10.10.2007, Nieuwenhuis OP; Salemans OP; Willems OP
Die Provinzialleitung der niederländischen Dominikaner hat nachstehenden Text auf Niederländisch genehmigt und allen Pfarren sowie den Bischöfen der Niederlande zur Verfügung gestellt und zu einem Studientag zu diesem Thema eingeladen.
Der Niederländische Text ist die authentische Urfassung. Der deutsche Text ist eine Arbeitsübersetzung und nicht autorisiert!
KIRCHE UND AMT
Arbeitsübersetzung
17. September 2007
INHALT
Einleitung
1. Skizze der Situation
2. Was ist Kirche?
3. Eucharistie
4. Vorsteher in der Kirche
Literatur
EINLEITUNG
Auf dem Provinzialkapitel der Niederländischen Dominikaner vom Juni 2005 war die Eingabe einer Gruppe von niederländischen Dominikanern Gegenstand der Beratung. Die Eingabe lautete:
‘Das Kapitel wird ersucht, möglichst schnell eine Kommission von Fachleuten von innerhalb und außerhalb des Ordens mit dem Auftrag zu berufen, sie möge die theologischen, exegetischen und kirchengeschichtlichen Aspekte der Frage untersuchen, ob das kirchliche Amt und die Spendung der Sakramente, insbesondere der Eucharistie, ausdrücklich und ausschließlich geweihten zölibatären Männern vorbehalten sind oder ob es Möglichkeiten gibt, dass auch andere Personen, zum Beispiel von der Kirchengemeinde angestellte Leiter/innen, sie vollziehen und spenden können. Ziel dieser Studie sollte ein richtungweisendes Dokument sein, das von den niederländischen Dominikanern zu bestätigen und der Basis sowie der Leitung der Niederländischen Kirchenprovinz anzubieten ist.’
Auf dem Kapitel erhielt das Ersuchen Zustimmung; die Beratung mündete in einen Beschluss, der in die Akten des Kapitels aufgenommen wurde. Unter dem Titel „Pfarreien im Lichte eines neuen Kirchenbildes” wurde folgender Auftrag formuliert:
‚Ein Zentrum von Glauben und Spiritualität kann eine neue Form des Kircheseins annehmen. Auch dort wird der Wunsch entstehen, Eucharistie zu feiern. Ein solcher Wunsch lebt bereits in Pfarreien, die keine Eucharistie feiern, weil sie keinen geweihten Leiter mehr haben. Deshalb beauftragen wir die Provinzleitung, so schnell wie möglich eine Kommission oder Arbeitsgruppe von Spezialisten mit der Aufgabe einzusetzen, die theologischen Aspekte der Frage zu studieren, ob die Feier der Eucharistie vom kirchlichen Amt geweihter Männer abhängt oder ob es möglich ist, dass die Kirchengemeinde selbst bzw. die von ihr angestellten Leiter/innen die Eucharistie feiern. Ziel dieser Studie müsste ein richtungsweisendes Dokument sein, das die Provinzleitung der niederländischen Dominikaner der niederländischen Kirchenprovinz, insbesondere den Pfarreien und Zentren von Glauben und Spiritualität zur Diskussion anbieten kann. Erstes Ziel sollte es sein, einen offenen Dialog zu eröffnen, an dem sich alle Interessierten beteiligen können. Ferner muss die Kommission eine Strategie zur Ermöglichung dieses offenen Dialogs entwickeln’ (Akten 6.8).
( Die niederländischen Begriffe für den Vorsitz bei der Eucharistie „voorgaan“ und „voorganger“ werden in diesem Arbeitstext vorläufig mit dem Begriff „Vorsteher/in“ [Zelebrant/in] wiedergegeben. Bisweilen wird der Begriff „Leiter/in“ eingeführt, denn aus wohlerwogenen lassen sich die Funktionen der Gemeindeleitung und des Vorsitzes in der Eucharistiefeier nicht immer unterscheiden.)
Die Kommission begann ihre Arbeit mit dem Besuch von einigen Pfarreien, um sich ein Bild darüber zu machen, wie man über die oben formulierten Fragen denkt, worauf man in der Praxis hofft und wie man die Zukunft sieht. In keiner einzigen Pfarrei gab es darüber einen Konsens: Offensichtlich sucht und zweifelt man. Man hat kein klares Bild darüber, wie es in diesen Fragen weitergehen müsste oder könnte.
Doch waren in diesen Gesprächen dann übereinstimmende Meinungen zu hören, wenn es um das allgemein als schwierig erfahrene Verhältnis zur offiziellen Amtsführung der verschiedenen niederländischen Bistümer ging. Viele Gläubige empfinden gegenüber der heutigen, oft als schmerzhaft und entmutigend erfahrenen Situation ein großes Unbehagen. Offensichtlich erwartet man, dass verschiedene diesbezügliche Themen endlich geklärt werden.
Das Folgende soll zu einer solchen Klärung beitragen. Der Text wurde von der von der Provinzleitung gebildeten Kommission verfasst: André Lascaris OP., Jan Nieuwenhuis OP., Harrie Salemans OP. sowie Ad Willems OP. Er versucht, die wichtigsten Aspekte der Thematik in einer brauchbaren und verständlichen Art darzustellen. Es geht um das Kirchenbild, das Sakrament, insbesondere die Eucharistie sowie um das Leitungsamt bei der kirchlichen Gottesdienstfeier.
Diese Schrift wurde von der Provinzialleitung der niederländischen Dominikaner angenommen und wird von ihr verbreitet. Sie soll keine Richtlinie oder Feststellung einer Lehre sein, sondern der Beitrag zu einer erneuten und tiefergehenden Diskussion. Sie soll dazu beitragen, die aktuelle Ausweglosigkeit zu überwinden und nach Möglichkeit ein Gespräch in Gang zu bringen, das der Glaubenserfahrung vieler zugute kommen kann.
11, Januar 2007 Die Provinzialleitung der niederländischen Dominikaner
1. SKIZZE DER SITUATION
Wer im Augenblick einen Überblick über die Situation von Kirche und Amt geben will, sieht sich bei denen, die mit der Regelung kirchlicher Zusammenkünfte innerhalb und außerhalb der Pfarreien faktisch betraut sind, mit sehr unterschiedlichen Praktiken und Gedanken konfrontiert. Vor allem zeigt sich ein fundamentaler Unterschied zwischen den Ideen und der Praxis der offiziellen Autoritäten einerseits und andererseits derjenigen, die Woche für Woche für die Gottesdienste in ihrer Kirchengemeinschaft Verantwortung tragen.
Im Folgenden soll sehr vorläufig beschrieben werden, wie die Verhältnisse liegen und welche Probleme sich im Alltag stellen.
Situation
Die offiziellen Autoritäten verfolgen bei der Leitung der Eucharistiefeiern, bisweilen auch bei der Spendung anderer Sakramente, eine strenge und eindeutige Linie: Nur ein geweihter Priester kann und darf bei der Feier der Eucharistie (bei der Spendung der Krankensalbung sowie bei der Verkündigung) die Leitung übernehmen. Bei Abwesenheit eines geweihten Priesters kann von einer Eucharistiefeier keine Rede sein.
Vor einiger Zeit wurde dieser Standpunkt in Trouw (25. März 2006) wie folgt erläutert: „Nach der Lehre der Kirche sind Wort- und Kommunionfeiern nur eine halbe Sache: Man sitzt zwar in der Kirche, aber verpasst die Eucharistie. Pastorale Mitarbeiter können Brot und Wein nämlich nicht selbst in den Leib und das Blut Christi ‚umsetzen’. Sie können nur die Hostien austeilen, die zuvor ein Priester während einer Eucharistiefeier geweiht hat.“ Kurz darauf schrieb im selben Blatt A. Hurkmans, Bischof von ’s-Hertogenbosch und innerhalb der Bischofskonferenz Sprecher für Liturgiefragen: „Dort, wo wirklich keine Eucharistiefeier möglich ist, können Wort- und Kommunionfeiern eine sehr wertvolle Rolle spielen. Wenn aber eine Wort- und Kommunionfeier auf der liturgischen Menukarte endgültig als gleichwertige Alternative zur Eucharistie erscheint, dann wird deren einzigartige Bedeutung für das Leben der Kirche verkannt. Dann erbauen wir die Kirche von morgen auf einem zu unsicheren Grund“ (6. April 2006).
