Von Gott reden in El Salvador

06.03.2013, Jon Sobrino SJ

Der Befreiungstheologe Jon Sobrino SJ sprach am 5. März 2013 an der Wiener Universität über die "Die Option für die Armen im 21. Jahrhundert". Der gebürtige Spanier ist seit seinem Noviziat in Mittelamerika. Er war enger Berater von Erzbischof Oskar Arnulfo Romero und lehrt an der Universität in San Salvator. Nur knapp entging er einem Mordanschlag, der auch ihm gegolten hatte. Sechs Ordensbrüder und zwei zufällig anwesende Frauen wurden dabei getötet. Hier der Vortrag:

In dem Thema, das Sie mich zu behandeln gebeten haben, sehe ich zwei wichtige Dimensionen. In der ersten geht es darum, Gott und die Armen in Beziehung zu bringen, und darauf werde ich mich konzentrieren. In der zweiten geht es darum, darüber nachzudenken, was die Option für die Armen heute ist. Dazu, über die heutigen Herausforderungen, die neuen Vermittlungen und die neuen Paradigmen habe ich nicht viel zu sagen. Ich werde mehr über den christlichen Glauben in El Salvador in den siebziger Jahren sprechen, wo ich glaube etwas gelernt zu haben, wie man Gott und die Armen in Beziehung bringen kann. Das ist in der Vergangenheit geschehen, aber ich glaube, es ist immer noch „Quelle lebendigen Wassers“, das weiterhin ermutigend und erhellend sein kann.

1. „Alles ist relativ außer Gott und dem Hunger“

Das Thema Gott ist immer fundamental und radikal, auch in El Salvador. Das ist sicher so für die Mehrheit der armen Bevölkerung; für sie ist Gott allgegenwärtig, wie Frei Betto zu sagen pflegte. In El Salvador ist die Zahl der Mitglieder der katholischen Kirche auf 50 (fünfzig) Prozent zurückgegangen, aber 99,5 (Neunundneunzig komma fünf) Prozent der Salvadorianer bejahen, daß sie an Gott glauben. Es wäre zu untersuchen, was sie unter „Gott“ verstehen, wie lange dieser gewohnheitsmäßige Theismus noch andauert und wann die Säkularisierung überhand nimmt. Für die Nicht-Armen, die wir hier sind und die während ihres Studiums in der Ersten Welt – einige von ihnen sind Theologen in Lateinamerika – durch die Schule der Meister des Verdachts gegangen sind und die Sinnlosigkeit der lateinamerikanischen Wirklichkeit und die Absurdität der Existenz durchlebt haben, ist Gott nicht evident. 1969 (Neunzehnhundertneunundsechzig) hörte ich Ignacio Ellacuría sagen, daß „Rahner seine Glaubenszweifel auf elegante Weise behandelt“. Ich denke, daß er dies auch von sich selbst meinte. Von mir selber kann ich sagen, daß ich in den siebziger Jahren Zeiten durchgemacht habe, „wo die Gottheit sich verbirgt“, wie es Ignatius von Loyola in der dritten Woche der Exerzitien ausdrückt.

Ich erwähne das, weil diese Schwierigkeit der Menschen sich nicht nur gegenüber Gott zeigt, wie man gewöhnlich annimmt, sondern auch gegenüber den Armen in ihrer höchsten Bedeutung. Heute ist es relativ leicht, über die Armen etwas informiert zu sein, wenn man auf der Höhe der Berichte internationaler Organisationen ist. Aber es ist immer noch sehr schwierig, ihre Wirklichkeit zu begreifen, und zwar als letzte und radikale Wirklichkeit, die einen historischen Absolutheitscharakter hat. Das trifft nicht nur für egoistische Personen und Gruppen zu, was sich versteht, sondern auch für gute Menschen. Es gibt etwas in der Wirklichkeit der Armen, das sich uns entzieht, das wir nur schwierig zur zentralen Wirklichkeit machen können. Erlauben Sie mir dafür einige wichtige Beispiele.

Das Zweite Vatikanum. Johannes XXIII. hat mit Kardinal Lercaro und anderen die Zentralität der „Kirche der Armen“ verkündigt, aber im Konzil war dieser Kirche kein Erfolg beschieden. Sie war nicht einmal ein Diskussionsthema, so daß sich verschiedene Konzilsväter außerhalb der Aula versammeln mußten, um über diese Kirche nachzudenken. Zwei Wochen vor Ende des Konzils haben sie den Katakombenpakt unterschrieben. In dreizehn Punkten verpflichten sich die Bischöfe, eine arme Kirche zu gestalten und zu sein, eine Kirche im Dienst der Armen.

Eine „Kirche der Armen“ war und ist weiterhin etwas völlig Neues. Und die Schwierigkeit, sie zu akzeptieren, liegt nicht so sehr in der Konfrontation mit dem, was der „Kirche“ an Geheimnis eigen ist, sondern in der Konfrontation mit dem Geheimnis der „Armen“.

