Eine demokratische Verfassung für unsere Kirche?
Mit dieser Sondernummer der Plattformzeitung erhalten Sie den „Entwurf einer Verfassung für die Katholische Kirche“. „Wir sind Kirche“ unterstützt damit eine Initiative der Association for the Rights of Catholics in the Church (ARCC, = Vereinigung für die Rechte der Katholiken in der Kirche) und des Europäischen Netzwerks „Kirche im Aufbruch“ (EN). Die Plattform selbst ist Mitglied dieser Dachorganisation von Kirchenreformbewegungen in Europa.
Den vorliegenden Text sieht die Plattform als Diskussionsgrundlage. Sie steht keineswegs pauschal hinter allen Inhalten dieses Entwurfs, hält aber die Idee einer Kirchenverfassung grundsätzlich für eine zukunftsweisende Perspektive. Im folgenden einige Leitgedanken zum vorliegenden Textentwurf.
Theologische Gründe für eine demokratische Kirchenverfassung:
- Die Kirche nimmt jeden einzelnen Menschen ernst als Gottes Ebenbild, deshalb soll sie auch die Stimme eines jeden hören.
- Die Kirche als Volk Gottes braucht Beteiligung des Volkes, d.h. auch direkte oder indirekte Mitsprache aller bei allen Entscheidungen, die sie betreffen.
Soziologische Gründe für eine demokratische Kirchenverfassung:
- Die Kirche Unterstützt die Tugenden der Demokratie in der säkularen Gesellschaft. Der beste Weg, diese Tugenden zu fördern, ist, sie vorzuleben.
- Die Kirche lernt aus der Geschichte. Je mehr die Menschen das Gefühl haben, in Entscheidungsprozesse eingebunden zu sein, desto stärker werden sie sich mit den Anliegen der Gemeinschaft identifizieren.
- Offene, demokratische Gesellschaften sind á la long weniger anfällig für Machtmißbrauch und Extremismus. Eine demokratische Organisation würde die Kirche besser vor Deformationen von Amt und Lehre schützen, wie sie in der Vergangenheit leider immer wieder aufgetreten sind.
Beim Gebrauch des Wortes „demokratisch“ ist uns durchaus bewußt, daß in der Kirche nicht das Volk sondern Gott allein herrschen soll. Thomas Plankensteiner hat deshalb auch das Wort „theokratisch“ als Alternative ins Spiel gebracht. Es geht aber vor allem auch um Regelungen zur Mitbestimmung, und solche werden in der Welt allgemein verständlich als „demokratisch“ bezeichnet, weshalb wir das Wort beibehalten wollen.
Kurze Vorgeschichte
Die Initialzündung zu diesem Projekt gab Leonard Swidler, Professor für Catholic Thought and interreligious Dialogue (Katholisches Gedankengut und interreligiöser Dialog) an der Temple University in Philadelphia, USA. Swidler publizierte und argumentierte seine Ideen auch in dem Buch „Toward a Catholic Constitution“ [etwa: „Wege zu einer Katholischen Verfassung“, the Crossroad Publishing Company, New York, 1996].
Swidlers Ideen fanden Resonanz bei ARCC, einer starken Kirchenreformgruppierung in den USA, und auch bei der Europäischen Konferenz für Menschenrechte in der Kirche (EKMK), einer Teilorganisation des Europäischen Netzwerks (EN). Dieses Netzwerk versteht sich als Dachverband zahlreicher Europäischer Kirchenreformbewegungen, viele nationale Gruppen der internationalen Bewegung „Wir sind Kirche“ (International Movement „We are Church“, IMWAC) sind Mitglied des EN, so auch die österreichische Plattform. Diese rief 1997 den Arbeitskreis Kirchenverfassung ins Leben, der sich seither an den Arbeiten von ARCC und EKMK beteiligte.
Auf der Jahreskonferenz im Jänner 1999 verabschiedete das EN den englischsprachigen Entwurf der EKMK offiziell als Arbeitspapier, heute erhalten Sie die unter den deutschsprachigen Ländern abgestimmte deutsche Übersetzung dieses Dokuments gemeinsam mit dem Vorwort von Prof. Swidler.
Nächste Schritte
Ihre Meinung ist gefragt, Rückmeldungen richten Sie bitte an eine der unten angegebenen Adressen.
Die Plattform plant einen theologischen Studientag zum Thema etwa im Herbst 2000.
Der Arbeitskreis Kirchenverfassung bemüht sich um weitere Internationalisierung des Projekts.
Ein überarbeiteter internationaler Entwurf, der auch Ihre Rückmeldungen berücksichtigen wird, ist für 2001 geplant.
All dies in der Hoffnung, die Verantwortlichen und gleichzeitig auch so viele Katholiken wie möglich mit der vorgelegten Idee anzufreunden. Wir erwarten davon nicht ein Allheilmittel kirchlicher Probleme aber einen Schritt, der es uns in Zukunft ermöglichen soll, als Kirche in der Welt von heute zielgerichteter und wirkungsvoller die frohe Botschaft Jesu Christi allen Menschen näher zu bringen.
Matthias Jakubec
Arbeitskreis Kirchenverfassung
Plattform „Wir sind Kirche“
Juni 1999
Kontaktadresse Österreich:
Matthias Jakubec
Ulanenstraße 49
A-4600 Wels
Österreich
( (++43-7242) 44315
Kontaktadresse Europa:
Oswald Stein
Lerchenweg 2a
D-61462 Königstein
Deutschland
( (++49-6174) 21369
Kontaktadresse International:
Professor Leonard Swidler
Religion Department
Temple University
Philadelphia
PA 19122
USA
( (++1-215) 204-7251
FAX: (++1-215) 204-4569
E-Mail: dialogue@vm.temple.edu
Web: http://astro.temple.edu/~arcc
Unterwegs zu einer katholischen Verfassung
Einleitung von Prof. Leonard Swidler
”Schafft eine Verfassung für die katholische Kirche!” Das sagte Papst Paul VI. während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65). Faktisch hat es im Laufe der Jahrhunderte in vielen kirchlichen Schriftstücken zahllose Elemente und Teile einer Verfassung gegeben. Es gibt sogar beachtliche Bestandteile einer geschriebenen Verfassung, die in den Codex Iuris Canonici von 1983 eingegangen sind. Doch ist diese ”Teilverfassung” keineswegs vollständig, und sie enthält auch keine Hinweise auf demokratische Mitverantwortung, wie sie in Lenkungsstrukturen der katholischen Kirche in der Vergangenheit als Tatsachen vorgekommen sind.
Aus den Visionen des Zweiten Vatikanums und aus den Kräften, die dieses Konzil erzeugte, erwächst ein ständig kräftiger werdendes Streben nach einer Verfassung, die zunächst ausgearbeitet und dann angenommen werden muß, damit die Kirche danach leben kann. Diese Verfassung im befreienden Geist des Evangeliums Jesus Christi, erfüllt von seiner Liebe, könnte die am weitesten gereiften Formen der Lenkung und der Verwaltung aufnehmen, die an der Wende zum dritten Jahrtausend zur Verfügung stehen.
Die folgenden Seiten bieten den Entwurf eines ”Verfassungsvorschlags für die katholische Kirche”. Er wurde abgefaßt auf der Grundlage des Evangeliums, der Kirchengeschichte, einer Kirchentheologie, des kanonischen Rechts, der Konzilsdokumente des Zweiten Vatikanums, des ”kirchlichen Grundgesetzes” (Lex Ecclesiae Fundamentalis), das Papst Paul VI. 1965 in Auftrag gab, des Codex Iuris Canonici von 1983 sowie der Erfahrung mit staatlichen Verfassungen im Verlauf der letzten zweihundert Jahre. Die in der Verfassung aufgelisteten Rechte und Pflichten sind der ”Charta der Rechte der Katholiken in der Kirche” entnommen, die die ”Association for the Rights of Catholics in the Church” (ARCC) auf Grund weltweiter Beratungen formulierte. Die Charta beruht teilweise auf der ”Allgemeinen Menschenrechtserklärung” der Vereinten Nationen von 1948.
Dieser Verfassungsentwurf wurde von der ”Association for the Rights of Catholics in the Church” (ARCC) sorgfältig erarbeitet und durchdacht. Sie wurde vielen Einzelpersonen und Gruppen vorgelegt, einschließlich der ”Europäischen Konferenz für Menschenrechte in der Kirche” und der ”Internationalen Bewegung Wir sind Kirche” (IMWAC) und auf Grund der Reaktionen mehrfach überarbeitet. Es liegt nichtsdestoweniger auf der Hand, daß diese Vorlage lediglich ein Entwurf sein kann, aus dem nur auf Grund einer längeren, gründlichen und weitverzweigten Diskussion ein effektives Instrument für die Lenkung der katholischen Kirche werden kann.