Offensichtlich teilt vor Ort ein – vermutlich großer – Teil diesen Standpunkt nicht. Viele Pfarreien und Glaubensgemeinschaften sind mit der nüchternen Tatsache konfrontiert, dass ihnen schon jetzt oder in Kürze kein geweihter Priester mehr zur Verfügung steht und dass es auch keine Aussicht auf Verbesserung dieser Situation gibt. Die Kirchenleitung versucht, diesen zunehmenden Mangel teils durch den Import geweihter Priester aus dem Ausland, teils durch eine Politik der Regionalisierung zu beheben: Pfarreien werden zusammengelegt; nur ein Priester hat dann mehrere Pfarreien zu versorgen. Viele Gemeinschaften an der Basis sind über diese Situation zumindest unglücklich. Hier und da versucht man diese Politik zu umgehend.
Doch haben die kirchlichen Gemeinschaften gegen diese Situation einen grundlegenden Einwand. Er lautet: Die offizielle Kirchenleitung entscheidet sich prinzipiell für den Schutz des Priesteramtes in seiner heutigen Form gegenüber dem Recht der Glaubensgemeinschaft auf Eucharistie. Ihr ist die Beachtung der offiziell bestätigten Hochgebete und vor allem das Aussprechen der Einsetzungsworte nicht nur wichtiger als die Gemeinschaft der Gläubigen; theoretisch und praktisch setzt man so die ausschließliche, dem geweihten Priester reservierte Vollmacht durch.
Vielen Pfarreien und Glaubengemeinschaften gilt diese Struktur nicht nur wegen der aktuellen Notlage als reformbedürftig, sondern auch deshalb, weil sich das Verständnis von Eucharistie und Eucharistiespendung seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil verändert hat. Die Regelungen zur Feier der Eucharistie und zur Spendung anderer Sakramente befinden sich in einer allgemeinen Krise. Im Folgenden soll diese Krise analysiert und benannt werden. In den dann folgenden Kapiteln wird von der Schrift und der Überlieferung her begründet, wie man ihr möglicherweise begegnen kann.
Problematische Punkte
Zur Überwindung des beschriebenen Dilemmas behelfen sich viele Pfarreien und Kirchengemeinschaften dadurch, dass sie bei der Präsentation nach außen zwischen einer „Eucharistiefeier” und einer „Wort- und Kommunionfeier” unterscheiden. Die „Eucharistiefeier” wird von einem geweihten Priester geleitet. In einer „Wort- und Kommunionfeier” werden die Einsetzungsworte zwar ausgesprochen, aber schon vorher konsekrierte Hostien ausgeteilt, weil ein Nicht-Priester die Leitung innehat. Oft wird diese Unterscheidung zuvor im Programm angekündigt, so dass die Kirchenbesucher informiert sind und auch entscheiden können, ob sie zur angekündigten Feier gehen wollen oder nicht.
Der wichtigste Grund für dieses Vorgehen wird mit den Worten umschrieben: Es geht nicht anders. Pfarreien entscheiden sich für diese Lösung aus der Notlage heraus; eigentlich gäben sie sie lieber auf, denn in beiden Gottesdienstformen sehen sie vollwertige Gottesdienste. Auch die Kirchgänger erleben beide Formen des Feierns überwiegend als vollwertig. Sie erfahren kaum einen Unterschied, denn ein großer Teil des Kirchenvolkes schätzt eine Wort- und Kommunionsfeier genauso wie eine Eucharistiefeier im strengen Sinn.
Auch für das gläubige Erleben ist der Unterschied zwischen „Eucharistiefeier” und „Wort- und Kommunionfeier” oft nicht oder kaum relevant. Vor allem führt er zu prinzipiellen Einwänden (darüber später). Deshalb haben manche Glaubensgemeinschaften den Wunsch, diese Unterscheidung aufzugeben. Bisweilen ist von „Agapefeier“ oder von „Gedächtnisfeier“ die Rede; bisweilen spricht man nur von einer „Wochenendfeier“ oder „wöchentlichen Feier“ und lässt dabei offen, ob ein geweihter Vorsteher anwesend ist oder nicht. Andere sprechen für den Fall, dass der geweihte Priester ausfällt, von einer „Notfeier“. Das vorherrschende Bild an diesem Punkt lässt sich so umschreiben: Man balanciert am Rande dessen, was die höhere Hand formell zugesteht. Ab und zu werden zur Vermeidung von Problemen Grenzen überschritten oder verwischt. Von ihrer tiefsten Glaubensüberzeugung her blieben die Pfarreien gerne von der Verpflichtung zu dieser Unterscheidung verschont.
Dabei ist man sich darüber einig, dass für die Leitung von Gottesdiensten auch an Laien hohe Anforderungen zu stellen sind. Oft müssen sie einen Vorbereitungskurs absolvieren. Bisweilen legt man eine Probezeit zur Beurteilung der Frage fest, ob die Betroffenen zur Erfüllung ihrer Aufgabe hinreichend befähigt sind. Nirgendwo ist zu hören, man könne jemanden einfach so und ohne jede Form der Auswahl mit dieser Aufgabe betrauen. Dagegen wird die Wahl derer, die dieses Amt ausüben sollen, überall als eine Aufgabe der Gemeinde gesehen; die Wahl kommt also mit oder ohne ein bestimmtes festgelegtes Verfahren von unten. Es herrscht die tiefe Glaubenseinsicht, dass die Leitung von Gottesdiensten in einer Gemeinde nicht nur von der Gemeinde aus zu stützen und zu bestätigen ist, vielmehr ist die Gemeinde im Prinzip sogar die Instanz, die diese Gemeindeleitung begründet und in die Tat umsetzt. Solche Pfarreien oder Kirchengemeinschaften erkennen also überwiegend an, dass die Gottesdienstleitung in der Gemeinde von unten kommt und von der Gemeinde selbst bestimmt wird. Bei der Anstellung eines Laien zur Leitung des Gottesdienstes gibt es also keinen Unterschied und keine Klausel, die festlegt, dass der Kandidat ein Mann ist. Frauen können dieses Amt genauso ausüben wie Männer, so die vorwiegende Überzeugung.
In allen Fällen wird die gegenwärtige Situation als beengend erfahren. Das Bistum setzt mit Nachdruck auf klerikale Pfarreien. Falls die Pfarreien jedoch die Gelegenheit dazu bekämen, würden sie sich prinzipiell für andere Regelungen entscheiden, in denen „geweihte” Priester und „berufene” Laien (Männer und Frauen) gleichberechtigt arbeiten können. Die Pfarreien gestalten die Beziehungen zum Bistum meist so offen wie möglich, doch hat sich ein Teil hat dafür entschieden, nicht alles in die Öffentlichkeit zu bringen. Man erfährt die gegenwärtige Situation als von oben her blockiert: Die Pfarreien können nicht tun, was sie aus ihrer pastoralen Sorge heraus tun möchten.
In manch einer Pfarrei gibt es denn auch einen mehr oder weniger klar ausgearbeiteten „Katastrophenplan”: Was ist zu tun, wenn die höhere Autorität eingreift und bestimmte Entwicklungen verbietet? Bisweilen ist man dann nicht dazu bereit, jeden von dieser Autorität bestimmten Priester als Gottesdienstleiter zu akzeptieren. In diesem Fall wollen sich manche sogar weigern, dem vom Bistum bestimmten Gottesdienstleiter die Kirchenschlüssel auszuhändigen. Andere möchten sich auf keine Konfrontation mit dem Bistum einlassen, vielleicht haben sie dazu nicht den Mut. Doch in jedem Fall will jede der betroffenen Glaubensgemeinschaften innerhalb der großen Gesamtheit der katholischen Kirche bleiben. Hier und da erfährt man den Umgang mit dem Bistum als einen Eiertanz. Einerseits sind nicht alle Probleme einen Streit mit dem Bistum wert, andererseits fühlt oder erfährt man sich vor den Kopf gestoßen; bisweilen kann man nicht tun, was man aus Überzeugung tun möchte. Der höheren Hand wird vorgeworfen, sie wolle die Kirche mit Hilfe von auferlegten Strukturen und mit Mitteln der Macht zusammenhalten. Wovon man auf Pfarrebene gerne träumt, das stößt immer wieder auf praktische und lehramtliche Probleme. „Was auch geschehen mag, wir machen weiter”, sagen manche. Aber dem steht die Angst vieler gegenüber, ihr Traum werde sich nie erfüllen. Faktisch ist das Verhältnis zwischen der höheren Autorität und der Basis äußerst verletzlich und schwierig. Man vertraut einander überhaupt nicht oder nur in geringem Maß.