Benedikt XVI. Bei allem Respekt, die seine letzten Entscheidungen verdienen, trifft zu, daß Benedikt viel über Gott gesprochen hat; er war über die Maßen und mehr als über alles andere darum besorgt, daß Gott in der Welt gegenwärtig ist und daß die Welt Gott annehme. Ohne Gott verschwindet der Sinn von allem und der Mensch wird unmenschlich. Es scheint aber, daß ihn nicht in demselben Maß und derselben Endgültigkeit die Wirklichkeit der Armen berührte, und er hat auch nicht mit derselben Kraft, mit der er von der Abwesenheit Gottes gesprochen hat, vor der Unmenschlichkeit gewarnt, in die die Menschen und die Gläubigen fallen, wenn sie über die Armen dieser Welt hinwegsehen. Darüber hat Martha Zechmeister einen erhellenden Text mit dem Titel „Benedikt XVI. und sein tragischer Eurozentrismus“ geschrieben. Er wurde in der Furche unter dem Titel „Befangener Eurozentrismus“ veröffentlicht. Ohne Gott ist keine menschliche Welt möglich. Deswegen hat er von Beginn seines Pontifikats an die Bedeutung des Absoluten entschieden betont und vor dem Schädlichen eines Sich-einrichtens im Relativen gewarnt. Benedikt ist sehr sensibel gegenüber der Unmenschlichkeit als Ergebnis des Verschwindens „Gottes“. Aber er hat sich nicht gleichermaßen sensibel gezeigt gegenüber dem absolut Inhumanen und Deshumanisierenden angesichts der Armen.

Hans Küng hat vor kurzem einen erhellenden Artikel veröffentlicht über die Zukunft der Kirche nach dem Rücktritt von Benedikt unter dem fragenden Titel: „Ein Frühling in der Kirche?“ In diesem Artikel, mit dem ich sehr einverstanden bin, erinnert er mit seiner üblichen Klarheit an die Irrtümer und Defizienzen des Pontifikats von Benedikt in der Ökumene, dem interreligiösen Dialog und dem Ignorieren der Frauen… Und ich wünsche, daß der neue Papst, alle Kurienbehörden und wir alle uns dies sehr zu Herzen nehmen. Gleichwohl wird in diesem Programm der Überwindung einer der Grenzen von Benedikt XVI. (dem Sechzehnten) keine besondere und zentrale Aufmerksamkeit geschenkt: sein Umgang mit den Armen und deren absolute Zentralität, damit sich ein Frühling in der Kirche ereignen kann.

Diese Erinnerungen möchten nur verdeutlichen, wie schwierig es ist, „den Armen“ ihre höchste Bedeutung zu verleihen. Wenn wir uns eine häufig wiederkehrende Wendung von Benedikt XVI. (dem Sechzehnten) zu eigen machen, dann ist es schlecht, im Relativen ohne Gott zu leben. Aber in diesem Kontext erscheinen mir die folgenden Worte von Bischof Pedro Casaldáliga besonders aktuell: „Alles ist relativ außer Gott und dem Hunger.“

Mit diesem Ausruf sagt Casaldáliga verschiedene Dinge, die wir als über die Armen gesagt verstehen wollen. Erstens: arm sind jene, die Hunger leiden, womit impliziert ist, daß dieser geschichtlich über sie verhängt wurde. Zweitens: Die Armut ist keine zweitrangige, nur kategoriale Wirklichkeit im Vergleich mit den transzendentalen Wirklichkeiten; eine nur relative Wirklichkeit im Vergleich mit absoluten Wirklichkeiten. Es ist eine historisch absolute Wirklichkeit. Zumindest ist sie von Absolutheit getränkt und durchwirkt, ganz gewiß in diesem Beziehungsgefüge der Menschen, wo die einen auf die anderen wirken. Drittens: mit diesem historischen und herausfordenden Wort „Hunger“, das verwendet wird um zu provozieren und wachzurütteln, bezieht er sich auf die Mehrheit der Armen, Unterdrückten, Sklaven, Marginalisierten, Ausgeschlossenen, Ermordeten, Verstümmelten; denn diese bilden in der Welt die Mehrheit. Diese Wirklichkeit ist absolut.

2. Das Leben ermöglicht eine Analogie des Absoluten

Die Worte von Casaldáliga haben rhetorischen Charakter, sie sind aber auch das Ergebnis von Reflexion. Ich meine, daß sowohl „Gott“ als auch „der Hunger“ von der Absolutheit des Lebens aus gesehen werden. Gott ist der Ursprung des Lebens. Der Hunger ist der Ursprung des Todes.

Um begrifflich die Absolutheit der Armen zu erfassen, kann es vielleicht helfen, sie in der folgenden Weise zu verstehen. Arm sind erstens jene Menschen, die das Leben nicht als etwas Selbstverständliches voraussetzen können, und zweitens jene Menschen, deren Leben geschichtlich bedroht ist, denn sie haben fast alle Mächte der Welt gegen sich.

