frauen in den Kreis der Apostel aufzunehmen. Dies kann natürlich nicht bewiesen werden, weshalb die Glaubenskongregation die Beweislast einfach umdrehte und feststellte, es könne auch nicht bewiesen werden, dass es (bloß) gesellschaftliche Gründe waren, die Jesus davon abgehalten hätten, Frauen als Apostel zu berufen. Dieses Argument verkennt, dass nur ein zwingender Grund die unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau rechtfertigen könnte, sodass andernfalls („im Zweifel“) nicht gegen die Frau, sondern für sie entschieden werden muss und daher ein Ausschluss der Frau vom Priestertum „im Zweifel“ nicht in Betracht kommen kann.

Das andere in der Erklärung verwendete Argument geht dahin, dass der Priester, insbesondere bei der Feier der Eucharistie, das Tun Christi vergegenwärtige und nicht in eigener Person, sondern in der Person Christi und als sein Abbild handle. Dafür aber bedarf es nach Auffassung der Glaubenskongregation einer „natürlichen Ähnlichkeit“. In einer Frau könne man aber „schwerlich das Abbild Christi erblicken“ (!). Dieses Argument geht gänzlich ins Leere, weil es im Leben und Sterben Jesu nichts gibt, was er nur als Mann getan haben kann und nicht schon („bloß“) als Mensch hätte tun können. Daher kann auch jeder Mensch in der Person Christi und als sein Abbild handeln; ob dieser Mensch ein Mann oder eine Frau ist, darauf kommt es nicht an.

Die Glaubenskongregation war offenbar selbst nicht von der zwingenden Kraft dieser Argumente überzeugt. Deshalb räumt sie auch ein, dass die von ihr gegebene Begründung nicht jedem „unmittelbar offensichtlich“ ist. Gleichzeitig schirmt sie sich aber gegen die vorhersehbare Kritik damit ab, dass sie sich auf „den letzten Sinn sowohl der Sendung Jesu als auch der Schrift selbst“ zurückzieht, für dessen Verständnis es nicht genüge, eine „rein historische Auslegung der Texte vorzunehmen“. Auf die Exegese und die von ihr gelieferten Resultate kommt es also (nach Auffassung der Glaubenskongregation) nicht an; entscheidend für die Erkenntnis des gerade genannten „letzten Sinns“ ist vielmehr nur die kirchliche Lehre. Und wem dieser Sinn als Unsinn erscheint, der hat eben nicht genügend Vertrauen in den Heiligen Geist.

Wie die Glaubenskongregation richtig vorhergesehen hatte, wurden ihre Argumente nicht als überzeugend angesehen; die Diskussion ging also weiter und der Ruf nach der Zulassung von Frauen zum Weiheamt wurde immer lauter. Daher machte Johannes Paul II. einen neuen Versuch, die Debatte durch ein noch eindringlicheres Machtwort zu beenden. Er erklärte 1994 in Ordinatio sacerdotalis, dass „die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben".

Mit der Verwendung der Formel „erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken“, sollte dem Apostolischen Schreiben offenbar besonderes Gewicht gegeben werden, ohne dass man doch zu einer förmlichen Dogmatisierung schreiten wollte. (Dementsprechend stützte die Glaubenskongregation 1995 in der Beantwortung der Frage, die Lehre von Ordinatio sacerdotalis zum Glaubensgut gehöre, auch nicht auf die auf die auf dem Ersten Vatikanum 1870 definierte Unfehlbarkeit des Papstes in Ausübung seines außerordentlichen Lehramtes, sondern darauf, dass das ordentliche und universale Lehramt diese Auffassung „von Anfang an beständig bewahrt und angewandt“ habe. Ob aber die ganze Kirche „immer und überall“ den Ausschluss der Frau vom Priestertum als eine „von Gott geoffenbarte Wahrheit“ geglaubt hat, ist eine Interpretation der Glaubenskongregation, die ihrerseits diskutiert werden kann und die auch keine ausreichende Stütze in den Quellen hat, wie das schon erwähnte, ganz anders lautende Ergebnis der Expertenkommission zeigt. Selbst ganz romtreue Bischöfe sprechen nur von einer „quasi-dogmatischen“ Erklärung des Papstes, wobei – wie überall so auch hier – das „Quasi“ bedeutet, dass es eben doch kein Dogma im strengen Sinn des Ersten Vatikanums ist.)