Zwiespältigkeit
Wie schon gesagt, entwickelt eine wachsende Anzahl von Pfarreien und Glaubensgemeinschaften Lösungen in eigener Regie. Schon die Unterscheidung zwischen „Eucharistiefeier” und „Wort- und Kommunionfeier” (oder etwas Ähnliches) gehört dazu. Doch zur Not nimmt man es in der Praxis mit dieser Unterscheidung nicht so genau. Beim möglichen Mangel von konsekrierten Hostien geht man dann anderswo auf Suche und findet dann doch nicht, dass die Lösung der Eucharistiefeier würdig wäre. Bisweilen ergänzt man den eigenen Vorrat an konsekrierten Hostien mit nicht konsekrierten Hostien und entschuldigt sich damit, dass das „doch niemand weiß”. So hat man den Eindruck, dass man den genannten Unterschied eher macht, um mit der höheren Autorität keinen Konflikt zu bekommen, als auf Grund einer inhaltlichen Glaubensüberzeugung, die eine wirkliche Unterscheidung akzeptiert. Die praktizierten Lösungen werden also nicht als stimmig erlebt, sondern vielmehr als Schein- oder Notlösungen erfahren.
Dasselbe gilt für andere Punkte, die mit dieser Unterscheidung verwandt sind. So nimmt man es in der Praxis mit dem Gebrauch von offiziellen, von der kirchlichen Autorität zugestandenen Hochgebeten ohne viel Gewissensbisse nicht so genau. Manche Pfarreien nennen die offiziellen Richtlinien an diesem Punkt sinnlos und handeln dementsprechend. Offensichtlich werden die Gebete, die von den Gottesdienstleiter/innen oder der Gemeinde verfasst sind, oft mehr als die offiziell vorgeschriebenen geschätzt, weil sie besser auf das eingehen, womit man sich im täglichen Leben beschäftigt. Oft zeigen sich der Wunsch und die Praxis, die festgelegten Einsetzungsworte durch verständlichere Formulierungen zu ersetzen, die besser auf den neuen Glaubensinstinkt eingehen. Auch hier zeigt sich immer wieder, wie beengend man die von der kirchlichen Autorität festgelegten Worte und Handlungen erfährt. Faktisch; mehr oder weniger heimlich geht man seinen eigenen Weg. Die ganze Skala dieser Fragen zeigt ein ziemlich hohes Maß an notgedrungener Unechtheit, Hinterhältigkeit, an verborgenem und möglichst geheimem Widerstand. Es scheint so, als befinde sich die Kirche an diesen Punkten in einer Katakombensituation, als wolle oder könne man über Tage nicht wissen, was unter Tage geschieht.
Eine vergleichbarer Zwiespalt bricht bei der Wahl und Anstellung von Laien als Leiter/innen von Wort- und Kommunionfeiern auf. An diese Personen werden klare Forderungen gestellt. Bisweilen will man die Gleichwertigkeit mit dem von oben anerkannten Priester betonen. Um der Exklusivität des Priesters insgesamt zu entgehen, ist z.B. von einer „Pastoralgruppe” die Rede.
In der bestehenden Konfliktsituation zwischen dem Bistum auf der einen und vielen Pfarreien auf der anderen Seite spielen die Finanzen ein besondere Rolle. Auch da ist es zu Schwierigkeiten gekommen. Manchmal geben Pfarreimitglieder der Pfarrei keinen finanziellen Beitrag mehr, weil ein Teil davon an das Bistum weitergeleitet wird. Deshalb wurde an manchen Orten eine unabhängige, ganz auf eigene pastorale und diakonale Ziele ausgerichtete Stiftung ins Leben gerufen. Die Pfarreimitglieder, die keine Überweisungen an die Diözese wünschen, können ihren finanziellen Pfarreibeitrag dorthin überweisen. Solche Stiftungen haben eigenen, vom Kirchenvorstand unabhängigen Vorstand und nehmen die gewählten Laien als Leiter/innen in Dienst. So verwirklicht man wieder mit dem Ziel zweigleisige Strukturen, der ausschließlichen Macht von oben zu entgehen.
Allerdings sind die Kirchengebäude meistens Eigentum des Bistums; deshalb hat die kirchliche Autorität die Macht, Gottesdienste innerhalb dieser Kirchen zu verhindern oder darauf wenigstens einen starken Einfluss zu nehmen. Viele Pfarreien erfahren auch diese Situation als bedrückend: Mit Händen und Füßen fühlt man sich gebunden. Man kann nicht tun, was man tun möchte. Man hat das Gefühl, dass man gegen unerschütterliche Mauern anrennt, die verhindern, was gemäß diesen Pfarreien möglich sein müsste. Die finanziellen Fakten zwingen die Gläubigen an der Basis, sich an die Vorschriften zu halten. Man fühlt sich nicht frei. Also sucht man Schleichwege, um dieser als beengend erfahrenen Situation zu entgehen. Bisweilen gleicht die Kirche dann mehr einer zurückhaltenden Widerstandsorganisation als einer von oben beseelten Glaubensgemeinschaft.
Zukunft
Auf die Frage: „Was wäre Ihr Wunsch für die Zukunft?” antworten Pfarreien oft: unseren eigenen Weg zu gehen. Gemeint ist damit keine unkontrollierte Zügellosigkeit, aber in eigener und aufrichtiger Verantwortlichkeit und aus der ebenso eigenen und aufrichtigen Glaubensüberzeugung heraus will man tun können, wovon man zutiefst überzeugt ist, dass es zu tun sei.
Das beinhaltet erstens, dass die Vorsteher/innen von Eucharistiefeiern prinzipiell von der Gemeinde selbst, also von unten wählbar sind.
Das heißt nicht, dass man eine Bestätigung, einen Segen oder eine Weihe durch die kirchliche Autorität (konkret: durch den Bischof) nicht für wünschenswert hielte. Im Gegenteil, man hält eine solche Bestätigung oder Weihe für das Amt für sehr wichtig. Man wünscht sich ein Ritual: In ihm ersucht die Glaubensgemeinschaft den Bischof, von ihr selbst ausgewählte und vorgeschlagene Personen – Männer und Frauen – zu Vorsteher/innen zu weihen, daraufhin vollzieht der Bischof diese Weihe. Es kommt in diesem Ritual zu einem Zusammenspiel von unten und oben: Die Gemeinschaft schlägt vor, der Bischof weiht und besiegelt den Vorgang gemäß der apostolischen Tradition. Es geht überhaupt nicht darum, dass man die kirchliche Autorität und die apostolische Tradition nicht akzeptiert. Im Gegenteil, man würde diese Autorität gerne wieder in diese Tradition einfügen, also mehr respektieren, als dies jetzt der Fall ist.
Konkret besteht folglich auch der Wunsch, dass bei der Eucharistie die Einsetzungsworte von Vorsteher/in und Gemeinde (als Basis und Geburtsort dieses Amtes) gemeinsam ausgesprochen werden. Man ist davon überzeugt, dass das Aussprechen dieser Worte kein ausschließliches Recht, keine ausschließliche Vollmacht des Priesters ist; denn dann bekämen ein solches Recht und eine solche Vollmacht einen geradezu magischen Charakter. Es ist die bewusste Glaubensäußerung der gemeinsamen Gemeinde, die ihre Stimme dem Vorsteher oder der Vorsteherin leiht.
