Der katholische Publizist Hubert Feichtlbauer ist am Samstagabend im Alter von 85 Jahren im Kreise seiner Familie gestorben. Der Autor, ehemalige Chefredakteur der „Furche“ und Vorsitzende der Plattform „Wir sind Kirche“ litt an einer Krebserkrankung.
Noch vor wenigen Wochen besuchten Martha Heizer und Petra Schäffer unseren Ehrenvorsitzenden und führten das nachfolgende Gespräch mit ihm, in dem er ganz offen über seine Erkrankung, den Tod und seinen Glauben spricht.
Dr. Hubert Feichtlbauer war von 1999 bis 2002 Vorsitzender der Plattform "Wir sind Kirche" und blieb bis zuletzt unserer Bewegung eng verbunden.
HOFFNUNG, UNSTOPPABLE
Ein Gespräch mit Hubert Feichtlbauer
Der Ehrenvorsitzende von Wir sind Kirche ist krebskrank. Wie geht er damit um, was bewegt ihn, und vor allem: wie erhält er sich die hoffnungsvolle Sicht aufs Leben und aufs Sterben? Er spricht sehr offen, sehr nachdenklich und sehr humorvoll – über sich, über die Krankheit, über die Ewigkeit … und über unseren Papst!
Martha Heizer
Ich nehme zurzeit am Tag 22 Tabletten. Ich habe mich immer lustig gemacht über Leute, die nicht mehr sagen können, wie viele Tabletten sie nehmen, jetzt habe ich dafür größtes Verständnis. Es sind schon auch Nahrungsergänzungsmittel dabei, aber im Wesentlichen sind es echte Hämmer zum Niederschlagen von aufbegehrlichen Elemente in mir. Aber den Krebs schlagen sie jetzt nicht mehr nieder, wir haben gemeinsam beschlossen, wir stellen die Chemo ein. Ein Jahr lang hat es offensichtlich geholfen, das Wachstum in mir zurückgedrängt, aber jetzt hilft es nicht mehr. Jetzt hätten sie mir ein technisches Verfahren angeboten, weil sich der Krebs offensichtlich doch so bewegt hat, dass man ihn anschießen könnte, gezielt über einen Katheder, sodass man nicht mehr durch die ganzen Körper die ganze Chemo-Menge jagen muss. Ich habe das mit verschiedenen Leuten besprochen, in der Familie natürlich auch, und dann habe ich gesagt, nein danke, es sind solche Risken damit verbunden! Ich bräuchte vier Wochen lang jeweils eine Vollnarkose. In die Vollnarkose einzutauchen und nie mehr in dieser Welt aufzuwachen, wäre ja das schönste, was passieren kann. Aber wenn einen zwischendrin der Schlag trifft und man wacht als Pflegefall auf – was sein kann - , die Sprache oder die Beweglichkeit ist weg: nein, das nicht. Mein Chemo-Behandler nennt sich auch Chemo-Theologe (oder so ähnlich). Ihn habe ich gefragt: Ist es mit der Individualethik vertretbar, wenn ich dieses Angebot nicht annehme? Er hat ohne Zögern gesagt: „Ja, natürlich!“ Ich glaube nicht, dass man dem lieben Gott eine Freude macht, wenn man sagt, jetzt begebe ich mich noch auf gefährliches Glatteis wegen eines - vielleicht – halben zusätzlichen Jahres. Das muss nicht sein. Außerdem müsste ich danach immer auch mit starken Schmerzen rechnen. Held bin ich keiner. Der Vorteil von Leberkrebs ist ja, dass durch die Leber keine Nerven gehen und ich wirklich nie Schmerzen habe. Das ist angenehm, aber die Müdigkeit war immer schrecklich.
