Die jungen Kirchen und die Zukunft des kirchlichen Amtes

01.07.2011, Fritz Lobinger

Festrede von Altbischof Fritz Lobinger (Südafrika) zum "Dies Facultatis" der Katholischen Theologischen Fakultät der Universität Wien am 15. Oktober 2008

Wien hat schon oft eine Brückenfunktion ausgeübt zwischen den Fronten, besonders zwischen Ost und West. Heute geht es wiederum um eine solche Brückenbildung, zwischen dem Norden der Kirche und ihrem Süden, in der Frage der Zukunft des Amtes der Kirche. Sie als Fakultät haben dazu eine Person wie mich eingeladen, wohl wissend, dass ich mit einem Fuß in den Alten Kirchen des Nordens stehe, mit dem anderen in den Jungen Kirchen des Südens. Ich bin einerseits gebürtiger Passauer, und bin anderseits emeritierter Bischof und Staatsbürger Südafrikas.

In den Jahrzehnten meiner Arbeit in den Jungen Kirchen hat mich nicht eigentlich die Frage des Priestermangels beschäftigt sondern die Frage der Partizipation der Gemeinden. Wie können in den Gemeinden möglichst viele aktiv teilnehmen, und was heißt das konkret? Wie viel kann eine Gemeinde aus sich selbst leisten und wie viel hängt sie davon ab dass jemand von außen kommt und für sie sorgt – also die Frage nach der Form des kirchlichen Amtes, von der Seite der Partizipation her betrachtet.
Zunächst geht es um die Zuspitzung der Ämterfrage in den Jungen Kirchen.

Die Zuspitzung der Ämterfrage in den Jungen Kirchen

Was sagen die Jungen Kirchen zur Ämterfrage? Sie sagen gar nichts. Sie sind seltsam schweigsam darüber. Nicht deshalb weil der Priestermangel dort nicht bestünde, sondern deshalb weil jene Diözesen sich schon allzu sehr daran gewöhnt haben.

Es ist erschreckend zu beobachten dass das Fehlen der Sonntagseucharistie dort niemand aufregt. Es ist kaum jemals ein Thema. Bischöfe und Priester reden sich heiß über soziale Ungerechtigkeiten, über AIDS, über den Verrat der Demokratie, über Katechese und Katechumenat, über Inkulturation - nicht aber über das häufige Fehlen der Sonntagseucharistie.
Die jungen Pfarrer und ihre Katholiken sind mit der Situation der seltenen Eucharistiefeier aufgewachsen. “Das war schon immer so, das war noch nie anders, das wird so bleiben, denn es kann ja gar nicht anders werden…”

Das ist eine Zuspitzung der Ämterfrage in den Jungen Kirchen. Dort ist diese Krankheit bereits chronisch geworden. Man nimmt sie nicht mehr als Krankheit wahr.

Nun kam ein weiteres, überraschendes Moment hinzu. Denn das Zweite Vaticanum hat dieser bedauerlichen Mangelerscheinung auf einmal einen positiven Aspekt verliehen. Nun hieß es auf einmal: Kirche, das ist nicht nur die Hierarchie sondern das sind die am Ort versammelten Gläubigen. Und nun spricht man nicht mehr von bedauerlicherweise notwendigen Helfern sondern vom Geschenk der Charismen. Aus dem Notstand wird nun eine Tugend. Dazu kommt ein weiteres: Wogegen die Sonntagseucharistie früher ein recht fremder Vorgang war in den man sich kaum aktiv einschalten konnte, wurde der Sonntagsgottesdienst nun die ureigenste Sache der Gemeinde. Denn fast jeden Sonntag wird dieser Wortgottesdienst jetzt geleitet von den Leuten der Gemeinde selber, gestaltet von ihnen, geplant von ihnen. Der normale Sonntagsgottesdienst ist jetzt ihre eigene Sache. Das Entstehen dieses neuen Gemeindegefühls und der breiten Partizipation ist etwas Kostbares. Es ist eine seltsame Frucht der bedauerlich vielen priesterlosen Gottesdienste.

Eine weitere Zuspitzung der Ämterfrage zeigte sich für die Jungen Kirchen um die Zeit der Bischofssynode 1971. Damals hat es die Kirche erstmals gewagt zum Nachdenken einzuladen über die Amtsfrage. Auf der ganzen Welt wurde nun zur Diskussion der Frage eingeladen: Wäre es etwa möglich, nebenberufliche, verheiratete, bewährte Leute aus der Gemeinde zu Priestern zu weihen? Sogenannte “viri probati”?

Überall in der Welt wurden damals als Vorbereitung auf jene Bischofssynode Tagungen und Diskussionen abgehalten über diese Frage. Auch die Bischofskonferenzen Ostafrikas, in der sogenannten AMECEA Region, hielten damals eine solche Studienkonferenz über die Zukunft des kirchlichen Amtes, in Lusaka. Bei diesem AMECEA Vorbereitungstreffen in Lusaka hielt Erzbischof Mihayo einen Vortrag und sagte dabei: “wir können uns finanziell gar nicht leisten, mehr Priester der heutigen Art zu haben” Diese Bemerkung von Erzbischof Mihayo hat damals keine weitere Beachtung gefunden. Niemand hat bemerkt dass hier etwas sehr wichtiges gesagt wurde. Wir können die Form des Amtes die sich in Europa herausgebildet hat, schon aus finanziellen Gründen gar nicht nachahmen. Jede Gemeinde ihren Pfarrer? Das geht gar nicht, selbst wenn es genügend Berufungen dafür gäbe.

