Regina Polak fasst zentrale Themen einer internationalen Tagung zusammen, die die Rolle der Theologie in einer synodal geprägten Kirche beleuchtete.
Die theologischen Fakultäten im deutschsprachigen Raum finden sich aktuell in einer prekären Situation: Zwischen kirchlichen Erwartungen, gesellschaftlichen und bildungspolitischen Transformationen und universitären Rahmenbedingungen ringen sie um ihre intellektuelle, kulturelle, akademische und kirchliche Relevanz. (1) Solcherart „zwischen allen Stühlen“ eröffnet der Synodale Prozess für die Theologie die Möglichkeit, zur (selbst)kritischen Erneuerung der Kirche, der Universität, der Gesellschaft und nicht zuletzt ihrer selbst beizutragen.
Diesen Eindruck gewann ich bei der internationalen Konferenz „Theologie antwortet auf die Herausforderung der Synodalität“ vom 27. – 29. April 2023 an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Zwar wurden auch dort die Konflikte rund um den Synodalen Weg der deutschen Kirche sichtbar, aber viele theologische Disziplinen im deutschsprachigen Raum praktizieren bereits, was die Referent/innen von einer synodalen Theologie erwarteten. Zugleich scheint dies in der Weltkirche relativ unsichtbar oder schwer nachvollziehbar zu sein. Dies möchte ich an ein paar Schlaglichtern der Konferenz exemplarisch verdeutlichen:
THEOLOGIE ALS AKTEURIN IM SYNODALEN PROZESS
„Die Art, wie Theologie betrieben und gelehrt wird, ist von großer Wichtigkeit für Synodalität“, betonte Kurienkardinal Mario Grech. Theologische Forschung und Lehre spielen eine zentrale Rolle bei der „Formatierung“ einer synodalen Mentalität und Praxis. Dazu bedarf es einer Theologie, die dialogisch und kollaborativ forscht und lehrt, bei menschlichen Erfahrungen ansetzt und sich selbst als Lernende versteht. Neben dafür erforderlichen Methoden verlangt dies außerdem nach der Einbettung in das kirchliche und gesellschaftliche Leben und der Bereitschaft zum Zuhören als konstitutiv synodalem Stil.
Auf diese Weise sollen die theologischen Disziplinen dazu beitragen, dass die Kirche ihre Sendung im 21. Jahrhundert identifizieren kann. Indem Theolog/innen hierzulande mit Wissenschaftler/innen aus der Philosophie, der Geschichts-, Kultur-, Literatur-, Bildungs- und Sozialwissenschaften etc. kooperieren, verwirklichen sie dieses Anliegen. So ist z.B. in den praktisch-theologisch orientierten Fächern die Rezeption menschlicher Erfahrungen oder partizipativer hochschuldidaktischer Expertise „State of the Art“.
Offenkundig wird aber von einem traditionell orientierten Theologieverständnis zu wenig bedacht, dass sich eine solcherart lernende Theologie auch selbst verändert und zu Ergebnissen führen kann, die in Spannung zum Lehramt geraten. Zugleich lassen die Anforderungen im „akademischen Kapitalismus“ (Rainer Bucher) nicht nur wenig Zeit für eine Einbettung in das kirchliche und gesellschaftliche Leben, sondern fördern mit ihrem Anspruch auf Selbstprofilierung nicht unbedingt die Entwicklung zuhörender Wissenschaftler/innen. Kooperation wird oft nur als Vorteil im Konkurrenzkampf wahrgenommen; der Wissenschaftsbetrieb fördert eine selbstreferentielle akademische Isolation. Für das Ernstgenommen-Werden im säkularen Wissenschaftsbetrieb ist überdies eine allzu große Nähe zur Kirche aufgrund ihrer Skandale eher hinderlich.