Einbeziehen in die Diskussion muß man die Erfahrung und die Weisheit von Verfassungsjuristen, Politikwissenschaftlern, Kanonisten, Theologen, Kirchenhistorikern, Pfarrern, Bischöfen, Päpsten, Geschäftsleuten, Soziologen, Psychologen, Pädagogen und anderen Berufsgruppen, von Eltern, von Jungen und Alten, von Frauen und Männern, kurz gesagt: von Kirchenmitgliedern jeglicher Art. Wir möchten auch aus der Erfahrung anderer Kirchen lernen, die verschiedene Formen der Mitverantwortung und der demokratischen Einrichtungen in ihrer Lenkung und Verwaltung entwickelt haben. Wir möchten aus ihren positiven und negativen Erfahrungen lernen.
Vielleicht ist der wichtigste Wandel, den wir bewirken müssen, um eine katholische Verfassung Wirklichkeit werden zu lassen, eine Bewußtseins- oder Mentalitätsänderung bei Katholiken, bei Laien wie Klerikern. Man muß die katholische Tradition und die katholische Gemeinschaft sehen und erfahren als lebendige Quelle einer Kraft, die das Leben mit Sinn erfüllt, die es heil und damit heilig macht, die die Menschen befreit und sie fähig macht, Verantwortung zu übernehmen. Dazu gehört ein selbstbewußtes Eintreten für Rechte und eine Übernahme von Verantwortung im Rahmen einer demokratischen Verfassung.
Deshalb treten ARCC und Europäisches Netzwerk dafür ein, daß:
a) Alle Katholiken - einzelne und Gruppen - ihre Aufmerksamkeit auf ein tiefgehendes Durchdenken konzentrieren, auf eine gründliche Diskussion und schließlich auf ein wirksames Handeln, das zu Mitverantwortung, zu einem demokratischen Katholizismus und zu einer Verfassung führt.
b) Konstruktive Verbesserungsvorschläge schriftlich eingereicht werden, wobei zu bedenken ist, daß es sich hier um eine Verfassung handelt und nicht um ein theologisches Kompendium oder eine Gesetzessammlung. Aus diesem Grund beschränkt sich diese Vorlage auf Grundsätze sowie auf die wesentlichen Verfahren und Einrichtungen.
c) Alle Katholiken - einzelne und Gruppen - sich aufgerufen fühlen, die Vorstellung von einem demokratischen Katholizismus und seine darauf gegründete Verfassung bekannt zu machen und für sie einzutreten, etwa durch Aufsätze in Zeitungen und Zeitschriften, durch Lesebriefe, durch Vorträge, durch Lehrbücher, durch Predigten, durch Unterricht, durch Rundfunk- und Fernsehsendungen, durch e-mail und Internet. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt.
d) Alle Katholiken ihre Seelsorger dazu bringen, nicht auf Anweisungen von oben oder Druck von unten zu warten, sondern sofort damit zu beginnen, alle Bestrebungen in ihren Gemeinden zusammenzuführen, um eine Gemeindeverfassung für die Lenkung der eigenen Pfarrei zustande zu bringen. In dem Codex des kanonischen Rechts von 1983 findet sich nichts, was einer solchen Verfassung entgegensteht. Gemeindeleiter haben hierin freie Hand und brauchen keine Erlaubnis einzuholen.
Zwar brauchten ihre Nachfolger im Pfarramt sich nicht an solche Verfassungen zu halten, aber es wäre eine Kugel ins Rollen gekommen, deren Richtung sich nur mit Schwierigkeit umkehren ließe. Dies wäre vor allem dann der Fall, wenn es gelungen wäre, in mehreren Pfarreien eine Verfassung einzuführen. Es liegt auf der Hand, daß erfolgreich entworfene und eingeführte Verfassungen sich positiv auf andere Pfarreien und auf andere Diözese auswirken würden.
e) Alle Katholiken auch ihre Bischöfe dazu bringen, nicht auf Anweisungen von oben oder Druck von unten zu warten, sondern sofort damit zu beginnen, alle Bestrebungen in ihrer Diözese zusammenzuführen, um eine Verfassung für die Lenkung der eigenen Diözese zustande zu bringen. Dem steht im Codex des kanonischen Rechts von 1983 nichts entgegen. Die Bischöfe haben völlig freie Hand in diesen Dingen und brauchen keine Erlaubnis einzuholen. Als leuchtendes Beispiel können wir auf Bischof John England von Charleston, NC, (1820-1842) verweisen, den man wohl als den bedeutendsten katholischen Bischof in der Geschichte Amerikas bezeichnen kann.
Zwar brauchten die Nachfolger dieser Bischöfe sich nicht an eine solche Verfassung zu halten, aber auch hier wäre eine Kugel ins Rollen gekommen, deren Richtung sich nur mit Schwierigkeit umkehren ließe. Dies wäre besonders dann der Fall, wenn es mehreren Bischöfen eines Landes gelungen wäre, in ihren Diözesen eine Verfassung einzuführen. Es liegt auf der Hand, daß erfolgreich entworfene und eingeführte Diözesanverfassungen sich positiv auf Pfarrgemeinden dieser Diözese sowie auf andere Diözesen auswirken würden.
f) Alle Angehörige von Ordensgemeinschaften ihr besonderes Charisma verwenden aus deren langen und intensiven Erfahrungen mit Verfassungen, mit demokratischen Strukturen, mit Dialog und mit Subsidiarität, besonders aus der grundlegenden Überprüfung und Erneuerung der Strukturen aller Ordensgemeinschaften, die in den Jahren nach dem Vaticanum II gekommen sind. Sie mögen dieses Charisma einsetzen, um der Weltkirche verstehen zu helfen, wie diese demokratischen Grundsätze das Christentum erweitern und vertiefen.
Jede Ordensgemeinschaft sollte dauernd überlegen, wie sie die Teilhabe an den eigenen Erfahrungen und Kenntnissen demokratischer Strukturen und demokratischen Geistes in der Kirche für die Weltkirche gestalten kann. Ferner sollte jede Ordensgemeinschaft mit anderen Ordensgemeinschaften – und mit Laien- und Priestergruppen – Arbeitsgruppen bilden.
Der Weg zu einer schriftlich niedergelegten und von der Kirche akzeptierten Verfassung wird zweifellos lang und beschwerlich und wahrscheinlich nicht frei von Umwegen sein. Aber eine zunehmende Zahl von Katholiken kommt zu der Überzeugung, daß man diesen Weg gehen muß. Diejenigen unter uns, die bereits dieser Überzeugung sind, haben nicht nur das Privileg, sondern auch die Verpflichtung, auf diesem Weg voranzugehen, wenn sie vielleicht auch die Ankunft am Ziel selbst nicht mehr erleben werden.
Verfassungsentwurf für die katholische Kirche
Diese Verfassung bietet den Rahmen, innerhalb dessen die katholische Kirche sich selbst verwaltet und lenkt. Die Verfassung legt fundamentale Rechte und entsprechende Pflichten ihrer Mitglieder dar sowie Grundlagen für Entscheidungsfindung und Handeln in der katholischen Kirche. Alle Gesetze, Regelungen und Traditionen der katholischen Kirche sollen im Rahmen dieser Verfassung und in ihrem Geiste angewandt werden.
I. Präambel
1. Wir, das Volk der katholischen Kirche, sind überzeugt, daß alle Männer und Frauen gleichermaßen als Ebenbild Gottes geschaffen sind und daß dieselbe göttliche Lehre über die rechte Lebensweise in jedes Menschenherz geschrieben ist, daß allen Menschen Würde und Gleichheit zusteht, wobei allen dieselben Grundrechte und dieselbe grundlegende Verantwortung zukommt.
2. Wir sind überzeugt, daß unser Glaube an Gott, den Jesus uns gelehrt hat, sowie unsere Taufe aus dem Wasser und dem Heiligen Geist alle Christen zu ”Gliedern des Leibes Christi”, das heißt der universellen Kirche, macht und daß wir verpflichtet sind, nach dem Evangelium zu leben, das Jesus durch seine Lehre und sein Leben uns gebracht hat. Desweiteren vertreten wir, daß alle Christen, die den Dienst der Einheit anerkennen, deren Wahrung seit langem dem Bischof von Rom obliegt, Mitglieder der (römisch-)katholischen Kirche sind (im folgenden einfach als ”die Kirche” bezeichnet).
3. Wir sind überzeugt, daß es die im Evangelium gründende Aufgabe der Kirche ist, die Gute Botschaft Jesu zu verkünden und aufzuzeigen, wie man ein wahrhaft menschliches Leben leben kann als Ebenbild Gottes in Gerechtigkeit und Liebe gegenüber einzelnen und der Gemeinschaft. Wir sind überzeugt, daß die Kirche diese Aufgabe im Rahmen von Gesetzen erfüllt, die sie erläßt, um den Geist des Evangeliums zu fördern und zu erhalten und ihre Mitglieder in ihrem Streben zu unterstützen, in Gottes- und Nächstenliebe zu leben.