Warum hat man diese Überlegung über die finanzielle Unmöglichkeit nicht weiter verfolgt? Ich vermute es lag daran, dass man sofort daran dachte dass man damit eine sehr heikle Frage aufwerfen würde. Eine Gefährdung der Ganzhingabe der jetzigen Priester könnte entstehen. Alle spürten: hier nähern wir uns einem heiklen Thema und deshalb sind wir lieber still.

Das Seltsame dieses Schweigens war besonders bei den Kontinentalsynoden sichtbar. Denn genau jene Jungen Kirchen die am meisten unter dem Fehlen der Sonntagseucharistie litten, und genau jene Jungen Kirchen die ursprünglich als Erste die Behandlung dieses Themas vorgeschlagen hatten, wie etwa Lateinamerika, sagten nun bei diesen Kontinentalsynoden kein Wort mehr über dieses Problem. Und das obwohl diese Kontinentalsynoden doch eigens deshalb einberufen worden waren um auf die spezifische Situation jedes einzelnen Kontinentes hinzuweisen.

Angst vor der Amtsfrage – und Hoffnung

Wir müssen Verständnis haben für die große Angst, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Das Thema kann in der Tat auf schädliche Weise behandelt werden. Es besteht in der Tat die Gefahr dass man ein Problem lösen will und dabei mehrere andere Probleme hervorruft. Es gibt viele Gründe für die Angst sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Unter diesen vielen Arten von Angst ist die entscheidende vermutlich die, dass eine Veränderung der Zulassungsbedingungen zum priesterlichen Amt die bestehenden Priester verunsichert. Die Kernfrage lautet also: Gibt es einen Weg, diese Gefährdung zu vermeiden?

Eine solche Gefährdung kommt vor allem daher, dass durch die Weihe von verheirateten Kandidaten die gleiche Rolle des priesterlichen Amtes nach ungleichen Vorbedingungen ausgeübt wird. Eine Verunsicherung scheint unvermeidlich wenn man für die gleiche Rolle von einigen sehr hohe Voraussetzungen verlangt und von anderen viel niedrigere. Also kann die Lösung dieses Problems nur darin bestehen, dass nicht die gleiche Rolle ausgeübt wird, dass man also eine neue, verschiedene Art priesterlicher Rolle schafft. Das eine Sakrament der Priesterweihe muss zu zwei verschiedenen priesterlichen Rollenformen führen. Dann wird es logisch sein dass auch die Zulassungsbedingungen verschieden sind, und eine Gefährdung der jetzigen Priester entsteht dann nicht. Die Frage ist also, ob eine neue priesterliche Rolle entstehen könnte, für die es sinnvoll ist, sein ganzes Leben einzusetzen. Ist eine solche neue Rolle denkbar? Gibt es sie schon?

Genau zu dieser Frage scheint sich in den Jungen Kirchen eine Antwort abzuzeichnen.

Kreise von Gemeindeältesten als mögliche Lösung

In den Kirchen des Südens hat sich seit dem Zweiten Vaticanum spontan, also ungeplant, eine neue Form des Gemeindelebens herausgebildet. Diese neue Form des Gemeindelebens ist bekannt unter dem Ausdruck der “self-ministering community”. Der englische Ausdruck für das Amt ist “ministry”, oder genauer “the ordained ministry”. Mit dem Ausdruck “self-ministering community” verbindet man also die beiden Grundbegriffe Amt und Gemeinde. Man sagt damit, dass die Gemeinde selbst einen großen Teil des Amtes ausübt. Früher war so etwas nicht denkbar. Noch ein paar Jahrzehnte früher hatten Bischöfe und Theologen sich deshalb strikt von diesem Ausdruck distanziert als er in China zuerst verwendet wurde, denn sie haben es für unkatholisch gehalten, das Wort “ministry” mit dem Wort “self” zu verbinden. “Ministry” kann nicht “self-ministry” sein, denn “ministry” muss notwendig von außen zur Gemeinde kommen, ministry wird nicht von der Gemeinde selbst geleistet.

Gleich nach dem Zweiten Vaticanum sahen die Pfarrer und Bischöfe des Südens das anders. Sie sagten nun: “Jetzt sehen wir diesen Ausdruck “self-ministering community” als zutreffend an. “Self-ministering community”, dieser Ausdruck rechtfertigt und erklärt etwas was wir schon lange tun, nämlich Gemeinden aufzubauen die keinen residierenden Pfarrer haben. Bischöfe und Bischofskonferenzen verwenden diesen Ausdruck heute immer und immer wieder mit Freude und Überzeugung.