Das Leben der Armen ist vom Tod bedroht. Es ist der langsame Tod, hervorgerufen durch das Fehlen des absolut Lebensnotwendigen: keine Nahrung, keine Gesundheit, keine Erziehung, kein Ausruhen; dazu kommt das Fehlen des sozial Lebensnotwendigen, das noch leichter zum Fehlen des absolut Lebensnotwendigen führt: keine Wertschätzung, keine Würde, nicht gekannt und nicht anerkannt zu sein; mit einem Wort: Nichtexistenz. Ich sage mit allem Respekt vor den Afrikanern und Afrikanerinnen: Afrika existiert nicht. Und etwas ähnliches muß man heute von El Salvador sagen. Es spricht in der Tat kaum jemand noch von El Salvador.

In unseren Welt müssen zwei Milliarden Menschen mit weniger als zwei Euro am Tag leben. Die Wüstenbildung nimmt aufgrund des gefährlichen Klimawandels zu. Millionen von Menschen haben keinen Boden mehr unter den Füßen und müssen auswandern. Die Vereinigten Staaten bauen eine Mauer an der Grenze zu Mexiko und die südlichen Küsten Europas werden gegenüber den armseligen Flüchtlingsbooten aus Afrika verteidigt…

All dies ist ein massiver Ausdruck dessen, was Ignacio Ellacuría das gekreuzigte Volk beschrieben hat. Dabei geht es um „jene kollektive Gruppe von Menschen, die die Mehrheit der Menschheit darstellt, und deren Situation des Gekreuzigtseins von einer sozialen Ordnung verschuldet ist, die von einer Minderheit aufgebaut und aufrechterhalten wird, welche ihre Herrschaft aufgrund eines Zusammenspiels von Faktoren ausübt, die in ihrem Zusammenspiel und in ihrer konkreten geschichtlichen Auswirkung als Sünde bewertet werden müssen.“ Als christlicher Theologe hat Ellacuría hier von Sünde gesprochen – ein Wort, das heute sowohl in den Kirchen als auch den Theologien selten geworden ist.

Die erwähnten Mängel führen zum langsamen Tod, weil das zum Überleben fundamental Notwendige fehlt. Darüberhinaus leben die Armen in der ständigen Gefahr, daß ihnen das Leben durch einen gewaltsamen Tod genommen wird. Dann ist es an vielen Orten so, daß der Arme nicht nur nicht lebt, sondern daß er umgebracht, ermordet, zum Opfer wird. In El Salvador gab es in den elf Jahren des Bürgerkriegs 75 000 (fünfundsiebzigtausend) Tote, Ermordete, und seit damals, in den 21 Jahren seit dem Kriegsende, hat es mehr als 100 000 Morde, Tote, Ermordete gegeben.

„Dem Hunger“ – arm sein und Opfer sein – ist die Absolutheit in der Form der Negation eigen: sub specie contrarii zeigt er Konnaturalität mit einem Gott des Lebens. Und er zeigt auch – und daran besteht das christliche Paradox – Ähnlichkeit und Nähe zum gekreuzigten Jesus der Synoptiker und zum Gott am Kreuz des heiligen Paulus.

Ich möchte diesen ersten Gedankengang abschließen: Wenn wir uns heute fragen, was die Option für die Armen im 21. Jahrhundert ist, müßte man viele Dinge konkretisieren. Aber bei allen Konkretisierungen darf das, was sich aus dem bisher Gesagten ergibt, nicht aus dem Blick gerückt oder gar übergangen werden. Option für die Armen heißt erstens an ihrem Nichtleben und an ihrem Kreuz teilzuhaben, und zweitens ihnen Leben zu geben und sie vom Kreuz herunterzuholen.

Für viele versteht sich das von selbst. Aber für die Minderheiten, die in der sogenannten ersten und in der sogenannten dritten Welt im Überfluß leben und die die Ausnahme in der Menschheit darstellen, scheint dies nicht der Fall zu sein. Es braucht einen radikalen Wandel, ein Öffnen der Augen, damit die Schuppen von den Augen fallen, so wie bei Paulus. Wir müssen aufhören, das zu denken, was uns andere – die Medien, viele Regierungen und Parteien, Religionen und Kirchen – als evident vorgeben.

3. Die wesentliche Beziehung zwischen „Gott“ und dem „Armen“ in der Tradition

„Gott“ und „Arme“ miteinander in Beziehung zu bringen, gehört zum Tiefsten der Tradition. Im Alten Testament lautet nach Hans Wolf das wahre Glaubensbekenntnis: „In Dir findet der Arme Erbarmen.“ Im Neuen Testament verkündet Jesus nach Joachim Jeremias das Reich Gottes allein für die Armen. Im Mittelalter hieß es, daß „die Armen die Stellvertreter Christi“ sind. Wir machen einen großen zeitlichen Sprung: Erzbischof Oscar Romero sagte in einer Ansprache in Löwen sechs Wochen vor seiner Ermordung: „Die Ehre Gottes ist der Arme, der lebt.“ In allen diesen Sentenzen erscheint das Transzendente (Gott und sein Christus) engstens verbunden mit der Geschichte, aber nicht mit irgendeiner geschichtlichen Wirklichkeit, sondern mit dem Unten der Geschichte: mit dem Armen.

