24.06.2014, Helmut Schüller
Vor drei Jahren veröffentlichte die Pfarrer-Initiative den „Aufruf zum Ungehorsam“. Im religion.ORF.at-Interview spricht der Vorsitzende der Initiative, Helmut Schüller, über das seither Geschehene, seine Erwartungen an den Papst und die „Causa Heizer“.
Am 19. Juni 2011 machte die österreichische Pfarrer-Initiative mit dem „Aufruf zum Ungehorsam“ Schlagzeilen. In dem Dokument, das seither auch international für großes Aufsehen gesorgt hat, stellen die Unterzeichner unter anderem fest, dass sie künftig wiederverheirateten Geschiedenen, Angehörigen anderer Konfessionen und auch Ausgetretenen die Kommunion nicht verweigern werden oder dass sie sich für die Weihe von Frauen und Verheirateten zu Priestern einsetzen wollen.
Das Dokument gab den katholischen Kirchenreformbewegungen in Österreich neuen Schwung, löste eine Debatte über den Gehorsamsbegriff in der Kirche aus und wurde sogar vom damaligen Papst Benedikt XVI. 2012 bei einer Predigt im Vatikan aufgegriffen. Die Pfarrer-Initiative widmete sich in der Folge vermehrt der internationalen Vernetzung. Zum dritten Jahrestag der Veröffentlichung des Aufrufs zum Ungehorsam traf religion.ORF.at den Mitbegründer und Vorsitzenden der Initiative, Helmut Schüller, zum Interview.
religion.ORF.at: Herr Schüller, es ist in den vergangenen Wochen und Monaten etwas ruhiger geworden rund um die Pfarrer-Initiative – woran liegt das?
Helmut Schüller: Mit dem Papst-Wechsel ist eine neue Situation in der Kirche eingetreten. Der Papst selbst sendet viele Signale in Richtungen, die wir teilweise auch angesprochen haben. Es gibt also ein großes Warten und Abwarten. Und gleichzeitig arbeiten wir derzeit vor allem an Baustellen, die die breite Öffentlichkeit vielleicht nicht so interessieren: An der Zukunft von lebendigen Pfarren, die von der Landkarte zu verschwinden drohen.
Was tut die Pfarrer-Initiative in diesem Zusammenhang genau?
Wir sind dabei, ein Netzwerk zwischen den Pfarren aufzubauen, die von Schließung und Zusammenlegung bedroht sind. Wir wehren uns dagegen und entwickeln Gemeindemodelle abseits von XXL-Pfarren, mit denen unsere Gemeinden selbstständig weiterleben können.
Generell ist in den vergangenen Jahren der Eindruck entstanden, dass die Reformbewegungen etwas müde werden. Schläft das katholische Kirchenreformlager ein?
Ich glaube schon, dass immer wieder große Enttäuschung und Erschöpfung eintritt. Es gibt ja viele Leute, die sich da schon seit Jahrzehnten engagieren und die sehr viel getan haben. Da ist es schwer, dranzubleiben, weil Resignation und Aussichtslosigkeit als eine Art dunkle Wolke über uns schweben. Ich sage aber immer: Aussichtslosigkeit ist kein Grund, etwas nicht zu tun. Wir hätten kein Zweites Vatikanisches Konzil gehabt, wenn sich nicht Menschen trotz Aussichtslosigkeit engagiert hätten.
Jetzt seit dem Papst-Wechsel herrscht eine gemischte Stimmung. Die einen sagen: „Jetzt geht’s endlich los, jetzt tut sich was.“ Die anderen sind nach wie vor skeptisch. Es steht auch die Frage im Raum, ob das vatikanische System nicht schon in sich so stark ist, dass sich selbst ein Papst nicht mehr durchsetzen kann.
Haben Sie da einen konkreten Zeithorizont im Kopf? Wie lange kann diese Aufbruchsstimmung halten, wenn sich nichts Konkretes tut?