Aufgabe und Amt des Vorsteheramtes werden in dieser Zukunftsvision fundamental demokratisiert. Der Vorsteher bzw. die Vorsteherin sind Teil der Gemeinde, jemand aus ihrer Mitte. Andererseits wirkt eine Person in diesem Amt als ein selbständiges „Gegenüber“ der Gemeinde. Kraft dieses Amtes haben Vorsteher bzw. Vorsteherin der Gemeinde von der Tradition und der Hl. Schrift her etwas zu verkündigen und zur Sprache zu bringen. Diese Funktion ist also im wörtlichen Sinn doppelt: Durch die Gemeinde und von ihr aus berufen bekommen Vorsteherin bzw. Vorsteher von derselben Gemeinde den Auftrag, ihr zu sagen, was zu sagen ist. Sie sind aus der Gemeinde, aber das Amt verpflichtet sie dazu, von oben her in Richtung dieser Gemeinde etwas zur Sprache zu bringen. Obwohl aus der Gemeinde genommen und immer noch Glied dieser Gemeinde, erhält dieses Amt von der Gemeinde im wörtlichen Sinn des Wortes „Autorität“. Er oder sie hat etwas zu sagen und muss das auch tun, wenn das Amt einen Sinn haben soll.
Diese doppelte Position gilt auch für den Vorsitz beim Hochgebet in der Eucharistie. Der auszuführende Ritus wird durch die Gemeinde und von ihr aus erwartet und dem Vorsteher bzw. der Vorsteherin anvertraut. Durch die Weihe erhalten sie keine Vollmacht zu etwas, das andere nicht auch tun könnten. Wohl aber überträgt die Gemeinde ihnen eine bestimmte Verantwortlichkeit (eher als eine Vollmacht), um für alle und im Namen aller zu handeln. So erhebt die Gemeinde Vorsteher oder Vorsteherin sozusagen über sich selbst. Sie treten, wenn man so sagen darf, kurz zurück, um zur Verleiblichung, zu Hand und Stimme der Gemeinde zu werden. Der rituelle Vollzug geschieht also ausschließlich, aber nicht so ausschließlich, als würde er Vollmacht verleihen oder als wäre er im wörtlichen Sinn außerordentlich. Er geschieht nicht „unter Ausschluss von euch“, sondern „unter Einschluss von euch, dank euch und in eurem Namen“.
Zahlen
Schließlich seien noch einige Zahlen genannt. Die Anzahl der Eucharistiefeiern in den Niederlanden (pro Wochenende) ist zwischen 2002 und 2004 von ungefähr 2200 auf 1900 gesunken; die Anzahl der Wort- und Kommunionfeiern in derselben Periode von 550 auf 630 gestiegen. In den meisten niederländischen Bistümern beträgt die Anzahl der Wort- und Kommunionfeiern etwa die Hälfte der Anzahl der Eucharistiefeiern. In den Bistümern Utrecht (165 Feiern pro Wochenende im Jahr 2004) und Breda (70) entschieden mehr. Das Bistum Den Bosch zeigt 2004 die stärkste Verschiebung: pro Wochenende 95 Eucharistiefeiern weniger als 2003, 50 Wort- und Kommunionfeiern mehr. Das Bistum Groningen/Leeuwarden hält den Rekord. Dort sind in den vergangenen Jahren die Anzahl der Wort- und Kommuniondienste so hoch wie die Anzahl der Eucharistiefeiern (50 pro Wochenende). Im Bistum Roermond finden nicht nur die meisten Eucharistiefeiern statt (530 pro Wochenende im Jahr 2004), sondern auch bei weitem die wenigsten Wort- und Kommunionfeiern. Nach dem Sprecher Bemelmans liegt der Grund zum Teil in der Tatsache, dass Roermond sehr wenig Pastoralreferenten hat. „Aber das verdanken wir auch unserer Entmutigungsstrategie. Wir nennen solche Feiern ‚Eucharistie mit einem Loch’.” Das Bistum Roermond befindet sich in einer relativ günstigen Position. Es verfügt über genügend Priester, um jede Woche in jeder Pfarrei eine Eucharistiefeier zu halten. Bemelmans: „Aber wir müssen auch Kirchen schließen, etwa zwanzig in den vergangenen 10 Jahren. Schon seit Jahren setzten wir uns für weniger Feiern ein – lieber pro Wochenende nur eine echte Messe. Und wir holen Priester aus dem Ausland, zum Beispiel aus Indien und Argentinien.” Nur die Bistümer Haarlem und Utrecht waren im Versuch erfolgreich, die Anzahl alternativer Feiern im Jahr 2004 wirklich zu beschränken und selbst eine leichte Zunahme von Eucharistiefeiern zu erreichen. „Wir sind entschlossen, die Anzahl der Wort- und Kommunionfeiern in unserem Bistum noch weiter zurückzudrängen.” So Wim Peeters, Sprecher im Bistum Haarlem.
Die wachsende Diskrepanz zwischen der kirchlichen Basis und der Leitung von oben lässt sich kaum deutlicher als mit diesen Zahlen formulieren.
Zwischen den strikten Auffassungen von Kirche, kirchlichen Gottesdiensten und Ämtern einerseits sowie den vielfach abweichenden Meinungen und Praktiken andererseits besteht also ein tiefgreifender Unterschied. Regelmäßige Berichte in Zeitungen, Zeitschriften und im Fernsehen sowie unsere eigenen, hier wiedergegebenen Stichproben lassen darüber keinen Zweifel.
Zur Beurteilung der Situation und im Blick auf einige Folgerungen sind die genannten Probleme in einen größeren Zusammenhang zu stellen. So gilt das Augenmerk zunächst einem angemessenen Verständnis von Kirche.
2. WAS IST KIRCHE?
Ein vergessener Schritt
Die Kluft, mit der wir heute oft und in schmerzlicher Weise konfrontiert sind, geht auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) zurück. Nicht, als ob die Probleme erst damals entstanden wären. Aber damals kamen die schon viel länger schlummernden Gegensätze auf „höchstem“ Niveau ans Licht. Ein überlegener flämischer Sachkenner, der das Konzil aus der Nähe verfolgte, stellte das 1967 fest. Er verwies auf zwei unterschiedliche Strömungen, „deren eine nach wie vor die klassischen Wege des vorhergehenden Jahrhunderts [gemeint ist das 19. Jh.] folgen wollte, währenddessen die andere für die gegenwärtige theologische Entwicklung eine größere Offenheit zeigte“ .
(G. Philips, De dogmatische constitutie over de kerk, Antwerpen 1967, S. 12.)
Während des Konzils zeigte sich im Kirchenverständnis schon sehr schnell ein erster, höchst bedeutsamer Unterschied, denn nach intensiver Beratung beschlossen die versammelten Bischöfe, im Dokument über die Kirche die ursprünglich vorgeschlagene Kapitelabfolge zu ändern, um ein neues Kapitel einzufügen zu können. Sein Titel lautete: ‚“Das Volk Gottes“. Erst danach sollte die Hierarchie (Papst und Bischöfe) ausdrücklich zur Sprache kommen.
Zum Missvergnügen der „klassischen“ Konzilsteilnehmer wurde diese Einfügung von der Konzilsmehrheit übernommen, kurz aber kräftig begründet. Man stellte fest, Ziel der Kirchengemeinschaft bildeten das „Volk selbst und das Heil des Volkes”. Danach wurde bestimmt: „Die Hierarchie ist als Mittel auf dieses Ziel ausgerichtet.” Streng genommen ist die Hierarchie also von sekundärer Bedeutung. Dass die Debatte darüber besonders heftig war, kann nicht verwundern, denn diese Sicht der Dinge hat weitgehende Konsequenzen. Gerade ihretwegen wurde dieser Schritt nach Beendigung des Konzils in den Hintergrund gedrängt. Die leitenden Organe der zentralen Kirchenorganisation hatten an diesem erneuerten Kirchenbild kein Bedürfnis mehr. Die Erneuerung wurde zum „vergessenen Schritt”.
Aber die damals bei vielen erwachte Hoffnung ist nie mehr ganz verschwunden. Klar war nämlich geworden: Die Kirche ist nicht in erster Linie eine hierarchische Organisation, die von oben, also von Papst und Bischöfen auferbaut wird. Nein, die Kirche ist in ihrer Ganzheit das durch die Jahrhunderte hin pilgernde Gottesvolk, in dem eine große Verschiedenheit von Geistesgaben wirkt. Indem man diese Gaben anerkannte und hochschätzte, entstand im Lauf der Jahre eine organische Glaubensgemeinschaft. Ursprünglich unterschieden sich Inhalt und Namen der Geistesgaben in den verschiedenen Regionen, in denen das Evangelium angenommen wurde,. In diesem Rahmen und je nach den unterschiedlichen Bedürfnissen einer Gemeinschaft wurden auch die offiziellen Funktionen verschieden ausgestaltet.