Ich möchte bei zwei Momenten der Tradition verweilen, die mir wichtig erscheinen und bis jetzt nicht genügend beachtet wurden: Antonio de Montesinos und Puebla.

Die Predigt von Antonio de Montesinos

Diese Predigt aus dem Jahr 1511 ist bedeutsam um zu verstehen, wie wichtig und wie notwendig es ist, die Realität der Armen zu begreifen, und wie schädlich die Folgen sind, wenn man sie nicht begreift. Sie erscheint mir sehr passend für heute, weil sie die Notwendigkeit einer Aufklärung zum Ausdruck bringt. Wir halten diese in den entwickelten Gesellschaften für selbstverständlich, und wir rühmen das Zweite Vatikanum dafür, daß es sie anerkannt und in das Denken der Kirche eingeführt hat. Doch eigentlich ist sie immer noch uneingelöst.

Schauen wir zurück. Immanuel Kant war klarsichtig. Wir bedürfen einer „Aufklärung“, die uns aus dem „dogmatischen Schlummer erwachen“ läßt. Und deswegen ist der Wille zur Aufklärung notwendig: „den Mut haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Heute brauchen wir eine andere Aufklärung, und man kann darüber diskutieren, ob sie ebenso notwendig oder vielleicht noch notwendiger ist als die kantianische. Aber es gibt keinen Zweifel: wir müssen „aufwachen aus dem grausamen Schlummer der Unmenschlichkeit“. Unsere Welt, egal ob demokratisch oder sozialistisch, ist tief in diesem Schlummer versunken. Antonio de Montesinos begann seiner Predigt im Jahr 1511 auf der Insel Hispaniola so:

„Ihr alle steht in der Todsünde, darin lebt ihr und darin werdet ihr sterben für eure Grausamkeit und die Tyrannei, der ihr diese unschuldigen Menschen unterwerft. Sagt: mit welchem Recht und mit welcher Gerechtigkeit haltet ihr diese Indios in so grausamer und schrecklicher Knechtschaft? Wer hat euch ermächtigt, so verabscheuungswürdige Kriege gegen diese Menschen zu führen, die still und friedlich in ihren Ländern gelebt haben, in Ländern, die ihr in unendlicher Menge an euch gerissen habt, Tod und Verderben in nie gehörtem Ausmaß verbreitend?“

In heutiger Sprache ausgedrückt heißt das: Ihr seid völlig unmenschlich, ihr handelt gegen die von euch selbst verabschiedeten Menschenrechte.

Und Montesinos fährt fort: Ihr habt diese Menschen verachtet, mißhandelt, umgebracht – „unter so viel Zwangsarbeit sterben sie“.

Ihr seid völlig unwissend und unwissend vor allem im wichtigsten: „Sind das keine Menschen, haben sie nicht vernunftbegabte Seelen?“

Ihr liegt im Schlaf – „Was für ein tiefer Schlaf, welche Lethargie hält euch umfangen?“

Auch sechshundert Jahre später sind diese Worte noch aktuell. Die Vereinten Nationen veröffentlichen die Zahlen in ihren Sozialberichten, aber im Bewußtsein der Menschen hat es wenige Fortschritte gegeben. Und auch nicht in der Reaktion des guten Samariters gegenüber dem, was diese Zahlen ausdrücken.

Die Option für die Armen besteht heute weiterhin und vor allem darin, die Wahrheit über diese Welt zu sagen. Sie nicht zu verschleiern. Sie nicht zu leugnen. Und die Wirklichkeit anzuprangern, die tödlich ist und Arme hervorbringt.

Die Bischöfe in Puebla 1979

Das Schlußdokument der lateinamerikanischen Bischofsversammlung von Puebla im Jahr 1979 enthält meiner Meinung nach die beste Formulierung der wesentlichen Beziehung zwischen Gott und den Armen. Auf diese Weise erscheint das tiefste Fundament der Option für die Armen, ihr grundlegender Inhalt und die Haltung derer, die sie treffen.

Vor allem anderen bindet Puebla die Option für die Armen an Gott selbst zurück, und zwar noch vor der Kirche und ihrem Christus. Auf diese Weise hat die Option für die Armen eine absolute Letztgültigkeit. Auch wenn es so nicht ausdrücklich gesagt wird, so erkennen wir in dieser Option, wer Gott ist. Gott ist Gott, indem er diese Option trifft – dies verweist auf seine Selbstmitteilung im Exodus,

Angesichts dessen ist das mindeste, was sich sagen läßt, daß es vergebens wäre, Gott außerhalb dieser Option zu denken und zu suchen. Das verweist auf einen alten Gedanken von Porfirio Miranda: es genügt nicht, Gott nur zu suchen, sondern man muß ihn dort suchen, wo er sagte, daß er sich befindet – in den Armen. Es genügt nicht, Gott in irgendeiner seiner Taten zu suchen, sondern in jener, wo es um sein Wesen geht: in der Befreiung der Unterdrückten.