Meine Beweglichkeit ist schon stark eingeschränkt. Dann habe ich mir an der Schulter noch Bänder gerissen, durch die Erschlaffung der Muskeln, da reißen dann die Bänder. Das hat jetzt zur Folge, dass ich, um ein Handtuch herunterzunehmen, schon beide Arme brauche. Das ist das mühsamste, diese Bewegungsbehinderung.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man das ohne Hoffnung aushalten könnte. Neulich habe ich einen guten Freund getroffen, der gesagt hat: „Hör auf, vom Tod zu reden!“ Das versteh ich nicht, warum man aufhören sollte, vom Tod zu reden. Ich habe das eher umgekehrt gemacht. Ich habe vom ersten Tag an per Email alle Freunde verständigt, den Familienmitgliedern genau geschildert, was ich habe. Da tritt dann der umgekehrte Effekt ein. Nach einem halben Jahr fühlst du dich wortbrüchig, wenn du immer noch lebst! Da sagen sie dann: jetzt habe ich geglaubt, es geht mit dir zu Ende, und ich sage: das habe ich auch geglaubt.
Wegen der Hoffnung: die Nacht ist notwendig, damit man die Schönheit des Tages und der Sonne beurteilen kann. Die Stille ist notwendig, damit man gute Musik schätzen kann. Und die verzweifelten Anblicke der Welt, wie sie heute ist, braucht man, um die Hoffnung zu pflegen. Die Vorstellung finde ich schrecklich, Gott hätte alles so eingerichtet, dass alles gut geht. Hoffnung wäre unnötig, alles wäre Gewissheit – schrecklich! Natürlich tut das alles weh, aber andererseits wäre die garantierte Schönheit und das garantierte Glück entsetzlich. Da gefällt mir immer noch der Spruch von Waclav Havel gut: Hoffnung ist nicht, dass alles gut ausgeht, sondern Hoffnung ist, dass alles so ausgeht, dass man darin einen Sinn erblicken kann. Aber natürlich ist das alles leichter gesagt als getan.
Das erste, das man sich vornimmt, wenn man so eine Diagnose bekommt: Mensch, werde wesentlich! Beschränke dich auf Dinge, die wesentlich sind, und lass die anderen weg. Das ist fast unmöglich, denn man kommt immer wieder ins Grübeln. Was ich aber schön finde: ich komme jetzt viel mehr ins Grübeln über die Dinge des Glaubens als mein ganzes Leben lang. Zum Beispiel das, was man jetzt im Lutherjahr wieder oft zu hören bekommt, was aber genausogut katholisch ist: der Glaube ist eine Gnade, ist ein Geschenk. Du kannst ihn nicht nach einem Rezept erwerben, du kannst ihn nicht erzwingen. Das ist ein Geschenk, und darauf musst du warten. Wenn ich darüber nachdenke, sage ich, das kann nicht wahr sein. Ich glaube nicht an einen Gott, der sich aus der Fülle der Menschen, die er geschaffen hat, die er einzeln in die Hand geschrieben hat, ein paar heraussucht, denen er die Gnade des Glaubens schenkt, und die anderen sollen sich abwürgen? Warum schenkt er mir diese Gnade, dieses Geschenk, und denen, die sich viel mehr abmühen und sich abstrudeln, um die Gnade zu erwerben, gibt er sie trotzdem nicht? Da stimmt was nicht. Das Mindeste, was man daraus ableiten muss, dass man immer schon, und das nicht erst seit dem 2. Vatikanum, auch außerhalb der katholischen Kirche selig werden konnte. Aber selbst das ist fraglich. Ob wir nicht eines Tages draufkommen, dass die Erlösung nicht so verstanden werden muss, wie wir sie verstehen? Da schafft er die Menschen in all ihrer Unvollkommenheit, dann bringen die meisten von ihnen nicht zustande, was von ihnen erwartet wird, und dann kriegen ein paar das Geschenk, dass sie es doch zusammenbringen. Da muss ich noch einiges nachdenken. Ich bin neugierig, was Gott mir dann da zu sagen hat.
