Das Fest Gottes; Jon Sobrino am 3. Juni 2007 in Münster

20.06.2007, Jon Sobrino SJ

Predigt von Jon Sobrino SJ (El Salvador) am 3. Juni 2007 in der Petrikirche des Münsterner Campus

Heute feiern wir das "Fest Gottes". "Heiligste Dreifaltigkeit" sagt nichts anderes als das - auf traurig abstrakte Weise. Mit Worten, die mehr zu Herzen gehen, sprechen wir vom Vater, dem Ursprung von allem, was wir sind. Vom Sohn, unserem Bruder, in allem uns gleich, außer dem Egoismus und in der Arroganz. Und vom Geist, Kraft des Lebens, in uns, den einzelnen und Völkern, damit auch wir lebendig seien - für die anderen. Über diesen "Gott" möchte ich einige kurze und bescheidene Worte sagen. Und ich sage sie aus zwei Perspektiven, die mir im Lauf meines Lebens geholfen haben, mich vor diesen Gott zu stellen.

Einmal aus der Perspektive Münsters - denn hier sind wir. Diese Perspektive ruft in mir unseren großen Bruder Karl Rahner in Erinnerung. "Gott ist heiliges Geheimnis, unsagbar, unerreichbar und unmanipulierbar; und er ist das nahe, das selige und rettende Geheimnis." Und es hat sich mir tief eingeprägt, was er hinzugefügt hat: "Das Geheimnis bleibt Geheimnis für immer." Dieser Gott weist uns als Menschen in der Welt unseren Ort zu, ohne Hybris und Arroganz. Er ist immer der Hort der Wahrheit, mitten in der Dunkelheit, der Lüge und Hehlerei. Er ist der Hort der Güte inmitten der Bosheit, der Ungerechtigkeit und des Todes ganzer Völker. Er ist der Hort der Freiheit, um von uns selbst loszukommen und um die anderen zu befreien. Er ist der Hort der Compassion, des Mitleids und der Zärtlichkeit inmitten einer oft grausamen und unmenschlichen Welt. Bei der Aufgabe, menschlicher zu werden, können wir in Wahrheit immer auf ihn bauen.

Doch bei Rahner lese ich auch: "Gott ist je kleiner." Und hier eröffnet sich für mich - für andere mögen dies andere Umstände sein - die zweite Perspektive: von Gott aus El Salvador zu sprechen. In dieser Perspektive haben wir erfahren, daß das Mysterium Gottes für ein anderes Mysterium Raum geschaffen hat: das Mysterium der Armen. Gott und die Armen stehen in Beziehung zueinander. Deswegen denke ich, wir müssen vom Mysterium Gottes und vom Mysterium der Armen sprechen.

Der Vater spricht sein Wort: "Ich habe die Leiden meines Volkes gesehen und ich habe ihr lautes Schreien über ihre Unterdrücker gehört." Der Sohn nimmt diese Schreie auf und radikalisiert sie: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Warum hast du Millionen Opfer verlassen? Und in der Kraft seines Geistes sagt Gott: "Ich bin herabgestiegen, um sie zu befreien."

Ausgehend vom Mysterium der Armen können wir das etwas ausdrücklicher zur Sprache bringen. Im Evangelium von heute schließt Jesus mit den schönen Worten: "Ich werde bei euch sein bis zum Ende der Zeiten." Die Frage ist: Wie ist er zu finden? Dasselbe gilt für Gott. In Lateinamerika lese ich: "Das Problem ist nicht Gott zu suchen, wie es die Philosophie und die Theologie getan haben. Das Problem ist ihn dort zu suchen, wo er sagt, dass er ist." Diese Auskunft ist von erstaunlicher Einfachheit und führt zu einer skandalösen Konkretion. Im letzten Abschnitt des Matthäusevangeliums vor der Passion sagt der König: "Ich hatte Hunger..."

Mit Recht sagt Pedro Casaldaliga: "Alles ist relativ, außer Gott und der Hunger." Matthäus 25 bringt beides auf feierliche Weise miteinander in Beziehung: dort wo sich die Erlösung entscheidet, der Sinn des Lebens, ohne die Vorläufigkeit und ohne Möglichkeit zu widerrufen. Der "Hunger" dieser Welt ist der "Ort" Gottes. Das nicht zu umfassende Mysterium Gottes macht sich in den Hungrigen dieser Welt gegenwärtig. Und der Ort dieser Präsenz, unerwartet und skandalös, macht es schwierig, das Mysterium Gottes nach unserem Gefallen zu manipulieren.

Unsere Welt ist heute ein gigantisches Matthäus 25. Und es könnte sein, dass Gott sich verbirgt, weil wir nicht zulassen, daß sich das Mysterium des Hungers zeigt, das Mysterium der Armen. Afrika ist die Shoa, der Holocaust unserer Zeit; ist die Sünde Europas, hat ein Ökonom geschrieben. Millionen von Flüchtlingen haben keinen Boden unter den Füßen. Und es sind Hunderttausende, die sterben: langsam durch Hunger und gewaltsam durch Waffen. Sie sind zum Schweigen gebracht worden, ihnen werden die Würde und der Name verweigert. Sie haben keine Existenz. Sie existieren einfach nicht. Mysterium der Armen.