Puebla erwähnt zwei wesentliche charakteristische Merkmale des Handelns Gottes. Das erste ist das der Ungeschuldetheit. „Allein aufgrund der Tatsache, daß sie arm sind, unabhängig von ihrer persönlichen oder moralischen Situation liebt sie Gott und verteidigt sie.“ (Nummer 1143) Hier wird die absolute Gnadenhaftigkeit Gottes betont, wie sie auch bei Lukas und Paulus zum Ausdruck kommt. Ebenso wird betont, daß sein Handeln eine wirkliche Option ist. Es ist keine Reaktion auf irgendeinen Verdienst.

Das zweite Merkmal ist, daß Gott die Initiative zur Verteidigung des Armen ergreift. Ich möchte diesen Punkt unterstreichen. Gott liebt nicht nur den Armen, hilft ihm, rettet ihn, sondern vor allem verteidigt er ihn – das wird gewöhnlich nicht beachtet. Die Priorität der Verteidigung des Armen erklärt die interne Logik. Was den Armen zum Armen macht, sind seine Gegner, seine Feinde. Die Option für den Armen bedeutet deswegen notwendigerweise, sich mit jenen, die sie arm machen, zu konfrontieren und in einen Konflikt zu treten. Option für die Armen bedeutet deswegen nicht nur, aber vor allem gegen die Täter zu kämpfen, um die Opfer zu verteidigen.

Es gibt keine Option für die Armen ohne die Entscheidung, sie zu verteidigen, ohne die Entscheidung, in den Konflikt innerhalb der Geschichte einzutreten. Letzteres wurde nicht einmal theoretisch zur Kenntnis genommen. Das war auch bei der letzten lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Aparecida nicht der Fall.

Anders war das bei der 32. (Zweiunddreißigsten Generalkongregation )der Jesuiten im Jahr 1975 und bei dem damaligen Generaloberen Pedro Arrupe. In den Texten dieser Generalkongregation wird die Identität des Jesuiten beschrieben in der Teilnahme am „entscheidenden Kampf unserer Zeit: im Kampf für den Glauben, der den Kampf für die Gerechtigkeit mit einschließt“. Und man machte sich keine Illusionen: „Wir werden nicht für die Gerechtigkeit kämpfen, ohne einen Preis dafür zu bezahlen.“

Die Beziehung Gottes mit den Armen ist die folgende:

- Gott liebt sie, das heißt er fördert ihr Wohl und ihr Heil.

- Gott übernimmt ihre Verteidigung, und er tut dies an erster Stelle. Die Armen sind Arme in den Händen von Feinden. Deswegen ist die Option in einem Unterstützung und Verteidigung. Verteidigung bedeutet gegen die Feinde zu kämpfen.

- Das ist vergessen. Die Option für die Armen als helfende Liebe ist schon Teil der kirchlichen Lehre geworden begrifflich in sie eingegangen (Benedikt XVI. hat dies in Aparecida getan). Aber selten ist heute eine Option als Verteidigung des Unterdrückten gegen den Unterdrücker. Das kommt höchstens in Ausnahmen vor wie bei Bischof Pedro Casaldáliga in Brasilien und bei Bischof Raul Vera in Mexiko unter den Lebenden und bei Erzbischof Romero unter den Toten.

Erzbischof Romero: die Option für die Armen als Kampf gegen die Götzen

In der lateinamerikanischen Theologie werden die Armen als geschichtlich Arme gesehen. Sie sind die arm Gemachten, die Unterdrückten, die Opfer. Die grundlegende Beziehung ist die zwischen Gott und Opfern. Und die Option für die Armen ist eine Option für die Opfer. Daraus ergeben sich wichtige Konsequenzen, die in den Theologien der Länder des Südens entwickelt wurden, aber sehr wenig in denen der Welt des Überflusses.

In der Welt existieren Gott und die Götzen. Von Gott zu reden bedeutet, klarzustellen, an welchen Gott man glaubt und gegen welche Gottheiten man kämpft. Mehr noch als mit der Nichtexistenz Gottes muß der Glaube sich mit dem Götzendienst konfrontieren,. Das fundamentale Problem (in Lateinamerika) ist nicht die Alternative von Glaube und Atheismus, sondern von Glaube und Götzendienst. Und von der Alternative von Glaube und Götzendienst her bestimmt sich auch das Problem der Beziehung mit Gott.

Der Götzendienst besteht nicht einfach in der Absolutsetzung von etwas nicht Absoluten. Das bleibt eine fruchtlose Tautologie, solange man keine Hierarchie herstellt unter dem, was nicht absolut ist. Das ist in vielen herkömmlichen Theologien und sogar in den fortschrittlichen nicht gegenwärtig.

Bei der Bischofsversammlung in Puebla war die Frage der Hierarchie unter den Götzen gegenwärtig. Die erste Stelle nimmt die Verabsolutierung des Reichtums ein, die zweite die der militärischen Macht, und es folgen andere. Der Grund dafür ist, daß beide Absolutsetzungen aus ihrer Natur heraus zum Tod von anderen führen. Götzen sind demnach jene historischen Wirklichkeiten, die zum Tod von anderen führen. Gleichzeitig deshumanisieren sie die Götzenanbeter.