Neugierig bin ich auch, wie er es hinkriegt, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu vereinen. Beides unter einen Hut zu bringen und beide, die Gerechtigkeitssüchtigen und die Barmherzigkeitsbedürftigen, sind dankbar darüber, das schau ich mir an. Das wird auch etwas Spannendes sein.
Oder: die Situation, in die ich jetzt gekommen bin! Du musst dich entscheiden, nimmst du ein MÖGLICHES lebensverlängerndes Mittel an oder verstößt du gegen die Pflicht, das Leben so lange wie möglich zu wahren, weil es ja auch ein Geschenk Gottes ist? Jaja, natürlich ist es ein Geschenk Gottes, das ist mir auch bewusst, ohne ihn könnte ich nicht ein schönes Leben führen, aber er hat dem Menschen beim Beginn des Lebens ein nicht unerhebliches Mitspracherecht eingeräumt, wer mit wem, wo, wann, unter welchen Umständen… , am Ende des Lebens soll auch er bestimmen, wann, wo und wie, aber es ist nicht einzusehen, warum ich da nicht auch ein Mitspracherecht haben soll. Ich glaube nicht, dass er von mir erwartet, dass ich mich unglaublichen Risiken ausliefere, für mich, meine Familie, meine Freunde. Daher sehe ich auch nicht ein, warum ich mich eines Lebens nicht mehr freuen sollte, das mir immer Gutes gebracht hat. Auch die schwierigeren Herausforderungen waren immer zu bestehen. Aber es ist einfach nicht zu verstehen, warum man nicht mitreden können sollte. Es ist ja schon gut, dass heute auch in einem Ordensspital überhaupt gefragt wird. Früher haben sie vermutlich einfach gesagt, du brauchst jetzt das und das und das, und das wird auch gemacht. Basta. Auch wenn mein Leben schön war, aber mir ein ungleich schöneres bevorsteht, warum ist es dann eine Tugend, mich mit aller Kraft davon abzuhalten? Warum soll man denn das nicht, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt, auch geschehen lassen? Das versteh ich nicht.
Wenn man jemandem erzählt, wie es einem geht, und der/diejenige hält das aus, dann sagen sie immer: Ich wünsche dir alles Gute. JedeR, ohne Ausnahme, meint damit, dass du noch lange lebst. Ich frag dann immer, was meinst du denn damit mit „alles Gute“? Ja, was die Wissenschaft heute schon alles kann, und du kannst sicher noch … Man soll mir wünschen, dass ich mit der Situation sinnvoll umgehe, und nicht, dass ich drei Tage länger lebe. Oder: Ich bete für dich. Ja wofür betest du denn? Was soll denn herauskommen? Ja, dass du noch ein bisschen lebst, dieses schöne Leben! Ich sage: Ja, bete für mich, aber nicht mit dieser Vorgabe! Die hat ja keinen Sinn. Es ist wichtig, was ich mit dieser Situation was Gescheites anfange. In dem Sinn: Das Leben ist lebenswert, Gott ist lebens- und sterbenswert, aber man braucht bei beidem nicht hudeln.
Ich habe ja das Pferd am Schwanz aufgezäumt und begonnen zu fragen, was das Wesen der Ewigkeit ist. Als erstes bin ich Prof. Zulehner in die Arme gelaufen mit dieser Frage. Weißt eh, hat er gesagt, ohne Zeit und Raum. Ja, aber wie hat man sich das vorzustellen, Zeit ohne Ende, Raum ohne Grenze? Er hat gemeint, es könnte z.B. auch eine wunderschöne Musik sein. Aber von der schönsten Musik wird einer wahnsinnig, wenn sie ewig spielt. Wir haben uns darauf geeinigt: es ist Leben, aber so anders, dass wir es nicht beschreiben können. Ich bin in diesem Punkt auch ein Anhänger von Karl Rahner, der als Vermächtnis hinterlassen hat: hört auf, die Ewigkeit zu beschreiben, wir haben alle keine Ahnung, das wissen wir nicht! Ein Leben ganz anderer Art, aber wie, das können wir nicht sagen. Dann habe ich die Suche nach dem Wesen der Ewigkeit aufgegeben und mich wieder einfacheren Fragen zugewendet.