INTER- UND TRANSDISZIPLINARITÄT
Eine synodale Theologie arbeitet inter- und transdisziplinär. Damit ist die Kooperation zwischen den theologischen Disziplinen wie auch mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen und nicht akademischen Partner/innen gemeint. Viele Theolog/innen im deutschsprachigen Raum sind bereits über nationale und internationale Forschungsförderungsprogramme in solchen inter- und transdisziplinären Forschungsprojekten, -zentren oder „Exzellenzclustern“ engagiert. Sie realisieren damit, was auch „Veritatis Gaudium“ (2) wünscht: „die Schaffung neuer qualifizierter Forschungszentren (…) in denen Wissenschaftler mit unterschiedlichem religiösen Hintergrund und aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen mit verantwortungsvoller Freiheit und gegenseitiger Transparenz interagieren können.“
Dabei entwickeln sie jene „intellektuellen Instrumente“, „die sich als Paradigmen eines Handelns und Denkens erweisen, die für die Verkündigung in einer Welt, die von einem ethisch-religiösen Pluralismus geprägt ist, nützlich sind“ (3) und verwirklichen „Systeme der Darstellung der christlichen Religion“ (4) im eigenen gesellschaftlichen Kontext. Letztere werden allerdings, wenn sie aus dem deutschsprachigen Raum kommen, in der Weltkirche und in Rom mitunter kaum oder mit Skepsis wahrgenommen – wie auch hierzulande die strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen weltweiter Theologien zu wenig berücksichtigt werden. Freilich, so manche/r Kolleg/in forscht nach wie vor allein in der Gelehrtenkammer, lehrt wenig synodal, und mit Blick auf Transdisziplinarität ist noch Luft nach oben.
KONVERSION
Ein wesentliches Motiv des Synodalen Prozesses ist die Konversion – auch die der Theologie. Christoph Theobald SJ nannte in diesem Zusammenhang einige Versuchungen für die Theologie: die hoch spezialisierten Fächer, die die Einheit der Theologie und Synodalität als Gemeinschaftsprojekt bedrohen; das herrschende Wissenschaftsverständnis, das die kollaborative Einbettung in das kirchliche Leben hemmt; sowie die „Kollegen-Theologie“, d.h. die Versuchung, die eigene Forschung vor allem mit Blick auf den Erfolg bei der Kollegenschaft zu betreiben.
Diese Probleme haben strukturelle Ursachen, d.h. sie sind Folge der Erwartungen an staatlichen Universitäten. Sie liegen aber auch an der oft unhinterfragten Identifikation mit universitären Vorgaben. Theobald sprach daher von mehrfachen Konversionen. So solle sich der/die Theolog/in der eigenen Taufberufung und insbesondere der prophetischen Gabe erinnern. Weiters sei die Rolle des Intellektuellen in der Kirche zu klären. Eine „Dezentrierung“ der Theologie sei ebenso notwendig wie auch die Entwicklung eines „stereophonen Hörens“ – auf den Geist Gottes wie auch auf die Anderen, insbesondere die Armen und Bedrängten.
Michael Seewald betonte, dass spirituelle, moralische und intellektuelle Konversion untrennbar zusammengehören. Dies ist nicht nur eine Aufforderung an viele charismatische Bewegte, die sich der theologischen Reflexion gerne entziehen; es ist auch Anlass für die hiesige Theologie, sich mit der Rolle der im Wissenschaftsbetrieb oft unsichtbaren Spiritualität selbstkritisch auseinanderzusetzen.
AUFKLÄRUNG
Die spezifische Aufgabe der theologischen Fächer wurde mehrfach mit dem Begriff der „Aufklärung“ beschrieben. Gewünscht wurden u.a. die Begleitung des kirchlichen Lebens, die Förderung und Begleitung des Ausdrucks des sensus fidelium sowie eine Entwicklung einer Theologie der Synodalität bzw. einer Theologie, die aus dem Synodalen Prozess erwächst. Dies ermutigt Theolog/innen, sich aktiv in den Synodalen Prozess einzubringen und nicht „professoral“ darauf zu warten, bis man vom Bischof eingeladen wird.