In El Salvador hat Erzbischof Romero unter Mitarbeit von Ignacio Ellacuría in seinem letzten Hirtenbrief von 1979 von den Götzenverehrungen gesprochen und sie radikal verurteilt. Aber außerdem hat er eine Rangordnung unter ihnen aufgestellt, um nicht in einen Idealismus zu verfallen. Der erste Götzendienst ist die Verabsolutierung des Kapitals – und in seinen Predigten hat er dies geschichtlich konkretisiert als das Privateigentum im Land. Der zweite Götzendienst ist die nationale Sicherheit, das heißt die Gewalt der Waffen seitens der Armee und der Todesschwadronen, die er mit dem Götzen Moloch verglich. Als solche braucht die nationale Sicherheit Opfer, Menschenopfer, um sich zu erhalten. Der dritte Götzendienst sind die Volksorganisationen. Er lobte sie als gut und in sich notwendig, aber götzendienerisch, wenn sie sich selbst absolut setzen und andere ungerecht töten und damit ihre Mitglieder auf verschiedene Weisen deshumanisieren.

Diese Sicht des Götzendienstes hat seine Wurzeln und Vorläufer in den Propheten des Alten Testaments: Amos, Jesaja, Hosea, Micha… Sie reduzieren ihn nicht auf den kultischen Bereich, wo Objekte wie goldene Kälber als Gott genommen werden oder indem sie sich auf jene gewöhnlichen Götzen der heidnischen Religionen in der Umgebung einschießen. Götzen sind historische Wirklichkeiten, unter denen zwei herausragen: an erster Stelle der Reichtum als Ergebnis von Raub, der Hunger und Tod und darüberhinaus Würdelosigkeit und Verachtung erzeugt. Und an zweiter Stelle das Vertrauen in die ausländischen Mächte.

Gerhard von Rad hat das vor vielen Jahren und José Luis Sicre in Spanien in seinem Buch „Gott und die vergessenen Götter“ gesagt. In Lateinamerika hat Gustavo Gutiérrez in dieser Linie das Buch „Gott oder das Gold“ geschrieben.

Der klarste Ausdruck, ob die Option für die Armen ernst genommen wird oder nicht, ist die Bereitschaft, Risiken wegen des Eintretens für die Armen einzugehen oder nicht, und gegen jene zu kämpfen, die sie arm gemacht haben. Die Verifikation dafür ist die Feststellung, ob diese Risiken eingegangen wurden. Predigen so wie Erzbischof Romero, Wissenschaft treiben so wie Ignacio Ellacuría, pastoral zu arbeiten wie Rutilio Grande war risikoreich. Darüber möchte ich in meinem letzten Teil sprechen.

Aguilares und das Hervorbrechen des Christentums

Ich bin in Aguilares, einem Ort dreißig Kilometer von San Salvador entfernt, am 12. März 1977 (neunzehnhundertsiebenundsiebzig) auf das Christentum gestoßen. Der Priester Rutilio Grande war zusammen mit zwei Bauern ermordet worden. An diesem Tag und im unmittelbaren Geschehen danach brach ein Christentum hervor, wie ich es noch niemals erlebt oder erahnt hatte. Die Regeln von Gut und Böse waren außer Kraft gesetzt worden, obwohl die Grausamkeiten gegen die Armen bereits vorher begonnen hatten. Doch in Rutilio und Erzbischof Romero, der sich von diesem Tag an zum Verteidiger der Armen von Amts wegen bekehrte, gab sich auch Jesus von Nazaret, der mir vertraut war und mit dem ich mich seit Jahren beschäftigt hatte, zu erkennen – ophte. Und plötzlich trat ein Leib der Kirche in Erscheinung, der gezeichnet war von der Bekehrung zum Armen, der Verrücktheit der Seligpreisungen und der je größeren Liebe – ein Leib, der wie niemals zuvor vereint und zur Nachfolge entschlossen war. Viele beteten zum himmlischen Vater. Die Glaubensüberzeugung, das Engagement und der Stolz, Christ zu sein, waren förmlich zu greifen. Es war eine neue Taufe.

Für jemanden, dem die Exerzitien des Ignatius von Loyola vertraut sind, war das Geschehen dieser Tage wie ein neues Prinzip und Fundament. Es war keineswegs das Ganze, aber es war sehr wohl Prinzip, also Anfang, denn es eröffnete eine Wirklichkeit des Christseins, wie man sie vorher nicht kannte. Und es war Fundament, denn alles ruhte auf diesen Dingen auf, und nicht nur auf Dogmen, Institutionen, Normen. Für mich ergaben sich daraus zwei sehr tiefgehende Überzeugungen.