Allerdings wenn ich erfahre, dass jemand gestorben ist, wo ich noch gerne dies oder jenes in Ordnung gebracht hätte, sagt man, jetzt ist es zu spät. Nein, natürlich nicht! Für Gott ist es nicht wichtig, ob mir der Gedanke früher oder später kommt. Weil er wusste, dass mir dieser Gedanke kommt, hat er schon beim Urknall drangedacht. Wenn er nicht alles schon in den Urknall hineingelegt hätte, was kommen wird, würde er ja selber wahnsinnig: ununterbrochen nacharbeiten!
Dann die Geschichte: warum soll ich noch nicht sterben? „Weil du der Welt so viel zu sagen hast.“ Das ist das blödeste Argument, das es gibt. Es ist absurd, ich muss oft schon bei ganz einfachen Wörtern nachdenken. Natürlich schränkt die körperliche Beschränkung auch die geistige Kapazität ein. Oder: „Deine Familie, deine Verwandten, deine Freunde, werden sehr traurig sein“. Sie würden wohl hoffentlich ein Jahr später auch traurig sein, wenn ich ein Jahr später sterbe. Deswegen brauche ich nicht ein Jahr länger zu leben.
Das sind alles gute anthropomorphe Bilder, die man braucht, weil man sonst überhaupt nichts sagen könnte, was man sagen will. Es wird ganz anders sein, als wir uns denken können.
Die Neugier hat sich erhöht. Die Glaubensneugier. Früher habe ich geglaubt, da weiß ich eh alle Antworten. Ich habe mich immer aufgeregt, wenn Krenn oder Laun eine zusätzliche aus der Tasche gezogen haben. Da habe ich immer gesagt, die steckt bei mir nicht drin, das ist ein Blödsinn. Aber jetzt weiß ich: ich warte, was herauskommt, ohne zu drängen, ohne zu hudeln, ohne sich dagegen mit ganzer Kraft zu wehren. Schau’n wir mal. Genau.
Es gibt ja den guten Rat: du brauchst die Zeit, um die Dinge zu ordnen, die du noch ordnen möchtest. Das kann man nicht so schnell, wie du vielleicht glaubst. Ich sage dann: Ich weiß schon, das habe ich jetzt ein Jahr lang versucht und ich habe gemerkt, dafür reicht kein Aufschub. Es ist unglaublich, was einem immer wieder einfällt…
Ich entreiße meiner Familie ja eines nach dem anderen: den Grabspruch, das Grabbild, auch die Art der Beerdigung: eine Messe, wo alle kommen können und eine Beerdigung im kleinen Kreis. Da bin ich noch nicht sicher. Bei einem Begräbnis sind schon Gesten dabei, die es in der Messe nicht gibt. Ich möchte schon als alter CVer, dass mir das Kappl und das Bandl nachgeworfen wird z.B. Ich suche jetzt bei Teilhard de Chardin einen Spruch für den Grabstein, der mit Hoffnung zu tun hat. Ich habe gedacht, das wird sehr einfach sein. „Alles hat einen Sinn“, „Wir kommen weiter“ oder so was. Aber da sagen meine Kinder: „Das ist so fad, das will ja keiner lesen.“
Ich gehe recht gern ins Spital. Mein Blutdruck sinkt schon an der Eingangstür. Da fühl ich mich richtig geborgen. Zuhause habe ich immer das Gefühl, das soll ich noch machen und jenes, Briefe schreiben, am Computer arbeiten. Im Spital drück ich auf einen Knopf, wenn ich Durst oder Hunger habe und habe keine Verpflichtungen. Das ist wunderbar. Ich bin zu den Barmherzigen Brüdern gegangen, weil der Primar einen so guten Ruf als Chirurg hat. Und dann hat er aber, wie er alle Bilder angeschaut hatte, gesagt: „Ich kann Ihnen auch nicht helfen. Der Krebs ist inoperabel.“ Aber meine Enkelin arbeitet hier als Turnusärztin, das hat sicher den Vorteil, dass eine Schwester zur anderen sagt: „Du, passt auf den Alten dort drinnen auf, das ist der Großvater von der Lisi!“ Sie sind alle sehr freundlich, aber zu mir besonders bemüht und besorgt.