Jedenfalls haben die Gemeinden des Südens dieses Motto mit Begeisterung aufgegriffen. Es gab eine Explosion von Laien-Diensten. Den Gemeinden war ohnehin klar dass sie nie einen bei ihnen residierenden Pfarrer hatten und auch nie haben werden. Nun aber, wenn dies das Motto ist, dann sind sie nicht mehr in einem bedauerlichen Zustand der Unterentwicklung sondern sie sind auf dem richtigen Weg. So kommt es, dass zehn oder zwanzig Gemeinden ohne jede Klage ein Netzwerk bilden um einen gemeinsamen Priester. Für vier Wochen leben sie ihr Eigenleben und dann kommt wieder ein Besuch des Priesters.

Noch eine zweite Entwicklung ging Hand in Hand damit, wiederum spontan und ohne Planung entstanden, dass nämlich auch die Priester eines solchen Gemeindeverbandes ihre Rolle verändern. Die Priester sind nun nicht mehr im gleichen Sinn Pfarrer wie es der Versorger-Pfarrer war. Der Priester ist jetzt der Ausbilder für die vielen hunderte von Laien-Leitern in diesem Netzwerk von Gemeinden. Er ist der geistliche Motor, der Spiritual dieses weit gespannten Leitungsgefüges. Denn die Ausbildung dieser vielen Leitungsgruppen kann in vielen Gegenden schon aus technischen Gründen nicht (oder nicht nur) in einem zentralen, diözesanen Ausbildungszentrum stattfinden. So ein Zentrum wäre für viele unerreichbar. Oft sah man überdies ein, dass ein Ausbildungszentrum auch Nachteile hat. Denn es entstehen Spannungen zwischen dem was der Ortspfarrer sagt und dem was am Zentrum gelehrt wird. Es ist weiterhin eine Tatsache, dass sich der Pfarrer viel intensiver für die Durchführung dessen einsetzt für was er selbst die Leute ausgebildet hat. Aber noch viel mehr und viel wichtiger: der Pfarrer wächst in eine neue Rolle hinein, in die Rolle des Ausbilder-Priesters. Dieser Unterschied ist für unsere Überlungen über neue Formen des Amtes entscheidend.

Der Ausbilder-Priester ist auf vielerlei Weise verschieden vom Versorger-Priester. Seine Grundhaltung ist anders. Er will unbedingt viele Charismen entdecken. Er möchte, dass sie so kompetent werden wie möglich. Man wird von ihm kaum die resignierende Bemerkung hören, man könne sich auf die Laien nicht verlassen. Er ist durch und durch ein Befähiger, er befähigt andere für ihr Amt. Er ist ein Mann der Erwachsenen. Er verbringt seine Zeit am liebsten mit den Erwachsenen, und zwar mit den begabtesten und kräftigsten Charakteren der Gemeinde. Er spürt darüber hinaus, dass er selbst Weiterbildung braucht, wenn er andere weiterbilden will. Er ist an geistlicher Vertiefung der leitenden Leute interessiert. Er ist ein Spiritual. Man könnte schätzen, dass etwa zwei Drittel der heutigen Priester in der Lage sind, diese neue Rolle des Ausbilder-Priesters auszuüben.

Was ich eben beschrieben habe ist nicht ein theoretisches Wunschbild. Es existiert. Es gibt die “self-ministering communities” und es gibt die Ausbilder-Priester. Das Erscheinen dieser beiden neuen Entwicklungen – die self-ministering community und der Ausbilder-Priester - sehe ich als einen Hinweis an dass es einen Ausweg aus dem Priestermangel gibt, einen Ausweg der keine Gefährdung der bestehenden Priester bedeutet.

Der Ausweg besteht darin, dass man nicht eine Ersatzperson sucht für den hier und da fehlenden Priester, sondern dass man in jeder Gemeinde einen Kreis von Gemeindeältesten ordiniert. Dann entstehen nämlich zwei sehr verschiedene priesterliche Rollen die nicht miteinander konkurrieren sondern die wie Partner aufeinander angewiesen sind. Die Partner sind sehr verschieden, und es ist gut dass sie verschieden sind.

Wie sind diese zwei Arten von Priestern verschieden? Die einen sind sehr zahlreich, die anderen selten. Die Gemeindeältesten tun ihren Dienst nebenberuflich, die Priester tun ihn hauptamtlich. Die einen werden durch Abendkurse ausgebildet, die anderen durch jahrelange Formung und Studium. Die Gemeindeältesten sind nur für diese eine Gemeinde ordiniert aus der sie stammen, die Priester haben Jurisdiktion für alle Gemeinden der Diözese und können überallhin versetzt werden. Die einen sind in ihrer Gemeinde verankert, die anderen in der Diözese und ihrem Bischof. Die einen sind ganz in der Welt des Alltags zuhause, die anderen sind gewissermaßen aus der Welt herausgenommen.