Leitung in der Gemeinschaft
Eine der Gaben, die sich überall manifestieren musste, war die Gabe der Leitung. Meistens vollzog der Stifter einer Gemeinde diese Funktion wie selbstverständlich. Aber oft hat in der darauf folgenden Periode die Gemeinde als ganze das letzte Wort. Schließlich muss sie beurteilen, was ihr zum Aufbau dient .
(1 Kor. 12, 7. 10; 14, 3 – 5. 12. 32; so J. Tigcheler, Bouwen op het fundament van apostelen en profeten, in: Speling 57 [2005], nr.4, S. 18.)
Im Laufe der Zeit wurde der Leitungsdienst differenziert und mit verschiedenen Begriffen umschrieben. Neben den Aposteln und Propheten gab es in der Gemeinde unbestreitbar auch Evangelisten, Hirten und Lehrer (Ef. 4, 11). Ferner traten in den späteren paulinischen Gemeinden auch Diakone, Aufseher (Episkopen) und ein „Rat von Ältesten“ (Presbyter) auf (1 Tim. 3, 1; 3, 8; 4, 14). Die Übertragung der Leitung wurde weiter institutionalisiert. Die gewählte leitende Person empfing die Gnade durch „prophetische Worte“, die vom Rat der Ältesten „unter Handauflegung“ ausgesprochen wurden.
Die rituelle Übertragung der Gabe der Gemeindeleitung und des liturgischen Vorsitzes nannte man in der Antike „Sakrament“. Mit diesem Begriff umschrieben die kirchlichen Gemeinschaften ursprünglich viele Gebräuche. Augustinus war davon sehr überzeugt. Wenn das gläubige Volk etwa das Gebet mit einem „Amen“ bestätigte, nannte man diesen Ruf schon „Sakrament“. Das geschah in der Glaubensüberzeugung, dass alle Handlungen innerhalb der Kirchengemeinschaft etwas Sakramentales haben, weil sie das Heilige in sichtbaren Zeichen und Handlungen vergegenwärtigen. Erst Jahrhunderte später wurde der Begriff „Sakrament“ für die heute bekannte Siebenzahl reserviert.
Kirche als Pyramide
Im Lauf der Kirchengeschichte kam es im Verständnis der Gemeindeleitung zu Veränderungen, die mit einem veränderten Kirchenverständnis zusammenhängen. In der herrschenden und strengen Auffassung wird das Priestertum als Teil einer Pyramide verstanden. Die Spitze der Pyramide, also die höchste hierarchische Leitung reicht bis in den Himmel, hat am göttlichen Leben also in maximaler Weise teil. Von dieser Spitze steigt dann das übernatürliche Leben durch priesterliche Vermittlung hinab bis zu den niedrigsten Regionen der Kirche und erreicht schließlich ganz unten die Basis dieser Pyramide, also die „Laien“. So werden die Sakramente zu wesenhaften „Gnadenmitteln“, die nur funktionieren können, wenn sie von geweihten Amtsträgern gespendet werden. Dieses Kirchenbild wurde im Lauf der Jahrhunderte ausgearbeitet und in ein juridisches System gebracht, das schließlich in ein kirchliches Gesetzbuch mündete.
Nach diesem Modell wird ein Priester bei seiner Anstellung „geweiht“. Damit erfährt er eine Art von Wesenverwandlung, weil seine ganze Person und sein ganzes Wesen geheiligt werden. Die Weihe nimmt ihn nämlich in die besondere Sphäre des Übernatürlichen und des Heiligen auf. Dadurch ist er per se über die Sphäre des Natürlichen und Profanen erhoben und als Einziger dazu befugt, „gültige“ (d.h. juridisch anerkannte) sakramentale Handlungen zu vollziehen.
Zwischen den Laien und den geweihten Amtsträgern entsteht so ein „wesenhafter“, unauslöschlicher Unterschied. Natürlich kann in dieser Sicht der Dinge von einem „Teilzeit“-Priestertum keine Rede mehr sein. Man ist ‚wesenhaft’, also von Kopf bis Fuß, von morgens früh bis abends spät Priester, „bis in Ewigkeit“.
Ein anderes Modell: Die Kirche als Leib
Doch hat die Einfügung eines neuen Kapitels in die Kirchenkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils den Blick auf ein anderes Kirchenmodell eröffnet, das nicht mehr so streng hierarchisch, sondern organischer und auf die Gemeinschaft als ganze ausgerichtet ist. Dieses Modell knüpft beim paulinischen Bild der Kirche als Leib an und eröffnete wieder den Raum für eine andere Sicht des Gemeindeleiters. In der ersten Zeit der Kirche beinhaltete bei mehreren kirchlichen Gemeinschaften die Anstellung eines Leiters ja keine „Weihe“, denn es ging vor allem um dessen „Einordnung“ [Ordination] in einen differenzierten Leib. Der Leiter wurde nicht kraft einer Weihe in eine andere Seinsordnung erhoben, sondern von der Gemeinschaft zu einer bestimmte Funktion ausgewählt und für sie angenommen. Diese Person konnte Leiter/in einer Gemeinde sein und – wie Paulus – zugleich einen profanen Beruf ausüben. (vgl. 1 Kor. 4, 12; Apg. 18, 3–4; 20, 34). In dieser Konzeption macht es keinen Sinn, von vornherein eine bestimmte Menschengruppe von der Zulassung zu einer solchen Funktion auszuschließen, weil ihr „Wesen“ unrein oder zu irdisch wäre. Der Apostel Petrus bekam eine Schlüsselfunktion, obwohl er verheiratet war. Auch kannte die Alte Kirche Diakoninnen.
In dem augenblicklich geltenden hierarchischen Kirchen- und Amtsmodell hat der geweihte Priester für die Gnadenvermittlung eine Schlüsselfunktion. Diese Funktion ist unantastbar und duldet von innen her keine Konkurrenz. Das geweihte Amt prägt so sehr die gesamte Kirche, dass sie bei Abwesenheit eines Amtsträgers nicht funktionieren kann. Im „organischen” Kirchenmodell des Leibes verhält sich das anders, da in ihm die Gemeinschaft der Glaubenden die hier und jetzt notwendige Verschiedenheit von Funktionen und Ämtern bestimmt. Solange aber der Gedanke einer bedrohlichen Konkurrenz noch vorherrscht, gibt es für eine solche organisch kooperierende Gemeinschaft keinen Raum.
Konkret gesagt: Solange das hierarchische Kirchenmodell weiterhin dominiert, gibt es keinen Raum für Menschen, die wir heute pastorale Mitarbeiter/innen oder Helfer/innen nennen, denn von einer als Pyramide verstandenen Kirche aus kann man sie nur mit Argwohn betrachten. Man fürchtet, neben dem „gültig geweihten Priester“ könne ein „Parallelklerus“ entstehen.
Nicht Drohung, sondern Herausforderung
Was für die Konzeption der heutigen Kirchenleitung jedoch noch immer als Bedrohung gilt, eröffnet den aktiven „Laien“ in vielen örtlichen Gemeinschaften gute Möglichkeitund deshalb als positive Herausforderung. Je mehr sie sich dessen bewusst werden, dass sie in einer alten kirchlichen Tradition stehen, die das Zweite Vatikanischen Konzil wieder neu zu Ehren brachte, umso unbefangener können sie ihre Arbeit tun, denn diese Ermutigung inspiriert ihre eigene gläubige Kreativität. Die anderen Mitglieder der Gemeinschaft können sie unbefangen anerkennen, so dass sich in den gegenseitigen Beziehungen die noch immer spürbare Verkrampfung lockert.