Wenn wir wirklich glauben, was wir glauben, dann ist die Konsequenz Hoffnung, auch in dieser Lebenslage. Bisher war das überhaupt kein Problem. Die Hoffnung auf das schöne ewige Leben habe ich immer noch. Ich weiß ja nicht, wenn mir morgen alle sagen, ich habe nur noch einen Tag zu leben, vielleicht breche ich dann zusammen. Aber bis jetzt habe ich keinen Zweifel.
Ob ich auch Hoffnung für die Kirche habe?
Ich finde, es ist der jetzige Papst ein Glück für die Masse der Hoffenden und ein Unglück für jene, die die Hoffnung ein bisschen beschleunigen wollen. Er setzt die richtigen Gesten. Auch mit seinen Unvollkommenheiten zeigt er, dass er ein unvollkommener Mensch ist. Er redet viel vom Teufel, ja. Anderswo pflegt man eben diese Vorstellung, das kann man ihm nicht zum Vorwurf machen. Aber er drückt sie niemandem aufs Auge. Oder wenn er sagt: „Jetzt studieren wir noch einmal ausgiebig die Frage, ob es weibliche Diakone gegeben hat.“ Na bitte, das wird er ja doch wohl wissen! Und der nächste kommt wieder und sagt, jetzt studieren wir diese Frage einmal. Das dient dazu, die eigenen Argumente zu schärfen, indem man sich die anderen Meinungen anhört.
Ich möchte aber keinen vollkommenen Papst. Das würde wieder jene bestärken, die froh sind, einen starken Mann an der Spitze zu haben, der alles entscheidet. Es irritiert mich, dass ich einem Verein angehöre mit über einer Milliarde Mitglieder, wo ein alter zölibatärer Mann alles entscheidet, weil er es angeblich weiß. Das wird schon richtig gelehrt, dass er nicht alles weiß, Unfehlbarkeit hat enge Bedingungen, das wissen wir alle, aber getan wird trotzdem so, als wüsste er alles. Keiner bräuchte mehr nachzudenken. Einer, der sagt, jetzt denkt doch mal selber nach, ist mir schon lieber. Dass er sagt, kommt nicht zum Ad-Limina-Besuch und fragt mich, was ihr tun sollt, sondern erzählt mir, was ihr tut, und ich sage euch, was ich davon halte. Das ist doch viel gescheiter, auch wenn es viel mühsamer ist. Aber ob die Bischöfe das rasch genug lernen, das ist die Frage. Natürlich gibt es da und dort Bischöfe, die sich trauen, selber zu denken. Aber es sind immer noch zu wenige. In Österreich kommen jetzt nicht mehr so aufregende Widersprüche, weil auch die allerirrsten Papstanhänger sich jetzt nicht trauen, einem, den sie nicht leiden können, zu widersprechen.
Aber im Großen und Ganze halte ich den Weg für richtig, dass der Papst sagt, ihr müsst nachdenken. Ich sage das notwenigste, ich berate mich mit anderen, ich gebe zu, wo ich selber keine Antwort habe – das ist mir zehnmal lieber als einer, der alles weiß und alle Fragen beantworten kann und trotzdem jede Menge Unvollkommenheiten zurücklässt.