Die erste lautet, daß Christsein eine reale Sache ist. Der Christ ist im Verborgenen mit Gott, doch das Christentum strömt in die Geschichte. In Aguilares nahm das die konkrete Gestalt der Verteidigung des Lebens an, also der Verteidigung dessen, was den Bauern am meisten am Herzen lag; es nahm die Gestalt der Anklage und Einforderung der Gerechtigkeit, des Aufsichnehmens von Verfolgung, Gefahren und Risiken an. Und gemäß dem Paradox des Christentums nahm es auch die Gestalt der Gnade an, denn die Wirklichkeit hat uns getragen und zur Geschwisterlichkeit geführt. Real waren das Gebet und zuweilen sogar die Vergebung. Jesus ähnlich zu werden und einer Kirche anzugehören, die ihn in diesen Tagen deutlich gegenwärtig werden ließ, waren reale Dinge. Die Texte, selbstverständlich die Heilige Schrift, waren weiterhin wichtig und notwendig. Doch man verstand sie ausgehend von dem, was passiert war. Und damit sagen wir nichts Außergewöhnliches, denn so beginnt der Erste Johannesbrief: „Was wir mit unseren Ohren gehört, mit unseren Augen gesehen und mit unseren Händen ergriffen haben…“

Dies verhalf zur Klarheit und dazu, zwei ernsthafte Gefahren zu überwinden, die das Christentum stets bedrohen. Die eine ist der Doketismus, das heißt, in einer irrealen Welt zu leben, vor allem, ohne an ihrem Leid teilzuhaben. Die andere ist der Gnostizismus, das heißt, das Heil in ein zeitloses und von der Erde losgelöstes Wissen von Eingeweihten zu verlegen. Die Voraussetzung für die Vermeidung dieser beiden Gefahren ist das grundlegende Erfordernis das „ehrlichen Umgangs mit der Wirklichkeit“.

Es wurde auch klar, daß Christsein eine gute Sache ist, was, wenn man es in historischer Perspektive betrachtet, keine Selbstverständlichkeit ist. Es läßt den Menschen und dessen endgültige Bestimmung gut sein, doch es bedeutet auch Heil für die Geschichte. Bei allen Begrenzungen, die allem Menschlichen eigen sind, gingen von Aguilares Impulse aus, das Unrecht in Gerechtigkeit, die Sklaverei in Freiheit, die Lüge und Verschleierung in Wahrheit, die Abstumpfung in Mitleiden, den Egoismus in Solidarität, die Welt des reichen Prassers und des Lazarus in Gleichheit, die Traurigkeit in Freude, den Tod in Leben zu verwandeln. Und von Aguilares gingen auch Impulse aus, daß die Menschen, vor allem die Bauern, ihr Vertrauen in einen Gott setzten, der ein Vater ist, und sich einem Vater anheimgaben, der Gott ist.

So weit meine persönlichen Erinnerungen. Sie sind idealisiert, denn das geschilderte Neue war auch mit Begrenzungen und Sünde verbunden. Mehr noch: die Dinge haben sich sehr verändert, und „Aguilares“ kann kein Modell für heute sein. Doch ich meine, man kann es auch nicht ignorieren, denn stets von Neuem können Lichtblitze des Christentums zum Durchbruch kommen. Bei aller Bescheidenheit kann diese Erfahrung die Funktion haben, die Damaskus für Paulus oder Manresa für Ignatius von Loyola hatte.

Der Glaube an Gott

Ich meine, was mit dem Ereignis von Aguilares am deutlichsten wurde, ist, daß mit den Armen auch Gott in die Geschichte hereinbrach. Und wenn mir eine kühne Art zu reden gestattet ist: Der Arme ist derjenige, der dafür sorgt, daß Gott in der Geschichte zur Fülle gelangt.

Doch auch bei uns macht sich die Zweideutigkeit der Gotteserfahrung bemerkbar. Wir können die Erfahrung machen, daß uns jemand aufnimmt und uns seinen Namen gibt, und dann wiederum vernehmen wir von ihm nichts als Schweigen. Und niemals kommen die Fragen zur Ruhe. Vernunft und Herz empören sich angesichts unschuldiger Opfer, seinerzeit in Auschwitz, in jüngerer Vergangenheit in El Mozote, Haiti…

Viele ringen mit Gott wie Jakob. Sie müssen den „Unglauben als theologisches Problem“ ernst nehmen, von dem Johann Baptist Metz sprach, und immer bleiben Zweifel und Unruhe. Es kann ein gequälter Glaube gedeihen, wie der Miguel de Unamunos, der auf seiner Grabinschrift zu Gott sagte: „Nimm mich auf, ewiger Vater, an deine Brust, geheimnisvolle Heimstatt. Dort werde ich schlafen, denn ich komme völlig erschöpft von der harten Mühe.“ Oder ein Glaube wie der von Pater Arrupe, der in diesen wenigen Worten zum Ausdruck kam: „Vielleicht war uns der Herr noch nie so nahe, weil wir noch nie so ungesichert waren.“