II. Rechte und Pflichten
Im folgenden werden die fundamentalen Rechte der Kirchenmitglieder dargestellt, die sich zum Teil aus allgemein menschlichen Grundrechten ergeben und zum Teil aus Grundrechten der Getauften. Jedem Recht entspricht eine Pflicht. Diese Pflichten sind in vielen Fällen so offensichtlich, daß es sich erübrigt, sie ausdrücklich zu formulieren. In allen Fällen gelten diese Rechte und Pflichten für alle Katholiken, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, ihrem Alter, ihrer Nationalität, ihrem Geschlecht, ihrer geschlechtlichen Orientierung, ihrem Familienstand sowie ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation.
A. Menschliche Grundrechte
1. Alle Katholiken haben menschliche Grundrechte. Dazu zählen (a) Handlungsfreiheit, (b) Gewissensfreiheit, (c) Freiheit der Meinung und der Meinungsäußerung, (d) das Recht, Informationen zu erhalten und weiterzugeben, (e) Vereinigungsfreiheit, (f) das Recht auf ein gesetzlich geregeltes Gerichtsverfahren, (g) das Recht, sich an Selbstverwaltung zu beteiligen, (h) das Recht, von gewählten Leitern und Vorgesetzten Rechenschaft zu erhalten, (i) das Recht auf Schutz des guten Rufs und der Privatsphäre, (j) das Recht zu heiraten, (k) das Recht auf Bildung. Sie haben zugleich die Pflicht, diese Rechte verantwortungsbewußt wahrzunehmen.
2. Aus dem Menschenrecht auf Handlungsfreiheit folgt das Recht aller Katholiken, sich auf jede Weise zu betätigen, die andere nicht schädigt oder deren Rechte verletzt.
3. Aus dem Menschenrecht auf Gewissensfreiheit folgt, daß alle Katholiken das Recht und die Pflicht haben, in allen Dingen ihrem wohlinformierten Gewissen zu folgen.
4. Aus dem Menschenrecht, Information zu erhalten und weiterzugeben, folgt, daß alle Katholiken das Recht auf Zugang zu allen Informationen im Besitz kirchlicher Behörden haben, sofern sie für das eigene geistliche und materielle Wohl von Belang sind und die Rechte anderer dadurch nicht beeinträchtigt werden.
5. Aus dem Menschenrecht der Freiheit der Meinung und der Meinungsäußerung folgt, daß alle Katholiken das Recht haben, Zustimmung zu oder Ablehnung von Entscheidungen kirchlicher Behörden auf verantwortungsbewußte Weise öffentlich zum Ausdruck zu bringen.
a) Alle Katholiken haben das Recht und die Pflicht, ihre Meinung auf verantwortliche Weise zum Ausdruck zu bringen, besonders dann, wenn sie von der jeweiligen Sache Kenntnisse aus erster Hand besitzen.
b) Katholische Lehrer und Forscher der Theologie haben das Recht auf akademische Freiheit und die Pflicht, sie zu vertreten. Die Akzeptabilität ihrer Lehrmeinungen muß sich im Dialog mit ihren Fachkollegen und, falls erforderlich, mit kirchlichen Behörden erweisen. Theologen sollten bedenken, daß die Suche nach der Wahrheit und die Darstellung der Ergebnisse die Bereitschaft einschließt, den Weg zu gehen, den der Befund ihnen weist. Dies wiederum setzt die Berechtigung von verantwortlicher Meinungsverschiedenheit und den Pluralismus der Denk- und Darstellungsweisen voraus.
6. Aus dem Menschenrecht auf Vereinigungsfreiheit folgt, daß alle Katholiken das Recht haben, Vereinigungen zu bilden, auch solche, die kirchliche Zwecke verfolgen. Diese Vereinigungen haben das Recht, ihre eigenen Statuten und ihre Geschäftsordnung zu bestimmen.
7. Aus dem Menschenrecht auf ein gesetzlich geregeltes Gerichtsverfahren folgt, daß alle Katholiken bei rechtlichen Auseinandersetzungen Anspruch darauf haben, daß ohne Verzögerung nach allgemein als fair anerkannten administrativen und juristischen Verfahrensweisen eine Entscheidung herbeigeführt wird. Sie haben ferner Anspruch darauf, daß sie bei Beeinträchtigung ihre Ansprüche in einem geregelten Verfahren einklagen können.
8. Aus dem Menschenrecht, sich an Selbstverwaltung zu beteiligen, folgt, daß alle Katholiken ein Mitspracherecht haben bei allen Entscheidungen, die sie betreffen, wozu auch die Mitwirkung bei der Wahl von Vorgesetzten gehört. Dem entspricht die Pflicht, diese Funktionen auf verantwortliche Weise wahrzunehmen.
9. Auf Grund des Menschenrechts, von gewählten Leitern und Vorgesetzten Rechenschaft verlangen zu können, haben alle Katholiken ein Recht darauf, daß Vorgesetzte ihnen über ihre Amtsführung Auskunft geben.
10. Aus dem Menschenrecht auf Schutz des guten Rufs und der Privatsphäre folgt, daß alle Katholiken einen Anspruch darauf haben, daß ihr guter Ruf nicht geschädigt und ihre Privatsphäre nicht verletzt wird.
11. Aus dem Menschenrecht zu heiraten folgt, daß alle Katholiken das Recht haben, ihren Familienstand frei zu wählen. Dies schließt sowohl für Laien als auch für Ordinierte das Recht ein, in einer Partnerschaft oder alleinstehend zu leben, zu heiraten oder sich zu zölibatärem Leben zu verpflichten.
12. Aus dem Menschenrecht zu heiraten, wobei beide Ehepartner gleichberechtigt sind, folgt, daß alle Katholiken das Recht haben, eine Ehe zu beenden, wenn sie unheilbar zerrüttet ist.
a) In einem solchen Fall behalten alle Katholiken das Recht auf Wiederverheiratung.
b) Alle geschiedenen wiederverheirateten Katholiken, die nach ihrem Gewissen im Einklang mit der Kirche leben, haben das Recht auf die gleichen Dienste der Kirche, einschließlich aller Sakramente, die auch anderen Katholiken zustehen.
13. Aus den Menschenrechten, zu heiraten und eine Erziehung zu erhalten, folgt, daß alle Katholiken das Recht und die Pflicht haben, nach ihrem Gewissen
a) die Größe ihrer Familie festzusetzen,
b) angemessene Methoden der Familienplanung zu wählen,
c) sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern.
B. Rechte und Pflichten Getaufter
1. Aus dem Empfang der Taufe folgt, daß alle Katholiken ein Recht auf alle Dienste der Kirche haben, die für ein wahrhaft christliches Leben erforderlich sind. Hierzu gehören
a) Gottesdienste, die die Freude und Sorge der versammelten Gemeinde zum Ausdruck bringen und diese Gemeinde lehren und mit dem rechten Geist erfüllen,
b) Unterweisung in der christlichen Tradition und Einführung in ihre Spiritualität und Morallehre auf eine Weise, die christliche Werte hilfreich und bedeutsam für das zeitgenössische Leben werden läßt,
c) Seelsorge, die so geartet ist, daß sie das christliche Erbe für Menschen in ihren jeweiligen Situationen einfühlsam und wirksam vermittelt.
2. Aus dem Empfang der Taufe folgt desweiteren, daß alle Katholiken das Recht haben,
a) alle Sakramente zu empfangen, auf die sie angemessen vorbereitet wurden,
b) alle Dienste in der Kirche auszuüben, für die sie angemessen vorbereitet wurden, je nach den Bedürfnissen der Gemeinden und mit deren Zustimmung oder Beauftragung.
3. Aus dem Empfang der Taufe folgt ferner, daß alle Katholiken das Recht haben, bei der Verteilung materieller Hilfsmittel der Kirche angemessen berücksichtigt zu werden. Dies schließt unter anderem ein,
a) daß alle katholischen Frauen das Recht auf Gleichbehandlung mit Männern bei der Zuweisung materieller Hilfsmittel und Vollmachten in der Kirche haben,
b) daß alle katholischen Eltern Anspruch auf materielle und sonstige Unterstützung kirchlicher Vorgesetzter bei der religiösen Erziehung ihrer Kinder haben und
c) daß alle alleinstehenden Katholiken Anspruch haben auf angemessene Berücksichtigung bei der Zuweisung kirchlicher Hilfsmittel.
4. Aus dem Empfang der Taufe sowie aus der Natur des Menschen als Gemeinschaftswesen folgt, daß alle Katholiken die Pflicht haben, die Kirche je nach ihren zeitlichen Möglichkeiten, ihrer Begabung und ihren finanziellen Mitteln zu unterstützen.
III. Strukturen der Lenkung und Verwaltung
A. Grundlegende Einsichten
Im Lauf der Jahrhunderte hat die Kirche mit den jeweiligen Formen von Machtausübung und Rechtspraxis gerungen, ohne die keine Gesellschaft überleben, geschweige denn sich menschenwürdig entwickeln kann. In dieser langen Zeit hat die Kirche aus vielen Versuchen in der Handhabung von Macht und Recht Nutzen gezogen, aber auch unter ihnen gelitten. Indem die Kirche solche Formen der Machtausübung und Rechtspraxis für sich erprobt hat, hat sie viel Einsicht erworben, sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht, d.h. sie hat gelernt, was sich bewährt und nützlich ist und was nicht.