Die Hoffnung Roms, der von Johannes Paul II. verordnete Schluss der Debatte würde die Diskussion über die „Frauenfrage“ beenden, musste sich als trügerisch erweisen. Erstens hat sich seit dem spontanen Widerstand gegen Humanae vitae und dem Umstand, dass sie vom Kirchenvolk praktisch nicht angenommen wurde, die Einsicht durchgesetzt, dass auch päpstliche Erklärungen, wie gewichtig auch immer sie sich geben mögen, nicht immer der Weisheit letzter Schluss sind, sondern noch einmal hinterfragt werden dürfen; und zweitens ist die Lehre von Ordinatio sacerdotalis auch nicht schlüssig, sondern kurzschlüssig. Sie enthält denselben Denkfehler, dem schon die Glaubenskongregation in Inter insigniores aufgesessen ist, nämlich dass es für die Zulassung der Frau zu den Weiheämtern einer besonderen Vollmacht bedürfe. Das ist schlicht falsch. Vielmehr besteht schon aufgrund des von Gott in die Schöpfung hineingelegten ius divinum naturale, des sog. Naturrechts, zugunsten von Frauen (wie auch zugunsten von Männern) ein Diskriminierungsverbot. Und da – wie schon der Gründer und erstes Haupt der berühmten moraltheologischen Schule von Salamanca, Francisco de Vitoria, im 16. Jh. festgestellt hast – nichts, was von Natur aus erlaubt ist, durch das Evangelium verboten sein und das geoffenbarte, sog. positiv-göttliche Recht dem Naturrecht daher nicht widersprechen kann, bedarf es jener ausdrücklichen Vollmacht zur Weihe von Frauen, die der Kirche nach Ordinatio sacerdotalis abgeht, überhaupt nicht. Ja, aufgrund dessen, was Jesus in diesem Zusammenhang getan (oder nicht getan) hat, kann das Verbot der Frauenordination nicht einmal vermutet werden, denn das würde bedeuten, Jesus eine gezielte Diskriminierung der Frau zu unterstellen; und dies würde ihn in Widerspruch zum natürlichen göttlichen Recht bringen; und so etwas ist bei Jesus von vornherein ausgeschlossen.

Dagegen kommt auch das gelegentlich vorgebrachte Argument nicht an, es gäbe ja auch sonst natürliche Unterschiede zwischen Mann und Frau, weil letztere z.B. keine Kinder zeugen und ersterer keine Kinder gebären könne. Für die Frage, ob Frauen zu Priestern geweiht werden können, kann daraus freilich gar nichts gewonnen werden, denn es liegt ja auf der Hand, dass es für die Darbringung der Eucharistie auf den „kleinen Unterschied“ zwischen Mann und Frau gerade nicht ankommt, weil die Angehörigen beider Geschlechter schon aufgrund ihrer natürlichen Sprechwerkzeug in der Lage sind, die Wandlungsworte zu sprechen. (Das Argument mit dem „natürlichen Unterschied“ ist so einfältig, dass man gar nicht wagen würde, es dem kirchlichen Lehramt zu unterstellen, würde es nicht von diesem selbst allen Ernstes benutz werden.)

Natürlich hätte Rom sozusagen noch ein Ass im Ärmel. Es könnte theoretisch den Ausschluss der Frau von den Weiheämtern zum Dogma erheben und so versuchen, sich endgültig hinter dem Heiligen Geist zu verschanzen. Aber erstens ist es sehr fraglich, ob man nicht doch sogar an der Kurie versteht, dass man heute den Frauen weltweit einen solchen Affront nicht ohne schwersten Schaden für die Kirche antun kann; und zweitens würde ein solches Dogma dasselbe Schicksal erleiden wie Humanae vitae: Es würde von breiten Kreisen des Kirchenvolkes, auch und gerade von den theologisch Gebildeteren, nicht angenommen und letztlich nur dafür „berühmt“ werden, dass sich daran der innerkirchliche Widerstand gegen angeblich unfehlbare und irreversible Aussagen des kirchlichen Lehramtes endgültig entzündet hat.

Aber auch wenn sich – weil es zuletzt auf den sensus fidelium als Wahrheitskriterium ankommt – die vox populi als vox Dei durchsetzen sollte, bleibt das Problem, wie eine Kirche, deren lehramtliche Äußerungen nicht (jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn) „unfehlbar“ und „irreversibel“ sind, doch „gehalten in der Wahrheit“ sein kann. Zwar hat Hans Küng in einer gleichnamigen Schrift sowie in seinem vorangegangenen im Buch „Unfehlbar? Eine Anfrage“ darauf bereits Antworten gegeben; aber es erscheint notwendig, das Verhältnis von Irrtum und Wahrheit ganz allgemein zu behandeln, weil die Unfehlbarkeitsdebatte nur einen spezifischen Aspekt dieses Problems betrifft und von seiner allgemeinen Lösung auch die notwendigen spezifischen Folgerungen abgeleitet werden können.

Ein solcher Versuch soll in dieser Reihe demnächst unternommen werden.

Zum Autor:

Heribert Franz Köck ist im Februar 1941 geboren und em. Universitätsprofessor für Völker- bzw. Europarecht an der Universität Linz. Köck lehrte darüber hinaus auch an der Universität Wien und an der Donau-Universität Krems sowie an der Milan Hodzas Privatuniversität in Bratislava. Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften, Korrespondierendes Mitglied der Königlich Spanischen Akademie für Ethik und Sozialwissenschaften, Korrespondierendes Mitglied der Académie européenne des Sciences, des Arts et des Lettres; Vizepräsident, Fédération Internationale pour le Droit Européen.

Im Zuge seiner beruflichen Laufbahn vertrat er auch den Heiligen Stuhl bei verschiedenen Institutionen und kennt daher auch die Innenseite kirchlichen Handelns und Denkens der jeweiligen weltlichen Vertreter der Institution Kirche gut.

Köck tritt viele Jahre bereits für eine zeitgemäße Form kirchlichen Lebens ein und stellt den Reformbewegungen in der röm.-kath. Kirche sein Fachwissen und sein persönliches Engagement zur Verfügung. Er ist Mitglied der Plattform "Wir sind Kirche" und der Laieninitiative.