3. EUCHARISTIE
Die Feier der „Eucharistie“ ist reich an Bedeutungen. „Eucharistie“ meint „Danksagung“. In der Eucharistie sagen wir dank für die Schöpfung, für unser Leben, für die befreiende Erinnerung an Israel und an Jesus. Zugleich wird darum gebetet, dass uns Gottes erschaffende und befreiende Kraft weiterträgt, inspiriert, dass sie uns Flügel verleiht, durch uns auch der Welt zugute kommt. Beim Teilen von Brot und Wein kommen in der Eucharistie Beten und Handeln zusammen; dieses Beten kann verschiedene Formen annehmen. Von alters her kennen wir die Einsetzungsworte in verschiedenen Versionen. Es sind also keine magischen Worte und sie dürfen, wie alte Texte zeigen, sogar fehlen.
Sakrament
Die Eucharistie wird „Sakrament“ genannt. Das Wort „Sakrament“ kommt aus dem Lateinischen und meint die Leistung einer religiösen Garantie. Im römischen Heer wird der militärische Treueid „sacramentum“ genannt. Dieses Wort wurde von der westlichen, lateinisch sprechenden Kirche übernommen und in der Kirchengemeinschaft dazu verwendet, die Eucharistiefeier (und andere Handlungen) zu deuten. Das von der griechisch sprechenden Kirche des Ostens verwendete Wort lautet „mysterion“. Inhaltlich ist es angemessener und meint etwas, das aus der Verborgenheit in die Öffentlichkeit tritt.
Wer die Eucharistie verstehen will, muss von dem ausgehen, was beim Feiern der Eucharistie geschieht. Diese „Danksagung“ hat die Form einer gemeinsamen (rituellen) Mahlzeit und das begleitende Gebet gibt das Besondere dieser Mahlzeit an. Wir essen nicht ausführlich miteinander, sondern in einer Geste „ballen“ wir sozusagen das „zusammen“ [„sym-bolisieren“ wir also], worum es in dieser Mahlzeit geht . In den westlichen Sprachen haben sich die Worte „Sakrament“ und „Symbol“ zu weit voneinander entfernt.
(Das Wort „Symbol“ kommt vom griechischen Wort „symballein“, was „zusammenfügen“ bedeutet und wegen der Lautähnlichkeit hier als „zusammenballen umschrieben wird.)
Teilen
Die Eucharistie ist nicht unser „Besitz“. Im Teilen von Brot und Wein erkennt die gläubige Gemeinschaft wieder, worum es in der Thora (der jüdischen Tradition) geht, und wie dieses Teilen in Jesus Gestalt gewonnen hat; in dieser gemeinsamen Mahlzeit steht das Teilen zentral. So bringen wir in der Feier der Eucharistie unser Vertrauen zum Ausdruck; wir begehen und feiern, dass das Leben zutiefst ein Teilen ist; wir bekunden uns gegenseitig und der ganzen Welt unser Vertrauen darauf, dass Gott selbst sich uns mitteilen will, dass er uns vorbehaltlos annimmt und wir in der Nachfolge Gottes uns selbst weggeben wollen.
Das hat uns Jesus von Nazaret vorgelebt und vorgemacht, da er sein Leben bis hin zum Kreuz weggegeben hat. Dieses grenzenlose Teilen ist befreiend: Es macht uns frei von fesselnden Banden, vom Bösen und von unseren Verfehlungen, von „Sünden“ und von einer Vergangenheit, die uns niederdrückt. Es gibt uns gegenüber der immer unsicheren Zukunft das Versprechen, dass wir auch dann auf den Gott vertrauen dürfen, der die Liebe ist.
Gegenwärtig
Wenn wir gemeinsam Brot und Wein teilen und tun, was Jesus getan hat, dann ist Jesus in unserer Mitte. Das Brot, das gebrochen wird, verweist ausdrücklich auf sein Leben und auf seinen Tod, der Wein auf seine Lebens- und Geisteskraft, also auf sein Blut, was in der Sprache der Bibel je Lebenskraft meint.
(Der niederländische Text arbeitet hier mit Metaphern der niederländischen Sprache: was “auf den Tisch” (Tisch auch = Altar) kommt, wird offengelegt und steht zur Debatte; wird mit offenen Karten verhandelt)
Bei der Feier der Eucharistie wird die ganze Welt zum Thema . Die Arbeit von Menschen, die Gewalt zwischen ihnen als Individuen und als Gruppen, der meistens durch ungerechte ökonomische Verhältnisse verursachte Nahrungsmangel, die vergiftete Umwelt sowie das Verlangen eines jeden Menschen, gesehen und ernstgenommen zu werden, - sie alle kommen auf den Tisch, auch wenn man sie nicht jedes Mal nennt.
Zum Thema werden auch die Geschichte des jüdischen Volks mit dem Auszug aus dem „Haus der Knechtschaft“, der Zug durch die Wüste und der Ruf nach Nahrung und Trank, die Verbannung, die Rückkehr ins Gelobte Land. Aber auch der Holocaust kommt auf den Tisch, so auch die Lebensgeschichte des Juden Jesus, sein Tod und seine Auferstehung sowie die ganze Geschichte von Gut und Böse derer, die versuchten, ihm nachzufolgen. Dass Menschen nach wie vor Eucharistie feiern, bringt ihre Hoffnung zum Ausdruck, es werde eine Zeit kommen, in der jeder Menschen sein Recht erhält.
Mahlzeit für den Weg
Die Eucharistie vereinigt Menschen um Jesus, um ein Opfer also, das sich weigerte, andere zu Opfern zu machen. Für den Gang unseres Lebens ist sie eine Mahlzeit für unterwegs. Sie rundet die Einswerdung aller Menschen oder aller Christen nicht ab, ist also noch nicht der Augenblick, an dem Gott alles in allem sein wird, denn wir sind noch unterwegs und Menschen verschiedenster Art können sich dabei anschließen, solange sie den Sinn dieses Rituals teilen. Die Mahlgemeinschaft ist also auch für Menschen aus anderen gläubigen Traditionen offen, zugleich werden wir in und durch diese Feier zu einer Gemeinschaft. Diese Gemeinsamkeit nimmt vorweg, was die Bibel „Reich Gottes“ nennt; sie antizipiert „den neuen Himmel und die neue Erde“, in der Gott alles in allem sein wird.
Opfer
Wir wissen um die Unterschiede zwischen dem Eucharistieverständnis vieler niederländischer Katholiken und dem. Der kirchlichen Autorität in Rom. Die Kirchenleitung erfährt den Akzent, den wir auf den Mahlcharakter legen, als Bedrohung. Charakteristisch dafür ist die Instruktion ‚Redemptionis Sacramentum’ (Das Sakrament der Erlösung), die Kardinal Francis Arinze, Präfekt der Liturgiekongregation, am 25. März 2004 veröffentlichte. Diese Instruktion wurde in enger Zusammenarbeit mit der Kongregation für die Glaubenslehre erarbeitet, die damals noch unter der Leitung von Kardinal Joseph Ratzinger stand, der am 19. April 2005 zum Papst gewählt wurde.
In Nr. 38 der Instruktion heißt es: „Die beständige Lehre der Kirche über das Wesen der Eucharistie, die nicht nur ein Gastmahl, sondern auch und vor allem ein Opfer ist, muss mit Recht zu den grundlegenden Kriterien für eine volle Teilnahme aller Gläubigen an diesem so großen Sakrament gezählt werden. ‚Bisweilen wird ein stark verkürzendes Verständnis des eucharistischen Mysteriums sichtbar. Es wird seines Opfercharakters beraubt und in einer Weise vollzogen, als ob es den Sinn und den Wert einer brüderlichen Mahlgemeinschaft nicht übersteigen würde’.“
So sind die Regelungen der Instruktion darauf ausgerichtet, so weit wie möglich alles auszuschließen, was den Eindruck erwecken könnte, dass die Eucharistie die Form einer Mahlzeit hat. Was aber das „Opfer“ der Eucharistie meint, belässt die Instruktion im Unklaren. Wir meinen, dass die Selbsthingabe Jesu in seinem Leben und Tod ein „Opfer“ genannt werden kann. Dieses Opfer wird hier vergegenwärtigt und die Anwesenden schließen sich diesem Opfer an. Das ist mit den Worten von Teilen und Selbsthingabe gemeint.