Zwei solche Einsichten, die aus dieser Erprobung hervorgingen, sind für die Lenkung und Verwaltung der Kirche im dritten Jahrtausend entscheidend. Zum einen, daß die Teilhabe an Verantwortung und die damit verbundene Freiheit Herzstücke der Menschlichkeit sind, sowohl für das Individuum als auch für die Gemeinschaft. Zum andern, daß die wirksamste Weise, zu einem ständig wachsenden Verständnis der Wirklichkeit zu kommen, der Dialog ist, der sowohl innerhalb der Kirche als auch mit denen, die außerhalb stehen, gepflegt werden soll. Auf diese lange Erfahrung der Kirche und die dadurch erworbene Weisheit, besonders auf die beiden obengenannten Einsichten gründet sich diese Verfassung, und auf sie sind die in ihr dargestellten Lenkungsstrukturen aufgebaut.
B. Grundsätze
1. Es ist das Wesen der Kirche, daß sie eine Gemeinschaft ist. Die fundamentalen Einheiten solcher Kirchengemeinschaft sind diejenigen, in denen ihre Mitglieder ihr tägliches Leben verbringen, angefangen von der Familie und anderen vertrauten Verbindungen. Darüber hinaus ist eine entscheidende Einheit für die Kirche die Ortsgemeinde. Dies ist in den meisten Fällen, aber nicht immer, die Pfarrgemeinde.
2. Es gehört ferner zum Wesen der Kirche, daß sie eine Gemeinschaft von Gemeinschaften ist, so daß die Ortsgemeinden auf einer mittleren Ebene zu größeren Einheiten zusammengefaßt werden, zumeist, aber nicht immer, in der Form von Diözesen, diese wiederum zu nationalen kirchlichen Gemeinschaften und diese schließlich zur Weltgemeinschaft der universellen katholischen Kirche. Außerdem können andere kirchliche Gemeinschaften entstehen, etwa regionale und multinationale, die durch geographische Gegebenheiten, Sprachen oder andere Faktoren bedingt sind.
3. Im Einklang mit dem Geist des Evangeliums, mit der Entwicklung menschlicher Erfahrung und mit der dynamischen christlichen Tradition, vor allem mit den beiden Grundeinsichten in die Teilhabe an Verantwortung und der dadurch bedingten Freiheit sowie in die Bedeutung des Dialogs, sollen die folgenden Grundprinzipien die Strukturen und Regelungen der Lenkung in der Kirche bestimmen:
a) Der Grundsatz der Subsidiarität soll durchgängig für die Kirche Gültigkeit haben, d.h. alle Entscheidungsprozesse und die damit verbundene Verantwortung sollen Sache der kleineren Gemeinschaft sein, es sei denn, daß das Wohl einer größeren Gemeinschaft es erfordert, Entscheidungen auf einer höheren Ebene zu treffen.
b) In der gesamten Kirche soll die Formulierung und die Anwendung der Tradition sich durch einen Dialog vollziehen, der von gegenseitiger Liebe und Achtung zeugt.
c) Alle kirchlichen Gemeinschaften sollen sich ihre eigenen Statuten und ihre eigene Geschäftsordnung geben.
d) In der ganzen Kirche sollen die Leitenden nach angemessenen Verfahren gewählt werden, und zwar so, daß alle Mitglieder der jeweiligen Gemeinschaft zu Wort kommen können.
e) Personen in leitender Position sollen ihr Amt für eine festgesetzte Zeit innehaben.
f) Das Prinzip der Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative mit den jeweils erforderlichen Kontroll- und Ausgleichsmechanismen soll durchgängig gelten. Diese drei Bereiche werden realisiert durch repräsentativ gewählte Ratsversammlungen (Legislative) und durch gewählte Leiter (Exekutive), sowie durch geregelte Rechtsprechung (Judikative) auf allen Ebenen. Alle drei Bereiche sind gemeinsam mitverantwortlich auf jeweils eigene Weise für das Handeln im Geiste des Evangeliums und im Sinne dieser Verfassung.
g) Alle Leitenden und alle Ratsversammlungen werden ihren Wählern regelmäßig Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen, wobei der Kassenbericht von außenstehenden Rechnungsprüfern zu überprüfen ist.
h) Alle Gruppen unter den Gläubigen, einschließlich Frauen und Minderheiten, sind in angemessener Weise an Leitungsämtern und Entscheidungsgremien zu beteiligen.
C. Räte
1. Auf allen Ebenen – der lokalen, der diözesanen, der nationalen und der universalen sowie etwaigen anderen – sind garantiert repräsentative Vertretungsorgane, genannt Räte, einzurichten, die als Entscheidungsgremien dienen sollen. Dabei ist folgendes zu beachten:
(a)Die Prinzipien der Subsidiarität und des Dialogs sollen Wesensmerkmale der Beratungs- und Entscheidungsabläufe in jeder Ratsversammlung sein.
(b)Ratsmitglieder sollen auf möglichst repräsentative Weise gewählt werden, wobei gegebenenfalls verschiedene Organisationen innerhalb der jeweiligen kirchlichen Gemeinschaft zu berücksichtigen sind.
(c)Ratsmitglieder werden für eine begrenzte Zeit gewählt.
(d)Die Räte auf jeder Ebene sollen ihre eigenen Statuten und ihre Geschäftsordnung formulieren, wobei Statuten und Geschäftsordnung der Räte auf den höheren Ebenen angemessen zu berücksichtigen sind.
(e)Die Statuten sollen die Zahl der Ratsmitglieder, den Wahlmodus, die Dauer der Wahlperioden, die Wahl der oder des Vorsitzenden, sowie die Zuweisung von Verantwortungsbereichen regeln. Ferner sollen sie andere kirchliche Abläufe ordnen, wobei die Grundsätze dieser Verfassung zu berücksichtigen sind.
(f)In allen Räten soll der Grundsatz ”eine Person, eine Stimme” gelten.
(g)Auf der diözesanen, nationalen, multinationalen und universalen Ebene soll die Versammlung so zusammengesetzt sein, daß ordinierte Inhaber der Dienstämter wenigstens 30% der Mitglieder stellen und übrige Gläubige ebenfalls wenigstens 30%.
(h)Niemand soll ein Vetorecht besitzen.
a) Die lokale Kirche
1. Die Mitglieder jeder Pfarrgemeinde (oder einer anderen Gemeinschaft auf örtlicher Ebene) wählen einen Pfarrgemeinderat als Entscheidungsgremium der Gemeinde. Die Pfarrerin oder der Pfarrer ist ex officio Mitglied des Rates.
2. Wenn es nicht bereits geeignete Statuten oder eine geeignete Geschäftsordnung gibt, soll der Pfarrgemeinderat sie formulieren und die Gemeinde ihnen zustimmen. Dabei sind die Statuten der Räte auf der höheren Ebene zu berücksichtigen.
3. Der Pfarrgemeinderat ist entweder als Plenum oder über Ausschüsse verantwortlich für Gottesdienste, Bildung, Sozialarbeit, Verwaltung, Finanzen sowie für sonstige Aktivitäten, die im Namen der Pfarrgemeinde ausgeführt werden.
b) Die Diözese
1. Jede Diözese soll einen Diözesanrat wählen als wichtigstes Entscheidungsgremium der Diözese. Die Bischöfin oder der Bischof ist ex officio Mitglied des Rates. Der Rat soll so zusammengesetzt sein, daß ordinierte Inhaber der Dienstämter wenigstens 30% der Mitglieder stellen und übrige Gläubige ebenfalls wenigstens 30%.
2. Wenn es nicht bereits eine geeignete Diözesanverfassung und/oder Diözesangeschäftsordnung gibt, soll der Diözesanrat solche formulieren. Sie werden gültig, wenn sie von zwei Dritteln der Pfarrgemeinderäte gebilligt wurden. Sie sollen die entsprechenden Ordnungen der nationalen und der internationalen Ebene angemessen berücksichtigen.
3. Der Diözesanrat ist als Plenum oder durch Ausschüsse oder Vertretungen für die Diözesanpolitik sowie für Gottesdienste, Bildung, soziales Engagement, Verwaltung, Finanzen und andere Aktivitäten verantwortlich, die im Namen der Diözese ausgeführt werden.
c) Die Nationalkirche
1. Im Normalfall werden die Diözesanräte eines Landes einen Nationalrat einrichten. Sollten einige Diözesanräte entscheiden – sei es wegen ihrer Größe, sei es aus einem anderen Grund –, daß für sie der eigene Nationalrat nicht die angemessene Vertretung wäre, so sollen sie sich an den Generalrat wenden, um die Genehmigung zu erhalten, sich einem anderen Rat auf dieser Ebene anzuschließen oder einen solchen zu konstituieren. Der Nationalrat oder ein entsprechendes Gremium ist das Hauptentscheidungsgremium einer nationalen Kirche. Eine Bischöfin oder ein Bischof und eine nichtordinierte, vom Nationalrat gewählte Person, übernehmen gemeinsam den Vorsitz. Der Rat soll so zusammengesetzt sein, daß die ordinierten Inhaber der Dienstämter wenigstens 30% der Mitglieder stellen und andere Gläubige ebenfalls wenigstens 30%.