Diese Armen, diese Unterdrückten, diese leidenden Völker nennen wir die gekreuzigten Völker, den leidenden Gottesknecht. Sie sind der Ort Gottes in der Geschichte. Entscheidend ist, uns an diesem Ort einzufinden. Die Suche nach Ausreden ist uns angeboren und wir fallen immer wieder in sie zurück: "Wann haben wir Dich in den Hungrigen und Durstigen gesehen?" Doch die Antwort ist unwiderruflich: "Dort bin ich." Die Transzendenz hat sich zur Transdeszendenz gemacht. Dass ist es, was wir vom Sohn lernen.

Jesus sagt im Evangelium auch: "Lehre sie zu tun, was ich ihnen aufgetragen habe." Vor dem Mysterium Gottes haben wir etwas zu tun. In diesem Tun kommen wir zum Gleichklang mit dem Geist, dem Herrn und Lebensspender. Dabei taucht von Neuem die Frage auf: Was ist es, was uns wirklich bewegt, das zu tun, was uns der Herr aufgetragen hat? Denn nicht irgendeine Sache bewegt uns, uns mit dem Mysterium Gottes zum Gleichklang zu bringen. Doch die gekreuzigten Völker haben die Kraft uns zu bewegen. Ellacuria hat gesagt, daß wir uns vor ihnen fragen müssen: "Was haben wir getan, um sie ans Kreuz zu bringen? Was tun wir, um sie vom Kreuz abzunehmen? Und was werden wir tun, um sie aufzuerwecken?" Hier ist kein Ort für menschliche Hybris, sondern nur dafür, dass wir zulassen, das der Geist Gottes sich unser bemächtigt, um Leben zu schenken. Die Transzendenz hat sich zur Transdeszendenz gemacht, sagten wir. Und wir fügen hinzu: Sie wurde zur Transdeszendenz damit sie Condeszendenz wird.

Gott hört das Schreien und beschließt "herabzusteigen, um das Volk aus der Sklaverei zu befreien." Dies ist das befreiende Tun des lebensspendenden Geistes. Dieses Tun bedeutet konkret, die Unterdrückten gegenüber ihren Feinden zu verteidigen und sich für sie mit ihren Unterdrückern zu konfrontieren. Es liegt im Wesen dieser Tat, dass sie zum Konflikt führt - viele Male zum tödlichen Konflikt, mit den Gottheiten des Todes, mit den Götzen, die in den säkularisierten Gesellschaften von heute ebenso real und aktiv sind, wie sie es früher in den religiösen Gesellschaften waren.

Dieses Tun ist in erster und in letzter Hinsicht Compassion, Fähigkeit zum Mitleiden. Diese richtet das Denken aus und eröffnet eine Perspektive der Hoffnung: als Hoffnung auf das Leben im Gegensatz zum Tod, als Hoffnung auf Würde im Gegensatz zur Geringschätzung, als Hoffnung auf Gerechtigkeit im Gegensatz zur Unterdrückung und jenseits aller oberflächlichen Philanthropie. Angesichts einer "Spiritualität light", die heute in vielerlei Gestalt begegnet und von vielen mit Freuden akzeptiert wird, ist wichtig dies zu erinnern.

Und dieses Tun ist schließlich ein Tun bis zum Ende. Unter uns war die größere Liebe, die heute aufs Neue vergessen wird. Die Martyrer sind gegenwärtig das wichtigste "Zeichen der Zeit". Theologisch verstanden sind sie "die Gegenwart des Willens und der Pläne Gottes." Deshalb denke ich, die Martyrer zu erinnern ist articulus stantis vel cadentis fidei, Ecclesiae, humanitatis, Herzstück des Glaubens, mit dem die Kirche und die Menschlichkeit auf dem Spiel steht. Wenn wir nicht das Gedächtnis der Martyrer bewahren, aktiv und verpflichtend, dann kommt es zur Undankbarkeit und Verarmung. Und wenn sie mir eine persönliche Bemerkung erlauben, es macht mich besorgt und traurig, daß die Kirche und die Gesellschaft, auch die Theologie, nichts mit den Martyrern unserer Zeit in der dritten Welt anzufangen weiß. Es wird denen nicht gedankt, welche die größere Liebe gezeigt haben. Sie zu vergessen, ist die Wurzel ständiger Entmenschlichung. Das Gedächtnis an ihr Engagement zu erneuern und mit ihrer Freimut zu handeln, das ist der beste Beitrag, um eine entmenschlichte Welt humaner zu machen. In solchem Tun macht sich der Geist Gottes präsent.