Ich denke es geht da höchstens um drei, vier Jahre. Dann wird es ernst. Auf Dauer wird die Leute die Kraft verlassen. Wenn dieses Pontifikat ohne klare Anzeichen für Änderungen zu Ende geht, dann wird die Erwartung der Menschen in große Resignation umschlagen. Ich glaube, das ist jetzt ein ganz entscheidendes Zeitfenster.
Was hat der „Aufruf zum Ungehorsam“ aus Ihrer Sicht gebracht?
Ich glaube, dass es ein wichtiger Schritt war, dass sich auch die Pfarrer ausdrücklich in die Reformdiskussion einbringen. Das war neu und sicher auch für die Bischöfe vollkommen ungewohnt. Die haben uns bis dahin eher als Angestellte gesehen, die durchzuführen haben.
Wir haben sicher auch eine Diskussion darüber angestoßen, was Gehorsam ist und was nicht. Es zeigt sich ja immer noch, wie Gehorsam von manchen Kirchenautoritäten verstanden wird, nämlich als ein widerspruchsloser Durchführungsgehorsam. Dabei ist die erste Instanz nach wie vor Gott, dann kommt das Gewissen und erst dann die Autorität.
Und schließlich haben wir auch klargestellt, dass wir mit unseren Anliegen nicht allein sind, weil sich auch viele Kollegen aus anderen Ländern gemeldet haben. Man hat ja sehr lang so getan, als wäre die Pfarrer-Initiative nur das Hobby einiger alt werdender Pfarrer aus dem Osten Österreichs – das sagt mittlerweile niemand mehr.
Was hat sie in diesen drei Jahren am meisten überrascht?
Wir sind zunächst selbst überrascht worden von dem Aufruhr, den das Ganze verursacht hat. Das hat unsere Erwartungen bei weitem übertroffen. Wir waren auch überrascht, dass uns etwa drei Viertel der Priester und Pfarrer sagen, dass sie im Großen und Ganzen mit uns einer Meinung sind, aber dass es viele von ihnen kaum wagen, auch offen dazu zu stehen. Und wir waren sehr überrascht, dass sich im April 2012 – also nicht einmal ein Jahr nach dem Aufruf – der damalige Papst Benedikt XVI. öffentlich zu uns geäußert hat. Das hat uns - vor allem international - eine ganze Menge an Kontakten gebracht.
Gab es auch negative Überraschungen?
Ja, zum Beispiel, dass die Bischöfe in Österreich es für notwendig halten, Mitglieder der Pfarrer-Initiative von diözesanen Ämtern auszuschließen. Das halte ich für einen völlig überzogenen Schritt. Bei den Dechanten hat es zunächst auch so ausgesehen, als würden unsere Mitglieder da ausgeschlossen. Aber dann haben die Bischöfe offensichtlich gemerkt, dass sie da sehr viele gute Dechanten verlieren würden. Es gibt jetzt, wenn eine Ernennung oder Verlängerung ansteht, so genannte klärende Gespräche, aber die anfängliche Schärfe hat sich nicht bewahrheitet.
Warum ist Ihnen persönlich eigentlich noch nichts passiert – abgesehen vom Entzug des Titels „Monsignore“? Spricht das nicht dafür, dass Kardinal Schönborn bisher keine dahingehenden Schritte in Rom angestrengt hat?
Das kann schon sein, ich weiß es nicht. Aber es hätte auch wenig Sinn, gegen einen von uns vorzugehen, wenn man das nicht flächendeckend macht. Und dazu sind sich offensichtlich die Bischöfe nicht einig genug.
Wie weit würden Sie gehen? Wenn sich zum Beispiel herausstellt, dass sich in Richtung Frauenpriestertum nichts bewegt, würden sie auch das selbst in die Hand nehmen wie sie das - laut Aufruf - zum Beispiel bei der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene tun?
Noch ist es nicht so weit. Wir wollen zunächst einmal schauen, ob da nicht doch etwas geht. Unser Ziel ist es ja, dass sich die gesamte Kirchenordnung ändert. Wenn wir bloß im Kleinen etwas ändern würden, würde das global gesehen nichts bringen. Wir haben nicht vor, Priesterinnen zu weihen, aber wir werden nach wie vor deutlich dafür eintreten.