2. Wenn es nicht bereits eine nationale Verfassung und/oder Geschäftsordnung gibt, soll der Nationalrat sie formulieren. Sie müssen von zwei Dritteln der Diözesanräte der jeweiligen Nation gebilligt werden und die Geschäftsordnung der universellen Kirche sowie diese Verfassung angemessen berücksichtigen.
3. Der Nationalrat ist als Plenum oder durch Ausschüsse oder Vertretungen letztlich verantwortlich für die Entscheidungen der Nationalkirche sowie für Regelungen für Gottesdienste, Bildung, Sozialarbeit, Verwaltung, Finanzen sowie sonstige Aktivitäten, die im Namen der nationalen Kirche ausgeführt werden.
d) Die multinationale Kirche
1. Sollten mehrere Nationalräte, etwa die eines Kontinentes oder einer bestimmten geographischen Einheit, beschließen, daß es hilfreich wäre, sich ein gemeinsames Entscheidungsgremium zu schaffen, werden sie eine Geschäftsordnung ausarbeiten, nach der dieses multinationale Gremium verfahren soll. Diese Geschäftsordnung kann in Kraft treten, wenn sie von zwei Dritteln der beteiligten Nationalräte bestätigt wurde. Sie soll die Geschäftsordnung der Universalkirche und die vorliegende Verfassung angemessen berücksichtigen.
e) Die Universalkirche
1. Alle zehn Jahre sollen die Nationalräte einen Generalrat als oberstes Entscheidungsgremium der Weltkirche wählen. Der Generalrat ist letztlich verantwortlich für die Gesetze und Verordnungen der Weltkirche sowie für die Grundzüge ihrer Politik und ihre Grundsätze hinsichtlich der Glaubenslehre, der Moral, des Gottesdienstes, der Bildung, des sozialen Engagements, der Verwaltung, der Finanzen und aller übrigen Tätigkeiten, die in ihrem Namen ausgeführt werden. Die Päpstin oder der Papst und ein nichtordiniertes Ratsmitglied übernehmen gemeinsam den Vorsitz. Der Rat soll zu wenigstens 30% aus ordinierten Inhabern von Dienstämtern und zu wenigstens 30% aus anderen Gläubigen bestehen.
2. Die Mitglieder des Generalrats, insgesamt 500, sollen nach einem zeitversetzten System für eine Dauer von zehn Jahren gewählt werden. Der Generalrat soll wenigsten einmal im Jahr zusammentreten.
3. Die 500 Mitglieder des Generalrats werden von den Nationalräten gewählt und zwar proportional zur Zahl der Katholiken in dem jeweiligen Land. Sollte die Zahl der Katholiken in einem Land so klein sein, daß ihm nicht einmal ein Ratsmitglied zusteht, so soll es mit einem anderen Land oder anderen Ländern eine ausreichend große Einheit bilden, um wenigstens ein Mitglied in den Generalrat entsenden zu können.
4. Falls es nicht bereits geeignete Statuten oder eine geeignete Geschäftsordnung für den Generalrat gibt, soll der erste Rat solche schaffen. Sie treten in Kraft, wenn sie von zwei Dritteln der Nationalräte gebilligt wurden. Sie sollen die Grundsätze der vorliegenden Verfassung berücksichtigen.
5. Verfassung und Geschäftsordnung des Generalrats sowie die Geschäftsordnungen aller vom Generalrat eingerichteten Ämter sollen denselben rechtlichen Status haben wie die vorliegende Verfassung. Sie können nur durch die in Teil V dieser Verfassung festgelegten Verfahren geändert werden.
6. Der Generalrat soll in seinem ersten Jahr einen Papstwahlausschuß schaffen und diesem eine Verfassung und eine Geschäftsordnung geben. Der Wahlausschuß ist nicht an Weisungen des Generalrats gebunden.
7. Der Generalrat ist durch Ausschüsse und Vertretungen letztlich für die Ausführung der Gesetze, der Verordnungen und der Beschlüsse der Weltkirche verantwortlich.
D. Leitungsämter und Leitende
a) Allgemeines
1. Alle Leitenden, einschließlich der ordinierten Inhaber von Dienstämtern, sollen über eine angemessene Ausbildung und Erfahrung verfügen.
2. Ordinierte Inhaber von Dienstämtern sind Kirchenführer, die in der Regel hauptamtlich im Dienst der Kirche stehen. Sie werden von einer bestimmten kirchlichen Gemeinschaft gewählt und wirken in ihrer Namen.
3. Alle ordinierten Inhaber von Dienstämtern sollen gewählt werden, und zwar nach Verfahren, die die Stimmen all derer angemessen berücksichtigen, die ihrer Leitung und Verwaltung unterstehen. Dies gilt vor allem für Inhaber des Pfarramts, des Bischofsamts sowie des Papstamts.
4. Alle ordinierten Inhaber von Dienstämtern werden für eine begrenzte Amtszeit gewählt. Der Diözesanrat soll die Dauer einer Amtsperiode für die Pfarrer der jeweiligen Diözese sowie die Frage der Wählbarkeit für weitere Amtsperioden festlegen. Für das Bischofsamt tut dies der Nationalrat.
5. Alle ordinierten Inhaber von Dienstämtern können nur aus gewichtigen Gründen ihres Amtes enthoben werden. Dabei soll man nach einem geregelten Verfahren vorgehen, das sich an die Grundsätze der vorliegenden Verfassung hält.
6. Alle ordinierten Inhaber von Dienstämtern haben Pflichten und entsprechende Rechte, die in der jeweiligen Verfassung niederzulegen sind. Für das Pfarramt, das Bischofsamt und das Papstamt werden sie im folgenden aufgeführt.
b) Das Pfarramt
1. Pfarrer werden von den Mitgliedern der Pfarrgemeinde (oder einer entsprechenden Gemeinschaft) gewählt und von der Bischöfin oder dem Bischof sowie dem Diözesanrat bestätigt. Dabei soll nach den Grundsätzen der vorliegenden Verfassung verfahren werden.
2. Pfarrer leiten die Gruppe der Seelsorger. Innerhalb der vom Pfarrgemeinderat festgelegten Richtlinien tragen sie die Hauptverantwortung für den Gottesdienst, für die geistliche und moralische Unterweisung sowie für die Seelsorge in der Pfarrei. Im einzelnen schließt dies ein:
a) Gottesdienste, die die Freude und die Sorgen der versammelten Gemeinde wiedergeben und die Teilnehmer lehren und mit Geist erfüllen;
b) Einführung in die christliche Tradition und Darstellung von Spiritualität und Moral in einer Weise, die erkennen läßt, daß christliche Werte für heutige Menschen hilfreich und bedeutsam sind;
c) Seelsorge, die das christliche Erbe den Menschen in ihren jeweiligen Situationen mit Liebe und Wirksamkeit erschließt.
3. Pfarrer haben Anspruch auf angemessene Ausbildung und auf Fortbildung während ihrer Amtszeit sowie die Pflicht, solche Bildungsmöglichkeiten wahrzunehmen.
4. Pfarrer haben Anspruch auf faire finanzielle Zuwendung, die ihnen die Ausübung ihres Amtes ermöglicht. Sie haben auch den nötigen Ermessensspielraum im Umgang mit diesen finanziellen Mitteln.
c) Das Bischofsamt
1. Die Bischöfin oder der Bischof wird vom Diözesanrat im Einklang mit der Diözesanverfassung gewählt. Dabei soll man die einschlägigen Bestimmungen der nationalen und der internationalen Gemeinschaft berücksichtigen. Dies schließt die Beratung mit den betreffenden Ausschüssen des Nationalrats und des Generalrats sowie die Bestätigung durch diese Räte ein.
2. Bischöfe leiten die Gruppe der Diözesanseelsorger. Innerhalb der vom Diözesanrat festgelegten Richtlinien tragen sie die Hauptverantwortung für den Gottesdienst, für die geistliche und moralische Unterweisung sowie für die Seelsorge in der Diözese. Dabei sollen sie den Grundsatz der Subsidiarität berücksichtigen.
d) Das Papstamt
1. Die Päpstin oder der Papst der Weltkirche wird von Delegierten der Nationalräte für eine einmalige Amtszeit von zehn Jahren gewählt.
a) Die Zahl der Delegierten der einzelnen Nationalräte errechnet sich nach der Zahl der eingetragenen Katholiken in dem jeweiligen Land. Wie groß die Gesamtzahl der Delegierten sein soll, legt der Papstwahlausschuß fest.
b) Die Delegierten sollen so repräsentativ wie möglich zusammengesetzt sein. Ein Drittel sollen Bischöfe sein.