In dieser Welt zu sein wie der Sohn, und zu handeln wie der Geist, das bringt uns vor das Mysterium Gottes, des Vaters und der Mutter. Gott bleibt Mysterium, doch zusammen mit seinem Geheimnis haben wir das Geheimnis der Armen gefunden. Sie bieten uns einen mystagogischen Weg an, der uns in das Geheimnis Gottes führt. Und umgekehrt, von Gott her gesehen, nähern wir uns über das Mysterium der Armen umso mehr seinem Geheimnis an. Im Grunde des Geheimnisses Gottes sind die Armen. Ich kann von ihnen nur sprechen ausgehend von Erfahrung.

Das steht in der Schrift. Und in Medellin, um ein Datum anzugeben, hat sich dieses Mysterium gezeigt, ophte, es erschien als unausschöpfliches Mysterium, als mächtiges Licht und einladende Forderung. Seit damals hat Gott auf eine sehr reale und existenielle Weise dem Mysterium der Armen Raum verschafft, ohne dass er deshalb aufgehört hätte, der Gott des Mysteriums zu sein. Und deshalb dürfen wir nicht aufhören mit Gott unterwegs zu sein und mit den Armen unterwegs zu sein - auch wenn wir das mit mehr oder weniger Glück sind.

Was und wie viele sind es? Warum sind sie es? Wie lange werden sie es sein? All das sind mehr kategoriale Fragen. Ich persönlich habe versucht, ihr Mysterium auszudrücken, indem ich versucht habe die Armen in Beziehung zu setzen mit unserer Wirklichkeit, mit der Wirklichkeit jener, die nicht arm sind.

Arme sind die, die nicht als selbstverständlich voraussetzen können, als etwas Normales, Leben zu haben. Deshalb bin ich nicht einer von ihnen, denn ich kann das Leben als gegeben voraussetzen. Arme sind die, die fast alle Mächte dieser Welt gegen sich haben. Schon durch ihre bloße Existenz sind sie eine Frage: ob ich für oder gegen sie bin. Arme sind die, die keinen Namen haben: Die achthunderttausend Personen von Kibera, zusammengepfercht, praktisch ohne Klo. Die Armen sind, erlauben sie mir bitte eine offensichtliche Dummheit zu sagen, die, die keinen Kalender haben: Niemand weiß was der "siebente Oktober" ist - obwohl alle wissen was der "elfte September" ist. Der siebente Oktober ist der Tag an dem die demokratischen Staaten Afghanistan bombardierten - als Antwort auf den elften September. Ohne Namen und ohne Kalender haben die Armen keine Existenz. Es gibt sie nicht. Dadurch fragen sie mich, welches Wort ich sage - oder welches Wort ich nicht sage - damit sie zur Existenz kommen.

Alles, was ich gesagt habe, kann debattiert werden, doch wir können es nicht in den Hintergrund rücken, obwohl es so vornehm und so notwendig wäre wie sie sich ihnen gegenüber ethisch verhalten. Den Grund dafür habe ich schon gesagt: In ihnen macht sich ein Mysterium gegenwärtig.

Monsenor Romero kannte die Sentenz des Irenäus: "Gloria Dei vivens homo". "Die Herrlichkeit Gottes ist der Mensch, der lebt" und Wochen vor seiner Ermordung hat er diese Worte so formuliert: "Gloria Dei vivens pauper". "Die Herrlichkeit Gottes ist der Arme, der lebt." Die Konsequenz ist, daß Gott außer sich ist vor Freude, wenn er sieht, dass diese Millionen von in die Armut gestoßenen Menschen, die mißachtet und ignoriert werden, die verschwinden und die ermordet werden - er freut sich, wenn er sieht, dass diese Menschen aufatmen, essen und tanzen; dass die einen mit den anderen leben; dass sie uns, die wir nicht arm sind, die Hand geben; dass sie vergeben, auch denen, die sie über Jahrhunderte unterdrückt haben. Sie vertrauen auf Gott als liebevoller Vater und liebvolle Mutter und sie freuen sich über ihren Bruder Jesus.

Das vollständige Zitat des Irenäus ist: "Gloria Dei, vivens homo. Gloria autem hominis, visio Dei." Dasselbe sagt mit anderen Worten Monsenor Romero. Weder Irenäus noch Romero sahen den Menschen ohne Gott, noch Gott ohne den Menschen. Monsenor Romero hat dies darüber hinaus konkretisiert. Er war "unterwegs mit Gott" und "unterwegs mit den Armen".

Vielleicht dürfen wir an diesem Tag der Heiligsten Dreifaltigkeit, dem Tag des Mysteriums Gottes, die Kühnheit haben, eine neue "Kurzformel des Christseins" zu prägen, so wie dies auch andere getan haben: "Gloria Dei vivens pauper." Und vielleicht, den Gekreuzigten und die Armen aus Matthäus 25 vergegenwärtigend, können wir sagen: "außerhalb der Armen kein Heil". Und vielleicht, treu zu diesem Mysterium Gottes und der Armen können wir Freude und Hoffnung haben.

Siehe auch: http://www.kshg-muenster.de/index.php?cat_id=8861&mySID=4ce78ea1bc6fe53…