Die Vorliebe der Instruktion für das Wort „Opfer“ hängt mit ihrer einseitigen Betonung des vertikalen Charakters der Eucharistie zusammen. Dabei wird ein Bild aus der antiken Philosophie vorausgesetzt: Durch den priesterlichen Vorsteher, der Jesus repräsentiert, steigt alles Gute stufenweise von oben auf die Menschen nieder. Diesem herabsteigenden Geschehen entsprechen die Gläubigen mit einem stufenweisen, durch Vermittlung des Vorstehers aufsteigenden Geschehen, das dann „Opfer” genannt wird.
Bei diesem Bild legt sich eine Amtsauffassung nahe, in der der Vorsteher zwar „Diener“ genannt, faktisch aber genau eine Stufe höher als seine Mitgläubigen gestellt und so mit einer Macht über sie umkleidet wird. Obwohl man mit dem Munde behauptet, die Eucharistie sei der Mittelpunkt der kirchlichen Liturgie, wird die Feier der Liturgie vom Vorsteher abhängig gemacht und das Weihesakrament faktisch zum wichtigsten Element.
In unserem Eucharistieverständnis ist diese Feier ein brüderliches und schwesterliches Teilen von Brot und Wein, bei dem Jesus in unserer Mitte ist.
4. VORSTEHER/INNEN IN DER KIRCHE
Für jede Kirchengemeinschaft ist das Amt des Vorstehers eine der unverzichtbaren Funktionen, will man die Geschichte von Jesus in der Gemeinschaft lebendig erhalten; deshalb ist es von hoher Bedeutung. So wie eine Glaubensgemeinschaft das Recht hat, die Eucharistie als Sakrament der Einheit sowie der Verbundenheit miteinander und mit Christus zu feiern, hat sie auch ein Recht auf den Beistand von Amtsträgern als Schrittmachern und Inspiratoren, als evangelischen Identifikationsfiguren.
Doch gibt es von einem biblischen und theologischen Standpunkt aus keine einzig mögliche und einzig verantwortbare Form der Amtsausübung. Auch eine Besinnung auf die Kirchengeschichte gibt uns an diesem Punkt keine eindeutigen Antworten auf die aktuellen Fragen des kirchlichen Amtes. Sie zeigt uns aber Alternativen, die zu denken geben.
Phasen in der Geschichte
Entsprechend den verschiedenen Kulturformen und Entwicklungen der Gesellschaften von Palästina, Kleinasien, Griechenland, Rom oder Ägypten hat die Ausübung des kirchlichen Amtes besonders im ersten Jahrtausend wechselnde Formen angenommen.
Auf Grund der Taufe haben in der jungen Kirche alle Glieder der kirchlichen Gemeinschaft den gleichen Rang: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer’ in Christus Jesus” (Gal. 3,27-28). Mit ihren Talenten und Gaben („Charismen“) versehen alle Getauften innerhalb der Gemeinschaft von Gleichberechtigten ihren Dienst.
Im facettenreichen Leben der Glaubensgemeinschaften in der jungen Kirche gibt es natürlich Vorsteher/innen, Schrittmacher bei den missionierenden, katechetischen, prophetischen, liturgischen und den vielen anderen Aktivitäten, in denen Christen in gemeinsamer Verantwortlichkeit ihren Glauben zum Aufbau der Gemeinde einbringen. Das Funktionieren von Vorsteher/innen erfährt man als notwendig für den Aufbau der Kirche in der apostolischen Kontinuität und zur Erhaltung des apostolischen Erbes, nämlich des Evangeliums. Die Gemeinden selbst wählen und „rufen” auf Grund erwiesener Leitungsqualitäten aus ihrer eigenen Mitte ihre/n Gemeindeleiter/in. Papst Leo d. Gr. (440-461) stellt fest: „Wer allen vorsteht, muss von allen gewählt werden.” In der jungen Kirche werden diese Gemeindeleiter von der Gemeinschaft in das Gesamt aller Dienste und Aktivitäten „eingeordnet“, also „ordiniert“. Wie selbstverständlich übernehmen die Gemeindeleiter auch in den Eucharistiefeiern den Vorsitz.
Nach der ersten Generation der Jesusjünger werden die Dienste in den verschiedenen Glaubensgemeinschaften allmählich gleichförmiger geregelt. Auch wächst das Bedürfnis, diese „Ordination” von Vorstehern mit einem liturgischen Dienst einzurahmen. Die Handauflegung durch die Leiter von Nachbargemeinden bringt die Kollegialität zwischen den lokalen Kirchengemeinschaften zum Ausdruck.
Zölibat
Weder die Kirche des Ostens noch die Kirche des Westens denkt in den ersten 10 Jahrhunderten daran, den Zölibat, also die Ehelosigkeit, zur Bedingung für den Zugang zum Amt zu machen. Sowohl verheiratete als auch unverheiratete Männer sind als Amtsträger willkommen. Gemäß der Kultur jener Zeit wird am Ende des 4. Jahrhunderts ein Gesetz der Enthaltung in die kirchliche Gesetzgebung aufgenommen. Es war ein liturgisches Gesetz, d.h. ein Verbot des sexuellen Umgangs in der Nacht vor der eucharistischen Kommunion. Diese Sitte war damals schon lange in Kraft. Als man seit dem Ende des 4. Jahrhunderts in der Kirche des Westens dann die Eucharistie täglich feiert, bedeutet das für verheiratete Priester praktisch eine permanente Enthaltung. Im Enthaltungsgesetz legt die Kirche des Westens diese Enthaltung für ihre verheirateten Priester gesetzlich fest.
Nachdem das Christentum im 4. Jahrhundert von der verfolgten Religion zur Staatsreligion wurde, übernimmt der Klerus immer mehr den Status von Autoritätsträgern. Was zuerst amtliche Diakonie, also eine dienende Funktion war, kam jetzt in Begriffen der Macht, als Weihevollmacht und als Rechtsbefugnis, zum Ausdruck. Der amtliche Dienst wird zur amtlichen Macht. Die Frage: „Wer kann eine Gemeinschaft leiten?“ verändert sich zur Frage: „Wer darf die Leitung innehaben?“; die Kirche wird klerikalisiert. Die Gläubigen, ursprünglich vom Geist beseelte Glaubenssubjekte, werden jetzt Laien genannt und zu Objekten priesterlicher Seelsorge. Das Priestertum wird auf den Vorsitz in der Eucharistie, die Glaubensgemeinschaft auf eine liturgische Gemeinschaft reduziert.
Im Jahr 1139 ersetzt das Zweite Laterankonzil für Priester das seit Ende des 4. Jahrhunderts gültige Enthaltungsgesetz durch das Zölibatsgesetz. Dieses Zölibatsgesetz wird zum drastischen Mittel, um das trotz Sanktionen und trotz ökonomischer Strafen nur sehr bedingt befolgte Enthaltungsgesetz endlich durchzusetzen. Seitdem verhindert das Priestertum die Gültigkeit einer Ehe, können nur unverheiratete Männer Priester werden und dürfen nur geweihte Priester die Eucharistie feiern. Der Codex nennt die Weihe ein ungültig machendes Ehehindernis (Kanon 1087). Das Vierte Laterankonzil stellt 1215 nachdrücklich fest, dass nur gültig geweihte Priester die Konsekrationsworte aussprechen dürfen.
Seit dem 17. Jahrhundert wird das Priestertum Jesu nicht mehr in seiner Menschheit, sondern in seiner Gottheit begründet. Das hat zur Folge, dass auch das kirchliche Priestertum an der göttlichen Vollmacht teil hat. Priester werden nicht mehr von der Glaubensgemeinschaft ordiniert, um auf die Geschichte und die Nachfolge Jesu in der Gemeinschaft zu achten, sondern vom Bischof „geweiht“, damit sie die Eucharistie zelebrieren können. Die Kirche wird zu einer hierarchischen, von oben nach unten gerichteten Kirche, wie eine Pyramide geformt, mit der Spitze im Himmel, von wo aus Gottes Gnade durch die Hierarchie breit zur Basis strömt. Dies wurde oben im Kapitel „Was ist Kirche?” näher dargelegt.
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) verändert dieses Kirchenbild von Grund auf. Nach langer und intensiver Diskussion wird entschieden, dass in der vorgelegten Kirchenkonstitution dem Kapitel über die Hierarchie ein Kapitel über das Volk Gottes vorangeht. Danach wird von der Hierarchie festgelegt, dass sie im Dienst des Volkes Gottes steht. Die Pyramide wird also umgedreht.