2. Die Päpstin oder der Papst trägt zusammen mit dem Generalrat und dessen Ausschüssen und Vertretungen die Hauptverantwortung für die Ausführung der vom Generalrat für die Gesamtkirche beschlossenen Richtlinien, besonders auf den Gebieten des Gottesdienstes, der Glaubenslehre, der Moral und der Seelsorge. Dabei sollen sie den Grundsatz der Subsidiarität berücksichtigen.
IV. Das Rechtswesen
A. Grundsätze
Die katholische Kirche ist eine Kirche auf der Pilgerschaft. Ständig braucht sie Reform und Verbesserung. So wird es auch immer wieder Auseinandersetzungen, ja Streit und Rechtsverletzungen unter ihren Mitgliedern geben. Um hier Lösungen herbeizuführen, muß es geregelte Verfahren der Versöhnung und Schlichtung geben. Wenn solche Verfahren nicht zu einer Einigung führen, können Katholiken kirchliche Gerichte anrufen. Alle Katholiken haben das Recht auf ein faires und geregeltes Verfahren im Rahmen der kirchlichen Gesetze. Alle im kirchlichen Rechtssystem tätigen Personen sollen angemessen ausgebildet sein und über die erforderliche Kompetenz verfügen.
Ein System von Diözesan-, Provinzial-, National und Internationalkammern ist einzurichten als Gerichte der ersten Instanz, denen entsprechende Berufungsinstanzen zugeordnet sind. Die Gerichte sollen im Einklang mit der vorliegenden Verfassung verfahren sowie im Rahmen von Gesetzen, die mit dieser Verfassung konform sind.
B. Gerichte
a) Lokale und Regionale Gerichte
1. Jede Diözese soll eine Kammer einrichten oder anderweitige Vorkehrungen treffen für den Fall, daß Mitglieder der Diözese sie in Streitfällen oder Rechtsverletzungen anrufen.
a) Diözesangerichte sind für alle Fälle zuständig, die die innere Ordnung der lokalen oder regionalen Kirche betreffen. Dies bezieht sich auf alle Tatbestände, die im allgemeinen kirchlichen Gesetz als Verwaltungsentscheidungen, Vergehen, Rechtsstreitigkeiten, Billigkeitsurteile oder Wiedergutmachungsansprüche bezeichnet werden.
b) Diözesangerichte sollen nach einer für die Weltkirche festgelegte Prozeßordnung verfahren.
c) Als Berufungsinstanz gegen Urteile des Diözesangerichts dient das Gericht der jeweiligen Kirchenprovinz.
2. Alle Fälle, die eine Diözesanbischöfin oder einen Diözesanbischof betreffen, sollen vor dem Nationalgericht verhandelt werden.
b) Nationalgerichte
1. Wo immer dies angebracht ist, soll der Nationalrat Berufungsgerichte für jede Kirchenprovinz einrichten sowie eine Berufungsinstanz für angefochtene Urteile der Provinzialgerichte.
2. Als Berufungsinstanz für Urteile der obengenannten Instanz dient das oberste Kirchengericht.
c) Internationale Gerichte
1. Für Länder, in denen es keine nationale Berufungsinstanz gibt, soll der Generalrat multinationale Berufungsgerichte einsetzen, die als Gerichte der zweiten Instanz dienen.
2. Der Generalrat soll einen obersten Gerichtshof einsetzen, der als letzte Instanz dient für alle Fälle, die von Gerichten unterer Instanzen an ihn verwiesen werden.
3. Der Oberste Gerichtshof ist zuständig für alle Fälle, in denen die Päpstin oder der Papst rechts- oder verfassungswidriger Handlungen bezichtigt wird.
4. Gegen Urteile des obersten Gerichtshofs gibt es keine Berufung.
C. Fortgesetzte Amtsfähigkeit der Leitenden
Personen in leitender Position sollen ihr Amt für die Dauer der Zeit innehaben, für die sie gewählt sind, es sei denn, daß ihre Fähigkeit, die Amtsgeschäfte weiterhin zu führen im Einklang mit verfassungsgemäßen Normen in Frage gestellt wird. Die Feststellung der Fähigkeit zur weiteren Amtsführung kann von kirchlichen Vorgesetzten der Betroffenen oder von dem zuständigen Rat vorgenommen werden, wobei geregelte Verfahren einzuhalten sind. Im Falle einer Päpstin oder eines Papstes wird diese Feststellung vom Generalrat getroffen, falls erforderlich in einer Sondersitzung.
V. Verfassungsänderungen
Für eine Verfassungsänderung sind drei Viertel der Stimmen des Generalrats erforderlich. Sie ist innerhalb von fünf Jahren von drei Vierteln der Nationalräte zu ratifizieren.
VI. Inkrafttreten
Die vorliegende Verfassung tritt in Kraft, wenn sie von einer angemessen legitimierten verfassunggebenden Versammlung angenommen wird.
Kommentar
Zum ”Reifegrad” des vorliegenden Entwurfs
Der vorliegende Text vom September 1998 versteht sich als Entwurf und als solcher zunächst als Denkanstoß: Die Absicht des Redaktionsteams war es, einen Text vorzulegen, der die Diskussion zum Thema in Schwung bringt. An Hand eines konkreten Textes, so die Hoffnung der Autoren, würden konkrete Fragen aufgeworfen und in der Folge hoffentlich von vielen Katholiken aufgegriffen werden.
Als Fernziel stand den Redakteuren dabei durchaus eine Textversion vor Augen, die auch als Arbeitsgrundlage für eine verfassunggebende Versammlung, etwa ein Konzil, dienen könnte. In Bescheidenheit mußten die Initiatoren allerdings erkennen, daß ihnen die Erreichung dieses Ziels, wenn überhaupt, so doch erst in sehr ferner Zukunft möglich wäre, und der Mithilfe aller Katholiken bedurfte. Es erschien daher angemessen, bereits jetzt, mit einem sicher nicht fertig ausgereiften Text, in eine breitere Öffentlichkeit zu gehen.
Zur Auswahl des Inhalts
In diesem, wie in vielen anderen Punkten dienten den Autoren Statuten und Vefassungstexte anderer Organisationen als Vorlage. Dementsprechend ergaben sich die folgenden Kapitel:
- Grund und Zweck der Kirche (Präambel)
- Rechte und Pflichten der Mitglieder
- Leitungsstrukturen (Strukturen der Lenkung und Verwaltung)
- Streitschlichtung (das Rechtswesen)
- Bestimmungen zur Änderung und zum Inkrafttreten der Verfassung
Theologische Kriterien für eine Kirchenverfassung
Eine Reihe von Kriterien, an denen sich der Textentwurf orientieren sollte, ergeben sich konsequent aus dem Evangelium und der Hl. Schrift insgesamt, sowie aus der theologischen Reflexion, z.B.:
- Ausrichtung am Evangelium
- Hören auf den Hl. Geist
- Synodalität
- Einmütigkeit
- Offenheit für theologische Meinungsvielfalt (katholizität)
- Ausrichtung an den Menschenrechten als aktuell erkanntes göttliches Recht
Kriterien für eine Kirchenverfassung aus der säkularen Erfahrung
Andere Leitmotive schöpfen wir aus der historischen Erfahrung. Die Proponenten der Idee sind der Überzeugung, daß dieser Schatz nicht ignoriert werden darf. Wenn die Kirche auch nicht rein als soziologische Größe gesehen werden kann, so unterliegt doch ihre Organisationsform soziologischen Gesetzen. Die Frage muß also sein, welche organisatorische Struktur dient am besten den Zielen des Evangeliums. Diese Struktur ist mit Sicherheit zeitbedingt und kann nicht ein für allemal festgelegt werden. Für heutige Gemeinschaften halten wir jedenfalls die folgenden Leitlinien für angemessen:
- Gewählte Amtsträger
- Zeitlich begrenzte Amtszeit
- Subsidiarität
- Gewaltenteilung
- Unabhängige Gerichtsbarkeit
- Berufungsrecht
- Änderungsklauseln für das Grundregelwerk
Zur deutschen Übersetzung:
Obgleich Oswald Stein, europäischer Leiter der Autorengruppe und zugleich erfahrener Englisch- und Deutschpädagoge, der in beiden Sprachen wirklich zu Hause ist, die Übersetzung des Textes aus dem Englischen selbst vorgenommen hat, und diese einem gründlichen Korrekturverfahren unterzogen wurde, bleiben aus meiner Sicht eine Reihe von Punkten, die im Englischen tendenziell anders klingen. Ich wollte hier jedoch gerne den europaweit einheitlichen Text publizieren. So habe ich mich darauf beschränkt, lediglich offensichtliche Rechtschreib- und Grammatikfehler zu korrigieren. In jenen Fällen, wo mir die Übersetzung vom Original zu weit entfernt scheint, habe ich den englischen Text im Kommentar angeführt.