Zugleich habe ich mich gefragt, woher dann der für mich teils irrationale, weil hochemotionale Widerstand rührt, wenn bundesdeutsche Theolog/innen dies auch tun. Liegt dies am Widerstand gegen den soziokulturellen Habitus des „deutschen Professors“ – oder daran, dass viele deutsche Theolog/innen radikal die Finger auf schmerzhafte Wunden legen und daraus theologische und strukturelle Konsequenzen ziehen?
So war die Kritik von Markus Graulich am Synodalen Weg zwar vor allem formal-kirchenrechtlicher Natur, aber auch die theologischen und historischen Argumente von Margit Eckholt, die die Genese und die Art des Synodalen Weges als spezifisch inkulturierte Form von Synodalität verständlich zu machen versuchten, wurden von ihm abgeschmettert.
GLOBALER HORIZONT
Herausfordernd waren auch die Diversität und Ungleichzeitigkeit des weltweiten Synodalen Prozesses. Bei allen Gemeinsamkeiten – wie z.B. die Förderung der Teilhabe von Laien und Frauen – sind die Anliegen, Probleme und Erfahrungen mit Synodalität weltweit sehr verschieden.
Während die lateinamerikanische Kirche seit Medellín 1968 sehr synodenerfahren ist, stand in Asien die Vertiefung einer synodalen Spiritualität ganz im Zeichen „synodaler Harmonie“, zu der auch die Einbeziehung der Armen als Geschwister gehört. In Afrika wiederum spielen Armut, Klimakrise, Minderheitenschutz und Postkolonialismus eine wichtige Rolle.
Viele Kolleg/innen im deutschsprachigen Raum stehen mit diesen Theologien des globalen Südens schon lange in Austausch. Von ihnen zu lernen, könnte dazu beitragen, dass die hiesigen Theologien nicht primär mit innerkirchlichen Themen beschäftigt sind und ihre globale Verantwortung in einer krisenhaften Welt besser wahrnehmen. Dies würde auch die Wertschätzung der deutschsprachigen Theologie(n) in der Weltkirche und in Rom stärken – und vielleicht auch an den Universitäten.
CONCLUSIO
Ich bin aus Rom gestärkt zurückgekehrt: Theologie(n), die sich auf den Weg der Synodalität machen, sind auf einem guten Weg. Es lohnt sich, den Ort „zwischen allen Stühlen“ als Chance zu begreifen.
Freilich gibt es auch Gegenwind: Für so manchen Bischof wie auch Gläubige/n ist Synodalität etwas Neues. Deren Verankerung in der Tradition muss oft erst belegt werden und ein Kultur- und Mentalitätswechsel ist notwendig, auch hierzulande in der Wissenschaft – wenngleich mit anderen Herausforderungen als weltweit. Aber eine Theologie, die sich auf den Synodalen Prozess einlässt und sich in Kirche und Universität mit ihren Erfahrungen und Erkenntnissen offensiv einbringt – zuhörend, dialogisch und auf Augenhöhe – kann ihre prophetische Rolle in Kirche und Universität einnehmen. Dass Prophet/innen nicht immer von allen geliebt werden, sollte man dabei nicht vergessen.
x
(1): Vgl. Hunze, Guido: „Keiner fragt – Theologen antworten“, in: Limina. Grazer Theologische Perspektiven. Ausgabe 2023, 6:3: „Theologie(n) der Zukunft. Zwischen kirchlichen Vorgaben, gesellschaftlichen Erwartungen und universitären Rahmenbedingungen“, 18–45.
(2): Papst Franziskus: Apostolische Konstitution Veritatis Gaudium über die kirchlichen Universitäten und Fakultäten. Vatikan 2017. Nr. 5.
(3): Ebd.
(4): Ebd.