Gehen wir zunächst näher auf den zahlenmäßigen Unterschied ein. Die Ausbilder-Priester sind selten. Ein Netzwerk von zwanzig oder dreißig Gemeinden hat zwei oder drei Priester. Man hätte aber dann in der gleichen Gegend ein hundert oder zwei hundert ordinierte Gemeindeälteste. Dieses Zahlenverhältnis scheint zunächst unwichtig zu sein. Die Praxis beweist jedoch dass das Zahlenverhältnis wesentlich ist. Es sollte 20:1 oder 100:1 sein, jedenfalls weit höher als nur 1:1.

Hier können wir von anderen Kirchen lernen. Wenn das Zahlenverhältnis zwischen nebenberuflichen Priestern und hauptamtlichen bei 1:1 bleibt, dann entsteht keine neue Rolle. Es entsteht kein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Verschiedenen, sondern ein nachbarliches, zwischen Gleichen. In einem Ort gibt es dann noch einen hauptamtlichen Pastor, im nächsten Ort “nur” einen nebenberuflichen. Es entsteht dann Unzufriedenheit unter den Gemeinden, weil sie eigentlich nicht einen nebenberuflichen Pastor haben möchten sondern einen “richtigen”. Es entsteht auch Unzufriedenheit unter den hauptamtlichen Pastoren weil sie sehen wie diese neuen nebenberuflichen ohne lange Ausbildung so ungefähr das Gleiche tun können wie sie selber nach langer Ausbildung. Diese Probleme entstehen, weil zu wenig Unterschied zwischen den beiden Arten besteht.

Die Frage ob zwischen den hauptamtlichen und den nebenberuflichen Pastoren ein großer Unterschied gemacht werden sollte oder nicht, ist eine nicht zu unterschätzende Frage. Wir Katholiken haben darin noch keine konkrete Erfahrung aber wir können beobachten was in anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften geschieht.

Dort hat man oft gemeint man müsse die Gemeinden gewissermaßen trösten, indem man ihnen nebenberufliche Priester gibt die den hauptamtlichen so ähnlich sind als möglich. Es hat sich als nachteilig erwiesen. Die nebenberuflichen werden immer als eine Art nicht ganz gelungener Nachahmung erscheinen. Aus all diesen Gründen ist deshalb viel besser, nicht von einer tröstenden Nachahmung zu reden, sondern die Idee der Gemeindeältesten als eine neues Ziel vorzustellen. Es geht um eine neue Art von Gemeindeleben, eine neue Zielvorstellung. Dann werden Gemeinden sagen: “Unsere Gemeinde hat dieses Ziel erreicht. Unsere Gemeinde hat es geschafft, einen Kreis von Gemeindeältesten zu haben”.

Für die Entscheidungsfindung der Gesamtkirche ist der entscheidende Punkt, dass durch diese große Verschiedenheit eine neue Rolle entsteht für den Priester der Ganzhingabe und dass in dieser neuen Rolle seine Lebenshingabe weiterhin sinnvoll ist. Nehmen wir ein konkretes Beispiel, nicht ein theoretisches sondern ein reales Beispiel das dem Durchschnitt der Pfarreien des Südens entspricht. Die Zahlen die ich jetzt nenne mögen hier in Europa unreal erscheinen, aber es sind die tatsächlichen Zahlen der durchschnittlichen Pfarrei. In einer solchen Pfarrei leiten drei Priester ein Netzwerk von 50 Gemeinden, jede mit einem Leitungsgremium von etwa zehn Männern und Frauen aus der Gemeinde, also 50-mal Zehn, etwa 500 leitende Laien. Die drei Priester bilden seit Jahren diese 500 leitenden Laien dieser Gemeinden aus. Sie versuchen auf vielerlei Weisen die Kompetenz und die Spiritualität dieser 500 leitenden Männer und Frauen zu vertiefen. Sie übertragen ihnen so viel Verantwortung als nur irgend möglich. Nehmen wir nun an, dass eines Tages die Genehmigung erteilt wird dass örtliche bewährte Leitungspersonen die Priesterweihe empfangen können. Dann würden in einer solchen Netzwerk-Pfarrei aus den fünf hundert etwa ein hundert ordiniert. Unsere Frage lautet dann: Wie wird das auf die drei Ausbilder-Priester wirken? Die Antwort kann nur lauten: Sie werden keineswegs sagen sie würden nun nicht mehr gebraucht. Im Gegenteil, sie werden wissen, dass sie nun noch mehr gebraucht werden. Sie werden auch selber daran interessiert sein, dass diese hundert ordinierten Gemeindeältesten ihren neuen Dienst immer besser tun, also dauernde Weiterbildung erhalten. Sie werden ebenso versuchen noch weitere Kandidaten auf diesen Dienst vorzubereiten. Die Ordination dieser hundert Gemeindeältesten wird also jedenfalls keine Verunsicherung der zwei oder drei Priester bedeuten. Der Hauptgrund dafür ist die neue Rolle die die Ausbilder-Priester ausüben.