Zur sprachlichen Form des deutschen Textes schreibt der Übersetzer: ”Um der besseren Lesbarkeit willen wird auf Doppelformen des Plurals (”Katholikinnen und Katholiken”) verzichtet. Dagegen werden im Singular, wo immer erforderlich, die weibliche und die männliche Form gebraucht (”die Pfarrerin oder der Pfarrer”).” Man möge mir verzeihen, daß ich dieses Prinzip im Kommentar nicht durchgehalten habe.
Zu Abschnitt I, Präambel:
Der Abschnitt beschreibt so kurz wie möglich Grund und Zweck der Kirche, wie es in den Statuten der meisten Organisationen die Regel ist und wozu auch häufig staatliches Recht die nichtstaatlichen Organisationen verpflichtet. Während des Entstehungsprozesses sind vielfach deutlich längere Entwürfe vorgeschlagen worden. Das Redaktionskomitee hat allen diesbezüglichen Versuchungen widerstanden und war bemüht, sich auf die allerwesentlichsten Leitgedanken zu beschränken und so auch möglichst vielfältiger theologischer Auslegung Raum zu geben. Nicht Ausschließen, sondern Mithereinnehmen stellte die Leitformel dar.
Zur Charakterisierung des spezifisch Katholischen fanden lebhafte Debatten statt. Es war durchaus auf dem Tisch, die katholische Kirche einfach als eine unter anderen zu verstehen, die eben auf ihre Weise versucht, das Evangelium zu leben, ohne daß diese Weise besonders zu bestimmen wäre. Schließlich setzte sich aber doch der Gedanke durch, das Papsttum in irgendeiner Form als spezifisch katholisches Kennzeichen anzusehen. Weder wollte man aber die Kirche auf dessen jetzige Ausgeprägtheit festlegen noch wollte man den theologisch umstrittenen Begriff ”Petrusamt” heranziehen, so kam es zur Formulierung ”Dienst der Einheit …, deren Wahrung seit langem dem Bischof von Rom obliegt”. Im englischen Original: ”Ministry of Unity which has historically been exercised by the Bishop of Rome”. Wörtlich also: ”deren Wahrung historisch dem Bischof von Rom obliegt”. Im Deutschen klingt das aber nach einem früheren Usus, der heute nicht mehr zutrifft oder zutreffen soll; dies wäre ein unangebrachtes Präjudiz. Am ehesten würde passen: ”… deren Wahrung durch die Geschichte hindurch dem Bischof von Rom obliegt”.
Die Frage, ob die Verfassung nun für die gesamte Katholische Kirche gelten sollte oder nur für die Römische, blieb bis dato praktisch unbehandelt. Hier sind noch tiefere Überlegungen nötig.
Für die feierliche sprachliche Gestalt der Präambel stand die amerikanische Verfassung Pate.
Zu Punkt I.1. vergleiche Gen 1,26-27.
Zu Punkt I.2. vergleiche Kor 10,16 und 12,27.
Zu Abschnitt II, Rechte und Pflichten:
Hier, wie auch an anderen Stellen, vermischt der Text für meinen Geschmack zu sehr Gesetz und Kommentar (d.h. Begründung).
Als Gesetzestext bleibt der ganze Abschnitt, wie ich meine, zu vage. Eine Präzisierung, wie sie etwa in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – in Österreich BGBl. (Bundesgesetzblatt) Nr. 210/1958 – abgefaßt ist, wäre notwendig. Vor allem sind begründete Ausnahmen zu nennen (etwa wegen Altersuntergrenzen oder Entmündigung, vielleicht auch in Folge einer Strafe).
Eine grundsätzliche Schwierigkeit ergibt sich aus dem Naheverhältnis dieser Bestimmungen zu säkularem Menschenrecht. Es kann nicht Aufgabe dieser Verfassung sein, jenes zu wiederholen, vielmehr muß sie es von vornherein anerkennen. Wenn dem aber so ist, auf welchen Grundrechtskataolg soll sich die Kirche dabei beziehen? Hier muß noch einiges geklärt werden.
Die genannten Rechte und Pflichten finden sich teilweise auch schon im geltenden Kirchenrecht, im Codex Iuris Canonici (CIC) von 1983, besonders in den Canones 208 bis 223.
Anstelle des Hinweises ”Jedem Recht entspricht eine Pflicht. Diese Pflichten sind in vielen Fällen so offensichtlich, daß es sich erübrigt, sie ausdrücklich zu formulieren.” hielte ich doch einen Paragraphen mit entsprechenden Verpflichtungen, z.B. zum Schutz der Rechte, für angebracht.
Es fehlt auch ein Paragraph über die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit des Ausschlusses aus der Kirche.
In Punkt II.A.11. sollte auch die Lebensform des Ordensstandes Erwähnung finden.
Die Punkte II.A.11. und II.A.12. sprechen über die Ehe. Dabei klären Sie nicht das Verhältnis zwischen dem Ehebegriff, wie er hier gemeint sein soll, und der sakramentalen Ehe. Daraus folgen möglicherweise theologische Schwierigkeiten. Gibt es ein Recht auf eine sakramental geschlossene Zweitehe?
Der Textentwurf vermeidet weitestgehend solche theologischen Fragestellungen, unter anderem auch die Einführung und dementsprechend notwendige Klärung des Begriffes Sakrament. In II.A.12.b taucht nun aber ”Sakrament” doch auf, ohne daß genauer bestimmt wurde, was darunter zu verstehen sei.
Der angemessene Ort, Rahmenbestimmungen über die Sakramente festzulegen wäre wohl in Abschnitt II.B., wo diese ja auch zur Sprache kommen (II.B.2.a).
Im englischen Original findet sich in Punkt II.B.3.b die Formulierung ”fair material and other assistance” also ”angemessene materielle und sonstige Unterstützung”.
Zur weiteren Literatur über die Grundrechte kann das Buch ”Alle Katholiken haben das Recht …” empfohlen werden [L. Swidler u. P. Connor, Hrg., dt. von M. Junker, Kösel-Verlag, München, 1990].
Zu Abschnitt III, Strukturen der Lenkung und Verwaltung:
Auch für Abschnitt III gilt wieder, was schon oben zu Abschnitt II über die Vermischung von Kommentar und Gesetzestext gesagt wurde, die ich für unglücklich halte.
Paul Wess hat zu Recht darauf hingewiesen, daß Dialog eigentlich kein Leitungsprinzip darstellt. Ob in dem Abschnitt das von Wess vorgeschlagene Prinzip der Einmütigkeit ausreichend Berücksichtigung findet, bedarf noch weiterer Überlegungen.
Punkt III.B.3.d lautet im Original: ”Throughout the Church leaders shall be elected to office through appropriate structures, giving voice to all respective constituents.” ”Giving Voice” meint wohl mehr ”eine Stimme haben” als bloß ”zu Wort kommen”.
In Punkt III.B.3.e sagt der englische Text: ”Leaders shall hold office for a specified, limited term.” Das nicht unbedeutende Wort ”limited”, ”begrenzt” unterschlägt die Übersetzung.
Zu Abschnitt III.C, Räte:
Grundsätzlich räumt der vorliegende Entwurf den Räten eine höhere Entscheidungsgewalt ein als den Leitungspersonen. Da jedoch die ordinierten Amtsträger in allen Räten vertreten sein sollen, steht dies weder im Widerspruch zur Verantwortung der Ordinierten für die Einheit der Kirche noch zu ihrer Rolle als Bewahrer der ”Hierarchie”, also des heiligen Ursprungs der Kirche vom Evangelium und vom Auftrag Jesu her. Möglicherweise würde ein entsprechender Hinweis in Punkt III.C.1.a zusätzliche Klarheit schaffen, etwa der Form: ”Bei der Entscheidungsfindung ist möglichst große Einmütigkeit anzustreben. Auf die Stimme der im Rat vertretenen ordinierten Amtsträger ist besonders zu hören.”
Der gesamte Abschnitt III.C berücksichtigt wohl kategoriale Strukturen zu wenig (im Unterschied zu territorialen). Nach dem vorliegenden Entwurf werden kategoriale Gemeinschaften nur auf unterster, dem Wortlaut nach zumeist, aber nicht immer, pfarrlicher Ebene durch eigene Delegierte vertreten. Eine ausreichende und gerechte Berücksichtigung kategorialer Vertreter auf geographisch höheren Ebenen bedarf weiterer Überlegungen.
Bezüglich der ”Hierarchie-Tiefe” läßt der Text diverse Ebenen unterhalb und oberhalb des nationalen Levels zu.