Aber Sie sagen doch immer, dass Sie gar nicht so klein und international so gut vernetzt sind. Wäre es da nicht eine Möglichkeit, geschlossen aufzutreten und einfach mit der Weihe von Priesterinnen zu beginnen?
Wir wollen da bewusst innerhalb der Kirche bleiben und gehen deshalb davon aus, dass die Weihe von Priestern durch Bischöfe erfolgt. Selbst als Pfarrer so zu handeln, wäre erst der übernächste Schritt. Wir werden also zunächst einmal schauen, dass wir Bischöfe finden, die mit uns gemeinsam dafür eintreten. Das ist es ja, was der Papst meines Erachtens vermisst. Zuletzt hat er ja auch zu Bischof Kräutler gesagt, dass er sich mutige Vorschläge von den Bischöfen wünscht. Das heißt für mich, dass er auch bereit ist, solche Vorschläge aufzugreifen.
In letzter Konsequenz würden sie aber auch extreme Schritte nicht ausschließen?
Wenn es zum Thema Leitung von Gemeinden keine Öffnung gibt – also weder für Frauen noch für Verheiratete – dann wird es irgendwann als Notwehrmaßnahme notwendig sein, selbst Gemeindeleiter oder –leiterinnen einzusetzen. Die Zukunft der Gemeinden hat absoluten Vorrang. Das Zweite Vaticanum hat das Kirchenvolk ins Zentrum gestellt und es gibt nichts – wirklich gar nichts – das dem vorgeordnet werden kann. Wenn die Gemeinden also wirklich weiterhin in ihrem Bestand bedroht sind, dann muss es auch zu solchen Schritten kommen. Vorläufig glauben wir aber, dass der Papst hier durchaus Öffnungen vorhat. Zumindest glaube ich, dass er bereit wäre, Bischöfen, die darum bitten, Experimente zu ermöglichen.
Papst Franziskus hat aber bereits gesagt, bei der Frauenordination sei die Tür geschlossen. Auch zu anderen Themen setzt er durchaus unterschiedliche, fast widersprüchliche Zeichen. Sie sehen trotzdem die Aufbruchssignale im Vordergrund?
Eine geschlossene Tür ist ja nicht zugemauert, die kann man wieder öffnen. Es wäre etwas anderes, wenn er gesagt hätte, es gibt gar keine Tür. Also da weiß ich nicht genau, wie es in diesem Punkt weitergeht. Aber ganz sicher weiß ich, dass er sich mehr von den Bischöfen erwartet – mehr Vorstöße, Vorschläge, Forderungen. Wenn die Bischöfe auf die Menschen an der Basis und deren Bedürfnisse hören und dementsprechend Vorschläge bringen, dann könnte sich da schon etwas bewegen. Es wird sich zeigen, ob die Bischöfe auf diese Provokation des Papstes einsteigen.
Welche Rolle spielt die Bischofssynode zu Familienthemen, die im Herbst im Vatikan stattfindet, in diesem Zusammenhang?
Es gibt natürlich große Erwartungen, allein schon aufgrund des unüblichen Schrittes im Vorfeld, die Leute an der Basis zu befragen. Diese Umfrage hat überall auf der Welt klar gezeigt, dass Welten zwischen den Ansichten der Gläubigen an der Basis und der Kirchenlehre liegen. Ob es eine Annäherung gibt, werden wir sehen. Allein die Art, wie dort diskutiert wird und wer eingeladen wird, für die Laien zu sprechen, wird schon viel aussagen.
Aber was denken Sie persönlich - was wird dort passieren?
Ich erwarte mir schon, dass es klare Positionsöffnungen gibt – klare Signale, dass die Kirchenleitung bereit ist, Lebenswirklichkeit anzuerkennen und bestimmte Dinge zu relativieren. In dieser ersten Synode heuer wird es über solche Öffnungen und Gesprächsanstöße nicht hinausgehen. Bei der Synode 2016 könnte es dann schon weiter gehen.