Bleiben wir bei diesem Beispiel, denn die Frage ob die existierenden Priester durch solche Ordinationen gefährdet werden oder nicht, ist die Schlüsselfrage. Bedenken wir jetzt den umgekehrten Fall, der in Wirklichkeit kaum existiert. In diesem zweiten imaginären Fall würden die gleichen fünfzig Gemeinden ebenfalls sehr aktiv werden, und dort würden ebenfalls 500 leitende Männer und Frauen die Wortgottesdienste halten und die 50 Gemeinden leiten. Nehmen wir aber nun an, dass diese 500 Laien-Leiter in diesem Fall nicht von ihren drei Priestern ausgebildet worden sind und ganz unabhängig von diesen drei Priestern ihren Leitungsdienst ausüben. Wenn in einer solchen Pfarrei ein hundert jener bewährten, ausgebildeten Leute ordiniert würden, wie würden sich in diesem zweiten Fall die drei Priester fühlen? Sie müssten sich überflüssig vorkommen. Sie würden diese Entwicklung nicht begrüßen. Sie würden sich entwertet fühlen. Denn sie würden sagen: was wir unter großen Opfern getan haben das dürfen nun andere auf viel leichtere Weise tun. Unser Opfer war sinnlos!

Dieses zweite Beispiel ist ein rein theoretisches. In den Pfarreien des Südens kommt es praktisch nie vor. Wie sollten die 500 leitenden Leute auf andere Weise ausgebildet werden, ohne die drei Priester? Wir haben diesen theoretischen Fall jetzt nur erwähnt um ganz klar zu machen dass die Ausbilder-Rolle des Priesters ein entscheidender Punkt ist und – das muss betont werden – dass diese Rolle bereits existiert. Diese Rolle wird bereits seit ein paar Jahrzehnten tatsächlich ausgeübt. Es ist im Großteil der Pfarreien des Südens nicht Theorie sondern Tatsache. Wo das der Fall ist, dort soll man deshalb die Einführung von Kreisen von Gemeindeältesten nicht als eine Gefahr ansehen für die bestehenden Priester.

Nun zur Frage warum es sich jeweils um einen Kreis von leitenden Leuten handeln muss in einer Gemeinde, nicht um die Ordination einer einzelnen Person. Dafür gibt es mehrere Gründe. Dieser Aspekt ist ein Ergebnis der Erfahrungen die man in vielen Jahren in den Jungen Kirchen gemacht hat. Es geht vor allem um die Bildung von Gemeindebewusstsein. Wenn man gemeinsame Verantwortung erreichen will, dann wird man die Verantwortung so weit streuen als möglich. Manche fürchten zunächst, diese weite Streuung der Verantwortung, diese Bildung von Teams, würde zu Spaltungen führen oder zu mehr Streit. Aber auch wenn man die Dienste an Einzelne vergibt, gibt es ebenfalls Spannungen. Denn ein Einzelner war früher allen anderen gleich und nun trägt er auf einmal als Einzelner die alleinige Verantwortung. Spannungen wird es immer geben, aber sie werden verringert, wenn mehrere wissen, dass sie auf einander angewiesen sind, dass sie sich abwechseln müssen, dass sie gemeinsam die Probleme lösen müssen. Die Erfahrung hat gelehrt: wenn nebenberuflich, dann nur ein Kreis, nicht eine einzelne Person.

Das Nein zu Einzel-Ordinationen hat auch mit den bestehenden Priestern zu tun. Bei Einzel-Ordinationen wird es den hauptamtlichen Priestern kaum gelingen auf die Dauer ihre Ausbilder-Rolle zu entwickeln. Die Erfahrung zeigt: Ausbildung von Einzelnen bleibt stecken, wird keine Dauereinrichtung sondern verflüchtigt sich. Die Praxis sagt uns: wo immer Einzelne als “Ersatz” arbeiten, liegt die Ausbildung irgendwo anders. Sie geht am Ortspriester vorbei. Die neue Ausbilder-Rolle entsteht nicht. Es entstehen vielmehr Nachbarn im gleichen Amt. Einzel-Ordinationen sind nachteilig für alle.

Man muss bei dieser Frage nach Einzelordinationen auch an die Folgen für die Gemeinde denken. Im Fall von Einzel-Ordinationen liegt die ganze Veränderung bei jener einzelnen Person die ordiniert werden soll. Jene Einzelperson ist gefordert, nicht die Gemeinde. Die Gemeinde kann so passiv bleiben wie bisher. Sie wurde früher vom zölibatären Priester versorgt und nun – etwas weniger intensiv – von jenem Einzelnen. Ganz anders bei der Bildung von Kreisen von Gemeindeältesten. So ein Kreis entsteht nur, wenn vorher ein viel größerer Kreis von vielen aktiven Leuten da war. Ohne Gemeindebildung geht das nicht. Ein Kreis von Gemeindeältesten setzt Jahre von Gemeindebildung und Mitarbeiterschulung voraus. Die Bildung eines solchen Kreises überwindet nicht nur die Seltenheit der Sakramente sondern überwindet auch die Versorgungsmentalität der Gemeinde.