Entsprechend dem Prinzip der Subsidiarität beschreibt der Entwurf nur Rahmenbedingungen für Statut und Geschäftsordnung der einzelnen Teilkirchen und delegiert deren Ausformung an die jeweiligen Gemeinschaften. Die Statuten niederer Ebene haben diejenigen auf höherer Ebene zu berücksichtigen, um so die Einheit zu wahren. Umgekehrt müssen die Räte auf niedriger Ebene den Statuten der höheren Ebene zustimmen (sind sie dazu verpflichtet?). Allerdings könnte ich mir in diesem Abschnitt auch wesentlich detailliertere Anforderungen an die Statuten von Teilkirchen vorstellen.
Der 30%/30%-Klausel in III.C.1.g sowie III.C.b.1, III.C.c.1 und III.C.e.1 liegt die folgende Überlegung zugrunde: Fehlt eine solche Klausel, besteht die Gefahr, daß die Laien erst wieder alle Arbeit den Ordinierten zuschieben. Umgekehrt müssen auch die Ordinierten entsprechend vertreten sein, wenn Sie ihre spezifische Verantwortung wahrnehmen sollen. Die konkreten Zahlen könnten selbstverständlich auch anders lauten.
Auf unterster, d.h. meist pfarrlicher Ebene, sollen ausdrücklich die Mitglieder der Gemeinschaft den Rat wählen (Punkt III.C.a.1). Auf diözesaner Ebene gibt der Entwurf keinerlei Details für den Wahlmodus vor, indirekte Wahl ist zulässig.
Der ”Nationalrat” entspricht gleichsam den heutigen Bischofskonferenzen, allerdings unter bewußter Beteiligung von Laien.
Die Idee vom gemeinsamen Vorsitz einer ordinierten und einer nicht ordinierten Person in den Punkten III.C.c.1 und III.C.e.1 geht davon aus, daß die jeweiligen Kompetenzen in den entsprechenden Statuten genauer geregelt werden, wobei prinzipiell beiden Vorsitzenden dieselbe Autorität zukommt. Auch hier, wie mit den 30%-Klauseln, soll das ordinierte Amt entlastet aber nicht entmachtet werden. Die Vorsitzenden sind nicht notwendigerweise auch die (nicht im Verfassungsentwurf berücksichtigten) Geschäftsführer der Nationalräte. Deren Aufgabe wäre es, die Interessen der nationalen Kirchen auch zwischen den Sitzungsperioden wahrzunehmen, während jene die Sitzungen selbst (z.B. zwei pro Jahr) zu leiten haben.
Der ”Generalrat” könnte gut auch ”Generalsynode” oder ”ständiges Konzil” heißen. Er soll aus 500 Personen bestehen und mindestens einmal jährlich tagen, wobei die Zahlen auch anders lauten könnten. Die Autoren wollten eine praktikable Größe festlegen, die trotzdem eine ausreichende Repräsentanz der Teilkirchen aller Welt gewährleistet. Da jeder Nationalrat zu einem anderen Termin seine Delegierten in den Generalrat wählen wird, ergibt sich automatisch ein zeitversetztes System.
Die Idee, daß Verfassung und Geschäftsordnung des Generalrats denselben rechtlichen Status haben sollten wie die Verfassung selbst (im englischen Original wird dies übrigens auch für Verfassung und Geschäftsordnung des Papstwahlausschusses gefordert), bot sich als Lösung für das Problem, daß viele Details aus dem Statut des Generalrats zwar nicht in die Verfassung gehören aber dennoch ”Verfassungsrang” haben müßten, d.h. daß sie nur mit Zweidrittelmehrheit unter Zustimmung der Nationalräte geändert werden können. Mittlerweile liegen andere Lösungsvorschläge vor, es ist hier jedoch nicht der Raum, diese zu diskutieren.
Insgesamt könnte der Verfassungstext genauere Bestimmungen über die Kompetenzen des Generalrates festlegen, etwa das Ausarbeiten möglicher Sanktionen bei allfälligen Verletzungen von Grundrechten oder anderen Verstößen gegen die Verfassung.
Zu Abschnitt III.D, Leitungsämter und Leitende:
Grundsätzlich hat sich in diesem Kapitel ein gemäßigt traditionelles Amtsverständnis durchgesetzt gegenüber einer radikalen Absage an die ”Zwei-Klassen-Kirche”. Der Amtsbegriff folgt im wesentlichen der Konvergenzerklärung der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen über ”Taufe, Eucharistie und Amt” [dt. von U. u. G. Gassmann, Bonifatius Verlag u. Verlag Otto Lembeck, Paderborn, 1982].
Demnach ist es Aufgabe der ordinierten Amtsträger ”öffentlich und ständig … auf ihre (der Kirche) fundamentale Abhängigkeit von Jesus Christus hinzuweisen, und … dadurch … einen Bezugspunkt ihrer Einheit darzustellen.” [a.a.O. Abschnitt ”AMT”, II.A.8] Der Entwurf vermeidet aber auch hier jede theologische Diskussion und gibt so bewußt Raum für unterschiedliche Interpretationen. Für die Plattform ”Wir sind Kirche” gilt es, zu prüfen, inwieweit die vorgestellten Regelungen ihren Grundsätzen entsprechen, wie sie z.B. in der Broschüre ”Ohne Begehren stirbt die Liebe” skizziert sind [a.a.O. Kapitel 1, J. Patsch, Verlagshaus Thaur, Thaur, 1998].
Obwohl die Begriffe Pfarrer, Bischöfe und Papst um der Kontinuität willen verwendet werden, unterscheidet sich die Funktion dieser Ämter deutlich von ihrer derzeitigen Form. Daß alle Ämter von Frauen gleichwie von Männern ausgeübt werden können, darf gemäß des Grundrechtskataloges in Abschnitt II als selbstverständlich gelten.
Der gesamte Textentwurf versucht übrigens durchgehend den Begriff ”Laie” zu vermeiden (Punkt II.A.11 ist ein ”Ausrutscher”), da er einerseits im heutigen Sprachgebrauch weithin abwertend verwendet wird und andererseits nach wie vor nur negativ definiert ist als Gegenpol zum Amtsträger. So spricht der Text z.B. in III.C mehrmals von ”ordinierten Inhabern kirchlicher Dienstämter” und ”Gläubigen ohne ein solches Amt”. Der englische Text spricht von ”commissioned office-holders of ministries” also eigentlich ”beauftragt” nicht notwendigerweise also ”geweiht”.
Jedenfalls werden Pfarrer und Bischöfe zwar von ihren jeweiligen Gemeinden gewählt aber doch von höherer Instanz, konkret vom Bischof und dem Diözesanrat bzw. vom National- oder Generalrat bestätigt. Diese Bestätigung könnte durch eine Weihe erfolgen. Die Statuten der Teilkirchen haben festzulegen, was im Fall der Verweigerung einer solchen Bestätigung geschieht. Der Entwurf sieht die Wahl des Pfarrers durch die gesamte Pfarrgemeinde, die Wahl des Bischofs durch den Diözesanrat vor.
Auch in der Frage der Papstwahl bringt der deutsche Text nicht die volle Bedeutung des Originals. Der vom Generalrat eingesetzte Papstwahlausschuß legt die Richtlinien für die Entsendung von Delegierten der Nationalräte quasi zum ”Konklave”, zur Papstwahl, fest (nicht nur die Gesamtzahl). Im Englischen heißt dieses ”Konklave” ”Papal Election Congress”, im Deutschen blieb es ohne Bezeichnung.
Zu Punkt III.D.a.4.: Der englische Text verweist die Festlegung der Amtszeit richtigerweise an die jeweilige Verfassung, nicht an den Rat, wie es in der deutschen Fassung steht.
Zu Abschnitt IV, das Rechtswesen:
Auch hier halte ich eine detailliertere Ausarbeitung der Details für nötig, insbesondere die Zuständigkeiten der einzelnen Gerichte sowie Regelungen über die Bestellung von unabhängigen Richtern.
Wie aus dem Nichts tauchen in diesem Abschnitt plötzlich Kirchenprovinzen auf, da den Autoren deren Bedeutung für die derzeitige Praxis in der kirchlichen Rechtsprechung erst sehr spät bewußt wurde. Die vorgelegte Fassung lädt also ein zum Weiterdenken.
Nicht sehr deutlich wird hier die Grundüberlegung, daß es jeweils drei Instanzen geben soll, nämlich je nach Art des Falles z.B. Diözesangericht – Provinzialgericht – oberster Gerichtshof oder Provinzialgericht – nationales Gericht – oberster Gerichtshof oder, wenn der Fall den Bischof betrifft, Provinzialgericht – multinationales Berufungsgericht – oberster Gerichtshof oder auch, wenn die Kirchenprovinz größer ist als das Land, Diözesangericht – multinationales Berufungsgericht – oberster Gerichtshof. Nur für Fälle, welche den Papst betreffen ist einzig der oberste Gerichtshof zuständig, ohne Berufungsmöglichkeit.
Zu Abschnitt V, Verfassungsänderungen:
Die Regelungen hier sind genauer und strenger (letzteres ist durchaus beabsichtigt) als die Regelung für das Inkrafttreten der im Verfassungsrang stehenden Statuten des Generalrates (vgl. Punkt III.C.e.4 und 5).