Denken Sie, dass hier auch von den österreichischen Bischöfen Impulse kommen könnten?
Ich glaube, dass es bei den wiederverheirateten Geschiedenen durchaus aus Österreich und auch aus Deutschland Vorstöße geben könnte. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass einige Lateinamerikaner da kräftig anschieben.
Wie sieht es mit dem direkten Gespräch der Pfarrer-Initiative mit dem Papst aus? Bei Benedikt XVI. hat man das ja erfolglos versucht. Haben Sie sich auch schon an Franziskus direkt gewandt?
Ja, wir haben dem Papst vor etwa einem halben Jahr einen Brief geschrieben. Allerdings nicht als österreichische Pfarrer-Initiative allein, sondern als internationales Netzwerk. Bisher haben wir aber keine Reaktion bekommen.
In der katholischen Kirche Österreichs ist ja derzeit die Exkommunikation der „Wir sind Kirche“-Vorsitzenden Martha Heizer in aller Munde. Sie haben diese Strafe in einer Aussendung verurteilt, die Tiroler Pfarrer-Initiative hatte aber schon vorher gemeint, sie sei gegen die „Selbstermächtigung zur Eucharistiefeier“. Gibt es da intern Meinungsverschiedenheiten?
Das hat auch bei uns Diskussionen ausgelöst. Letztlich geht es um die Frage, wie eine solche Aktion einzuschätzen ist. Als österreichische Pfarrer-Initiative – auch in Absprache mit den Tirolern – finden wir, dass wir uns davon nicht einfach nur abgrenzen können. Zumindest müssen wir uns entschieden gegen das Instrument der Exkommunikation aussprechen. Das hat in unserer Zeit nichts verloren.
Aber ist es nun in Ordnung, zu Hause ohne Priester eine Messe zu feiern?
Man kann dazu stehen, wie man will – wir stellen das auch unseren Mitgliedern frei. Eines ist aber klar: Es ist eine Handlung, die einen Finger auf einen wunden Punkt legt: Die Vollmacht des Priesters zur Eucharistiefeier ist kein Selbstzweck, sondern hat immer die Funktion, einer Gemeinde zugute zu kommen. Auch für uns ist es noch so, dass wir sagen Priesteramt und Eucharistiefeier gehören zusammen, aber nur so lange, wie die Bischöfe den Gemeinden ausreichend Priester zur Verfügung stellen.
Das Ehepaar Heizer hat aber nicht zu Hause Messen gefeiert, weil es in ihrer Gemeinde keinen Pfarrer gibt, sondern zusätzlich zum Gemeindegottesdienst. Widerspricht das nicht dem Gedanken der Erhaltung der Gemeinde, der ja für die Pfarrer-Initiative so wichtig ist?
Man sollte das nicht gegeneinander ausspielen. Wir erleben ja auch in den Gemeinden, dass es andere Formen der Eucharistie gibt, als den Sonntagsgottesdienst – Jugendmessen zum Beispiel. Aber die Gemeinde bleibt immer der Bezugsrahmen – sie ist das Zeichen der Einheit zwischen Alt und Jung, zwischen denen, die einander mögen und denen, die einander nicht mögen, und so weiter. Es hat in der katholischen Tradition immer beides gegeben: die intensiveren kleinen Gruppen und die Gesamtgemeinde. Auch Mönche feiern ja für sich die Messe, ohne Pfarre zu sein.
Wie stehen Sie persönlich zu den privaten Messen?
Ich hab kein grundsätzliches Problem damit, mir ist aber die Eucharistie für die Gemeinden wichtiger. Darin sehe ich die große Zukunftsfrage. Ich würde solche Aktionen jedenfalls niemandem empfehlen, weil man sich damit – wie wir gesehen haben – in eine gefährliche Lage bringen kann.
Michael Weiß, religion.ORF.at
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