Nun zur Terminologie. Sie haben sich vermutlich gewundert warum ich immer den Ausdruck “Gemeindeälteste” verwendet habe. Ich habe selbst früher andere Ausdrücke verwendet, wie “Viri Probati”, “Gemeindepriester”, “Leutepriester”, “Teilzeitpriester”, “Korinthpriester”. Ich habe dann nachgeforscht welche Erfahrung andere Kirchen gemacht haben, die ja bereits in großer Zahl nebenberufliche Geistliche haben. Dabei fiel mir auf wie nachteilig es ist, einen Ausdruck zu wählen der das Wort “Priester” enthält, wie “Teilzeitpriester” etc. Natürlich wollen wir eine Form des priesterlichen Amtes. Wir wollen Priester. Aber diese Nebenberuflichen “Priester” zu benennen, ist nicht ratsam. Ein solches Kombinationswort wie “Teilzeitpriester” oder “Gemeindepriester” wird immer den Beigeschmack eines “Ersatzes” behalten. Die Leute werden sagen: “Früher hatten wir einen richtigen Priester, heute haben wir nur mehr einen Teilzeitpriester”.

Es steckt noch mehr in dieser Suche nach einem neuen Wort: Wir wollen ja gar nicht sagen dass wir die bisherige Rolle des Pfarrers kopieren wollen. Wir wollen gar nicht sagen dass wir eine Ausdünnung, eine künstliche Verlängerung der bestehenden Amtsform suchen. Wir wollen vielmehr sagen dass wir eine genuin neue Form des Amtes und eine neue Form der Gemeinde aufbauen wollen. Deshalb brauchen wir ein neues Wort dafür, ein Wort das nicht an das Wort “Priester” angelehnt ist.

Es geht um viel mehr als um einen Notbehelf

Bei diesen Überlegungen wurde schon deutlich dass es um viel mehr geht als nur um die Überwindung des Priestermangels.

Es entsteht z.B. ein weit höheres Maß von Gemeinsamkeit in der Kirche. Wenn Kreise von Gemeindeältesten entstehen, dann gibt es keine zwei Blöcke mehr in der Kirche, von “Laien” auf der einen Seite und “Klerikern” auf der anderen. Die beiden Begriffe “Laien” und “Kleriker” werden ganz einfach außer Gebrauch kommen. Man braucht sie gar nicht abschaffen. Sie werden einfach unpassend werden. Denn, wenn man dann fragt ob diese Gemeindeältesten Laien seien oder Kleriker, dann fällt die Antwort schwer. Keines der beiden Worte passt für diese Gemeindeältesten. Die Idee eines separaten Standes der Kleriker wird unreal werden und man wird einfach aufhören im alltäglichen Sprachgebrauch die beiden Worte zu gebrauchen.

Es geht tatsächlich um viel mehr als um einen Notbehelf. Es wird viele Folgen haben wenn auf diese Weise ein nicht-klerikales Amt entsteht. Wie oft haben wir unter allen Formen von Klerikalismus gelitten und wie oft schon haben wir davon geträumt den Klerikalismus zu vermeiden oder zu überwinden. Durch bessere Ausbildung der Priester, durch Aufforderung zu Bescheidenheit, durch weniger auffallende Kleidung usw. Was hier vorgeschlagen wird ist ein ganz anderer Weg: das Monopol überwinden. Denken wir kurz zurück an das oben genannte Beispiel eines Netzwerkes von fünfzig Gemeinden, in denen ein hundert die Priesterweihe erhalten haben, nicht nur die drei. Das Monopol ist dann vorbei, und damit eine Hauptwurzel des Klerikalismus.

Ein weiterer Schritt wird auf diese Weise getan. Die Trennung in Weltdienst und Amt wird überwunden. Bisher litten wir oft unter dem Diktum “Der Weltdienst ist den Laien eigen”. Wenn man in Zukunft an den meisten Sonntagen Leute am Altar sieht die ebenso im Beruf stehen wie alle anderen, dann entfällt diese Trennung. Es ist dann klar sichtbar dass Weltdienst die Sache aller ist.

Bei der Entscheidung für oder gegen die Einführung dieser neuen Form des Amtes geht es also eigentlich um die viel größere Frage nach dem Erscheinungsbild des Glaubens.

Wann sind Gemeinden bereit für die Einführung von Kreisen von Gemeindeältesten?

Wir müssen uns jetzt der Frage zuwenden, unter welchen Voraussetzungen dieses Zielmodell durchführbar ist.

Es ist völlig klar, dass nicht jede Diözese und nicht jede Gemeinde die Vorbedingungen dafür erfüllt. Vor der Bildung eines Kreises von Gemeindeältesten müssen vorhanden sein:

  • “Sich selbst tragende Gemeinden”,
  • Ausbilder-Priester,
  • Nicht-endende Weiterbildung,
  • Stützung durch die Diözesanleitung.

Diese Liste von Vorbedingungen wird sehr unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Einige werden sagen, das seien völlig unrealistische Erwartungen, andere werden sagen das hätten sie schon lange erreicht. Wenn man statistisch zeigen könnte ein wie großer Teil der Weltkirche zu diesen beiden Reaktionen gehört, dann würde man sehen, dass etwa die Hälfte der Gesamtkirche diese Bedingungen bereits erfüllt oder nahe daran ist sie zu erfüllen. Die Diözesen des Nordens würden vermutlich mehr dazu neigen diese Vorbedingungen als unrealistisch anzusehen. Woher kommt dieser Kontrast?