Wie geht es weiter?
Beim Umbruch des vorherrschenden Menschen- und Weltbildes, bei den gesellschaftlich-ökonomischen Verschiebungen und einer neuen sozial-kulturellen Sensibilität kann die historisch gewachsene Kirchenordnung durchaus dem widersprechen und das verhindern, was sie in früheren Zeiten gerade sicherstellen wollte, nämlich den Aufbau einer christlichen Gemeinschaft. Es ist zu fragen, ob und inwieweit Formen und Vorschriften, die einst verständlich, sinnvoll und also realistisch waren, in unserer Zeit immer noch sinnvoll und realistisch oder vielleicht kontraproduktiv sind.
Dabei denken wir besonders an das kirchliche Gesetz, das nur zölibatäre Männer zum Amt des Vorstehers zulässt und an das Gesetz, das Frauen vom Amt einer Vorsteherin ausschließt. Historisch stehen am Ursprung dieser Gesetze eine veraltete Anthropologie und eine antike Auffassung von Sexualität. Es geht um kirchliche, also menschliche, nicht um göttliche Gesetze.
Papst Johannes XXIII. plädierte in seinem Aufruf zum Zweiten Vatikanischen Konzil für eine Kirche, die die Fenster zur heutigen Welt hin öffnet. Eine Kirche, die auf der Höhe der Zeit sein will, muss den Mut haben und sich die Freiheit nehmen, die Gesetze abzuschaffen, die an vielen Orten die Vitalität der Gemeinde und die Feier der Eucharistie in Schwierigkeiten bringt. In der Vergangenheit haben ‚illegale’ Praktiken an der Basis die Kirchenleitung schon öfters davon überzeugt, dass man bestehende Vorschriften ändern kann. So können neue Experimente zu wertvollen Wegweisern für zeitgenössische Formen der Kirche werden. Sind in unserer westlichen Gesellschaft Unverheiratete per se geeigneter als Verheiratete, um in einer Glaubensgemeinschaft den Vorsitz im Gottesdienst zu übernehmen? Und sind im Kulturrahmen des Westens Männer per se geeignetere Schrittmacher und Leiter einer christlichen Gemeinde als Frauen? Unsere Antwort und mit uns die Antwort sehr vieler Gläubigen auf beide Fragen lautet entschieden: „Nein“.
So gesehen ist der heutige Priestermangel realitätsfern und wirklich unnötig. Im Augenblick sind in vielen Pfarreien Männer und Frauen in ergreifender und inspirierender Weise als aktuelle Schrittmacher/innen und Inspirator/innen, als evangelische Identifikationsfiguren aktiv. Viele Mitglieder der Gemeinde würden ihnen gerne und voll Vertrauen als Gemeindeleitern/innen sowie für den Vorsitz bei ihren Gottesdiensten ihren Ort anweisen, sie also „ordinieren“. Dabei denken wir zunächst an die offiziell angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im pastoralen Dienst, aber auch an viele, die als „Freiwillige“ in einer Gemeinde mitarbeiten. Diese Frauen und Männer stehen mitten in überschaubaren Gemeinschaften, was für sie oft mehr als für die geweihten Priester gilt. Letztere sind zwar angestellt, um – oft in mehreren Pfarreien – in sakramentalen Feiern, vor allem in der Eucharistie den Vorsitz zu führen, aber zu ihrer eigenen Entmutigung und Frustration werden sie für die Kirchenbesucher unweigerlich und immer mehr zu Fremden.
Kriterien
Welchen Kriterien müssen Vorsteher/innen im Gottesdienst entsprechen?
* Vorsteher/innen von örtlichen Gottesdiensten müssen vom Glauben tief durchdrungen sein. Dabei macht es keinen Unterschied ob es Männer oder Frauen, Homos oder Heteros, Verheiratete oder Unverheiratete sind. Entscheidend ist eine ansteckende Glaubenshaltung.
* Vorsteher/innen müssen ferner sachkundig sein, d. h. im Umgang mit den Hl. Schriften und dem Material der christlichen Traditionen das notwendige Know-how besitzen, das sie zum Predigen befähigt.
* Vorsteher/innen sollten von der örtlichen Gemeinschaft auch auf ihre liturgische Kreativität hin beurteilt werden.
* Für Vorsteher/innen ist es schließlich wichtig, dass sie über ein gutes und flexibles Organisationstalent verfügen, damit für die mögliche Kontinuität im Geschehen der Gemeinschaft gesorgt ist.
Plädoyer
Mit Nachdruck plädieren wir dafür, dass unsere kirchlichen Gemeinden, vor allem die Pfarreien, in der heutigen vom Mangel an zölibatären Priestern gezeichneten Notsituation in kreativer Weise ihre theologisch verantwortete Freiheit ergreifen und erlangen, indem sie aus ihrer Mitte ihre eigenen Gemeindeleiter/innen bzw. ein Team von Gemeindeleiter/innen wählen.
Auf Grund der vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausdrücklich festgestellten Vorrangsposition des „Volkes Gottes” vor der Hierarchie ist von den Diözesanbischöfen zu erwarten, dass sie in gutem Einvernehmen diese Wahl durch ihre Handauflegung bestätigen.
Sollte ein Bischof diese Weihe oder Ordination mit Argumenten verweigern, die mit dem Wesen der Eucharistie nichts zu tun haben, dann dürfen die Pfarreien darauf vertrauen, dass sie dennoch echt und wahrhaftig Eucharistie feiern, wenn sie unter Gebet Brot und Wein teilen.
Wir plädieren dafür, dass die Pfarreien in dieser Angelegenheit mit mehr Selbstvertrauen und Mut handeln. In vergleichbaren Situationen können sich die Pfarreien in ihrem Verhalten gegenseitig bestätigen oder notfalls korrigieren. Es ist zu hoffen, dass die Bischöfe in dieser relativ neuen Praxis in Zukunft ihren Auftrag zum Dienst einlösen, indem sie die örtlichen Vorsteher/innen in ihrem Amt bestätigen.
Zum Schluss weisen wir noch einmal drauf hin, dass dieses Plädoyer auf Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie auf theologischer und pastoraltheologischer Fachliteratur beruht, die seit diesem Konzil in Büchern und Zeitschriften erschienen ist. Eine Auswahl wird hier unten aufgeführt.
Der Schweizer Pastor Kurt Marti, wegen seiner scharfen, sehr zutreffenden und wahren Aussagen bekannt, hat einmal geschrieben:
Wo kämen wir hin,
wenn alle sagten „wo kämen wir hin“
und niemand ginge,
um einmal nachzuschauen,
wohin man käme,
wenn man ginge.
LITERATUR
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Beraadsgroep ‘Geloven en Kerkelijke Gemeenschap’ van de Raad van Kerken in Nederland. Gespreksnotitie over het Ambt in de oecumenische discussie. Amersfoort, Februar 2005.
Concilium 1969, nr. 3: ‘Dienst und Leben der Priesters in der Welt von heute’, mit u.a. W. Kasper, ‘Neue Akzente im dogmatischen Verständnis des priesterlichen Dienstes’, S. 164-170 (v.a. S. 166f. Über die ekklesiologische statt der christologischen Begründung des Amtes).
Concilium 1972, nr. 10: ‘Die Ämter in der Kirche’, v.a. A.Lemaire, ‘Von den Diensten zu den Ämtern. Die kirchlichen Dienste in den ersten zwei Jahrhunderten’, S. 721-728; P. Kearnay, ‘Enthält das Neue Testament Anstöße zu einer neuen Kirchenordnung?’, S. 728-735, v.a. S. 734f. Zur Anwendung auf die heutige Situation, sowie P. Fransen, “Einige Aspekte zum Prozeß der Amtsdogmatisierung, S 753-759, v.a. zur Verengung des Amtes aus kultischer Perspektive, S. 758.
Concilium 1980, nr. 3: ‘Das Recht der Gemeinde auf Vorsteher’, darin Berichte über die Erfahrungen in mehreren Ländern sowie ein Schlussartikel von E. Schillebeeckx OP.: ‘Die christliche Gemeinde und ihre Amtsträger”, S. 205-227.
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