Doch soweit man sich in diesen Dingen ein Urteil erlauben kann, waren beziehungsweise sind Dom Helder Camara, Erzbischof Romero und Dom Pedro Casaldáliga Mystiker mitten unter uns. Andere durchliefen in der Nachfolge Jesu eine Mystagogie, um sich dem Geheimnis Gottes zu nähern, ohne zur Höhe der Mystik zu gelangen. Sie können auch dahin gelangen, etwas von den kühnen Worten des Paulus und des Johannes über die Liebe Gottes am Kreuz zu verstehen. Wir aktualisieren diese Worte mit Hilfe derer von Martin Luther King, dessen Weg sicherlich dem ähnelte, was bei uns in Aguilares begann. „Ihr könnt tun, was ihr wollt, aber wir werden weiter lieben. Sie stecken uns ins Gefängnis, und auch dort werden wir sie lieben. Sie werfen Bomben auf unsere Häuser, bedrohen unsere Kinder, und, so schwer es uns auch fallen mag, wir werden sie auch dann noch lieben. Sie schicken in der Dunkelheit der Nacht Killer zu unseren Häusern, sie machen sich über uns her, und selbst sterbend werden wir sie lieben.“ Es ist der gekreuzigte Gott, der unter uns gegenwärtig ist. Und es ist auch der Gott der Auferstehung, der Auferstehung Jesu, der Auferstehung Erzbischof Romeros und der vielen Märtyrer und Gefallenen. Die Sehnsucht, daß „der Henker nicht über das Opfer triumphiert“ (Max Horkheimer) wird Wirklichkeit.

Den Glauben an diesen Gott kann man nicht programmieren, aber man kann ihm einen Ort geben. Karl Rahner sagte vor etlichen Jahren, daß „der Fromme von morgen ein Mystiker sein oder nicht sein“ werde. Das erweist sich auch unter uns als immer zutreffender. Pedro Casaldáliga wandelt das Wort Rahners von den Armen her ab: „Der Christ der Zukunft wird arm und solidarisch mit den Armen sein, oder aber gar nicht sein.“ Mystik, Armut, Solidarität mit den Armen sind das ubi des Glaubens an Gott.

Und über den Glauben an Christus sagen wir nur ein Wort. Wenn man wie Jesus von Nazaret auf dem Weg ist, dann erschließen sich das Humane, sein Sinn und seine Zukunft, mehr und mehr. Von diesem Jesus kann man also sagen, daß er mehr ist als der Mann aus Nazaret. Er ist das Sakrament Gottes.

Ein Wort zum Schluss

Christsein hat sein eigenes Profil. Das Reich Gottes aufzubauen, verleiht ihm „Gewicht“. Das Kreuz verleiht ihm „Kanten“. Die Dialektik Gott – Vater verleiht ihm Dynamik. Wenn wir auf dem Weg sind, dann werden wir Jesus ähnlich. Wir können existenziell eine Anthropologie des „Ecce homo“ entwickeln: In Jesus von Nazaret ist der Christus nicht nur als vere homo erschienen, in dem der homo unabhängig von Jesus erkannt werden könnte, sondern als der homo verus, so daß von Jesus her der Mensch in seiner Fülle erkannt werden kann. Und eine Theo-logie des „Ecce Deus“: In Jesus ist Gott nicht nur als vere Deus erschienen, sondern als Deus verus, so daß wir Gott nur von Jesus her kennen.

Ich habe in diesem Vortrag vom Christentum die ernste Seite stärker betont als die froh machende, und einer der Gründe dafür mag sein, daß in Lateinamerika im Unterschied zu anderen Regionen der sogenannten dritten Welt diejenigen, die die Armen unterdrücken, Christen sind. Es erschallt also das „Um euretwillen wird der Name Gottes entehrt“, und das gebietet Ernst. Und die in diesem Vortrag oft zitierten Märtyrer wollen „den Unterdrückten verteidigen“ und das Antlitz Gottes von Schmutz befreien. Dem christlichen Paradox gemäß gehen Ernst und Freude Hand in Hand. So bringt es Karl Rahner in programmatischer Weise in einem universalen Kontext genau da zum Ausdruck, wo er über das Christsein spricht. Er wählt dazu Worte von großem theologischem Tiefgang:

„Christsein ist also eine ganz einfache Aufgabe und die schwere-leichte Last, wie es im Evangelium heißt. Wenn man sie trägt, trägt sie einen selbst. Je länger unser Leben währt, desto schwerer und leichter wird sie.“

Am Ende bleibt allein das Geheimnis, Aber es ist das Geheimnis Jesu.

Von unserem Kontext von „Aguilares“ her sprach Erzbischof Romero ohne Umschweife vom Sein „wie Jesus“:

„Viele Salvadorianer und Christen sind dazu bereit, ihr Leben hinzugeben, damit es ein Leben für die Armen gibt. Wie Jesus in die reale Welt eingelassen, bedroht und angeklagt wie er, ihr Leben hingebend wie er, geben sie Zeugnis vom Wort des Lebens.“

Der Vortrag von Prof. Dr. Jon Sobrino SJ am 5. 3. 2013 in Wien ist mit Genehmigung hier veröffentlicht.