Es ist nicht ein Unterschied in der theologischen Grundrichtung sondern ein Unterschied in der Ausgangsposition. In den Diözesen des Nordens steht seit uralter Zeit neben jeder Kirche ein Pfarrhaus. In den Diözesen des Südens dagegen stand neben dem Kirchengebäude noch nie ein Pfarrhaus, gab es noch nie an jedem Ort einen residierenden Pfarrer. Die Gemeinden waren schon immer ein Netzwerk aus sich selbst tragenden Gemeinden.
Dieser Unterschied verringert sich jedoch weil heute auch die priesterlosen Gemeinden des Nordens anfangen, sich zu einem Netzwerk zusammen zu schließen.

Auch der Unterschied an Mobilität und Anonymität muss gesehen werden. Im hoch industrialisierten Norden gibt es viele Situationen wo der Grad der Anonymität und der Mobilität so hoch ist, dass eine Gemeinschaftsbildung kaum möglich ist. Allerdings sind Situationen dieser Art zwar häufig aber nicht die Regel, vielleicht nicht einmal die Mehrheit. Der Unterschied zwischen Nord und Süd ist enorm, aber nicht total. Auch in den Diözesen des Nordens formulierte man als Ziel: “Die Gemeinde darf sich nicht versorgen lassen”.

Was, also wäre zu tun? Was könnte der erste Schritt sein?

Erste Schritte sind überall möglich und sind überall nötig

In den letzten Jahren meinten wir alle, der erste Schritt könne nur eine Entscheidung der Bischofssynode mit dem Papst sein. Das wurde auch bei der letzten Bischofssynode wiederum versucht und es ist wiederum gescheitert. Meine eigene Meinung hat sich geändert. Ich sehe jetzt ein, dass es einfach unmöglich ist, in dieser Sache eine Entscheidung der Bischofssynode zu erreichen. Die Ausgangssituationen sind zu verschieden, die Angst ist zu groß, dass man durch eine solche Entscheidung die wenigen Priesterberufe noch weiter gefährdet. Die beiden Standpunkte blockieren sich gegenseitig, noch bevor sie Gelegenheit haben ihre Vorschläge klar zu machen.

Es scheint, dass wir in dieser Situation nicht eine generelle Entscheidung der Gesamtkirche brauchen, sondern einige Erstlingsprojekte. Ein paar Diözesen die gut darauf vorbereitet sind, drei, vier, fünf, irgendwo auf der Welt, sollten um die Genehmigung ersuchen in einem begrenzten Teil ihrer Pfarreien, auf klar definierte Weise, Kreisen von Gemeindeältesten das Sakrament der Priesterweihe zu spenden.

Bei solchen Erstlingsprojekten besteht ihrer Natur nach nicht die sonst immer berufene Gefahr der lawinenartigen Ausuferung. Eine gefährliche Ausuferung ist nur bei der anderen Option wahrscheinlich, bei der Ordination von hauptamtlichen verheirateten Kandidaten. Der Unterschied besteht darin, dass bei unserem Vorschlag die Veränderung bei den Gemeinden liegt, nicht nur bei den Kandidaten. Gemeinden ändern sich nicht in Monaten sondern in Jahren. Eine Lawinenartige, plötzliche Ausuferung ist bei dem vorgeschlagenen Gemeinde-Weg nicht zu befürchten.

Erste Schritte sind überall möglich. Für einige Diözesen bestünde die Aufgabe also darin zu überlegen, ob sie bereits genügend darauf vorbereitet sind einen Antrag zu stellen auf solche Erstlingsprojekte. Die Aufgabe der vielen anderen Diözesen bestünde in entfernter Vorbereitung, also in Gemeinschaftsbildung, Mitarbeiterschulung, und in der Entwicklung des Ausbilder-Priesters. Erste Schritte sind überall möglich.

Trotzdem werden sich viele unwillkürlich überlegen ob es nicht einen einfacheren Weg geben könnte. Im Norden wie im Süden stehen wir tatsächlich vor der Wahl zwischen einem leichteren Weg und einem schwierigeren.

Im Norden wie im Süden: Die Wahl zwischen einem leichteren Weg und einem schwierigeren

In Europa ist es kein Geheimnis, was man sich unter einem einfacheren Weg vorstellt. Sehr viele fordern, dass man einfach die Zulassungsbedingungen zum Priestertum ändern solle, also einfach die Zölibatsverpflichtung optional machen. Das heißt: das Gesetzbuch ändern – und alles andere lassen wie es ist. Was sich verändert, ist lediglich das Gesetzbuch, und die passiven Gemeinden bleiben so passiv wie sie sind. Wir ordinieren einige Hauptamtliche und jede Gemeinde hat wieder ihren Pfarrer wie es immer war.