Aber für diejenigen, die sich schon längst Gedanken gemacht haben und wissen wollen, wie es weitergeht und genug Vorschläge gemacht haben, ist es natürlich sehr aufreizend, wenn man sieht, es geht nichts weiter. (Wo man nicht so viel sieht, wie bei den Vatikanfinanzen, hat er relativ viel schon geändert, das soll auch so sein). Die einen meinen, schneller, schneller, schneller, ein Gesetz draus machen, umsetzen, nicht nur reden, die anderen wollten durchaus, dass mehrere mitreden, die anderen wieder hätten gesagt, man kann nicht alles selber entscheiden. Das ist dieser Widerspruch, dass man ein autoritäres System nicht autoritär lösen kann. Der Übergang zu mehr Mitsprache ist schwierig und langwierig. Das ist noch eine offene Frage, werden wir erst noch erleben. Schauen wir mal.
Jetzt kommt es halt drauf an, wie lange er noch lebt. Er sagt zwar immer, er lebt nicht mehr lang, aber er tut schon so, als würde er noch sehr viel Zeit haben. Aber auch da wissen wir nicht, wann seine Wirkung die größere sein wird: wenn er bald stirbt oder wenn er noch genug Zeit hat. - Er wird sicher nicht so öffentlich sterben wie Johannes Paul II.
Zur Kirche in Österreich: ich glaube ja, aber dafür habe ich keinen konkreten Hinweis, schon gar keine Geheiminformationen, dass Schönborn sehr wohl nach Rom gehen wird. Es wird rücksichtsvoll nach einem Anlass gesucht, den Müller abservieren zu können. Schönborn ist der ideale Kandidat. Man braucht sich nicht unbedingt zu genieren. Was er sagt, hat oft Hand und Fuß, kein Papst muss ihn fürchten, weil er jedem, JEDEM, Freude bereiten will.
Warum eine Bischofsernennung so lange dauert, ist nicht einzusehen. Es hat noch nie ein Bischof von seiner Diözese aus die Kirche zerstört, nicht einmal von St. Pölten aus.
Man wird im Alter nicht, wie viele behaupten, milder, sondern man wird mehr von dem, was man immer war. Ringel, der Seelenpapst, hat gesagt: die mürrischen werden mürrischer, die Faden werden fader und die Gütigen werden gütiger. Und die Revoluzzer werden revolutionärer. Da sagen manche, der/die ist doch schon so alt, muss er/sie da noch so radikal sein? Ja, grad da. Die Jungen sind es derzeit überhaupt nicht, wie man weiß.
Ich war ja immer harmoniesüchtig. Auch als Sprecher von Wir sind Kirche habe ich darüber immer nachgedacht. Ich will zwar schon deutlich meine Meinung sagen, aber doch so, dass sich danach immer noch alle die Hand geben und mit allen in Ruhe leben können. Zu meinem späten Weltbild gehört schon dazu: fang keine unnötigen Streitigkeiten in unwichtigen Dingen an. Verlange von deiner Umgebung nicht, perfekt zu sein, bilde dir nicht ein, dass du die anderen dazu zwingen kannst, besser und toller, interessanter, erfolgreicher zu werden. Gib dich mit weniger zufrieden. Das gilt aber für die Einzelpersonen. Eine Reformgruppe kann das Drängen auf Reformen nicht zurückstecken, damit Harmonie herrscht. Sicher nicht.
Ob ich einen guten Rat für Wir sind Kirche habe? Nein, das sollte man sich nicht einreden, dass man bis zum 100. Lebensjahr gute Räte anzubieten habe! Einander mit Empfehlungen zu helfen, ist richtig, aber da bin ich auf eurer Linie: ihr tut alle, was ihr könnt. Und nicht noch das dazu und jenes dazu, nicht neue Zielgruppen ausmachen und solche Dinge.
Ich verabschiede mich ungern von euch, ohne ein Bonmot zu liefern - aber mir fällt keines ein.
http://religion.orf.at/stories/2865324/