Im Süden kommt diese “einfachere” Lösung ohnehin nicht in Frage, aus finanziellen Gründen. Aber auch die Jungen Kirchen stehen vor der Wahl zwischen einer schwierigeren und einer leichteren Lösung; und diese leichtere Lösung heißt für sie: lieber die Sonntagseucharistie seltener werden lassen.

Sie in Österreich sind vermutlich nicht mit dieser “einfacheren Lösung” vertraut die sich insgeheim im Süden einschleicht. In Veröffentlichungen ist sie nur sehr selten zu finden, weil jedermann weiß, dass sie theologisch unvertretbar ist (ich kenne nur eine einzige solche Veröffentlichung). Aber in Gesprächen mit Theologen und Bischöfen ist sie tatsächlich zu hören: “Warum sollten wir die endlich erreichte Form eines einheimischen zölibatären Priestertums ändern um die regelmäßige Sonntagseucharistie zu gewährleisten? Wir sollten uns stattdessen fragen, ob wir wirklich unbedingt jeden Sonntag Eucharistie feiern müssen. Übertreiben wir nicht die Notwendigkeit, jeden Sonntag Eucharistie zu feiern? Auch die Heilige Familie ging nur einmal im Jahr hinauf nach Jerusalem…” – so kann man es manchmal hören. Auch für die Jungen Kirchen gibt es also diese Wahl zwischen einem leichteren Ausweg und einem schwierigeren.

Die Gemeinden des Nordens werden sich immer wieder fragen, ob Kreise von Gemeindeältesten hier realistisch möglich sind. Wie könnte so etwas im Norden aussehen?
Sind vielleicht die kleinen Pfarrverbände von drei Pfarreien mit einem Priester ein Ausgangspunkt? Man muss einsehen, meine ich, dass dieser Ausgangspunkt zu klein ist. Innerhalb von nur drei Gemeinden kann sich der Priester nicht leicht lösen von der Rolle des Versorgers. Er kann die Rolle des Ausbilder-Priesters nicht auf überzeugende Weise entwickeln. Man braucht dafür eine breitere Basis und das würde heißen es müssten sich einige benachbarte Pfarrverbände von je drei Gemeinden zusammen tun damit der entscheidende Punkt verwirklicht werden kann - dass zwei neue, verschiedene Formen des Amtes entstehen. Einige benachbarte Pfarrverbände, also zehn oder zwanzig benachbarte Gemeinden, gemeinsam mit ihren drei Pfarrern, müssten sich zusammen tun. Die drei Pfarrer würden in der Mitte der zwanzig Pfarreien ein Geistliches Zentrum einrichten und von dort aus die Rolle der Ausbilder-Priester übernehmen, werden “Spirituale” sein für die vielen Kreise von Gemeindeältesten.

Wir haben einen Vorschlag besprochen, der nicht für alle Teile der Kirche sofort passend ist. Er ist jedoch für den weitaus größten Teil der Kirche sofort passend, für die Hälfte oder für das Zweidrittel der Kirche. Für diesen großen Teil der Kirche handelt es sich auch nicht um etwas völlig Neues sondern um die Vervollständigung einer Entwicklung die schon lange im Gang ist.

Abschließend sollten wir uns bewusst werden, dass wir uns an einer Art Wendepunkt befinden. All die Jahrhunderte bis jetzt konnte man dem Zweidrittel der Kirche, den Jungen Kirchen, immer sagen: “wir wissen von eurer Not; wir wissen dass euer Gemeindeleben unvollständig ist; aber die Zeit wird kommen wo auch ihr so sein werdet wie die voll entwickelten Kirchen Europas”. Jetzt ist ein Zeitpunkt gekommen wo man das nicht mehr sagen kann. Die missionierenden Kirchen Europas sagen heute etwas anderes. Sie sagen: “Wir haben die Formen des Gemeindelebens von denen vor uns erhalten, wir haben sie für Jahrhunderte selbst gelebt, wir haben sie an euch im Süden weiter gegeben, wir haben sie euch streng vorgeschrieben, wir haben gesagt ihr solltet geduldig warten bis ihr diese Formen eines Tages so leben könnt wie wir - aber heute können auch wir in den Kirchen des Nordens diese Formen des Gemeindelebens nicht mehr aufrecht erhalten. Lasst uns gemeinsam suchen wie das Amt der Kirche heute gestaltet werden soll”.

Zum Autor: Dr. Fritz Lobinger ist 1929 in Passau geboren und wurde 1955 in Regensburg als Priester ordiniert. Bereits 1956 ging Lobinger in die Mission nach Südafrika. Dort war er von 1970 bis 1986 Direktor des in der Nähe von Johannesburg gelegenen Lumko Missiological Institute, dem zur Umsetzung des Zweiten Vatikanums geschaffenen Pastoralinstitut der Bischofskonferenzen für das südliche Afrika. 1986 promovierte Lobinger zum Doktor der Theologie. Von 1986 bis 2004 war Lobinger katholischer Missionsbischof von Aliwal in Südafrika. Als Direktor des Lumko Missiological Institute entwickelte er das Pastoralmodell der Kleinen Christlichen Gemeinschaften und die Methode des Bibel-Teilens mit.